L 4 SO 88/16

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
4
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 12 SO 98/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 SO 88/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Mit dem Einzug in ein Frauenhaus wird an dessen Ort ein gewöhnlicher Aufenthalt begründet, wenn die äußeren Umstände zeigen, dass dort nicht nur vorübergehend verweilt wird. Das ist der Fall, wenn der Aufenthalt zukunftsoffen gestaltet ist.

2. Der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts steht ein Verstoß gegen eine aufenthaltsrechtliche Wohnsitzauflage nicht entgegen.

3. Ein Frauenhaus stellt keine stationäre Einrichtung im Sinne des Sozialhilferechts dar.
I. Auf die Berufung des Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 10. Februar 2016 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander für beide Rechtszüge keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten (noch) über die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. Oktober 2014 bis 29. Februar 2016.

Die 1939 geborene Klägerin ist bosnisch-herzegowinische Staatsangehörige und lebt seit Anfang der Neunzigerjahre in der Bundesrepublik Deutschland. Sie besitzt eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Die Wohnsitznahme ist ihr dabei nur im Landkreis Kassel gestattet, also im Zuständigkeitsbereich des beklagten örtlichen Sozialhilfeträgers. Dort wohnte die Klägerin zuletzt bei ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn. Aufgrund familiärer Spannungen und häuslicher Gewalt kehrte sie jedoch nach einem Krankenhausaufenthalt nicht in diese Wohnung zurück, sondern zog im August 2014 in das im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Beigeladenen liegende B-Stadt Frauenhaus ein.

Einen daraufhin von der Klägerin bei der Beigeladenen gestellten Antrag auf Gewährung von Grundsicherungsleistungen lehnte diese mit Bescheid vom 16. September 2014 bestandskräftig ab. Zur Begründung wurde auf die örtliche Zuständigkeit des Beklagten verwiesen. Mit Bescheid vom 1. Oktober 2014 lehnte auch der sodann von der Klägerin angegangene Beklagte ihren Leistungsantrag ab. Die Voraussetzungen für eine entsprechende Leistungsgewährung durch den Beklagten seien nicht erfüllt, weil sich der Schwiegersohn der Klägerin verpflichtet habe, während des Aufenthalts der Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland die Kosten ihres Lebensunterhalts zu tragen. Hiervon ausgenommen seien lediglich die Kosten der Krankenversorgung. Insofern bewilligte der Beklagte der Klägerin Krankenhilfe, weil sie im Frauenhaus B-Stadt keinen gewöhnlichen Aufenthalt habe und zur Wohnsitznahme im Landkreis Kassel verpflichtet sei.

Gegen den Bescheid des Beklagten vom 1. Oktober 2014 legte die Klägerin Widerspruch ein, wobei sie darauf verwies, dass der von ihr gestellte Antrag nach dem Meistbegünstigungsprinzip zumindest auch als Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zu werten sei. Diese seien zu bewilligen, da die Klägerin Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG sei. Sie habe einen anerkannten Flüchtlingsstatus nach § 23 Abs. 1 AufenthG. Die Verpflichtungserklärung ihres Schwiegersohns könne dem nicht entgegengehalten werden. Nach § 8 Abs. 1 AsylbLG seien Leistungen nur dann ausgeschlossen, wenn der erforderliche Lebensunterhalt gedeckt sei. Die Klägerin sei in einem Frauenhaus untergekommen. In die bisherige Wohnung könne sie nicht mehr zurück. Sie erhalte keine Leistungen mehr von ihrem Schwiegersohn und auch sonst nicht. Daher sei ihr Lebensunterhalt nicht mehr gedeckt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 2014 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 1. Oktober 2014 als unbegründet zurück. Zwar könne ihr die Verpflichtungserklärung ihres Schwiegersohns wegen der tatsächlichen Mittellosigkeit nicht entgegengehalten werden, allerdings scheitere die Gewährung von Leistungen an der fehlenden örtlichen Zuständigkeit des Beklagten. Der Klägerin sei eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG erteilt worden. Bis zu ihrem Einzug in das im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Beigeladenen liegende Frauenhaus habe die Klägerin im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten ihren gewöhnlichen Aufenthalt gehabt, so dass der Beklagte grundsätzlich der zuständige Sozialleistungsträger für die Gewährung der beantragten Grundsicherungsleistungen sei. Bei Aufnahme in das Frauenhaus sei auch kein neuer gewöhnlicher Aufenthalt begründet worden. Gleichwohl gewähre der örtliche Sozialhilfeträger, in dessen Zuständigkeitsbereich das Frauenhaus liege, auf Antrag die Leistungen zur Sicherstellung des Lebensunterhalts, wobei anschließend eine gegenseitige Kostenerstattung zwischen den Sozialhilfeträgern erfolge. Daher sei die Zuständigkeit der Beigeladenen gegeben.

Die Klägerin hat am 21. Oktober 2014 Klage zum Sozialgericht Kassel erhoben. Gleichzeitig hat sie im einstweiligen Rechtsschutz eine vorläufige Leistungsverpflichtung des Beklagten geltend gemacht (Aktenzeichen: S 12 SO 35/14 ER). Trotz des Umzugs in das B-Stadt Frauenhaus sei weiterhin die örtliche Zuständigkeit des Beklagten gegeben; zumal sich aus ihrem Aufenthaltstitel ergebe, dass ihre Wohnsitznahme nur in dessen Zuständigkeitsbereich zulässig sei. Der Aufenthalt der Klägerin im B-Stadt Frauenhaus begründe selbst nach den Ausführungen des Beklagten in den angefochtenen Bescheiden und im Übrigen auch nach gängiger Rechtsprechung keinen gewöhnlichen Aufenthalt, so dass es trotz des Umzugs der Klägerin bei der Zuständigkeit des Beklagten verbleibe. Der Beklagte ist dem unter Hinweis auf eine Vereinbarung der hessischen Kreise und kreisfreien Städte über die Zuständigkeit und Kostenerstattung bei der Hilfegewährung an Frauen und deren minderjährige, unverheiratete Kinder in Frauenhäusern entgegengetreten, wonach für die Gewährung von Sozialhilfeleistungen der Träger zuständig sei, in dessen Bereich das Frauenhaus liege. Danach ergebe sich (ungeachtet der Kostenerstattungsregelung in § 3 der Vereinbarung) eine örtliche und sachliche Zuständigkeit der Beigeladenen, in deren Bereich das Frauenhaus liege, in dem die Klägerin Unterkunft gefunden habe. Im Eilverfahren hat der Beklagte – einem rechtlichen Hinweis des Sozialgerichts folgend – den geltend gemachten Anspruch vorerst bis zur Klärung in der Hauptsache anerkannt. Die Klägerin hat dieses Anerkenntnis angenommen. In der Folgezeit sind der Klägerin dann die beantragten Leistungen vorläufig von dem Beklagten gewährt worden, der zur Umsetzung seiner Prozesserklärung entsprechende Ausführungsbescheide erlassen hat.

Mit Beschluss vom 10. Juni 2015 hat das Sozialgericht die Stadt Kassel zum Rechtsstreit notwendig beigeladen. Die Beigeladene hat sich darauf gestützt, der gewöhnliche Aufenthaltsort der Klägerin habe im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten gelegen. Zudem sei aufgrund der Einheit der Rechtsordnung zu berücksichtigen, dass der tatsächliche Aufenthalt der Klägerin in B-Stadt unrechtmäßig sei. Da die Klägerin nur über eine auf den örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten beschränkte Aufenthaltserlaubnis verfüge, sei eine Leistungszuständigkeit der Beigeladenen nicht gegeben.

Das Sozialgericht hat der Klage mit Urteil vom 10. Februar 2016 stattgegeben. Es hat den angefochtenen Bescheid des Beklagten vom 1. Oktober 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 16. Oktober 2014 aufgehoben und den Beklagten zur endgültigen Leistungsgewährung verpflichtet. Die Klage sei zulässig und begründet. Die angefochtenen Bescheide des Beklagten seien rechtswidrig. Der Beklagte sei gegenüber der Klägerin zur Gewährung von Grundsicherungsleistungen im Alter verpflichtet, so dass er im Anschluss an sein Anerkenntnis im Eilverfahren und seine vorläufigen Zahlungen zur endgültigen Leistungsgewährung seit dem 1. Oktober 2014 zu verurteilen sei. Die Voraussetzungen für eine entsprechende Leistungsgewährung seien erfüllt; der Beklagte sei auch der zuständige Leistungsträger. Insoweit sei nach Auffassung der Kammer allein auf die ausländerrechtliche Wohnsitzauflage im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten abzustellen. Dass die Beigeladene dabei die von dem Beklagten vorgelegte Vereinbarung missachte, sei letztlich unbeachtlich, denn der gesetzliche, gegen den Beklagten bestehende Leistungsanspruch der Klägerin werde hiervon nicht berührt. Örtlich zuständig sei der Träger der Sozialhilfe, in dessen Bereich sich der Leistungsberechtigte tatsächlich aufhalte, weil der sozialhilferechtliche Bedarf regelmäßig dort gedeckt werden solle, wo er entstehe. Entscheidend für die Begründung der örtlichen Zuständigkeit sei daher an sich die rein physische Anwesenheit der Leistungsberechtigten im Bereich eines Sozialhilfeträgers. Gleichwohl dürfe hier die ausländerrechtliche Wohnsitzauflage, die die Duldung der Klägerin auf den örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten beschränke, nicht unbeachtet bleiben. Zwar existiere insoweit im Sozialhilferecht keine dem § 10a Abs. 1 AsylbLG entsprechende ausdrückliche Regelung; von Sinn und Zweck der ausländerrechtlichen Wohnsitzauflage her sei jedoch kein Unterschied zu erkennen. Die Wohnsitzauflage stehe einem dem Grunde nach bestehenden Leistungsanspruch bei anderer bzw. abweichender Wohnsitzaufnahme auch weder tatsächlich noch rechtlich entgegen.

Gegen das ihm am 18. April 2016 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 3. Mai 2016 bei dem Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt. Wegen eines zwischenzeitlichen Umzugs in seinen Zuständigkeitsbereich hat der Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 27. April 2016 Grundsicherungsleistungen für die Zeit ab 1. März 2016 zuerkannt.

Er ist der Ansicht, das Sozialgericht gehe zu Unrecht von einem ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal aus, wonach der maßgebende Aufenthalt am konkreten Ort auch rechtmäßig sein müsse, um eine sozialhilferechtliche Zuständigkeit begründen zu können. Diese Rechtsansicht widerspreche obergerichtlicher Rechtsprechung und der in der Literatur vorherrschenden Auffassung. Gerade wegen des auch vom Sozialgericht angeführten Fehlens einer Parallelvorschrift zu § 10a Abs. 1 AsylbLG sei davon auszugehen, dass ein Verstoß gegen eine Wohnsitzauflage sich nicht auf die örtliche Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers auswirke. Dafür spreche auch, dass eine ortsnahe Leistungserbringung durch den für das Frauenhaus örtlich zuständigen Träger in der Regel effektiver sei. Zu berücksichtigen seien auch die konkreten Umstände des Einzelfalls. Die Klägerin sei ihrer Tochter gefolgt, mit der sie zuvor zusammengelebt habe. Diese habe sich nach der Trennung von ihrem Ehemann im Jahr 2014 ebenfalls nicht mehr im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten aufgehalten, sondern ihren Wohnsitz nach B-Stadt verlegt.

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 10. Februar 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise, die Beigeladene zu verurteilen, der Klägerin Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in gesetzlichem Umfang für die Zeit vom 1. Oktober 2014 bis 29. Februar 2016 zu gewähren.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für rechtmäßig. Sinn und Zweck der ausländerrechtlichen Wohnsitzauflage sei es gerade, ein Ungleichgewicht der finanziellen Belastung der verschiedenen Sozialleistungsträger zu verhindern.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Sie verteidigt das Urteil des Sozialgerichts. Es stehe im Einklang mit höchstrichterlicher Rechtsprechung, neben den tatsächlichen auch die rechtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen, um den Aufenthaltsort zu bestimmen. Konkret bedeute dies, dass der tatsächliche Aufenthalt nur zum Erwerb von Sozialhilfeansprüchen führen könne, wenn er auch (ausländerrechtlich) erlaubt sei. Der Klägerin sei es auch zumutbar gewesen, das im Zuständigkeitsbereich des Beklagten gelegene Frauenhaus in A-Stadt aufzusuchen und dadurch einen Verstoß gegen die Wohnsitzauflage zu vermeiden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht nach dem Hauptantrag der Klägerin erkannt, denn die darin liegende Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gegen den Beklagten ist zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 1. Oktober 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 16. Oktober 2014 ist nicht aufzuheben, denn er ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Klägerin steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf endgültige Bewilligung der ihr tatsächlich bereits ausgezahlten Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu.

Statthafte Klageart in einer solchen prozessualen Situation ist eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Für eine mit der Anfechtungsklage zu verbindende Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG fehlt der Klägerin dagegen das Rechtsschutzbedürfnis. Denn sie hat die streitigen Sozialhilfeleistungen schon erhalten; ihr geht es nur noch um den in einem Bewilligungsbescheid liegenden Rechtsgrund für das endgültige Behaltendürfen der Zahlungen des Beklagten. Der Beklagte kann in einer solchen Situation nicht erneut zur Leistung verurteilt werden (ebenso BSG, Urteil vom 17. Februar 2015 – B 14 AS 25/14 R, SozR 4-4200 § 7 Nr. 40 Rn. 16 für den Fall der begehrten Umwandlung eines bereits ausgezahlten Darlehens in einen Zuschuss).

Die Klägerin hat vor Klageerhebung das gemäß § 78 SGG erforderliche Vorverfahren ordnungsgemäß durchgeführt und die Klage form- und fristgerecht erhoben. Auch im Übrigen bestehen keine Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage.

Die Beklagte hat ihre Leistungsverpflichtung gegenüber der Klägerin jedoch im Ergebnis zu Recht verneint.

Zutreffend gehen die Beteiligten inzwischen übereinstimmend davon aus, dass die Klägerin nicht zum Kreis der nach dem AsylbLG Leistungsberechtigten zählt. Sie besitzt zwar eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG (wie in § 1 Abs. 1 Nr. 3 lit. a) AsylbLG vorausgesetzt). Diese wurde ihr jedoch nicht wegen eines Krieges in ihrem Heimatland zuerkannt. Bosnien-Herzegowina war im streitgegenständlichen Zeitraum kein Kriegsgebiet.

Für die Erbringung der demnach allein streitgegenständlichen Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe (SGB XII) an die Klägerin war die Beklagte örtlich nicht zuständig. Auf diese mittlerweile vollständig vom Bund finanzierten Leistungen finden die Vorschriften des Zwölften Kapitels des SGB XII über die Zuständigkeit der Sozialhilfeträger gem. § 46b SGB XII seit dem 1. Januar 2013 grundsätzlich keine Anwendung mehr. Der zuständige Träger ergibt sich vielmehr aus dem Landesrecht. Hierfür ist gem. § 3 Hessisches Ausführungsgesetz zum SGB XII der gewöhnliche Aufenthalt des Anspruchstellers maßgebend. Daher bleibt es in Hessen grundsätzlich bei der bis Ende 2012 in § 98 Abs. 1 Satz 2 SGB XII bundesweit einheitlich angeordneten Zuständigkeitsverteilung zwischen den örtlichen Trägern der Sozialhilfe.

Die Klägerin hatte im streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. Oktober 2014 bis 29. Februar 2016 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Frauenhaus der Stadt B-Stadt und damit außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Beklagten.

Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand gemäß § 30 Abs. 3 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil (SGB I) dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Die gesetzliche Regelung verlangt also eine gewisse Dauerhaftigkeit des tatsächlichen Aufenthalts an einem bestimmten Ort, die sich auch nach außen erkennbar manifestieren muss (vgl. Schlegel in: jurisPK-SGB I, 2. Aufl. 2011, § 30 Rn. 34 ff.). Eine solche Dauerhaftigkeit liegt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung bereits dann vor, wenn und solange der Aufenthalt nicht auf Beendigung angelegt, er also zukunftsoffen ist (so etwa BSG, Urteil vom 27. Januar 1994 – 5 RJ 16/93, SozR 3-2600 § 56 Nr. 7; BVerwG, Urteil vom 18. März 1999 – 5 C 11/98, DVBl. 1999, 1126 ff.). Dagegen ist von einem nur vorübergehenden Aufenthalt auszugehen, wenn dies der Zwecksetzung des Betreffenden entspricht (etwa einem Urlaub oder Besuch, zur Durchreise oder zur Krankenbehandlung).

Im vorliegenden Fall geht der Senat davon aus, dass der Aufenthalt der Klägerin im B-Stadt Frauenhaus von vornherein zukunftsoffen war. Denn er diente nicht dazu, eine konkrete, nur auf absehbare Zeit bestehende Notsituation zu überbrücken. Vielmehr sah die Klägerin bei der Entlassung aus dem Krankenhaus anscheinend keine Alternative, um ihre Obdachlosigkeit zu vermeiden. Ihre zuvor bestehende Haushaltsgemeinschaft mit ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn konnte und wollte sie aufgrund familiärer Probleme nicht fortsetzen. Dies wurde spätestens unmöglich, als die Tochter der Klägerin selbst ihre Ehewohnung verlassen hat. Eine andere Unterkunft hatte die Klägerin nicht. Daher zog sie "bis auf Weiteres" in das Frauenhaus. Dass sie dort eine dauerhafte Bleibe suchte und nicht nur einen kurzfristigen Unterschlupf, zeigt retrospektiv auch der Umstand, dass sie sich etwa anderthalb Jahre dort aufgehalten hat. Dies wurde von Anfang an auch dadurch nach außen erkennbar, dass die Klägerin außerhalb des Frauenhauses keinen eigenen Haushalt mit persönlichen Dingen etc. mehr hatte. Dass der Aufenthalt in einem Frauenhaus nicht generell (wegen seines Charakters als zeitlich begrenzte Zuflucht) der Annahme eines gewöhnlichen Aufenthaltsorts dort entgegensteht, hat das BSG bereits entschieden (Urteil vom 23. Mai 2012 – B 14 AS 190/11 R, BSGE 111, 72 ff. = SozR 4-4200 § 36a Nr. 2 Rn. 20). Dem schließt sich der Senat an.

Ein anderes Ergebnis ergibt sich entgegen der Ansicht der Beigeladenen auch nicht aus der Ausnahmevorschrift des § 46b Abs. 3 Satz 2 SGB XII, wonach der Aufenthalt in einer stationären Einrichtung bei Leistungsberechtigten nach dem Vierten Kapitel des SGB XII nicht als gewöhnlicher Aufenthalt gilt. Denn das B-Stadt Frauenhaus, in dem sich die Klägerin seinerzeit aufgehalten hat, stellt keine stationäre Einrichtung im Rechtssinne dar, so dass die genannte Regelung hier nicht eingreift. Dies ergibt sich für das Sozialhilferecht bereits aus der auf der Grundlage von § 69 SGB XII erlassenen Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten, deren § 2 Abs. 5 Satz 4 ausdrücklich bestimmt, dass Frauenhäuser keine stationären Einrichtungen sind. Dieses Ergebnis war bereits in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Bundessozialhilfegesetz anerkannt (siehe nur Bayerischer VGH, Urteil vom 5. Dezember 2001 – 12 B 98.1044). Auch die Systematik des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) spricht für die Einordnung des Senats, denn dort erhält gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II keine Leistungen, wer sich in einer stationären Einrichtung aufhält – für Personen, die in einem Frauenhaus Zuflucht suchen, enthält § 36a SGB II dagegen eine spezielle Regelung zur Kostenerstattung zwischen den kommunalen Trägern.

Etwas anderes als die Annahme des gewöhnlichen Aufenthalts in B-Stadt folgt im vorliegenden Fall auch nicht aus der Tatsache, dass sich die Klägerin dabei nicht innerhalb der räumlichen Grenzen des Landkreises aufgehalten hat, für den ihr ausländerrechtlich eine Wohnsitzauflage erteilt worden war. Dabei kann dahinstehen, ob der sozialrechtlich nach dem oben Gesagten einen gewöhnlichen Aufenthalt begründende Einzug der Klägerin in das B-Stadt Frauenhaus ausländerrechtlich überhaupt eine Wohnsitznahme dargestellt und damit einen Verstoß gegen die Auflage beinhaltet hat. Denn selbst ein solcher Rechtsverstoß würde – entgegen der Ansicht der Beigeladenen – nicht dazu führen, dass der aufenthaltsrechtlich rechtswidrige Wohnort keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I darstellt. Zwar hat das BSG (a.a.O.) ausdrücklich "die objektiv gegebenen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse" für maßgebend zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts erklärt. Das gilt in Anbetracht der oben zitierten Legaldefinition jedoch nur insoweit, als diese erkennen lassen, dass der Betreffende an diesem Ort (nicht) nur vorübergehend verweilt. Dagegen wird aus dem von den tatsächlichen Gegebenheiten geprägten Begriff (dazu etwa BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 – B 4 AS 54/12 R, BSGE 113, 60 ff. = SozR 4-4200 § 7 Nr. 34 Rn. 17 ff.) keine rechtliche Fiktion, die es im vorliegenden Fall etwa ermöglichen würde, von einem gewöhnlichen Aufenthalt der Klägerin im Zuständigkeitsbereich des Beklagten nur deshalb auszugehen, weil sie verpflichtet war, dort ihren Wohnsitz zu nehmen. Diese im Mittelpunkt des Streits zwischen den Beteiligten stehende Rechtsfrage wird auch im Schrifttum und in der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet. Die wohl überwiegende Ansicht hält wie der erkennende Senat eine Wohnsitzauflage für irrelevant im Hinblick auf die Feststellung des gewöhnlichen Aufenthalts (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25. Februar 2016 – L 7 AS 1391/14, Rn. 35; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 6. Juni 2013 – L 2 AS 591/13 B ER, Rn. 21; Aubel in: jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 36 Rn. 17 ff. m.w.N.; vgl. auch die ausdrücklich auf das SGB II bezogene Entscheidung BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 – B 4 AS 54/12 R, BSGE 113, 60 ff. = SozR 4-4200 § 7 Nr. 34 Rn. 17 ff.; abweichend etwa LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. Juli 2014 – L 14 AS 1569/14 B ER, NZS 14, 753; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 6. Juni 2013 – L 13 AS 122/13 B ER). Das BSG hat sich – zumindest zum Sozialhilferecht – noch nicht eindeutig positioniert. Dagegen hat das BVerwG in einer Entscheidung zum Kinder- und Jugendhilferecht ebenfalls die faktische Seite des § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I betont (Urteil vom 7. Juli 2005 – 5 C 9/04, NVwZ 2006, 97 ff.). Durch die Wohnsitzauflage werde kein gewöhnlicher Aufenthalt begründet, wenn der Ausländer dort nicht tatsächlich Aufenthalt genommen habe. Auf der anderen Seite stehe die Wohnsitzauflage der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts an einem anderen Ort nicht entgegen. Dem schließt sich der Senat an. Im vorliegenden Fall ist ebenso wie in dem der Entscheidung des BVerwG zugrundeliegenden Sachverhalt zu konstatieren, dass die Wohnsitzauflage "faktisch keine Bedeutung erlangt" hat (so wörtlich BVerwG, a.a.O.).

Da die Klägerin infolgedessen mit ihrem Hauptantrag erfolglos geblieben ist, hatte der Senat auch über ihren Hilfsantrag zu entscheiden. Dieser ist in zulässiger Weise auf eine Leistungsgewährung durch die Beigeladene als dem nach dem oben Gesagten zuständigen Grundsicherungsträger gerichtet.

Die Beiladung durch das Sozialgericht nach § 75 Abs. 2 SGG war rechtmäßig. Einer Verurteilung der Beigeladenen steht nicht entgegen, dass die Klägerin bei dieser kein Vorverfahren durchgeführt hat. Dies wird von § 75 Abs. 5 SGG nicht vorausgesetzt (siehe etwa BSG, Urteil vom 24. Januar 2013 – B 3 KR 5/12 R, BSGE 113, 40 ff.). Zwischen der Klägerin und der Beigeladenen steht auch nicht etwa bereits nach § 77 SGG bindend fest, dass kein Anspruch auf Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 1. Oktober 2014 bis 29. Februar 2016 besteht. Zwar hat die Beigeladene einen diesbezüglichen Leistungsantrag der Klägerin mit Bescheid vom 16. September 2014 bestandskräftig abgelehnt (was grundsätzlich einer Verurteilung nach § 75 Abs. 5 SGG entgegensteht; siehe nur B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 12. Aufl. 2017, § 75 Rn. 18b m.w.N.). Diese Verwaltungsentscheidung maßt sich jedoch keine Regelungswirkung für die Zukunft an, indem etwa ein bestimmter Bewilligungszeitraum in Bezug genommen würde. Ein bloßer Ablehnungsbescheid stellt keinen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung dar – mit der Folge, dass für spätere Zeiträume nur unter den Voraussetzungen des § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse Leistungen beansprucht werden könnten. Das gilt nach allgemeiner Meinung auch, wenn eine Dauerleistung – wie eine Rente – abgelehnt wird (BSG, Beschluss vom 10. Mai 1994 – 9 BV 140/93 unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 30. Januar 1985 – 1 RJ 2/84, BSGE 58, 27 ff. = SozR 1300 § 44 Nr. 16; vgl. ferner Steinwedel in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 45 SGB X Rn. 21, § 48 SGB X Rn. 12; Mey, SGb 2007, 56, 60).

Auch der Hilfsantrag der Klägerin ist jedoch unbegründet. Ihr steht gegen die Beigeladene kein Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. Oktober 2014 bis 29. Februar 2016 (mehr) zu. Ein eventueller Anspruch der Klägerin gilt zumindest als erfüllt. Daher kann der Senat dahinstehen lassen, ob und in welcher Höhe die Klägerin ursprünglich von der Beigeladenen Sozialhilfe verlangen konnte (Bedenken bestehen insoweit vor allem im Hinblick auf die Regelung des § 23 Abs. 5 SGB XII). Soweit ein solcher Sozialleistungsanspruch bestand, ist er gemäß § 107 Abs. 1 SGB X erloschen. Danach gilt der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Träger als erfüllt, soweit gegen diesen ein Erstattungsanspruch besteht. Das ist hier der Fall.

Die sogenannte Erfüllungsfiktion greift im vorliegenden Fall ein, weil in derselben Höhe, in der der Klägerin ein Sozialhilfeanspruch gegen die Beigeladene erwachsen ist, dem Beklagten, der die Leistungen tatsächlich an die Klägerin ausgezahlt hat, ein Erstattungsanspruch gegen die Beigeladene zusteht. Dieser beruht hier auf § 105 SGB X, der – anders als die spezialgesetzlichen Erstattungsansprüche des Dreizehnten Kapitels des SGB XII – auch auf die Geldleistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung anwendbar ist (§ 44 Abs. 3 SGB XII). Die Voraussetzungen des § 105 SGB X sind erfüllt. Aus dem oben Gesagten ergibt sich, dass der Beklagte als unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat und die Beigeladene zuständig gewesen wäre. Es liegt auch kein Fall des (vorrangigen) § 102 Abs. 1 SGB X vor. Zwar hat der Beklagte sich zur Erledigung des Eilverfahrens nur zu einer vorläufigen Leistungserbringung bereiterklärt. Dazu war er jedoch nicht aufgrund gesetzlicher Vorschriften verpflichtet. Insbesondere lag kein Fall des § 43 Abs. 1 SGB I vor, denn nicht der Beklagte, sondern die Beigeladene war hier der von der Klägerin zuerst angegangene Leistungsträger. Der Erstattungsanspruch des Beklagten scheitert auch nicht daran, dass die Beigeladene selbst bereits an die Klägerin geleistet hätte (§ 105 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz SGB X). Schließlich war der Beigeladenen ihre Leistungspflicht auch schon am 1. Oktober 2014 bekannt (vgl. § 105 Abs. 3 SGB X), weil die Klägerin die streitgegenständlichen Leistungen zuvor bereits bei ihr beantragt hatte. Die fehlerhafte rechtliche Würdigung des Sachverhalts durch die Beigeladene, die von der Zuständigkeit des Beklagten ausging, steht der Kenntnis der Voraussetzungen der Leistungspflicht nicht entgegen. Der Umfang des Erstattungsanspruchs (und damit auch der Umfang der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X) richtet sich gemäß § 105 Abs. 2 SGB X nach den für den zuständigen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften. Er entspricht damit vollständig dem Anspruch, den die Klägerin mit ihrem Hilfsantrag gegen die Beigeladene verfolgt. Unerheblich für den Eintritt der Erfüllungsfiktion ist, ob der Beklagte seinen Erstattungsanspruch gegen die Beigeladene (noch) durchsetzen kann (woran nicht nur wegen der Ausschlussfrist des § 111 SGB X, sondern auch wegen der vorgelegten Vereinbarung der hessischen Kreise und kreisfreien Städte über die Zuständigkeit und Kostenerstattung bei der Hilfegewährung an Frauen und deren minderjährige, unverheiratete Kinder in Frauenhäusern Zweifel bestehen). Die Erfüllungsfiktion tritt bereits mit der Entstehung des Erstattungsanspruchs ein; dessen Erfüllung ist für sie unerheblich (BSG, Urteil vom 29. April 1997 – 8 RKn 29/95, SozR 3–1300 § 107 Nr. 10).

Rein vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass der Beklagte nicht berechtigt ist, aufgrund seines im Eilverfahren erklärten Vorbehalts die der Klägerin gezahlten Leistungen zurückzufordern, soweit sein Erstattungsanspruch gegen die Beigeladene reicht. Eine Rückforderung nach § 50 SGB X scheidet im Anwendungsbereich der Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X aus (Roller in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 107 Rn. 8). Der erstattungsberechtigte Träger kann ausschließlich nach §§ 102 ff. SGB X gegen den erstattungsverpflichteten Träger vorgehen; ihm steht insoweit kein Wahlrecht zu. § 107 Abs. 1 SGB X bewirkt also letztlich, dass nunmehr ein Rechtsgrund für die von einem unzuständigen Träger erbrachte Leistung besteht (Kater in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 107 SGB X Rn. 12).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er der Frage, inwieweit sich eine aufenthaltsrechtliche Wohnsitzauflage auf den gewöhnlichen Aufenthaltsort auswirkt, grundsätzliche Bedeutung beimisst (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Zumindest für das Sozialhilferecht ist diese Frage noch nicht ausreichend höchstrichterlich geklärt, wie die divergierenden Entscheidungen der Landessozialgerichte zeigen.
Rechtskraft
Aus
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