S 40 U 268/13

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
40
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 40 U 268/13
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten in einem Überprüfungsverfahren über das Vorliegen und die Entschädigung einer Berufskrankheit durch Kobalteinwirkungen.

Der 1938 geborene Kläger war bei seiner versicherten Tätigkeit von 1976 bis Mitte 2003 einer Kobaltbelastung ausgesetzt. Nach Angaben des Präventionsdienstes der Beklagten sei mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass zumindest bis 1992 der Kobaltgrenzwert im Pulvermischraum, dem Arbeitsplatz des Klägers, deutlich überschritten worden sei. Persönliche Schutzausrüstung sei bis Ende der achtziger Jahre nur in Form einer Grobstaubmaske verwendet worden.

Der Kläger erkrankte an einer Prostata- und einer Nierenkrebserkrankung. Mit Bescheid vom 10. Mai 2006 lehnte die Beklagte unter anderem die Anerkennung der Tumorerkrankungen beim Kläger als Berufskrankheit (BK 1302 und "wie"- Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII) ab. Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 2008 zurückgewiesen. Die Beklagte hatte unter anderem ausgeführt, zusammenfassend müsse festgestellt werden, dass Kobalt nach dem medizinisch wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht geeignet sei, die beim Kläger bestehenden Beschwerden, insbesondere die Tumorerkrankungen, hervorzurufen.

Im sich darauf anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Hamburg (Aktenzeichen S 40 U 68/08) holte das Gericht unter anderem ein Gutachten des Dr. S. vom 21. Juni 2011 ein. Zusammengefasst führte der Gutachter aus: Es sei nicht mit ausreichender Sicherheit zu belegen, dass die beim Kläger diagnostizierten und unabhängig voneinander entstandenen Karzinome der Prostata und der Nieren in einen Zusammenhang mit der Kobaltexposition stehen würden. Im Termin am 23. September 2011 nahm der Kläger sein Klagebegehren hinsichtlich der Anerkennung der beruflichen Verursachung der Tumorerkrankungen in Bezug auf die Kobaltbelastung aufgrund des Gutachtens von Dr. S. zurück.

Mit Schriftsatz vom 11. September 2012 stellte der Kläger einen Überprüfungsantrag bei der Beklagten und bat um erneute Prüfung des Zusammenhangs seiner Tumorerkrankungen mit der beruflichen Belastung durch Kobalt.

Mit dem Bescheid vom 31. Juli 2013 lehnte die Beklagte die Änderung der Ausgangsbescheide mit der Begründung ab, ein Zusammenhang zwischen den Tumorerkrankungen beim Kläger mit der beruflichen Kobaltbelastung sei nicht gegeben. Es seien weder neue Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ein Anhaltspunkt für eine eventuelle Rechtswidrigkeit der Ausgangsbescheide ergebe, noch gebe es arbeitsmedizinisch wissenschaftliche Erkenntnisse, wonach die beruflichen Stoffe geeignet seien, eine Prostata- bzw. Nierenkrebserkrankung zu verursachen.

Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 26. August 2013 als unbegründet zurückgewiesen.

Am 4. September 2013 hat der Kläger dagegen Klage erhoben. Er trägt unter anderem vor, er sei im Zeitraum von 1976 bis 2003 einer erheblichen beruflichen Kobaltbelastung ausgesetzt gewesen. Hierfür müsse er zumindest eine einmalige Entschädigung der Beklagten erhalten. Als Nachweis hierfür reichte er unter anderem Auszüge des Gutachtens von Dr. S. vom 21. Juni 2011 ein. Der Kläger weist ausdrücklich darauf hin, dass Dr. S. auch bestätigt habe, dass Kobalt ein krebserregender Stoff der Klasse II sei.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen (sinngemäß gefasst),

den Bescheid der Beklagten vom 31. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. August 2013 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchs-bescheides vom 14. Februar 2006 aufzuheben und festzustellen, dass die Tumorerkrankungen beim Kläger durch die Kobaltbelastung verursacht wurden und als Berufskrankheit festzustellen,

hilfsweise

die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger eine Einmalzahlung für den Zeitraum von 1976 bis 2003 zu leisten.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Die Beklagte bezieht sich im Wesentlichen auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.

Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhaltes die Verwaltungsakten der Beklagten und der Beigeladenen (Beschluss vom 9. Oktober 2013) beigezogen. Das Gericht hat weiter am 4. März 2016 den Sachverhalt mit den Beteiligten ausführlich erörtert. In dem Erörterungstermin hat das Gericht angekündigt, dass beabsichtigt ist, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden. Den Beteiligten ist eine angemessene Frist zur Stellungnahme gewährt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte des Gerichts sowie der beigezogenen Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht aufweist und der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt ist.

Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.

Ein Anspruch des Klägers auf Rücknahme der Ausgangsbescheide der Beklagten besteht nicht. Der Bescheid der Beklagten vom 31. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. August 2013 ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte hat bei Erlass des Bescheides vom 10. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2006 weder das Recht unrichtig angewandt, noch ist sie von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erweist, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung seiner Tumorerkrankungen als Berufskrankheit, noch hat er einen Anspruch auf eine Einmalzahlung. Das Gericht vermag keine Anhaltspunkte dafür zu erkennen, dass die Beklagte bei Erlass der Ausgangsbescheide das Recht unrichtig angewandt hat oder von einem falschen Sachverhalt ausgegangen ist.

Nach § 44 Abs.1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Das SGB X folgt dabei, anders als das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht, bei Ansprüchen auf Sozialleistungen dem Grundsatz, dass der materiellen Gerechtigkeit auch für die Vergangenheit Vorrang vor der Rechtsbeständigkeit behördlicher und gerichtlicher Entscheidungen und damit vor der Rechtssicherheit gebührt.

Ein Versicherungsfall der gesetzlichen Unfallversicherung durch die Kobaltbelastung liegt beim Kläger nicht vor. In Betracht kommt vorliegend der Versicherungsfall einer Berufskrankheit nach § 9 SGB VII. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist das Gericht auf die zutreffenden Ausführungen der Beklagten und stellt fest, dass die Beklagte die einschlägigen Vorschriften zutreffend angewandt und sowohl die Anerkennung einer Berufskrankheit, als auch die Anerkennung einer "wie" – Berufskrankheit (§ 9 Abs. 2 SGB VII) zutreffend mit den angefochtenen Bescheiden abgelehnt hat. Insoweit stellt das Gericht formell fest, dass es diesen zutreffenden Ausführungen folgt und von einer weiteren Darstellung absieht (§ 136 Abs. 3 SGG).

Nur ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass nach den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen Dr. S. in seinem Gutachten vom 21. Juni 2011 ganz unmissverständlich ausgeführt wurde, dass ein beruflicher Zusammenhang zwischen den Tumorerkrankungen beim Kläger und der erheblichen Kobaltbelastung, wie sie beim Kläger unstreitig während seiner versicherten Tätigkeit vorgelegen hat, nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht gegeben ist. Zutreffend weist Dr. S. darauf hin, dass Kobalt krebserregende Wirkungen haben kann und in die Kategorie II eingruppiert wurde. Die kanzerogene Wirkung von Kobalt ist aber derzeit nur in Bezug auf eine berufliche Belastung mit Tumorerkrankungen der Atemwege wissenschaftlich zu begründen. Die vom Kläger mehrfach eingereichten Unterlagen, insbesondere die Auszüge aus dem Gutachten des Dr. S., sind insoweit nicht geeignet, die abschließende Kernaussage des Sachverständigen, der einen Zusammenhang gerade nicht für hinreichend wahrscheinlich hält, zu erschüttern.

Nach § 44 Abs. 4 SGB X käme als frühester möglicher Leistungszeitpunkt der 1. Januar 2008 in Betracht, weil eine rückwirkende Änderung nur einen Leistungsanspruch für vier Jahre rückwirkend begründen kann. Hinsichtlich des Begehrens des Klägers bezüglich einer "Einmalzahlung" weist das Gericht darauf hin, dass es keine gesetzliche Anspruchsgrundlage für dieses klägerseitige Begehren für den Zeitraum von 1976 - 2003 gibt. Weiter weist das Gericht insoweit darauf hin, dass ein entsprechender Anspruch nach § 44 Abs. 4 SGB X rechtlich ausgeschlossen wäre. Dies wurde dem Kläger im Erörterungstermin am 4. März 2016 ausführlich erläutert.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved