S 11 R 2571/05

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 11 R 2571/05
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Höhe der an die Klägerin zu leistenden Rente. Die am xxxxx1940 geborene Klägerin bezieht Altersrente von der Beklagten. Gegen die für den Juli 2005 erteilte Rentenanpassungsmitteilung legte die Klägerin am 26.7.2005 Widerspruch ein und führte aus, dass sie mit der Rentenanpassung zum 1.7.2005, die keine Rentensteigerung, sondern vielmehr eine "Nullrunde" beinhalte, nicht einverstanden sei. Die Rentenleistungen und Rentenanpassungen stünden unter Eigentumsschutz und aufgrund ihres Alters sei es ihr nicht –mehr – möglich gewesen, über die sogenannte Riester-Rente für einen angemessenen Ausgleich zu sorgen. Auch mit dem zusätzlichen Krankenversicherungsbeitrag von 0,9% sei sie nicht einverstanden. Dieser Beitrag diene der Finanzierung des Krankengeldes, welches Rentner jedoch ohnehin nicht erhielten. Auch die Belastung mit dem vollen Pflegeversicherungsbeitrag sei nicht akzeptabel. Der Widerspruch blieb jedoch erfolglos und wurde mit Widerspruchsbescheid vom 31.8.2005 zurückgewiesen. Die Beklagte verwies auf die ihr obliegende Verpflichtung, die gesetzlichen Vorschriften auszuführen. Die Rentenanpassung zum 1.7.2005 ergebe sich unter Berücksichtigung des Nachhaltigkeitsfaktors. Hier sei es jedoch, entgegen der Berechnung, nicht zu einer Reduzierung der Rente, sondern lediglich zu keiner Erhöhung gekommen. Der zusätzliche Krankenversicherungsanteil von 0,9% ergebe sich aus § 241a SGB V. Über den von der Kläger ebenfalls angefochtenen vollen Anteil zur Pflegeversicherung sei jedoch noch nicht entschieden worden; dies sei nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Mit ihrer Klage vom 30.09.2005 verfolgt die Klägerin ihren Anspruch weiter. Sie ist der Ansicht, dass der Beschluss des Bundeskabinetts vom 13.4.2005, welcher zu der sogenannten "Nullrunde" der Rentenanpassung zum 1.7.2005 geführt hat, gegen verfassungsrechtliche Grundsätze, insbesondere gegen Artikel 14 GG, verstößt. Auch die Rentenanpassungen unterlägen nach Ansicht des BSG im Urteil vom 31.7.2002 – B 4 RA 120/00 R - der Beschränkung des Art. 14 GG. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, welche insbesondere zu den Vorschriften des AAÜG ergangen ist, sei die Sicherung und der Erhalt der Rente eng mit dem Eigentumsgedanken verknüpft und Sicherung und Erhalt bestünde nur dann, wenn Rentenansprüche erhalten blieben. Dies sei aber nicht mehr der Fall, denn derzeit sinke der reale Wert der Rentenansprüche. Durch das Rentenversicherungsneuregelungsgesetz (RVNG) werde in unzulässiger Weise in den Eigentumsschutz eingegriffen. Der Eigentumsschutz sei nämlich umso stärker, je enger die Leistungen mit Beiträgen verknüpft seien. Die Möglichkeit, Nachteile mit der sogenannten Riester-Rente auszugleichen, sei für die Klägerin nicht von Bedeutung, da sie zu diesem Zeitpunkt – Januar 2002 – schon nicht mehr gearbeitet habe. Erforderlich sei daher mindestens ein Ausgleich in Höhe der Inflationsrate. Hinsichtlich der Erhebung des zusätzlichen Beitrages für die Krankenversicherung in Höhe von 0,9% bestünde ein Verstoß gegen Art. 20 und Art. 3 Generalgouvernement. Ein Verstoß gegen Art. 20 GG ergebe sich aus der mit dem zusätzlichen Beitrag beabsichtigten Finanzierung des Krankengeldes. Die Beteiligung der Rentner werde erweitert, um zu verhindern, dass die Belastung der übrigen Versicherten nicht noch weiter steigen soll. Dieses ist aus Gründen der Sozialstaatlichkeit aber nicht mehr zu rechtfertigen, denn Rentner seien ohnehin von der Krankengeldversicherung ausgeschlossen. Auch ein Verstoß gegen Art. 3 GG sei festzustellen, denn mit dem Gleichheitssatz sei nicht zu vereinbaren, wenn die Gruppe der Rentner, die von der Leistung des Krankengeldes ausgeschlossen sind, eine Beitragsermäßigung nicht erhalte. Insgesamt sei daher von einer Beitragsverschiebung zu ungunsten der Rentner auszugehen, die zudem mit einer höheren Besteuerung ihrer Renten ab 2005 belastet seien. Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Abänderung der Rentenanpassungsmitteilung zum 1.7.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31.8.2005 zu verurteilen, der Klägerin ab dem 1.7.2005 eine Nettorente in Höhe von mindestens EUR 675,40 monatlich unter Anrechnung der gezahlten Rentenbeiträge und unter Berücksichtigung der weiteren verfassungsgemäßen Rentenanpassungen zu zahlen, sowie die Rente der Klägerin auch zum 1.7.2005 gem. §§ 64,65,255a,255e SGB VI anzupassen und die Sprungrevision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Zur Begründung bezieht sich die Beklagte auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und den Inhalt ihrer Rentenakte. Die Beklagte sieht in der Rentenanpassung zum 1.7.2005 (der sogenannten Nullrunde) keinen Verstoß gegen verfassungsrechtliche Prinzipien. Zwar hätte es rechnerisch im Jahr 2005 zu einer Rentenkürzung führen müssen, da zwar die Bruttolöhne sich positiv entwickelt, die Beitragssatzkomponente und der Nachhaltigkeitsfaktor jedoch negative gewesen seien. Aufgrund der Sicherungsklausel sei jedoch keine Rentenkürzung, sondern lediglich eine sogenannte Nullrunde durchgeführt worden. Hierin liege jedoch kein Verstoß gegen verfassungsrechtliche Grundsätze, denn nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 100,1,47) müsse lediglich die relative Position erhalten bleiben. Zwar liege ein Eingriff nach Art. 14 GG vor, jedoch sei die Verhältnismäßigkeit gewahrt. Die Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors sei geeignet und erforderlich gewesen. Im Übrigen bestünde kein Vertrauensschutz in – jährliche- Rentenanpassungen und dem Schutz vor auf Dauer bestehender Unveränderbarkeit. Zwar sei die Vielzahl der Eingriffe insgesamt bedenklich, dennoch bliebe weiterhin das Stammrecht auf Rente unangetastet. Hinsichtlich des zusätzlichen Beitrages zur Krankenversicherung in Höhe von 0,9 % liege ebenfalls kein Verstoß gegen hier insbesondere Art. 3 GG vor, denn einen verfassungsrechtlichen Grundsatz für eine gleichgewichtige Beitragsverteilung gäbe es nicht.

Die Beigeladene schließt sich den Ausführungen der Beklagten an.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf die Prozessakte der Kammer und die Rentenakte der Beklagten, die vorgelegen haben und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 19.2.2009 gemacht worden sind, wegen deren Verlauf auf die Sitzungsniederschrift verwiesen wird.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Leistung einer höheren als die von der Beklagten hier zum 1.7.2005 festgestellte Rente. Die Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und nicht zu beanstanden. Rechtsgrundlage sind vorliegend die Vorschriften des am 1.1.1992 in Kraft getretenen Sechsten Sozialgesetzbuches – SGB VI – in der seit 1.1.2001 geltenden Fassung in Verbindung mit den Vorschriften des Fünften Sozialgesetzbuches – SGB V -. Der Monatsbetrag der Rente ergibt sich aus § 64 SGB VI und berücksichtigt u.a. den aktuellen Rentenwert, welcher nach § 65 SGB VI im Wege der Verordnung zum 1. Juli eines jeden Jahres durch einen neuen aktuellen Rentenwert ersetzt wird. Dieser verändert sich, indem der bisherige Wert mit den Faktoren für die Veränderung der Bruttolohn – und Gehaltssumme je durchschnittlich beschäftigten Arbeitnehmer, des Beitragssatzes zur allgemeinen Rentenversicherung und dem Nachhaltigkeitsfaktor vervielfältigt wird (§68 Absatz 1 Satz 3 SGB VI). Bei der Rentenanpassung zum 1.7.2005 war zusätzlich die Veränderung des Altersvorsorgeanteiles § 255 e Absatz 1, Absatz 3 SGB VI in der Fassung des Gesetzes zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung – RVNG – vom 21.7.2004 (BGBl I 1791,1798)und des Gesetzes zur Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversicherung – RVOrgG- vom 9.12.2004 (BGBl I 3242)) zu berücksichtigen. Aufgrund dieser gesetzlichen Vorgaben erfolgte eine gleichbleibende Höhe des aktuellen Rentenwertes. Der Ansicht der Klägerin, diese gleichbleibende Höhe verstoße gegen verfassungsrechtliche Grundsätze, vermag die Kammer nicht zu überzeugen. Das BSG hat in seinem Urteil vom 13.11.2008 (B 13 R 13/08 R) festgestellt, dass ein Verstoß insbesondere gegen Art. 14 GG nicht vorliegt und zur Begründung ausgeführt, dass auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht die Einzelelemente einer Anwartschaft, sondern nur das Gesamtergebnis und die rentenversicherungsrechtliche Position insgesamt geschützt ist. So ist der verfassungsrechtliche Schutz der Höhe des aktuellen Rentenwertes geringer als z.B. der Schutz der durch Eigenleistung erworbenen Entgeltpunkte. Die Intensität des Schutzes hängt mithin davon ab, wie hoch die Eigenleistung ist. Das BSG hatte offen gelassen, ob eine Rentenanpassung überhaupt in den Schutzbereich des Art. 14 GG fällt; jedenfalls, so dass BSG, verstößt die Einführung des Altersvorsorgeanteiles und des Nachhaltigkeitsfaktors nicht gegen Art. 14 GG, da Rentner keinen Anspruch gegen die Bundesregierung als Verordnungsgeber auf Anhebung des aktuellen Rentenwertes haben. Auch selbst wenn der Schutzbereich des Art. 14 GG durch das Ausbleiben einer Rentenanpassung beeinträchtigt wäre, wäre die Eigentumsgarantie nicht verletzt. Die Reichweite des Eigentumsschutzes ergibt sich aus der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums und schließt eine Anpassung an veränderte Bedingungen nicht aus. Die Einführung sowohl des Altersvorsorgeanteils als auch des Nachhaltigkeitsfaktors waren erforderlich und verhältnismäßig. Insgesamt ist zu berücksichtigen, dass das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung von einem erheblichen öffentlichen Interesse an der Finanzierbarkeit des Rentenversicherungssystems ausgeht und hat dem Ausgleich zwischen Ausgaben und Einnahmen in der gesetzlichen Rentenversicherung ein hohes Gewicht beigemessen. Letztlich hat das BSG (a.a.O.) auch weder einen Verstoß gegen Art. 2 GG noch Art. 20 GG gesehen. Dieser Ansicht des BSG schließt sich die Kammer in vollem Umfang an. Zwar ist es verständlich, dass seitens der Rentenempfänger eine Beteiligung an der Bruttolohnentwicklung und mithin eine Erhöhung der Renten gewünscht wird. Dass diese nicht erfolgt ist, verstößt jedoch, wie das BSG ausgeführt hat, nicht gegen verfassungsrechtliche Grundsätze. Insbesondere ist ein Vertrauensschutz auf die Durchführung einer jährlich vorgenommenen zur Erhöhung der Rente führenden Anpassung unter Berücksichtigung des weitergehenden öffentlichen Interesses für die Kammer nicht ersichtlich.

Etwas anders ergibt sich auch nicht hinsichtlich der Erhöhung des Beitrags zur Krankenversicherung in Höhe von 0,9%. Auch dieser Zusatzbeitrag begegnet nach der Rechtsprechung des BSG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. In dem Urteil vom 18.7.2007 (B 12 R 21/07 R) hat das BSG hinsichtlich des ab 1.7.2005 geforderten zusätzlichen Beitrages zur Krankenversicherung nach § 241 a Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB V ausgeführt, dass die diesem zugrundeliegenden Gesetzesänderung faktisch für die Rentner zu einer Erhöhung des von ihnen zu tragen Krankenversicherungsbeitrages geführt hat. Eine Mehrbelastung ergibt sich jedoch nicht aus 0,9%, sondern lediglich aus 0,45 %, denn in demselben Umfang, d.h. um 0,9 % tritt ebenfalls ab 1.7.2005 eine Verminderung der übrigen Beitragssätze und damit auch des allgemeinen Beitragssatzes ein. Wird daher der zum 1.7.2005 ermittelte durchschnittliche allgemeine Beitragssatz in der Krankenversicherung von 14.2 % zugrunde gelegt, so reduziert sich der Beitragsanteil des Arbeitgebers oder Rentenversicherungsträgers im Hinblick auf seine Entlastung um 0,45% Beitragssatzpunkte, während sich der Beitragsanteil des Versicherten durchschnittlich von 7.1% auf 7,55 % erhöht. Eine Verletzung des Eigentumsschutzes hat das BSG nicht gesehen, weil sich die Gesetzesänderung im Rahmen einer zulässigen Inhalts- und Schrankenbestimmung hält. Der Gesetzgeber hat nämlich nach Ansicht des BSG für den Eingriff legitimierende Gründe. Dies sind Gründe des öffentlichen Interesses, wie insbesondere die deutliche Senkung der Lohnnebenkosten. Insbesondere ist es als ein verfassungsrechtlich legitimes Anliegen des Gesetzgebers zu sehen, die Funktions- und Leistungsfähigkeit des Systems im Interesse aller zu erhalten, zu verbessern und den veränderten ökonomischen und demographischen Bedingungen anzupassen. Im Kontext der Neuordnung der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung war die Maßnahme daher geeignet, erforderlich und verhältnismäßig. Ein gegebenenfalls schutzwürdiges Vertrauen muss im Hinblick auf das Gewicht der Gemeinwohlgründe, die die Neuregelung tragen, zurücktreten. Eine Überforderung der Rentner sei nicht zu erkennen, denn auch in der Summe der Maßnahmen senken diese das Rentenniveau nicht derart ab, dass die Rente ihre prinzipielle Struktur und ihre Funktion als freiheits- und existenzsichernde Leistung verliert. Letztlich vermochte das BSG auch keinen Verstoß gegen Art. 3 GG zu erkennen, denn die Maßnahmen waren durch hinreichende sachliche Gründe gerechtfertigt. Ein Anspruch, dass die Beitragslast der versicherten Rentner nicht höher sein dürfe als der sich nach dem halben Beitragssatz ergebende Betrag, lässt sich, so das BSG, nicht aus Art. 3 GG herleiten. Auch diesen Ausführungen des BSG schließt sich die Kammer in vollem Umfang an und verweist auf die dortigen Begründungen. Letztlich führt auch die Summe der Beeinträchtigungen noch nicht zu verfassungsrechtlichen Bedenken. Zur Überzeugung der Kammer ist weiterhin der Stammwert der Rente unangetastet und dient weiterhin unter Berücksichtigung der durch Eigenleistung erworbenen Entgeltpunkte der Existenzsicherung. Aus alldem ergibt sich, dass die Beklagte die Rente der Klägerin zum 1.7.2005 zutreffend festgestellt hat. Die Feststellung des Zahlbetrages der Rente unterliegt keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, so dass die Klage mit der Kostenfolge aus § 193 Sozialgerichtsgesetz – SGG – abzuweisen war. Die Sprungrevision war nach § 161 SGG zuzulassen, weil beide Beteiligten dies übereinstimmend beantragt haben und die Voraussetzungen des § 160 Absatz 2 Ziffer 1 SGG vorliegen. Die Sache hat bezüglich der, wie ausgeführt, mittlerweile bestehenden Summierung der rechtlichen Einschränkungen grundsätzliche Bedeutung.
Rechtskraft
Aus
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