L 20 AS 675/17 B

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
20
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 31 AS 2386/16 WA
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 20 AS 675/17 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 3. Februar 2017 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Kläger wenden sich gegen einen Beschluss, mit welchem das Sozialgericht Cottbus einen zum wiederholten Mal gestellten Antrag auf mündliche Verhandlung nach Erlass eines Gerichtsbescheids verworfen hat.

Die Kläger erhoben im Oktober 2013 eine Untätigkeitsklage zum Sozialgericht Cottbus, gerichtet auf die Verpflichtung des Beklagten zur Bescheidung ihres Antrags auf endgültige Festsetzung der mit Bescheid vom 11. Dezember 2012 vorläufig bewilligten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Mit Gerichtsbescheid vom 24. November 2015 (Az.: S 33 AS 5144/13) wies das Sozialgericht die Klage ab. In der Rechtsmittelbelehrung wies es darauf hin, dass der Gerichtsbescheid mit der Berufung angefochten werden könne.

Am 23. Dezember 2015 beantragten die Kläger auf den Gerichtsbescheid eine mündliche Verhandlung.

Diesen Antrag verwarf das Sozialgericht Cottbus mit Beschluss vom 15. März 2016 (Az.: S 33 AS 417/16 WA) als unzulässig. Zur Begründung führte es aus, dass gegen den Gerichtsbescheid nach §§ 105 Abs. 2 Satz 1, 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung gegeben sei. Die Berufung bedürfe nicht der Zulassung; der nach § 144 Abs. 1 SGG maßgebliche Wert des Beschwerdegegenstands von 750,- Euro sei überschritten. Aus diesem Grund sei der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung (§ 105 Abs. 2 Satz 2 und 3 SGG) unzulässig.

Der Beschluss des Sozialgerichts Cottbus wurde den Klägern über ihren Prozessbevollmächtigten am 29. März 2016 zugestellt. Am 24. Mai 2016 legten die Kläger Beschwerde ein. Die Beschwerde wurde vom Landessozialgericht Berlin-Brandenburg mit Beschluss vom 26. August 2016 (Az.: L 32 AS 1645/16 B) als unzulässig verworfen, und zwar mit der Begründung, dass sie nicht fristgerecht eingelegt worden sei.

Am 30. September 2016 haben die Kläger beim Sozialgericht Cottbus erneut die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

Mit Beschluss vom 3. Februar 2017 (Az.: S 31 AS 2386/16 WA) hat das Sozialgericht auch diesen Antrag als unzulässig verworfen. Zum einen sei der Antrag auf mündliche Verhandlung nach Ablauf der Frist des § 105 Abs. 2 SGG gestellt worden. Zum anderen sei über ihn bereits abschlägig entschieden worden.

Gegen diesen, ihnen am 21. Februar 2017 zugestellten Beschluss haben die Kläger am 20. März 2017 Beschwerde eingelegt. Sie tragen vor, dass die Rechtsmittelbelehrung im Gerichtsbescheid des Sozialgerichts unzutreffend sei. Gegen den Gerichtsbescheid sei die "Beschwerde" (gemeint: Berufung) nicht gegeben. Insofern könne der Antrag auf mündliche Verhandlung mindestens binnen eines Jahres gestellt werden. Der Antrag sei also nicht verfristet.

Einen konkreten Antrag haben die Kläger im Beschwerdeverfahren nicht gestellt.

Der Beklagte beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hält den Beschluss des Sozialgerichts vom 3. Februar 2017 für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten.

II.

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 3. Februar 2017 ist zulässig, insbesondere ist sie statthaft (§ 172 SGG) sowie form- und fristgerecht (§ 173 SGG) eingelegt worden. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht den (erneuten) Antrag auf mündliche Verhandlung vom 30. September 2016 als unzulässig verworfen.

Nach § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG können die Beteiligten innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids das Rechtsmittel einlegen, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Ist die Berufung nicht gegeben, kann gemäß § 105 Abs. 2 Satz 2 SGG mündliche Verhandlung beantragt werden. Wird rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt, gilt der Gerichtsbescheid als nicht ergangen (§ 105 Abs. 3, 2. Halbsatz SGG). Ein verspäteter oder unstatthafter Antrag auf mündliche Verhandlung ist vom Sozialgericht durch Beschluss zu verwerfen (Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 105 Rn. 24; Hintz/Lowe, SGG, § 105 Rn. 25; Müller, in: Roos/Wahrendorf, SGG, § 105 Rn. 43; abweichend im Sinne einer Entscheidung durch Urteil dahin, dass Verfahren durch Gerichtsbescheid beendet ist: Hauck, in: Hennig, SGG, § 105 Rn. 117).

Es kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 24. November 2015 die Berufung gegeben war. Der Zulässigkeit des neuerlichen Antrags auf mündliche Verhandlung vom 30. September 2016 steht jedenfalls die Rechtskraft der früheren Entscheidung (Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 15. März 2016, Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26. August 2016) entgegen. Diese Entscheidung erzeugt nach ihrer Unanfechtbarkeit (vgl. § 177 SGG) materielle Rechtskraft.

Die materielle Rechtskraft bewirkt, dass die Entscheidung für das Gericht und die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger in der Sache bindend ist (vgl. § 141 SGG). Aufgrund einer rechtskräftigen Entscheidung ist ein erneutes gerichtliches Verfahren über denselben Streitgegenstand nicht mehr zulässig. Die Rechtskraft schafft ein in jeder Verfahrenslage von Amts wegen zu beachtendes Hindernis für eine erneute gerichtliche Nachprüfung des Anspruchs, über den bereits bindend entschieden worden ist (vgl. zum Ganzen Aussprung, in: Roos/Wahrendorf, SGG, § 141 Rn. 13 ff.).

Der materiellen Rechtskraft fähig sind Urteile und Gerichtsbescheide (vgl. §§ 105 Abs. 1 Satz 3, 141 SGG), daneben aber auch Beschlüsse, sofern sie eine Entscheidung treffen, die nach Sinn und Zweck des in § 141 SGG zum Ausdruck kommenden Rechtsgedankens Gegenstand der inneren Rechtskraft sein kann, namentlich selbständig, vorbehaltslos und endgültig über eine von einem Beteiligten beanspruchte Rechtsfolge befindet (vgl. BGH, Beschluss vom 3. März 2004 – IV ZB 43/03, NJW 2004, 1805; Aussprung, in: Roos/Wahrendorf, SGG, § 141 Rn. 21; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 142 Rn. 3b). Hierzu gehört nach Auffassung des Senats auch ein Beschluss, mit dem ein Antrag auf mündliche Verhandlung nach § 105 Abs. 2 Satz 2 SGG verworfen wird. Der Beschluss beinhaltet eine Entscheidung dahingehend, dass das Verfahren durch Gerichtsbescheid endgültig beendet ist, mithin die in § 105 Abs. 3, 2. Halbsatz SGG vorgesehene Rechtsfolge, wonach der Gerichtsbescheid als "nicht ergangen" gilt, nun nicht mehr eintreten kann. Der Beschluss soll einen kontradiktorischen Rechtsstreit zum Abschluss bringen und damit dem Rechtsfrieden zwischen den Beteiligten dienen, die fortan ihr Verhalten an dieser Rechtsfolge ausrichten können. Es besteht ein gesteigertes Präklusionsbedürfnis, welches der Möglichkeit einer wiederholten Entscheidung entgegensteht.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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