Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
44
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 44 AS 57/14
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird verurteilt, die Bescheide vom 8.11.2011 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 2.12.2013 aufzuheben. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Streitig ist die Aufhebung und Erstattung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Alg II), hier: der Kosten der Unterkunft, nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in der Zeit vom 1.10.2008 bis 31.5.2009 sowie vom 1.12.2009 bis 30.6.2011.
Die 1951 geborene Klägerin lebt mit ihrem 1963 geborenen Ehemann S. in einer Bedarfsgemeinschaft. Sie beziehen seit 4.12.2007 Alg II.
Der Beklagte ging hierbei im Zeitraum von Juni 2008 bis Mai 2009 von einem Bedarf an Unterkunftskosten i.H.v. insgesamt 771,10 EUR, im Zeitraum Dezember 2009 bis Mai 2010 i.H.v. 767,21 EUR, für Juni 2010 bis Mai 2011 i.H.v. 778,92 EUR und im Zeitraum von Juni 2011 bis November 2011 i.H.v. 791,14 EUR aus.
Im Rahmen eines Gesprächs zur Senkung der Unterkunftskosten teilte der Ehemann der Klägerin am 6.6.2011 mit, dass in seiner Wohnung eine dritte Person, der Neffe der Klägerin Herr T., lebe. Dieser lebe mietfrei in seinem Haushalt. Der Meldebestätigung vom 18.9.2007 war zu entnehmen, dass der 1985 geborene T. bereits seit 1.3.2002 bei der Klägerin gemeldet war. Anhand der eingereichten Bescheide des Bezirksamts W. war erkennbar, dass Herr T. Leistungen nach dem Asylbewerbergesetz i.H.v. 191,40 EUR monatlich ohne Einbeziehung von Unterkunftskosten bezogen hatte; dem Leistungsbescheid war zu entnehmen, dass er mietfrei wohne. Mit Schreiben vom 12.8.2011 teilte der Ehemann der Klägerin mit, Herr T. habe Deutschland verlassen, ohne sich abzumelden, weswegen er die Abmeldung selbst veranlasst habe. Laut Melderegisterauskunft vom 8.9.2011 ist Herr T. am 1.7.2011 aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen.
Mit Änderungsbescheiden vom 11.10.2011 senkte der Beklagte den Bedarf der Bedarfsgemeinschaft für Unterkunft und Heizung jeweils um 1/3 ab. Ferner nahm der Beklagte mit Bescheiden vom 8.11.2011 die Entscheidung über die Bewilligung von Alg II insoweit teilweise zurück und forderte entsprechend die Leistungen von der Klägerin für den Zeitraum vom 1.10.2008 bis 31.5.2009 vom 1.12.2009 bis 30.6.2011 i.H.v. insgesamt 3347,34 EUR zurück, da die Unterkunftskosten wegen einer zusätzlichen Person in der Haushaltsgemeinschaft nur zu einem Anteil von 2/3 zu übernehmen seien.
Mit dem hiergegen gerichteten Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass für Herrn T. vom Bezirksamt W. keine Mietkosten gezahlt worden seien. Sie habe nicht gewusst, dass sie verpflichtet gewesen sei, den Mitbewohner beim SGB II-Träger anzugeben. Der Widerspruch blieb erfolglos und wurde durch Widerspruchsbescheide vom 2.12.2013 zurückgewiesen. Eine Änderung der angefochtenen Bescheide erfolgte teilweise nur insoweit, als weitere Änderungsbescheide für die Monate Oktober/November 2008 sowie für Dezember 2009 bis Juni 2011 zurückgenommen wurden; insoweit wird auf die Seiten 180, 224, 254, 298, 338, 353 und 391 der Widerspruchsakte Bezug genommen. Das Vertrauen der Klägerin auf den Bestand der rechtswidrigen Bewilligungsentscheidung sei nicht schutzwürdig. Sie habe erkennen können, dass sie Leistungen zu Unrecht erhalten und die Bewilligungs- und Änderungsbescheide rechtswidrig gewesen seien. Soweit die Rechtswidrigkeit der Bescheide auf falschen Angaben ihres Ehemannes beruhten, seien diese der Klägerin nach § 38 Abs. 1 SGB II zurechenbar. Der Ehemann der Klägerin habe anhand der Antragsformulare auf Leistungen nach dem SGB II – hier insbesondere im Zusatzblatt 1 zur Feststellung der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung – erkennen können, dass er umfassende Angaben über die Zahl der Personen im Haushalt zu leisten habe. Gleichwohl habe er im Antrag auf Alg II vom 4.12.2007 sowie in den nachfolgenden Anträgen auf Weiterbewilligung der Leistungen vom 23.4.2008, vom 25.10.2008, vom 16.10.2009, vom 16.10.2009, vom 10.8.2010, vom 29.10.2010, vom 4.2.2011 und vom 14.4.2011 falsche Angaben gemacht, indem er den Neffen der Klägerin nicht als Mitbewohner aufgeführt habe. Die Bewilligung von Alg II habe somit auf Angaben beruht, die der Ehemann der Klägerin zumindest fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht habe. Bei Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt hätte damit auch die Klägerin erkennen können, dass ihnen aufgrund des Mitbewohners ein geringerer Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II zugestanden habe. Von den geltend gemachten Unterkunftskosten im zu entscheidenden Zeitraum stünde der Bedarfsgemeinschaft nach Berücksichtigung des Mitbewohners nur ein Anteil von 2/3 zu. Insoweit komme es nicht darauf an, ob der Mitbewohner Herr T. von anderen Leistungsträgern Mietzuschüsse erhalten habe. Nach dem im Sozialrecht herrschenden Individualprinzip seien die Leistungen nach dem SGB II als individuelle Ansprüche ausgestaltet, sodass die Rückabwicklung gegenüber jedem einzelnen Betroffenen zu erfolgen habe. Da Unterkunftskosten zu Unrecht ausgezahlt worden seien, entfalle auf die Klägerin hiervon ein Anteil von 50 % der insgesamt zu erstattenden Unterkunftskosten.
Hiergegen richtet sich die am 6.1.2014 eingereichte Klage, mit welcher die Klägerin die Aufhebung der angefochtenen Bescheide begehrt. Gegen die Änderungsbescheide vom 11.10.2011, mit welchen der Beklagte den Bedarf für Unterkunft und Heizung um 1/3 für den Leistungszeitraum abgesenkt hatte, laufe ein Überprüfungsverfahren. Der angefochtene Bescheid sei rechtsfehlerhaft, weil der Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe entgegenstehe. Hiernach seien zunächst andere Behörden, bei denen ein Leistungsanspruch bestünde, heranzuziehen. Dies sei die Grundsicherungs- und Sozialabteilung des Bezirksamts Hamburg-W ... Der Neffe der Klägerin sei als minderjähriger, unbegleiteter Flüchtling im Jahr 2001 aus dem I. nach Deutschland geflüchtet, um hier einen Asylantrag zu stellen. Im Heimatkulturkreis der Klägerin sei es inakzeptabel gewesen, das Kind nicht zumindest vorübergehend aufzunehmen. Es sei dem Ehemann der Klägerin mitgeteilt worden, dass keine Ansprüche hinsichtlich der Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung bestünden. Es werde davon ausgegangen, dass ein Anspruch nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bestanden habe, weswegen der Beklagte seine Ansprüche nach § 104 SGB X gegen das zuständige Bezirksamt geltend machen müsse. Weiterhin gehe der Beklagte fehlerhaft von einem kopfteiligen Individualanspruch hinsichtlich der Gesamtunterbringungskosten aus. Dies sei bei einer Bedarfsgemeinschaft eine angemessene Aufteilung, aber nicht bei einer Haus- oder Wohngemeinschaft. Gehe man von einer Wohngemeinschaft aus, wäre bei der Bemessung der Kosten der Unterkunft gleichfalls allein auf die Leistungsberechtigten abzustellen. Auch die gemeinsame Nutzung von Gemeinschaftsräumen würde keinen Abschlag von der angemessenen Quadratmeterzahl rechtfertigen (BSG, Urteil vom 18.6.2008 – B 14/11 B AS 61/06 R). Diese Grundsätze seien hier anzulegen. Der Neffe der Klägerin sei lediglich ein Verwandter, sodass nicht ohne weiteres die Regelungen einer Bedarfsgemeinschaft nach Kopfteilen angelegt werden könnten. Das Zimmer, in welchem der Neffe zeitweilig gewohnt habe, habe eine Größe von 12 m² bei einer Gesamtgröße der Wohnung von 81 m². Auch wenn der Neffe das Wohnzimmer gelegentlich mitbenutzt habe, rechtfertige diesbezüglich der Klägerin keinen Abschlag von den Kosten der Unterkunft. Der Neffe habe zumindest seit 2007 das kleine Zimmer regelmäßig nur zum Schlafen genutzt und den Großteil seiner Zeit bei seiner Tante G. verbracht, zu der ein besonderes Näheverhältnis bestanden habe.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, die Bescheide vom 8.11.2011 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 2.12.2013 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Ein Rückgriff gegenüber dem Bezirksamt W. gemäß § 104 SGB X komme nicht in Betracht. Es sei nicht Aufgabe des Beklagten, etwaige Ansprüche des Neffen der Klägerin aus dem Asylbewerberleistungsgesetz zu prüfen bzw. diese im Nachhinein geltend zu machen. Die Höhe der zu erstattenden Leistungen sei nicht zu beanstanden, insbesondere entspreche die Aufteilung der Unterkunftskosten nach Kopfteilen ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Eine Abweichung vom Kopfteilprinzip bei Haushalts- oder Wohngemeinschaften komme danach nur in Betracht, wenn eine verbindliche vertragliche Regelung über die Nutzung der Wohnung zu Grunde liege. Hierfür bestünden keine Anhaltspunkte, so dass ein Ausnahmetatbestand im vorliegenden Fall gerade nicht gegeben sei.
In der mündlichen Verhandlung vom 5.4.2014 hat das Gericht die Verfahren S 44 AS 57/14 bis S 44 AS 64/14 durch Beschluss zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und unter dem Aktenzeichen S 44 AS 57/14 fortgeführt.
Wegen der weiteren Einzelheiten der mündlichen Verhandlung sowie des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist als Anfechtungsklage gegen die streitgegenständlichen Rücknahme- und Erstattungsbescheide des Beklagten vom 8.11.2011 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 2.12.2013 nach § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Die angefochtenen Bescheide sind formell rechtmäßig. Zwar fehlte es an einer ordnungsgemäßen Anhörung nach § 24 SGB X vor deren Erlass. Aber eine unzureichende Anhörung ist mit der Durchführung des Widerspruchsverfahrens geheilt worden, da Gelegenheit gegeben wurde, sich zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern. Dies hat die Klägerin auch getan (vgl. zur Heilung einer fehlenden Anhörung im Widerspruchsverfahren: BSG, Urteil vom 29.4.2015 - B 14 AS 10/14 R - juris; Urteil vom 29.11.2012 - B 14 AS 196/11 R - juris; Urteil vom 4.6.2014 - B 14 AS 2/13 R -).
Die Klage ist begründet, da die Bescheide materiell rechtswidrig sind und die Klägerin in ihren Rechten verletzen (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).
Rechtsgrundlage der angefochtenen Rücknahme- und Erstattungsbescheide sind die Regelungen der §§ 40 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 sowie § 50 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X), § 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III). Nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 SGB X ist ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hat oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Vorliegend fehlt es bereits an der Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Bewilligungsbescheide.
Der Beklagte hat zu Unrecht angenommen, dass die Unterkunftskosten wegen einer zusätzlichen Person in die Haushaltsgemeinschaft nur zu einem Anteil von 2/3 zu übernehmen waren und hat insoweit zu Unrecht die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II teilweise zurückgenommen und Leistungen zurückgefordert.
Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung sind grundsätzlich unabhängig von Alter, konkretem Wohnflächenbedarf und Nutzungsintensität anteilig pro Kopf aufzuteilen, wenn die leistungsberechtigte Person eine Unterkunft gemeinsam mit anderen Personen nutzt (Piepenstock in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 22, Rn. 75 m.w.N.). Dies gilt unabhängig davon, ob die Personen Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft sind oder nicht (ständige Rechtsprechung, zuletzt BSG, Urteil vom 2.12.2014 – B 14 AS 50/13 R – Rz. 18, juris). Hintergrund dieses "Kopfteilprinzips" sind Gründe der Verwaltungsvereinfachung sowie die Überlegung, dass die gemeinsame Nutzung einer Wohnung durch mehrere Personen deren Unterkunftsbedarf insgesamt abdeckt und in aller Regel eine an der unterschiedlichen Intensität der Nutzung ausgerichtete Aufteilung der Aufwendungen für die Erfüllung des Grundbedürfnisses Wohnen nicht zulässt (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BSG, Urteil vom 2.12.2014, a.a.O., Rz. 16 sowie BSG, Urteil vom 23.5.2013 – B 4 AS 67/12 R – Rz. 18, juris). Bei der aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität vorgenommenen Aufteilung nach Kopfteilen im Rahmen des § 22 Abs. 1 SGB II handelt es sich um eine generalisierende und typisierende Annahme, die jedoch nicht gesetzlich als den Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung begrenzend festgeschrieben ist (BSG, Urteile vom 2.12.2014, a.a.O., Rz. 17 und vom 23.5.2013, a.a.O. Rz. 19 f.). Da die Aufteilung nach Kopfteilen basierend auf dem Grundsatz der Verwaltungsvereinfachung gesetzlich nicht vorgegeben ist und folglich nur für den "Normalfall" gelten kann, hat das BSG schon mehrfach Abweichungen vom Kopfteilprinzip als möglich und notwendig angesehen. Diese sind entgegen der Auffassung des Beklagten nicht darauf beschränkt, dass eine verbindliche vertragliche Regelung über die Nutzung der Wohnung zu Grunde liegt, sondern greifen auch z.B. in Fallgestaltungen, in denen die Aufteilung nach Kopfteilen zu einer Bedarfsunterdeckung geführt hat bzw. Mietschulden drohen (vgl. zu den anerkannten Ausnahmetatbeständen Piepenstock, a.a.O. § 22 SGB II Rz. 77; zu den Fällen der Bedarfsunterdeckung: BSG, Urteil vom 23.5.2013 – B 4 AS 67/12 R – in: SGb 2014, 336 – 342 mit Anmerkung Sonnhoff, LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22.3.2012 – L 6 AS 1589/10 – Rz. 28/29, SG Hamburg, Beschluss vom 24.4.2008 – S 56 AS 796/08 ER – Rz. 20, juris, Berlit in: LPK-SGB II, 5. Auflage, § 22 Rz. 42).
So liegt der Fall hier. Auch im vorliegenden Fall ist aus bedarfsbezogenen Gründen eine Ausnahme von dem Kopfteilprinzip angebracht, da die Anwendung des Kopfteilprinzips vorliegend zu Wertungswidersprüchen führen würde. Denn eine Aufteilung nach Kopfteilen unter Anrechnung des auf den Neffen entfallenden "fiktiven" Kopfteils würde hier zu einer Bedarfsunterdeckung bei den anderen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft – der Klägerin und ihrem Ehemann – führen und damit die mit der Aufteilung nach Kopfteilen verbundene Zielsetzung hintertreiben. Denn die Aufteilung rechtfertigt sich nicht nur daraus, dass die Wohnung gemeinsam mit anderen Personen genutzt wird, sondern dass der aktuell bestehende Unterkunftsbedarf gerade mehrerer Personen gedeckt wird (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22.3.2012, a.a.O., Rz. 28 m.w.N.). Eine Unterdeckung des Bedarfs ergibt sich hier daraus, dass der 1985 geborene Neffe der Klägerin zwar Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz i.H.v. 191,40 EUR monatlich bezog; Kosten der Unterkunft erhielt er jedoch nicht, da das zuständige Bezirksamt davon ausging, dass der Neffe mietfrei wohne.
Für einen auch hier vorliegenden Ausnahmefall der Bedarfsunterdeckung sprechen auch folgende Erwägungen: die Klägerin hatte soweit ersichtlich keine rechtliche Handhabe gegen ihren volljährigen Neffen, diesen zur Durchsetzung von Ansprüchen auf Kosten der Unterkunft gegenüber dem Bezirksamt W. zu bewegen, sich gegen den Verwaltungsakt in Form von Widerspruch und ggf. Klage zur Wehr zu setzen. Dies gilt auch, wenn ihr nicht bekannt war, dass Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bei einer Unterbringung außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen auch die notwendigen Kosten für Unterkunft und Heizung umfassen. Ebenso wenig konnte die Klägerin darauf verwiesen werden, Ansprüche gegenüber ihrem Neffen durchzusetzen. Zum einen handelt es sich insoweit nicht um "bereite Mittel", die in naher Zukunft realisiert werden können. Zum anderen ist zweifelhaft, ob überhaupt ein zivilrechtlicher Anspruch bestanden hat.
Voraussetzung für eine Abweichung vom Kopfteilprinzip ist jedoch, dass der Dritte über kein Einkommen oder Vermögen verfügt, aus dem er seinen Kopfteil – oder ggf. Teile davon – bestreiten kann, da es nicht Aufgabe der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist, wirtschaftlich Leistungsfähigen ein kostenfreies Wohnen zu ermöglichen (BSG, Urteil vom 2.12.2014 – B 14 AS 50/13 R – Rz. 22 m.w.N., juris). Anhaltspunkte dafür, dass der Neffe der Klägerin im streitigen Zeitraum über Einkommen bzw. Vermögen verfügt hat, bestanden nicht und wurden auch nicht geltend gemacht.
Hieran ändert sich auch dadurch nichts, dass weder die Klägerin noch ihr Ehemann dem Beklagten die Aufnahme des Neffen der Klägerin in die gemeinsame Wohnung pflichtwidrig nicht mitgeteilt hat und hierdurch eine mögliche Unterstützung des Beklagten, z.B. durch entsprechende Hinweise, von vornherein verhindert hat. Diese Pflichtwidrigkeit ändert nichts daran, dass der Klägerin keine bereiten Mittel zur Bestreitung der Kosten der Unterkunft für ihren Neffen zur Verfügung standen. Dem Gedanken der Einheit der Rechtsordnung widerspräche es, wenn der Klägerin bei den anfallenden Unterkunftskosten ein Betrag als auf den Neffen entfallend abgezogen würde, den diese nach den ihr gewährten Leistungen zu tragen nicht imstande ist (vgl. auch Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 8.12.2005 – L 14 B 38/05 AS ER – Rz. 15, juris) und würde schließlich zu Wertungswidersprüchen führen. Die Klägerin würde dazu verpflichtet, die zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums vorgesehene Leistung des Regelbedarfs ohne rechtliche Grundlage regelwidrig für die nicht gedeckten Kosten der Unterkunft einzusetzen oder aber mietvertragliche Verpflichtungen künftig nicht vollständig erfüllen zu können. Darauf kann sie nicht verwiesen werden, da zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums gemäß Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG auch die Übernahme der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung gehören (vgl. dazu nur BSG, Urteil vom 2.12.2014 – B 14 AS 50/13 R – Rz. 19).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Streitig ist die Aufhebung und Erstattung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Alg II), hier: der Kosten der Unterkunft, nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in der Zeit vom 1.10.2008 bis 31.5.2009 sowie vom 1.12.2009 bis 30.6.2011.
Die 1951 geborene Klägerin lebt mit ihrem 1963 geborenen Ehemann S. in einer Bedarfsgemeinschaft. Sie beziehen seit 4.12.2007 Alg II.
Der Beklagte ging hierbei im Zeitraum von Juni 2008 bis Mai 2009 von einem Bedarf an Unterkunftskosten i.H.v. insgesamt 771,10 EUR, im Zeitraum Dezember 2009 bis Mai 2010 i.H.v. 767,21 EUR, für Juni 2010 bis Mai 2011 i.H.v. 778,92 EUR und im Zeitraum von Juni 2011 bis November 2011 i.H.v. 791,14 EUR aus.
Im Rahmen eines Gesprächs zur Senkung der Unterkunftskosten teilte der Ehemann der Klägerin am 6.6.2011 mit, dass in seiner Wohnung eine dritte Person, der Neffe der Klägerin Herr T., lebe. Dieser lebe mietfrei in seinem Haushalt. Der Meldebestätigung vom 18.9.2007 war zu entnehmen, dass der 1985 geborene T. bereits seit 1.3.2002 bei der Klägerin gemeldet war. Anhand der eingereichten Bescheide des Bezirksamts W. war erkennbar, dass Herr T. Leistungen nach dem Asylbewerbergesetz i.H.v. 191,40 EUR monatlich ohne Einbeziehung von Unterkunftskosten bezogen hatte; dem Leistungsbescheid war zu entnehmen, dass er mietfrei wohne. Mit Schreiben vom 12.8.2011 teilte der Ehemann der Klägerin mit, Herr T. habe Deutschland verlassen, ohne sich abzumelden, weswegen er die Abmeldung selbst veranlasst habe. Laut Melderegisterauskunft vom 8.9.2011 ist Herr T. am 1.7.2011 aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen.
Mit Änderungsbescheiden vom 11.10.2011 senkte der Beklagte den Bedarf der Bedarfsgemeinschaft für Unterkunft und Heizung jeweils um 1/3 ab. Ferner nahm der Beklagte mit Bescheiden vom 8.11.2011 die Entscheidung über die Bewilligung von Alg II insoweit teilweise zurück und forderte entsprechend die Leistungen von der Klägerin für den Zeitraum vom 1.10.2008 bis 31.5.2009 vom 1.12.2009 bis 30.6.2011 i.H.v. insgesamt 3347,34 EUR zurück, da die Unterkunftskosten wegen einer zusätzlichen Person in der Haushaltsgemeinschaft nur zu einem Anteil von 2/3 zu übernehmen seien.
Mit dem hiergegen gerichteten Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass für Herrn T. vom Bezirksamt W. keine Mietkosten gezahlt worden seien. Sie habe nicht gewusst, dass sie verpflichtet gewesen sei, den Mitbewohner beim SGB II-Träger anzugeben. Der Widerspruch blieb erfolglos und wurde durch Widerspruchsbescheide vom 2.12.2013 zurückgewiesen. Eine Änderung der angefochtenen Bescheide erfolgte teilweise nur insoweit, als weitere Änderungsbescheide für die Monate Oktober/November 2008 sowie für Dezember 2009 bis Juni 2011 zurückgenommen wurden; insoweit wird auf die Seiten 180, 224, 254, 298, 338, 353 und 391 der Widerspruchsakte Bezug genommen. Das Vertrauen der Klägerin auf den Bestand der rechtswidrigen Bewilligungsentscheidung sei nicht schutzwürdig. Sie habe erkennen können, dass sie Leistungen zu Unrecht erhalten und die Bewilligungs- und Änderungsbescheide rechtswidrig gewesen seien. Soweit die Rechtswidrigkeit der Bescheide auf falschen Angaben ihres Ehemannes beruhten, seien diese der Klägerin nach § 38 Abs. 1 SGB II zurechenbar. Der Ehemann der Klägerin habe anhand der Antragsformulare auf Leistungen nach dem SGB II – hier insbesondere im Zusatzblatt 1 zur Feststellung der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung – erkennen können, dass er umfassende Angaben über die Zahl der Personen im Haushalt zu leisten habe. Gleichwohl habe er im Antrag auf Alg II vom 4.12.2007 sowie in den nachfolgenden Anträgen auf Weiterbewilligung der Leistungen vom 23.4.2008, vom 25.10.2008, vom 16.10.2009, vom 16.10.2009, vom 10.8.2010, vom 29.10.2010, vom 4.2.2011 und vom 14.4.2011 falsche Angaben gemacht, indem er den Neffen der Klägerin nicht als Mitbewohner aufgeführt habe. Die Bewilligung von Alg II habe somit auf Angaben beruht, die der Ehemann der Klägerin zumindest fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht habe. Bei Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt hätte damit auch die Klägerin erkennen können, dass ihnen aufgrund des Mitbewohners ein geringerer Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II zugestanden habe. Von den geltend gemachten Unterkunftskosten im zu entscheidenden Zeitraum stünde der Bedarfsgemeinschaft nach Berücksichtigung des Mitbewohners nur ein Anteil von 2/3 zu. Insoweit komme es nicht darauf an, ob der Mitbewohner Herr T. von anderen Leistungsträgern Mietzuschüsse erhalten habe. Nach dem im Sozialrecht herrschenden Individualprinzip seien die Leistungen nach dem SGB II als individuelle Ansprüche ausgestaltet, sodass die Rückabwicklung gegenüber jedem einzelnen Betroffenen zu erfolgen habe. Da Unterkunftskosten zu Unrecht ausgezahlt worden seien, entfalle auf die Klägerin hiervon ein Anteil von 50 % der insgesamt zu erstattenden Unterkunftskosten.
Hiergegen richtet sich die am 6.1.2014 eingereichte Klage, mit welcher die Klägerin die Aufhebung der angefochtenen Bescheide begehrt. Gegen die Änderungsbescheide vom 11.10.2011, mit welchen der Beklagte den Bedarf für Unterkunft und Heizung um 1/3 für den Leistungszeitraum abgesenkt hatte, laufe ein Überprüfungsverfahren. Der angefochtene Bescheid sei rechtsfehlerhaft, weil der Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe entgegenstehe. Hiernach seien zunächst andere Behörden, bei denen ein Leistungsanspruch bestünde, heranzuziehen. Dies sei die Grundsicherungs- und Sozialabteilung des Bezirksamts Hamburg-W ... Der Neffe der Klägerin sei als minderjähriger, unbegleiteter Flüchtling im Jahr 2001 aus dem I. nach Deutschland geflüchtet, um hier einen Asylantrag zu stellen. Im Heimatkulturkreis der Klägerin sei es inakzeptabel gewesen, das Kind nicht zumindest vorübergehend aufzunehmen. Es sei dem Ehemann der Klägerin mitgeteilt worden, dass keine Ansprüche hinsichtlich der Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung bestünden. Es werde davon ausgegangen, dass ein Anspruch nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bestanden habe, weswegen der Beklagte seine Ansprüche nach § 104 SGB X gegen das zuständige Bezirksamt geltend machen müsse. Weiterhin gehe der Beklagte fehlerhaft von einem kopfteiligen Individualanspruch hinsichtlich der Gesamtunterbringungskosten aus. Dies sei bei einer Bedarfsgemeinschaft eine angemessene Aufteilung, aber nicht bei einer Haus- oder Wohngemeinschaft. Gehe man von einer Wohngemeinschaft aus, wäre bei der Bemessung der Kosten der Unterkunft gleichfalls allein auf die Leistungsberechtigten abzustellen. Auch die gemeinsame Nutzung von Gemeinschaftsräumen würde keinen Abschlag von der angemessenen Quadratmeterzahl rechtfertigen (BSG, Urteil vom 18.6.2008 – B 14/11 B AS 61/06 R). Diese Grundsätze seien hier anzulegen. Der Neffe der Klägerin sei lediglich ein Verwandter, sodass nicht ohne weiteres die Regelungen einer Bedarfsgemeinschaft nach Kopfteilen angelegt werden könnten. Das Zimmer, in welchem der Neffe zeitweilig gewohnt habe, habe eine Größe von 12 m² bei einer Gesamtgröße der Wohnung von 81 m². Auch wenn der Neffe das Wohnzimmer gelegentlich mitbenutzt habe, rechtfertige diesbezüglich der Klägerin keinen Abschlag von den Kosten der Unterkunft. Der Neffe habe zumindest seit 2007 das kleine Zimmer regelmäßig nur zum Schlafen genutzt und den Großteil seiner Zeit bei seiner Tante G. verbracht, zu der ein besonderes Näheverhältnis bestanden habe.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, die Bescheide vom 8.11.2011 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 2.12.2013 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Ein Rückgriff gegenüber dem Bezirksamt W. gemäß § 104 SGB X komme nicht in Betracht. Es sei nicht Aufgabe des Beklagten, etwaige Ansprüche des Neffen der Klägerin aus dem Asylbewerberleistungsgesetz zu prüfen bzw. diese im Nachhinein geltend zu machen. Die Höhe der zu erstattenden Leistungen sei nicht zu beanstanden, insbesondere entspreche die Aufteilung der Unterkunftskosten nach Kopfteilen ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Eine Abweichung vom Kopfteilprinzip bei Haushalts- oder Wohngemeinschaften komme danach nur in Betracht, wenn eine verbindliche vertragliche Regelung über die Nutzung der Wohnung zu Grunde liege. Hierfür bestünden keine Anhaltspunkte, so dass ein Ausnahmetatbestand im vorliegenden Fall gerade nicht gegeben sei.
In der mündlichen Verhandlung vom 5.4.2014 hat das Gericht die Verfahren S 44 AS 57/14 bis S 44 AS 64/14 durch Beschluss zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und unter dem Aktenzeichen S 44 AS 57/14 fortgeführt.
Wegen der weiteren Einzelheiten der mündlichen Verhandlung sowie des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist als Anfechtungsklage gegen die streitgegenständlichen Rücknahme- und Erstattungsbescheide des Beklagten vom 8.11.2011 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 2.12.2013 nach § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Die angefochtenen Bescheide sind formell rechtmäßig. Zwar fehlte es an einer ordnungsgemäßen Anhörung nach § 24 SGB X vor deren Erlass. Aber eine unzureichende Anhörung ist mit der Durchführung des Widerspruchsverfahrens geheilt worden, da Gelegenheit gegeben wurde, sich zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern. Dies hat die Klägerin auch getan (vgl. zur Heilung einer fehlenden Anhörung im Widerspruchsverfahren: BSG, Urteil vom 29.4.2015 - B 14 AS 10/14 R - juris; Urteil vom 29.11.2012 - B 14 AS 196/11 R - juris; Urteil vom 4.6.2014 - B 14 AS 2/13 R -).
Die Klage ist begründet, da die Bescheide materiell rechtswidrig sind und die Klägerin in ihren Rechten verletzen (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).
Rechtsgrundlage der angefochtenen Rücknahme- und Erstattungsbescheide sind die Regelungen der §§ 40 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 sowie § 50 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X), § 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III). Nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 SGB X ist ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hat oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Vorliegend fehlt es bereits an der Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Bewilligungsbescheide.
Der Beklagte hat zu Unrecht angenommen, dass die Unterkunftskosten wegen einer zusätzlichen Person in die Haushaltsgemeinschaft nur zu einem Anteil von 2/3 zu übernehmen waren und hat insoweit zu Unrecht die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II teilweise zurückgenommen und Leistungen zurückgefordert.
Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung sind grundsätzlich unabhängig von Alter, konkretem Wohnflächenbedarf und Nutzungsintensität anteilig pro Kopf aufzuteilen, wenn die leistungsberechtigte Person eine Unterkunft gemeinsam mit anderen Personen nutzt (Piepenstock in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 22, Rn. 75 m.w.N.). Dies gilt unabhängig davon, ob die Personen Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft sind oder nicht (ständige Rechtsprechung, zuletzt BSG, Urteil vom 2.12.2014 – B 14 AS 50/13 R – Rz. 18, juris). Hintergrund dieses "Kopfteilprinzips" sind Gründe der Verwaltungsvereinfachung sowie die Überlegung, dass die gemeinsame Nutzung einer Wohnung durch mehrere Personen deren Unterkunftsbedarf insgesamt abdeckt und in aller Regel eine an der unterschiedlichen Intensität der Nutzung ausgerichtete Aufteilung der Aufwendungen für die Erfüllung des Grundbedürfnisses Wohnen nicht zulässt (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BSG, Urteil vom 2.12.2014, a.a.O., Rz. 16 sowie BSG, Urteil vom 23.5.2013 – B 4 AS 67/12 R – Rz. 18, juris). Bei der aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität vorgenommenen Aufteilung nach Kopfteilen im Rahmen des § 22 Abs. 1 SGB II handelt es sich um eine generalisierende und typisierende Annahme, die jedoch nicht gesetzlich als den Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung begrenzend festgeschrieben ist (BSG, Urteile vom 2.12.2014, a.a.O., Rz. 17 und vom 23.5.2013, a.a.O. Rz. 19 f.). Da die Aufteilung nach Kopfteilen basierend auf dem Grundsatz der Verwaltungsvereinfachung gesetzlich nicht vorgegeben ist und folglich nur für den "Normalfall" gelten kann, hat das BSG schon mehrfach Abweichungen vom Kopfteilprinzip als möglich und notwendig angesehen. Diese sind entgegen der Auffassung des Beklagten nicht darauf beschränkt, dass eine verbindliche vertragliche Regelung über die Nutzung der Wohnung zu Grunde liegt, sondern greifen auch z.B. in Fallgestaltungen, in denen die Aufteilung nach Kopfteilen zu einer Bedarfsunterdeckung geführt hat bzw. Mietschulden drohen (vgl. zu den anerkannten Ausnahmetatbeständen Piepenstock, a.a.O. § 22 SGB II Rz. 77; zu den Fällen der Bedarfsunterdeckung: BSG, Urteil vom 23.5.2013 – B 4 AS 67/12 R – in: SGb 2014, 336 – 342 mit Anmerkung Sonnhoff, LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22.3.2012 – L 6 AS 1589/10 – Rz. 28/29, SG Hamburg, Beschluss vom 24.4.2008 – S 56 AS 796/08 ER – Rz. 20, juris, Berlit in: LPK-SGB II, 5. Auflage, § 22 Rz. 42).
So liegt der Fall hier. Auch im vorliegenden Fall ist aus bedarfsbezogenen Gründen eine Ausnahme von dem Kopfteilprinzip angebracht, da die Anwendung des Kopfteilprinzips vorliegend zu Wertungswidersprüchen führen würde. Denn eine Aufteilung nach Kopfteilen unter Anrechnung des auf den Neffen entfallenden "fiktiven" Kopfteils würde hier zu einer Bedarfsunterdeckung bei den anderen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft – der Klägerin und ihrem Ehemann – führen und damit die mit der Aufteilung nach Kopfteilen verbundene Zielsetzung hintertreiben. Denn die Aufteilung rechtfertigt sich nicht nur daraus, dass die Wohnung gemeinsam mit anderen Personen genutzt wird, sondern dass der aktuell bestehende Unterkunftsbedarf gerade mehrerer Personen gedeckt wird (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22.3.2012, a.a.O., Rz. 28 m.w.N.). Eine Unterdeckung des Bedarfs ergibt sich hier daraus, dass der 1985 geborene Neffe der Klägerin zwar Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz i.H.v. 191,40 EUR monatlich bezog; Kosten der Unterkunft erhielt er jedoch nicht, da das zuständige Bezirksamt davon ausging, dass der Neffe mietfrei wohne.
Für einen auch hier vorliegenden Ausnahmefall der Bedarfsunterdeckung sprechen auch folgende Erwägungen: die Klägerin hatte soweit ersichtlich keine rechtliche Handhabe gegen ihren volljährigen Neffen, diesen zur Durchsetzung von Ansprüchen auf Kosten der Unterkunft gegenüber dem Bezirksamt W. zu bewegen, sich gegen den Verwaltungsakt in Form von Widerspruch und ggf. Klage zur Wehr zu setzen. Dies gilt auch, wenn ihr nicht bekannt war, dass Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bei einer Unterbringung außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen auch die notwendigen Kosten für Unterkunft und Heizung umfassen. Ebenso wenig konnte die Klägerin darauf verwiesen werden, Ansprüche gegenüber ihrem Neffen durchzusetzen. Zum einen handelt es sich insoweit nicht um "bereite Mittel", die in naher Zukunft realisiert werden können. Zum anderen ist zweifelhaft, ob überhaupt ein zivilrechtlicher Anspruch bestanden hat.
Voraussetzung für eine Abweichung vom Kopfteilprinzip ist jedoch, dass der Dritte über kein Einkommen oder Vermögen verfügt, aus dem er seinen Kopfteil – oder ggf. Teile davon – bestreiten kann, da es nicht Aufgabe der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist, wirtschaftlich Leistungsfähigen ein kostenfreies Wohnen zu ermöglichen (BSG, Urteil vom 2.12.2014 – B 14 AS 50/13 R – Rz. 22 m.w.N., juris). Anhaltspunkte dafür, dass der Neffe der Klägerin im streitigen Zeitraum über Einkommen bzw. Vermögen verfügt hat, bestanden nicht und wurden auch nicht geltend gemacht.
Hieran ändert sich auch dadurch nichts, dass weder die Klägerin noch ihr Ehemann dem Beklagten die Aufnahme des Neffen der Klägerin in die gemeinsame Wohnung pflichtwidrig nicht mitgeteilt hat und hierdurch eine mögliche Unterstützung des Beklagten, z.B. durch entsprechende Hinweise, von vornherein verhindert hat. Diese Pflichtwidrigkeit ändert nichts daran, dass der Klägerin keine bereiten Mittel zur Bestreitung der Kosten der Unterkunft für ihren Neffen zur Verfügung standen. Dem Gedanken der Einheit der Rechtsordnung widerspräche es, wenn der Klägerin bei den anfallenden Unterkunftskosten ein Betrag als auf den Neffen entfallend abgezogen würde, den diese nach den ihr gewährten Leistungen zu tragen nicht imstande ist (vgl. auch Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 8.12.2005 – L 14 B 38/05 AS ER – Rz. 15, juris) und würde schließlich zu Wertungswidersprüchen führen. Die Klägerin würde dazu verpflichtet, die zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums vorgesehene Leistung des Regelbedarfs ohne rechtliche Grundlage regelwidrig für die nicht gedeckten Kosten der Unterkunft einzusetzen oder aber mietvertragliche Verpflichtungen künftig nicht vollständig erfüllen zu können. Darauf kann sie nicht verwiesen werden, da zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums gemäß Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG auch die Übernahme der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung gehören (vgl. dazu nur BSG, Urteil vom 2.12.2014 – B 14 AS 50/13 R – Rz. 19).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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