L 4 AS 652/14

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 14 AS 273/13
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 AS 652/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Berufungsverfahren zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Umstritten ist die Rücknahme und Erstattung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 30. April 2005.

Der 1969 geborene Kläger und Berufungsbeklagte (im Weiteren: Kläger) stellte am 14. Dezember 2004 unter Angabe der Anschrift "V." (Straße ... ) in W. einen Antrag auf SGB II-Leistungen. Er gab an, er sei ledig, alleinstehend sowie erwerbsfähig und besitze kein Vermögen mit einem Wert von über 4.850 EUR. Er beziehe vom Arbeitsamt W. Arbeitslo-senhilfe. Angaben zu einem Partner oder zu unterhaltspflichtigen Angehörigen außerhalb der Haushaltsgemeinschaft machte er nicht. Er bewohne mit seinen Eltern eine 57 m² große Zweieinhalbzimmerwohnung, für die eine Gesamtmiete von 369,59 EUR (einschließlich Heiz- und Warmwasserkosten) zu zahlen sei. Die Mutter des Klägers bestätigte schriftlich, der Kläger wohne mit in der Wohnung, führe aber einen eigenen Haushalt. Er zahle ein Drittel der Miete (123 EUR) sowie 100 EUR für die Nutzung sämtlicher Geräte. Er werde von den Eltern nicht unterstützt.

Mit Bescheid vom 14. Dezember 2004 bewilligte der Beklagte und Berufungskläger (im Weiteren: Beklagter) für Januar bis April 2005 Leistungen in Höhe von 455,17 EUR monatlich (Regelleistung 331 EUR, Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) 124,17 EUR). Auf Weiterbewilligungsanträge gewährte er mit mehreren Bescheiden Leistungen in vergleichba-rere Höhe für die Zeiträume von Mai bis Oktober 2005, November 2005 bis April 2006 sowie von Mai bis Oktober 2006.

Am 14. Juli 2006 ging bei dem Beklagten ein von der Agentur für Arbeit W. (im Weiteren: BA) weitergeleitetes Schreiben des Hauptzollamtes M. (im Weiteren: HZA) vom 27. Juni 2006 ein. Das HZA informierte über ein Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen des Verdachts des Betrugs zum Nachteil der BA. Der Kläger, der von Februar 1999 bis Ende 2004 Arbeitslosenhilfe bezogen habe, sei seit November 2001 mehrfach angezeigt worden, weil er mit seinem Privat-Pkw "schwarz Taxi" fahre. Zuvor habe er bis 2001 eine bei dem BA angezeigte Nebentätigkeit als angestellter Taxifahrer ausgeübt. Weiter sei bekannt geworden, dass er eine eheähnliche Lebensgemeinschaft mit I. P. führe und mit ihr sowie dem gemeinsamen Kind, dem am ... 2001 geborenen J. P., in einer Wohnung in der Straße ... in W. lebe. Am 26. September 2004 sei der Kläger im Rahmen einer Durchsuchung mit einem Fahrgast in seinem Pkw vor einer Diskothek in W. angetroffen worden. Der Fahrgast habe erklärt, bereits mehrmals vom Kläger gegen Entgelt befördert worden zu sein. In der Wohnung der Frau P. seien persönliche Gegenstände des Klägers gefunden worden. In der Wohnung der Eltern des Klägers sei ein sog. Besucherzimmer vorhanden, in dem sich Spielzeug für das Enkelkind, jedoch keine persönlichen Sachen des Klägers befunden hätten. Der Kläger habe früher mit Frau P. zusammen gewohnt, sei am 18. November 2002 jedoch aus dem Mietvertrag entlassen worden. Von einem tatsächlichen Auszug aus der Wohnung sei jedoch nicht auszugehen. Auf dem Briefkasten und dem Klingelschild der Wohnung seien weiterhin die Namen P. und D. vermerkt. In der Wohnung seien u.a. Versicherungsbelege, der Kaufvertrag für den Pkw des Klägers vom 17. Januar 1998 und Werkstattrechnungen etc. gefunden worden. Daraus ergebe sich für den Zeitraum von Februar 2002 bis Oktober 2003 eine Fahrleistung des Pkw von 110.831 km.

Der Beklagte stellte die Auszahlung der SGB II-Leistungen vorläufig ein, hörte den Kläger im Juli 2006 zur Einkommenserzielung und zum Zusammenleben mit Frau P. an und forderte ihn auf, eine Verdienstbescheinigung vorzulegen. Es sei davon auszugehen, dass er in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebe und Einkommen aus einer selbständigen Tätigkeit erziele. Soweit er seit Januar 2005 nicht hilfsbedürftig gewesen sei, habe er Leistungen zu Unrecht bezogen. Er habe die Überzahlung verursacht, da er dazu in den Leistungsanträgen keine Angaben gemacht habe.

Im August 2006 erklärte der Kläger schriftlich, er wohne bei seinen Eltern. Die Unterlagen des Beklagten seien fehlerhaft. Die Nebentätigkeit als Taxifahrer liege länger zurück und sei der BA bekannt. Die Ermittlungen des HZA seien fehlerhaft verlaufen. Zeugen seien zu Falschaussagen gedrängt worden. Er weise die Beschuldigungen zurück.

Die BA hob mit Bescheid vom 29. August 2006 die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe ab 1. Dezember 2000 ganz auf und forderte vom Kläger die Erstattung von insgesamt 35.539,70 EUR. Die Entscheidung ist rechtskräftig (Urteil des 2. Senats des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 21. November 2012, Az.: L 2 AL 12/10 n.v.).

Der Außendienst des Landkreises stellte fest, das Klingelschild der Wohnung in der Straße ... sei mit den Namen "P./D." beschriftet. Er kam nach einem angemeldeten Hausbesuch am 18. Oktober 2006 in der Wohnung Straße ... zu dem Ergebnis, der Kläger bewohne das sog. Kinderzimmer. Es sei entsprechend eingerichtet; Schlafzeug und Kleidungsstücke des Klägers seien vorhanden wie auch seine Hygieneartikel im Bad. Die Eltern hätten bestätigt, dass der Kläger bei ihnen wohne. Der Beklagte hob die vorläufige Zahlungseinstellung auf und zahlte die einbehaltenen Leistungen nach. Er teilte dies dem HZA mit und führte aus, ab Januar 2005 könne bereits ein Zusammenleben nicht bewiesen werden könne. Die Feststellungen zur Schwarzarbeit beträfen Zeiträume vor Januar 2005.

Für den Zeitraum von November 2006 bis April 2007 bewilligte der Beklagte zunächst nur Regelleistungen. Nachdem der Kläger einen mit seinem Vater geschlossen Untermietvertrag über ein 8 m² großes Zimmer der Wohnung und einem Mietzins von 150 EUR vorgelegt hatte, bewilligte er mit Änderungsbescheid noch KdU-Leistungen in Höhe eines Drittels der Gesamtmiete. Eine nachfolgende Klage auf höhere KdU-Leistungen (Az.: S 13 AS 7198/07) wies das SG mit rechtskräftigem Urteil ab. In der Folge bewilligte der Beklagte auf die Weiterbewilligungsanträge, in denen der Kläger stets angab, es hätten sich keine Änderungen in seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen ergeben, bis Oktober 2009 jeweils SGB II-Leistungen in Höhe des Regelsatzes zuzüglich KdU in Höhe der anteiligen Gesamtmiete.

Mit Urteil vom 4. April 2008 verurteilte das Landgericht Dessau-Roßlau den Kläger in der Berufungsinstanz wegen Betrugs zu Lasten der BA in vier Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 300 Tagessätzen zu je 15 EUR (Az.: 7 Ns 251/07). Es stellte fest, der Kläger habe nach dem Ende der Nebenbeschäftigung als Taxifahrer im Juni 2001 begonnen, auf eigene Rechnung ohne Konzession Taxi zu fahren. Er sei in den Nacht- und Abendstunden ständig in W. und Umgebung unterwegs gewesen, um Gäste gegen Bezahlung von und zu Bars und Diskotheken zu befördern. Dies hätten die als Zeugen vernommenen Taxifahrer bekundet. Bis in das Jahr 2008 hinein habe er sich zumeist mit seinem eigenen Pkw, aber auch mit dem der Frau P., an mindestens an vier Tagen pro Woche mindestens sechs Stunden täglich als "Taxifahrer" betätigt und dabei Einnahmen von mindestens 10 EUR pro Stunde erzielt. Es ergebe sich ein Monatseinkommen von 960 EUR. Die festgestellten Kilometerstände des Pkw belegten eine erhebliche Fahrtätigkeit, die nach ihrem Umfang nicht mit Freude am Autofahren zu erklären sei. Es sei nicht zu glauben, dass der Kläger eine Vielzahl von Bekannten befördere, ohne bezahlt zu werden. Es handele sich um gewerbsmäßige Personenbeförderung. Eine Täuschung über die Wohnverhältnisse sei nicht erwiesen.

Anfang April 2009 übersandte die BA dem Beklagten eine Kopie des nunmehr rechtskräftigen Urteils des Landgerichts Dessau-Roßlau. Sie führte aus, es sei auch der SGB II-Leistungsbezug ab Januar 2005 zu überprüfen, da der Kläger seit 2001 ein monatliches Einkommen von 960 EUR erziele. Da das Urteil nur Leistungszeiträume bis Ende 2004 zum Gegenstand habe, sei ggf. ein weiteres Strafverfahren einzuleiten,

Der Beklagte teilte dem Kläger Ende April 2009 schriftlich mit, die Auszahlung der Leistungen werde vorläufig eingestellt. Da er über Einkommen verfüge, sei der Leistungsanspruch entfallen. Der Kläger habe keine Angaben zu einer Tätigkeit als Taxifahrer gemacht und verschwiegen, dass er einen Pkw besitze. Er forderte ihn auf, Angaben zum Einkommen und zum Vermögen zu den Stichtagen Januar 2005 und Mai 2009 zu machen. Intern berechnete der Beklagte den Leistungsanspruch unter Annahme von Nettoeinnahmen von 768 EUR neu und gelangte zu einer Überzahlung von insgesamt 23.809,80 EUR. Zudem hörte der Beklagte den Kläger zum möglichen Wegfall der Leistungsvoraussetzungen ab Januar 2005 wegen der Berücksichtigung von Einkommen an. Er möge sich insbesondere zur verspäteten oder unterlassenen Mitteilung der Erwerbstätigkeit und zum Verschulden äußern. Zudem forderte der Beklagte den Kläger auf, abschließende Angaben zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit in den Zeiträumen von Mai bis Oktober 2008 und November 2008 bis April 2009 zu machen. Sollte dies nicht erfolgen, werde er von monatlichen Bruttoeinnahmen von 960 EUR ausgehen.

Unter dem 5. Mai 2009 erklärte der Kläger, er sei nicht selbständig tätig und fahre kein Taxi. Denn Taxifahren bedeute, fremde Personen für Geld zu befördern, das mache er nicht. In der Anlage VM (zur Feststellung der Vermögensverhältnisse) erklärte er zum Stichtag 1. Mai 2009, er habe ein Girokonto sowie 280 EUR Bargeld. Im Übrigen besitze er keine Sparbücher, Sparbriefe, Kapitallebensversicherungen, private Rentenversicherungen, Bausparverträge oder Immobilien. Zum Stichtag 1. Januar 2005 machte er Angaben zum Girokonto und zum vorhanden Bargeld, im Übrigen gab er an, keine Vermögensgegenstände zu besitzen. Das Formular der Anlage EKS (Erklärung zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit) versah er mit der Aufschrift "entfällt".

Daraufhin hob der Beklagte die vorläufige Zahlungseinstellung auf. Mit Bescheid vom 12. Oktober 2009 bewilligte er für den Zeitraum von November 2009 bis April 2010 vorläufige Leistungen. Die Bewilligung erfolge vorläufig, da ein aktueller Lohnnachweis nicht vorliege.

Mit Schreiben vom 26. April 2010 teilte das HZA dem Beklagten mit, gegen den Kläger werdet erneut wegen Betrugs ermittelt. Am 21. April 2010 seien die Wohnung der Eltern, die Garage des Klägers und die Wohnung von I. P. durchsucht worden. Nach den beigefügten Durchsuchungsberichten wurde der Kläger am 21. April 2010 gegen 07:00 Uhr nicht in der Wohnung der Eltern angetroffen. Auf Nachfrage habe der Vater bekundet, dass der Kläger das Kinderzimmer bewohne. Die Mutter habe spontan geäußert, dass der Kläger ab und zu anwesend sei und manchmal auch übernachte. In dem Kinderzimmer, das nicht den Eindruck eines ständig bewohnten Zimmers gemacht habe, hätten sich keine Gebrauchsgegenstände des Klägers, Fernseher, Unterhaltungselektronik oder Hobbyutensilien befunden. Die Schlafcouch sei nicht bezogenen gewesen; in einigen Fächern des Kleiderschranks seien alte, unmoderne und abgetragene Kleidungsstücke des Klägers und einige Wasch- und Toilettenutensilien gelagert gewesen. Es seien Mietverträge zu diversen Garagen aufgefunden worden. Der Vater habe erklärt, es handele sich überwiegend um seine Garagen, die an Privatpersonen vermietet seien. Einige Garagen habe er selber im Gebrauch, eine für seinen Pkw, eine als Lagerort und eine Doppelgarage als Hobbyraum für den Enkel. Der Kläger besitze eine Dreifachgarage, die ebenfalls durchsucht worden sei. Um 07:00 Uhr morgens habe auch die Wohnung von Frau P. durchsucht worden sollen. Ihr Pkw habe auf dem Parkplatz gestanden, aber auf Klingeln habe niemand geöffnet. Nach Anruf sei Frau P. von der Arbeitsstätte zur Wohnung gekommen. Beim Betreten der Wohnung um 07:30 Uhr sei der Kläger angetroffen worden, der aber nicht erklärt habe, weshalb er nicht geöffnet habe. Auf die Frage, ob der Kläger hier wohne, habe Frau P. erklärt, er habe die letzte Nacht in der Wohnung verbracht habe, wohne aber nicht dauerhaft dort. Wenn sie Frühdienst habe, übernachte er in der Wohnung, um sich um das gemeinsame Kind zu kümmern. Die Wohnung sei sehr aufgeräumt und hochwertig eingerichtet gewesen. Das Doppelbett im Schlafzimmer sei mit zweimal Bettzeug versehen. Im Kleiderschrank habe sich auch Kleidung des Klägers befunden (u.a. Lederjacken, 17 Poloshirts und Hemden, zwei kurze und drei lange Hosen, T-Shirts, Pullover, Mützen, Unterwäsche und Strümpfe). Im Bad seien Hygieneartikel des Klägers gewesen. Eine Auswertung der sichergestellten Beweismittel müsse noch erfolgen. Nach Abschluss der Ermittlungen werde erneut berichtet.

Unter dem 28. April 2010 forderte der Beklagte den Kläger auf, zum Leistungsantrag für die Zeit ab Mai 2010 auch Belege zur Wohnung in der Straße ... vorzulegen sowie Angaben zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen von Frau P. und zum gemeinsamen Kind zu machen. Die Ermittlungen des HZA hätten das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft mit Frau P. und dem Sohn eindeutig ergeben.

Mit Bescheid vom 12. August 2010 lehnte der Beklagte den Weiterbewilligungsantrag ab. Der Kläger sei nicht hilfebedürftig. Bei Berücksichtigung des Einkommens der Frau P. bestehe kein Leistungsanspruch der dreiköpfigen Bedarfsgemeinschaft. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12. August 2010 zurück. Die Klage wies das SG mit Urteil vom 29. Januar 2014 ab. Insoweit ist das Berufungsverfahren L 4 AS 154/14 anhängig.

Wegen der Leistungen ab Mai 2010 beantragte der Kläger beim SG einstweiligen Rechtschutz (Az.: S 11 AS 1429/10 ER). Im Verfahren legte Frau P. ihre Verdienstabrechnungen für die Monate März bis Mai 2010 vor, aus denen sich Nettoeinkünfte von 1.409,64 EUR, 1.433,04 EUR und 1.431,84 EUR ergaben. Mit Beschluss vom 20. August 2010 lehnte das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Es ging von einer Bedarfsgemeinschaft aus; der Kläger und Frau P. lebten schon länger als ein Jahr in einem gemeinsamen Haushalt in der Wohnung in der Straße ... zusammen. Der Kläger habe die gesetzliche Vermutung einer Lebensgemeinschaft nicht widerlegt und die behauptete Trennung nicht glaubhaft gemacht. Nach Anrechnung ihres Einkommens sei er nicht hilfebedürftig. Mit Beschluss vom 22. Juni 2011 wies der 5. Senat des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt die dagegen eingelegte Beschwerde zurück (L 5 AS 366/10 B ER, juris).

Bereits am 18. Oktober 2010 stellte der Kläger erneut einen Leistungsantrag. Der Beklagte forderte ihn zur Vorlage von Einkommens- und Vermögensunterlagen auf. Nachdem dies nicht erfolgte, versagte er mit Bescheid vom 6. April 2011 und Widerspruchsbescheid vom 15. August 2011 die Leistungen. Im anschließenden Klageverfahren hob der Beklagte im September 2012 den Versagungsbescheid auf (Az.: S 16 AS 1569/11). Eine Entscheidung über den Leistungsantrag erfolgte in der Folgezeit jedoch nicht.

Am 4. August 2011 beantragte der Kläger erneut SGB II-Leistungen und versuchte mittels Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung eine Leistungsgewährung durchzusetzen. Mit Beschluss vom 20. September 2011 lehnte das SG den Eilantrag ab (Az.: S 16 AS 1466/11 ER). Es sei von einer eheähnlichen Gemeinschaft auszugehen. Ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft gemacht worden. Mit Bescheid vom 26. Oktober 2011 versagte der Beklagte die Leistungen. Im Beschwerdeverfahren (Az.: L 5 AS 388/11 B ER) erklärte sich der Beklagte bereit, dem Kläger für August 2011 bis Januar 2012 vorläufige Leistungen gewähren, und setzte dies mit Bescheid um. Mit Bescheid vom 28. März 2012 setze der Beklagte die Leistungen für den vorgenannten Zeitraum endgültig auf Null fest und forderte die erbrachten Leistungen einschließlich der Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträge (insgesamt 3.857,43 EUR) zurück. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies er mit Widerspruchsbescheid vom 22. Mai 2012 als unzulässig zurück.

Am 2. Dezember 2011 erfolgte ein unangekündigter Hausbesuch in der Wohnung der Eltern des Klägers. Das Kinderzimmer sei mit Bett, Sessel, mehrtürigem Kleiderschrank, kleinem Tisch, Stuhl und Fernseher ausgestattet gewesen. Im Kleiderschrank seien Kleidungsstücke des Klägers und seiner Mutter gelagert gewesen. Der Kläger habe auf Frage nach seiner Unterwäsche suchend zunächst vergeblich zwei Schubladen geöffnet, die Wäsche aber dann in einem anderen Fach gefunden. Auf dem Tisch habe sich eine Packung Margarine und ein Teller mit Messer und einer Scheibe Brot befunden. Im Bad sei keine Zahnbürste des Klägers gewesen. Auf Nachfrage habe der Kläger sie erfolglos gesucht und dann seine Mutter nach dem Aufbewahrungsort gefragt. Persönliche Unterlagen oder Bücher und Zeitschriften des Klägers seien nicht vorhanden gewesen. Aus Sicht des Außendienstes halte sich der Kläger nicht (regelmäßig) in der Wohnung auf.

Mit Schreiben vom 15. Dezember 2011 wandte sich das HZA wieder an den Beklagten und übersandte einen Ordner mit Beweismitteln. Wegen der "Schwarztaxifahrten" verwies es auf das vorangegangene Ermittlungsverfahren. Erneute Vernehmungen der Taxifahrer hätten die weitere Tätigkeit des Klägers bestätigt. Die Vernehmung von Hausbewohnern in der Straße ... habe ergeben, dass der Kläger mit Frau P. und dem gemeinsamen Kind in der Wohnung lebe. Bei der Observation sei festgestellt worden, dass der Kläger viele Fahrten mit seinem Pkw (schwarzer M ...) mache; er sei aber auch mit den Fahrzeug von Frau P. (schwarzer H ...) unterwegs. Der Pkw des Klägers sei ausschließlich vor der Wohnung der Frau P. abgestellt gewesen. Bei der Durchsuchung des Pkw der Frau P. sei eine dem Kläger gehörende Kellnergeldbörse mit ca. 250 EUR und Geldscheinen in Fremdwährungen gefunden worden. Bei den Durchsuchungen seien u.a. ein Handy des Klägers und ein PC sichergestellt worden. Nach den Computerdaten hätten der Kläger und Frau P. den PC genutzt und damit insbesondere Internet-Käufe (Fahrrad für 4.100 Schweizer Franken, Gartenmöbel für 690 EUR, Fernseher für 865 EUR) abgewickelt. Die Auswertung des Mobiltelefons habe Nachrichten von zehn Personen ergeben, die auf Taxifahrten hindeuteten. Die Kontaktpersonen hätten eingeräumt, vom Kläger befördert worden zu sein. Einige hätten erklärt, dafür bezahlt zu haben. Die Höhe der Einnahmen aus der Personenbeförderung sei im letzten Gerichtsverfahren geschätzt worden. Von diesen Werten sei weiterhin auszugehen. Ohne zusätzliche Einnahmen hätte der Kläger seinen Lebensstandard nicht aufrechterhalten können. Es werde um Prüfung und ggf. Bezifferung des dem SGB II-Leistungsträger entstandenen Vermögensschadens gebeten.

Hierauf antwortete der Beklagte mit Schreiben vom 26. Januar 2012, eine Schadensberech-nung für vergangene Zeiträume könne nicht vorgelegt werden, denn nach seiner Prüfung und Anhörung des Klägers hätten sich keine stichhaltigen Gründe für eine Aufhebung der Leistungsbewilligungen für die Vergangenheit ergeben. Dies sei von der damals zuständige Teamleitung und Sachbearbeitung entschieden worden. Wegen Ablaufs der Jahresfrist nach § 45 SGB X sei eine rückwirkende Leistungsaufhebung nicht mehr möglich. Auf erneute Nachfrage des HZA vom 15. März 2012 teilte der Beklagte mit, dass "nun doch noch" eine rückwirkende Aufhebung und Erstattung geprüft werde.

Den Fortzahlungsantrag für die Zeit ab Februar 2012 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 15. März 2012 ab. Es bestehe eine Bedarfsgemeinschaft mit Frau P. und dem gemeinsamen Sohn. Bei Anrechnung des Einkommen der Frau P. und der Einnahmen des Klägers aus selbständiger Tätigkeit (960 EUR) könnten die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ihren Bedarf selber decken. Der Kläger sei nicht hilfebedürftig.

Mit mehreren Schreiben vom 27. März 2012 hörte der Beklagte den Kläger erneut für die Bewilligungszeiträume in der Zeit von Januar 2005 bis April 2010 – einschließlich des hier streitigen Zeitraums vom 1. Januar bis zum 30. April 2005 – zur beabsichtigten Rücknahme der Leistungsbewilligung und Rückforderung an. Der Kläger habe Einkommen aus einer nicht angezeigten selbständigen Tätigkeit als Taxifahrer erzielt. Zudem habe er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Straße ... in der Wohnung der Frau P ... Das hätten die Durchsuchungen der Wohnungen ergeben. Mit dem Einkommen aus selbständiger Tätigkeit und dem Einkommen von Frau P. sei er nicht hilfebedürftig und habe keinen Leistungsan-spruch. Die fehlerhafte Bewilligung sei erfolgt, weil er in den Leistungsanträgen zumindest grob fahrlässig falsche und unvollständige Angaben gemacht habe (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 Zehntes Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – SGB X). Die überzahlten Leistungen sowie die erbrachten Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung seien gemäß § 50 SGB X zu erstatten. Für den Zeitraum von Januar bis April 2005 ergebe sich ein Erstattungsbetrag von insgesamt 2.380,16 EUR.

Dazu führte der Kläger im Schreiben vom 4. Mai 2012 aus, es bestehe keine Verantwortungs- oder Bedarfsgemeinschaft mit Frau P., und er habe keine Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit. Er trage eine Verantwortung für seinen Sohn und kümmere sich. Er habe keine falschen Angaben gemacht, er fahre kein Taxi.

Mit Rücknahme- und Erstattungsbescheiden vom 5. September 2012 nahm der Beklagte u.a. für den hier streitigen Zeitraum von Januar bis April 2005 den Bewilligungsbeschied vom 16. Dezember 2004 (ganz) zurück und forderte die Erstattung von insgesamt 2.380,16 EUR einschließlich der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung. Er listete die monatlichen Leistungen differenziert nach Regelbedarf und KdU sowie die gezahlten Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung auf. Zur Begründung wiederholte er die Ausführungen aus dem Anhörungsschreiben. Mit weiteren Bescheiden vom selben Tag nahm der Beklagte auch für die anderen Bewilligungszeiträume bis einschließlich April 2010 die Leistungsbewilligung vollständig zurück. Die Erstattungsforderung belief sich auf insgesamt 38.341,66 EUR.

Am 4. Oktober 2012 legte der Kläger Widerspruch gegen die Rücknahme- und Erstattungs-bescheide ein. Die Begründung des Beklagten sei frech; denn bereits im Juli 2012 habe das SG dem Beklagten erklärt, dass aus dem alten Strafurteil keine rechtlichen Schlüsse gezogen werden dürften. Der Vorwurf des Taxifahrens sei unbegründet. Frau P. stehe nicht für ihn ein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 2013 wies der Beklagte den Widerspruch zum Rücknahmezeitraum Januar bis April 2005 als unbegründet zurück. Es bestehe eine Be-darfsgemeinschaft mit Frau P. und dem gemeinsamen Kind. Gemeinsam wirtschafteten und lebten sie in der Wohnung in der Straße ... Der Kläger sei berechtigt, über das Konto von Frau P. zu verfügen. Er habe das Bestehen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft nicht widerlegt. Berücksichtige man das Einkommen der Frau P. (mindestens 1.400 EUR netto) und das des Klägers aus Schwarzarbeit (720 EUR netto), könnten die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ihren Bedarf selbst decken. Da der Kläger weder die Einkommens-erzielung noch das gemeinsame Wohnen mit einer Lebensgefährtin angezeigt habe, habe er vorsätzlich unrichtige und unvollständige Angaben im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X gemacht, die ursächlich für die rechtswidrige Leistungsgewährung gewesen seien. Der Beklagte habe von dem Einkommen aus Schwarzarbeit erst mit Zugang des Ermitt-lungsberichts des HZA am 27. Dezember 2011 erfahren.

Am 11. Februar 2013 hat der Kläger gegen den Rücknahme- und Erstattungsbescheid für den Zeitraum Januar bis April 2005 (sowie gegen die Bescheide für die weiteren Bewilli-gungszeiträume) Klage beim SG erhoben und ausgeführt, es bestehe keine Einstehens- und Lebensgemeinschaft mit Frau P ... Sie übernehme für ihn keine Kosten. Er müsse seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten.

Der Beklagte hat entgegnet, es sei bereits in den Eilverfahren festgestellt worden, dass eine Bedarfsgemeinschaft zwischen dem Kläger und Frau P. bestehe. Daher sei ihr Einkommen bei der Berechnung des Leistungsanspruchs des Klägers zu berücksichtigen. Der Kläger befördere im privaten Pkw Personen gegen Entgelt. Dies sei Schwarzarbeit, aus der er Einkommen erziele. Da er zu seinen Einnahmen keine konkreten Angaben gemacht habe, habe sein Einkommen geschätzt werden müssen. Die Frist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X sei gewahrt. Denn diese beginne erst, wenn die Behörde subjektiv davon überzeugt sei, dass die ihr bekannten Tatsachen für eine Rücknahme der Bewilligung genügten. Diesbezügliche hinreichende Sicherheit sei erst mit abschließendem Bericht des HZA aus Dezember 2011 eingetreten. Auf frühere Anhörungen des Klägers zu der Problematik könne nicht abgestellt werden, da der Kläger den Sachverhalt bestritten habe. Auch die Mitteilung des HZA vom 26. April 2010 habe nicht zur sicheren Kenntnis geführt, weil damals die Ermittlungen noch nicht beendet gewesen seien. Die bis dahin vorliegenden Erkenntnisse hätten nicht für einen Rücknahmebescheid gereicht.

Mit Urteil 5. November 2014, das dem Beklagten am 1. Dezember 2014 zugestellt worden ist, hat das SG den angegriffenen Rücknahme- und Erstattungsbescheid für die Zeit von Januar bis April 2005 aufgehoben (und in Parallelverfahren auch die anderen Bescheide für die Zeiträume bis April 2010). Zur Begründung hat es ausgeführt, der angegriffene Bescheid sei rechtswidrig, denn er sei nicht innerhalb der Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X erlassen worden. Es handle sich um eine Ausschlussfrist, die der zügigen Herstellung von Rechtssicherheit diene. Sie beginne, wenn die Behörde nach ihrer Auffassung eine hinrei-chend sichere Kenntnis von den für die Rücknahme maßgeblichen Umständen habe. Diese maßgebliche Kenntnis sei nicht erst mit Zugang des Ermittlungsberichts des HZA vom 15. Dezember 2011 eingetreten. Der Beklagte habe seine Entscheidung darauf gestützt, dass der Kläger nicht hilfebedürftig sei, da er mit Frau P. und dem gemeinsamen Kind eine Bedarfsgemeinschaft gebildet und mit deren Einkommen, dem Kindergeld und dem eigenen Einkommen aus Taxifahrten bedarfsdeckende Einkünfte der Bedarfsgemeinschaft vorgelegen hätten. Bei der Berechnung des Einkommens aus Taxifahrten habe sich der Beklagte auf die Ausführungen des Landgerichts Dessau-Roßlau im Urteil vom 4. April 2008 gestützt, das ihm bereits seit 2009 bekannt gewesen sei. Nach Zugang des Ermittlungsberichts des HZA vom 26. April 2010 habe der Beklagte mit Bescheid vom 12. August 2010 den Leistungsantrag für die Zeit ab Mai 2010 mangels Hilfebedürftigkeit abgelehnt. Im Widerspruchsbescheid vom 28. Oktober 2010 dazu habe er betont, dass eine Einstehensgemeinschaft feststehe und das anzurechnende Einkommen den Bedarf übersteige. Darüber hinausgehende Erkenntnisse hätten sich aus dem Abschlussbericht des HZA nicht ergeben. Der Kläger habe seit 2006 die Vorwürfe abgestritten. Entscheidend sei, wann die Anhörung hätte durchgeführt werden müssen, denn ansonsten könne die Behörde den Beginn der Frist beliebig verzögern. Da für den Beklagten das Bestehen der Bedarfsgemeinschaft und die Erzielung anrechenbaren Einkommens bereits mit Abschluss des Widerspruchsverfahrens für den Bewilligungszeitraum ab Mai 2010 im Oktober 2010 festgestanden habe, hätte er zu diesem Zeitpunkt das Verwaltungsverfahren für die Rücknahme der Bewilligungen einleiten müssen.

Am 23. Dezember 2014 hat der Beklagte gegen das Urteil des SG Berufung eingelegt. Er hat ausgeführt: Die Jahresfrist sei gewahrt. Er habe eine hinreichende Tatsachengrundlage für eine Rücknahme erst mit Zugang des Schreibens des HZA am 27. Dezember 2011 gehabt. Die früheren Mitteilungen des HZA hätten keine hinreichenden Beweise für das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft und das erzielte Erwerbseinkommen enthalten. Das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau aus 2008 liefere keine Erkenntnisse zum streitgegenständlichen Zeitraum. Das weitere Ermittlungsverfahren wegen Betrugs zu Lasten des Beklagten sei erst danach eingeleitet worden. Die Mitteilung des HZA vom 26. April 2010 sei ein Zwischenbericht gewesen. Es sollten weitere Ermittlungen erfolgen; es sei ein Abschlussbericht in Aussicht gestellt worden. Erst dem Abschlussbericht des HZA habe der Beklagte Erkenntnisse über die Höhe der Miete für die Wohnung und des Erwerbseinkommens der Frau P. entnommen. Ebenso sei dem Abschlussbericht das bei dem Kläger ab Januar 2005 anzurechnende Erwerbseinkommen zu entnehmen. Die konkrete Einkommenshöhe gehöre zu den erheblichen Tatsachen. Nach der Rechtsprechung des BSG beginne die Jahresfrist erst mit der durchgeführten Anhörung. Das BSG (Urteil vom 25. Januar 1994, Az.: 7 Rar 14/93) habe ausgeführt, dass aus Hinweisen Dritter auf Tatsachen, die eine rückwirkende Aufhebung rechtfertigten, eine für den Beginn der Jahresfrist bestimmende Kenntnis nur dann folge, wenn die Behörde von der Richtigkeit und Vollständigkeit der Informationen überzeugt sei oder dieselben einen Sicherheitsgrad erreicht hätten, der vernünftige Zweifel schweigen lasse. Diese Voraussetzungen seien erst im Dezember 2011 gegeben gewesen.

Im Erörterungstermin am 26. Juli 2016 hat die Berichterstatterin darauf hingewiesen, dass sich aus den Verwaltungsakten nicht ergebe, dass der Beklagte den Abschlussbericht des HZA abwarten wollte, um dann über eine Rücknahme zu entscheiden. Das Schreiben vom 26. Januar 2012 an das HZA deute darauf hin, dass der Beklagte der Auffassung war, die Jahresfrist sei bereits abgelaufen gewesen.

Der Beklagte hat ausgeführt, erst aus dem Abschlussbericht hätten sich die Ergebnisse der Handyauswertung und Datensicherung des PC ergeben. Erst danach seien die Fahrgäste vernommen worden. Er bleibe dabei, dass eine gesicherte Kenntnis über das Einkommen des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum erst mit dem Abschlussbericht gegeben gewesen sei. Damit habe sich eine neue Tatsachengrundlage für die Rücknahme ergeben.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 5. November 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hat sich im Berufungsverfahren nicht schriftlich geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die Ermittlungsakten der Staatsan-waltschaft Dessau zum Aktenzeichen 671 Js 13563/07 sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung des Senats ergänzend Bezug genommen. Die genannten Unterlagen sind Gegenstand der Beratung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. Die Berufungswertgrenze von 750,00 EUR ist überschritten (§144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG), da eine Erstattungsforderung von 2.380,16 EUR im Streit steht.

Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das SG hat den Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 5. September 2012 und den Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 2013 zu Recht aufgehoben.

Streitgegenständlich ist im Berufungsverfahren daher allein die Rechtmäßigkeit der Rück-nahme der Leistungsbewilligung. Ein höherer Leistungsanspruch des Klägers war und ist nicht Gegenstand des Verfahrens, denn er hat sich im Wege der Anfechtungsklage allein gegen die Aufhebung der Leistungsbewilligung und die Rückforderung gewehrt.

Die Berufung des Beklagten ist unbegründet, da die Voraussetzungen für die von ihm verfügte Rücknahme der ursprünglichen Leistungsbewilligung sowie einer Erstattungsforderung nicht vorliegen.

Prüfungsmaßstab für die vom Beklagten erlassenen Rücknahmebescheide ist § 40 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 SGB II in Verbindung mit § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung (SGB III) und § 45 Abs. 1, 2 Satz 3 Nr. 2 sowie Abs. 4 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit er von Anfang an rechtswidrig begünstigend ist. Voraussetzung ist weiter, dass der Begünstigte sich nicht auf schutzwürdiges Vertrauen berufen kann, weil der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Gemäß § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X ist eine Rücknahme des Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergan-genheit durch die Behörde nur innerhalb eines Jahres seit deren Kenntnis der Tatsachen zulässig, welche die Rücknahme des rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts für die Vergangenheit rechtfertigen. Ein Rücknahmebescheid muss vor Ablauf der Jahresfrist bekannt gegeben worden sein. Die Regelung des Satzes 4 schränkt die Möglichkeit einer Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit bereits tatbestandlich ein. Sie dient nicht dem Vertrauensschutz, sondern der Rechtssicherheit (vgl. Merten in Hauck/Noftz: SGB X, Losebl. Stand 01.15, § 45 RN 144; BSG, Urteil vom 31. März 2008, Az.: B 13 R 23/07 R, juris RN 28). Auch Personen, die keinen Vertrauensschutz genießen, weil sie schuldhaft im Sinne der Vorschrift gehandelt haben, müssen nach Ablauf eines Jahres, nachdem die Behörde von allen maßgeblichen Tatsachen Kenntnis erlangt hat, nicht mehr mit einer Rücknahme der Begünstigung rechnen. Denn mit Ablauf dieser Ausschlussfrist, die nicht verlängert werden kann, tritt endgültig Rechtssicherheit ein. Die Jahresfrist verpflichtet die aufhebende Behörde nicht, innerhalb eines Jahres die für Rücknahme erforderlichen Tatsachen zu ermitteln, sondern beginnt erst zu laufen, wenn die notwendigen Ermittlungen abgeschlossen sind und "Entscheidungsreife" gegeben ist oder die Behörde jedenfalls subjektiv davon ausgeht.

Die Frist beginnt zu laufen, wenn alle Umstände bekannt sind, deren Kenntnis es der Behörde objektiv ermöglicht, ohne weitere Sachaufklärung über die Rücknahme zu entscheiden. Zu den insoweit erheblichen Tatsachen gehören auch solche, aus denen auf den Umfang der Rechtswidrigkeit zu schließen ist. Bei der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit reicht die Kenntnis von der Beschäftigung allein nicht aus; soweit eine Einkommensanrechnung erfolgt, sind auch Kenntnisse über die Höhe der erzielten Einkünfte erforderlich (vgl. BSG, Urteil vom 31. März 2008, a.a.O. RN 24) Da § 45 SGB X neben objektiven auch subjektive Tatbestandsmerkmale (Vorsatz, grobe Fahrlässigkeit) enthält, bezieht sich die Kenntnis auch auf diese Tatbestandmerkmale, wie z.B. auf vorsätzliche Falschangaben des Betroffenen. Da regelmäßig vor Erlass eines Aufhebungsbescheids nach § 45 SGB X eine Anhörung (§ 24 SGB X) erfolgt, insbesondere um die Voraussetzungen des subjektiven Tatbestands zu klären, beginnt die Jahresfrist in der Regel erst nach der Anhörung des Betroffenen; es sei denn, die Behörde verfügt mangels vernünftiger, objektiv gerechtfertigter Zweifel bereits zuvor über hinreichend sichere Kenntnis der Berechtigung der Verschuldensvorwurfs. Wann diese vorliegt, ist weder ausschließlich nach der subjektiven Einschätzung der Behörde noch allein anhand objektiver Kriterien zu bestimmen. Die den Beginn der Jahresfrist bestimmende Kenntnis ist nach der Rechtsprechung des BSG dann anzunehmen, wenn mangels vernünftiger, objektiv gerechtfertigter Zweifel eine hinreichend sichere Informationsgrundlage bezüglich sämtlicher für die Rücknahmeentscheidung notwendiger Tatsachen besteht (vgl. BSG; Urteil vom 6. April 2006, Az.: B 7a AL 64/05 R, juris RN 13; zuletzt: BSG, Urteil vom 26. Juli 2016, Az.: B 4 AS 47/15 R, juris RN 31). Hierbei ist hinsichtlich der erforderlichen Gewissheit über Art und Umfang der entscheidungserheblichen Tatsachen in erster Linie auf den Standpunkt der Behörde abzustellen. Wenn jedoch die sichere Kenntnis der Behörde aller maßgeblichen Umstände bei objektiver Betrachtung bereits bei einem früheren Zeitpunkt vorliegt, beginnt der Lauf der Frist; auf den Zeitpunkt einer Anhörung kommt es dann nicht mehr erheblich an (vgl. Padé, jurisPK, SGB X, § 45 RN 108).

So liegt der Fall hier: Die dem angegriffenen Bescheid vorausgehende Anhörung ist erst mit Schreiben vom 28. März 2012 erfolgt, was üblicherweise zu einem Fristbeginn frühestens im April 2012 führen würde mit der Folge, dass der Rücknahmebescheid vom 5. September 2012 innerhalb der Jahresfrist erlassen worden wäre. Indes steht fest, dass die Behörde bereits zu einem früheren Zeitpunkt, nämlich im Sommer 2010, alle maßgeblichen Umstände kannte. Es besteht die Besonderheit, dass der Kläger vorliegend bereits zum dritten Mal vom Beklagten zu einer beabsichtigten Rücknahme der Leistungsbewilligung ab Januar 2005 – wegen Schwarzarbeit und Bestehen einer Einstehensgemeinschaft – angehört worden ist. Die erste Anhörung erfolgte im Juli 2006, nachdem der Beklagte vom HZA erstmals mit Schreiben 27. Juni 2006 über die Ermittlungen zum Vorwurf "Schwarztaxifahrten" seit 2001 sowie zum Bestehen einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft mit Frau P. einschließlich der bis dahin erzielten Ermittlungsergebnisse informiert worden war. Der Kläger bestritt die Vorwürfe; der Beklagte kam im Oktober 2006 zum Ergebnis, dass die bisherigen Ermittlungsergebnisse nicht ausreichten. Zur zweiten Anhörung kam es im April 2009, nachdem der Beklagte von dem inzwischen rechtskräftigen Strafurteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 4. April 2008 erfahren hatte. Im Urteil stellte das Landgericht fest, dass der Kläger seit 2001 bis zum Zeitpunkt der Entscheidung (April 2008) Personen gegen Entgelt in seinem privaten Pkw als "Taxi" beförderte. Nach Eingang der Stellungnahme des Klägers, der wiederum die Vorwürfe bestritt, zahlte der Beklagte wieder Leistungen (bis April 2010) aus. Eine weitere Zäsur im Geschehensablauf trat nach Eingang des Ermittlungsberichts des HZA vom 26. April 2010 beim Beklagten ein. Das HZA berichtetet über das anhängige Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen des Verdachts des Betrugs, dessen Erweiterung auf Frau P. wegen Beihilfe zum Betrug, die am 21. April 2010 erfolgten Durchsuchungen bei der Meldeadresse des Klägers (Wohnung der Eltern), der Wohnung der Frau P. und der dem Kläger gehörenden Garagen sowie den Beschuldigungen des "Schwarz-Taxi-Fahrens" und des Bestehens einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft. Aufgrund der beigefügten Durchsuchungsvermerke und der Foto-CD hatte der Beklagte Kenntnisse von den tatsächlichen Verhältnissen am Durchsuchungstag in den Wohnungen der Frau P. sowie der Eltern des Klägers, den sichergestellten Gegenständen (einschließlich des Kellnerportemonnaies) sowie den Bekundungen der Eltern sowie der Frau P ...

Auf Grundlage dieser Erkenntnisse forderte der Beklagte den Kläger auf, weitere Belege – insbesondere über die Höhe des Einkommens der Frau P. und deren Mietkosten – vorzulegen. Nachdem er im laufenden einstweiligen Rechtschutzverfahrens Ende Juni 2010 die Informationen erhielt, entschied er mit Bescheid vom 12. August 2010 und Widerspruchsbe-scheid vom 28. Oktober 2010, den Leistungsantrag ab Mai 2010 abzulehnen. Die Ablehnung begründete er mit fehlender Hilfebedürftigkeit des Klägers aufgrund des Bestehens einer Bedarfsgemeinschaft mit Frau P. und der Bedarfsdeckung aus eigenem Einkommen. Zu diesem Zeitpunkt ging der Beklagte ging davon aus, dass seine aktuellen Kenntnisse über die Lebensumstände des Klägers ausreichten, um den Leistungsantrag für die Zeit ab Mai 2010 abzulehnen.

Im Hinblick darauf, dass sich der Beklagte in der Lage sah, den Leistungsantrag für die Gegenwart abzulehnen, musste sich ihm eine Überprüfung des Leistungsanspruchs für die Vergangenheit aufdrängen. Denn nach seiner Überzeugung bestand eine Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft mit Frau P., deren Mitglieder zudem über bedarfsdeckendes Einkommen verfügten. Zudem wusste der Beklagte bereits aus dem Strafurteil des Landge-richts Dessau-Roßlau, dass der Kläger nicht nur von 2001 bis Ende 2004, sondern auch noch im Jahr 2008 als "Schwarztaxifahrer" tätig war und daraus Einkünfte erzielte, die das Landgericht auf monatlich 960 EUR brutto geschätzt hatte. Darüber hinaus wusste er, dass nach den Ermittlungen des HZA überwiegendes dafür sprach, dass der Kläger seine Betäti-gung auch noch im Jahr 2010 fortsetzte und ein entsprechendes Einkommen erzielte. Angesichts dieser Erkenntnislage konnte dem Umstand, dass der Kläger bei den bisherigen Anhörungen (in den Jahren 2006 und 2009) sowohl die illegale Personenbeförderung als auch das Zusammenwohnen und -leben mit Frau P. bestritten hatte, kein entscheidendes Gewicht mehr zukommen.

Damit hatte der Beklagte spätestens im Oktober 2010 hinreichenden Anlass, die Leistungs-erbringung in der Vergangenheit zu überprüfen und zu entscheiden, ob – ohne weiteres – ein Rücknahmeverfahren einzuleiten war oder noch weitere Ermittlungen erforderlich waren und diese ggf. durchzuführen. Gleichwohl ergibt sich aus den Verwaltungsakten für den Zeitraum von Oktober 2010 bis Dezember 2011 nichts für eine interne Prüfung des Beklagten im oben beschriebenen Sinne im Hinblick auf eine denkbare Rücknahme der Leistungsbewilligung für Zeiträume der Vergangenheit. Nach Aktenlage war der Beklagte schlicht untätig; er hat weder eigene Ermittlungen unternommen noch (in einem internen Vermerk) niedergelegt, wie diesbezüglich weiter verfahren werden sollte. Es ergibt sich auch nicht, dass und/oder aus welchen Gründen er das Ergebnis der weiteren Ermittlungen des HZA abwarten wollte. Diese Untätigkeit bei gleichzeitiger umfassender Kenntnis der erheblichen Tatsachen für eine Rücknahme wirkt sich vorliegend dergestalt zu Lasten des Beklagten aus, dass der Lauf der Jahresfrist begann.

Denn der regelmäßige Beginn des Laufs der Jahresfrist erst nach erfolgter Anhörung des Betroffenen darf nicht dazu führen, dass die Behörde durch Verzögern der Anhörung den Beginn der Jahresfrist hinausschieben kann (vgl. Steinwedel in: Kassler Kommentar, SGB X, Losebl. Stand 03/2016, § 45 RN 27; Merten, a.a.O., § 45 RN 153; LSG Schleswig-Holstein Urteil vom 14. Mai 2014, Az.: L 8 U 69/12, juris RN 44). Insoweit ist auch zu prüfen, ob vorgenommene weitere, nicht unmittelbar einsichtige Ermittlungen erforderlich waren. Solche lösen dann keinen neuen Fristbeginn aus, wenn sie keinen Einfluss auf die Entscheidung hatten (BSG, Urteil vom 6. April 2006, Az.: B 7 AL 64/05 R, juris). Ebenso kann eine Verzö-gerung des Anhörungsverfahrens zur Verwirkung des Rücknahmerechts der Verwaltung führen. So wie überflüssige Ermittlungen nicht geeignet sind, den Fristbeginn hinauszuschie-ben (BSG, Urteil vom 8. Februar 1996, AZ: 13 RJ 35/94, juris), muss auch die schlichte Untätigkeit oder ein unbegründetes Zuwarten der Behörde zum Lauf der Frist führen.

Mithin ist von einer den Fristbeginn auslösende Kenntnis im Sinne von § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X neben der objektiven sicheren Kenntnis von den für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen und der subjektiven Auffassung der Behörde, die ihr vorliegenden Tatsachen genügten (nunmehr) für eine Rücknahme der Bewilligung (BSG, Urteil 25. Januar 1994, AZ: 7 Rar 14/93, juris; Merten, a.a.O., RN 155) auch dann auszugehen, wenn ein "missbräuchliches sich Verschließen vor der Kenntnis" vorliegt (vgl. Steinwedel, a.a.O., RN 29) oder bei einer umfassenden Kenntnis die notwendigen Konsequenzen – wie vorliegend – nicht gezogen werden. Im Hinblick darauf, dass die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X dazu dient, innerhalb eines überschaubaren Zeitraums für alle Beteiligten Rechtssicherheit herzustellen, kann in den Fällen, in denen der Rücknahmegrund mehr als ein Jahr bekannt ist, bei Untätigkeit der Behörde Verwirkung eintreten (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 20. Dezember 1999, Az.: 7 C 42/98, juris RN 27ff.).

Maßgeblicher Rücknahmegrund sind vorliegend alle Tatsachen, die für die Rücknahme für die Zeit der Vergangenheit von Bedeutung sind, Dabei handelt es sich sowohl um objektive Tatsachen (Schwarzarbeit, Wohnung, Partnerschaft) als auch um subjektive Tatsachen, wie der jeweilige Verschuldensvorwurf der vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Falschangaben, ggf. Ermittlungen zur Einsichtsfähigkeit. Verwirkung tritt ein, wenn bei Kenntnis der Tatsachen weitere Ermittlungen bzw. eine gebotene Einleitung des Rücknahmeverfahrens durch Anhörung des Leistungsbeziehers treuwidrig verzögert werden.

Vorliegend ergab sich aus dem Zwischenbericht des HZA aus dem April 2010, dass gegen den Kläger weiter ermittelt wurde. Insoweit wäre es denkbar gewesen, dass sich durch diese Ermittlungen noch weitere relevante Tatsachen – beispielweise zur Höhe der aus der Personenbeförderung erzielten Einkünfte – ergeben hätten. Es ergibt sich aus den Verwal-tungsakten jedoch kein Hinweis darauf, dass im Hinblick auf mögliche weitere Erkenntnisse das Ergebnis der weiteren Ermittlungen des HZA abgewartet werden sollte. Vielmehr spricht die Ablehnung des Leistungsantrags für die Gegenwart dafür, dass der Beklagte die erfor-derlichen leistungserheblichen Umstände gekannt hat. Zudem legt das Schreiben vom 26. Januar 2012 an das HZA nahe, dass der Beklagte bis dahin der Auffassung war, die Jahres-frist für eine Rücknahme sei bereits verstrichen gewesen.

Mithin ist vorliegend von einer Entscheidungsreife – auch bezüglich einer Rücknahme für Zeiträume der Vergangenheit – im Zeitpunkt der Ablehnung des Leistungsantrags für die Gegenwart mit Bescheid des Beklagten vom 12. August 2010, auszugehen. Daher begann der Lauf der Jahresfrist nach Auffassung des Senats zu diesem Zeitpunkt, bzw. spätestens mit Erlass des Widerspruchsbescheids im Oktober 2010.

Soweit der Beklagte (erstmalig) im Berufungsverfahren geltend macht, er habe zu damaligen Zeitpunkt (Sommer 2010) noch nicht über eine Rücknahme entschieden, weil er das endgül-tige Ermittlungsergebnis des HZA abwarten wollte, lässt sich eine solche Motivation den Verwaltungsakten nicht entnehmen. Überlegungen zum weiteren behördlichen Vorgehen sind nicht – als Vermerk – niedergelegt. Es ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass im August 2010 überhaupt noch an eine Rücknahme der Leistungsbewilligung für die Vergan-genheit gedacht wurde. Dementsprechend ist auch nicht ersichtlich, dass der Beklagte der Auffassung war, es fehle noch an Erkenntnissen zu leistungserheblichen Umständen. Entgegen den Bekundungen des Beklagten haben sich aus dem Abschlussbericht des HZA aus dem Dezember 2011 auch keine neuen Erkenntnisse – insbesondere zur Einkommens-höhe des Klägers – ergeben. Vielmehr hat das HZA im Abschlussbericht zur Höhe der Einkünfte die Schätzung des Landgerichts Dessau-Roßlau aus dem Urteil schlicht wiederholt. Soweit der Beklagte zur Begründung der Berufung ausgeführt hat, erst der Abschlussbericht des HZA habe eine hinreichende Tatsachengrundlage für eine Rücknahme im Hinblick auf die tatsächlichen Umstände ab Januar 2005 geboten, ist dies nicht nachzuvollziehen. Insbesondere trifft es nicht zu, dass der Beklagte erst auf Grundlage des Abschlussberichtes Kenntnisse über die tatsächlichen Wohnverhältnisse und die konkreten Einkommenshöhe des Klägers oder der Frau P. hatte.

Auf die vorgenannten Umstände hatte die Berichterstatterin im Juli 2016 ausdrücklich hingewiesen und weiteren Vortrag anheimgestellt. Soweit der Beklagte im Erörterungstermin darauf hingewiesen hat, dass der Abschlussbericht neue Erkenntnisse aus der Auswertung der beschlagnahmten Mobiltelefone sowie der Datensicherung des PC enthalten habe, trifft dies zu; indes ergaben sich hieraus keine für die Rücknahmeentscheidung relevanten Tatsachen.

Lag nach alledem die (letztlich) für den Beginn der Jahresfrist maßgebliche Kenntnis des Beklagten nicht erst nach Zugang des Abschlussberichts des HZA im Dezember 2011, sondern im Zeitpunkt der Ablehnung der Weiterbewilligungsanträge im August 2010 vor, war sie bereits abgelaufen, als der Beklagte den Kläger angehört und nachfolgend den hier streitgegenständlichen Rücknahme- und Erstattungsbescheid am 5. September 2012 erlassen hat. Nach Ablauf der Frist war eine auf § 45 SGB X gestützte Rücknahme der streitgegenständlichen Bewilligung nicht mehr möglich.

Der angegriffene Rücknahme- und Erstattungsbescheid war daher wegen Verstoßes gegen § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X rechtswidrig. Er ist vom SG zu Recht aufgehoben worden. Die Berufung des Beklagten war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfall-entscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage.
Rechtskraft
Aus
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