L 9 AS 3151/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 5 AS 857/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 3151/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 19. Juni 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Umwandlung bislang als Darlehen gewährter Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in einen Zuschuss.

Der 1960 geborene Kläger bezieht seit Juli 2009 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II vom Beklagten.

Nachdem der Kläger bereits im Rahmen des Erstantrages angegeben hatte, dass er einen Schadensersatzbetrag in Höhe von 500.000,00 EUR vom Landtag Baden-Württemberg erwarte, bewilligte ihm der Beklagte in der Folgezeit ab 23.07.2009 Arbeitslosengeld II als Darlehen. Der Beklagte erließ hierfür für die unten genannten Zeiträume jeweils zeitgleich zwei Bescheide. Mit einem Bescheid wurde die Bewilligung der Leistungen als Darlehen gemäß § 9 Abs. 4 i.V.m. § 23 Abs. 5 (in der bis 31.12.2010 geltenden Fassung) bzw. § 24 Abs. 5 (in der ab 01.01.2011 geltenden Fassung) SGB II verfügt. Für die Höhe der Leistungen wurde auf den beigefügten Bescheid verwiesen. In diesem zweiten Bescheid, jeweils mit selben Datum wie der Darlehensbescheid, wurden bei der Berechnung der Leistungen jeweils der maßgebliche Regelsatz sowie die Kosten der Unterkunft und Heizung berücksichtigt. Mit folgenden Bescheiden wurden die darlehensweisen Leistungen gewährt: Je zwei Bescheide vom Für den Zeitraum 12.08.2009 23.07.2009 bis 31.12.2009 02.12.2009 01.01.2010 bis 30.06.2010 25.05.2010 01.07.2010 bis 31.12.2010 13.12.2010 01.01.2011 bis 30.06.2011 26.05.2011 01.07.2011 bis 31.12.2011 15.11.2011 01.01.2012 bis 30.06.2012 22.05.2012 01.07.2012 bis 31.12.2012 20.11.2012 01.01.2013 bis 30.06.2013 13.06.2013 01.07.2013 bis 31.12.2013 20.12.2013 01.01.2014 bis 28.02.2014 17.02.2015 01.03.2015 bis 30.06.2015 02.06.2015 01.07.2015 bis 31.12.2015 08.12.2015 01.01.2016 bis 31.12.2016

In der Zeit vom 01.03.2014 bis 28.02.2015 wurden dem Kläger Leistungen nach dem SGB II als Zuschuss gewährt (vgl. Bewilligungsbescheide vom 26.02.2014 und 20.08.2014).

Nachdem der Kläger keine Belege und Nachweise über die von ihm geltend gemachte Schadensersatzforderung vorlegen konnte, hob der Beklagte mit Bescheid vom 15.11.2016 die Darlehensbescheide auf und gewährte die als Darlehen gewährten Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 23.07.2009 bis 28.02.2014 und die Zeit vom 01.03.2015 bis 31.12.2016 als Zuschuss ohne Rückzahlungsverpflichtung in unveränderter Höhe.

Mit Schreiben vom 16.12.2016, eingegangen beim Beklagten am 19.12.2016, erhob der Kläger hiergegen Widerspruch. Er wehrte sich darin gegen die Umwandlung des Darlehens in einen Zuschuss. Er begehre die alte Regelung des zurückzuzahlenden Darlehens. Es sei nicht ersichtlich, warum der Beklagte auf die Rückzahlung eines mindestens sechsstelligen Betrages verzichten wolle.

Der Beklagte wies diesen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17.02.2017 zurück. Es bestehe bereits kein Rechtschutzbedürfnis. Der Kläger sei durch die Umwandlung der Leistungsgewährung im Bescheid vom 15.11.2016 nicht beschwert. Er sei aufgrund dieser Umwandlung gerade nicht mehr etwaigen finanziellen Problemen in der bestehenden Rückzahlungsverpflichtung bei einem Darlehen ausgesetzt.

Hiergegen hat der Kläger am 20.03.2017 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben und erneut vorgetragen, dass er vom Land Baden-Württemberg eine Schadenersatzzahlung in Höhe von inzwischen 1.000 000,00 EUR aus Staatshaftung erwarte. Weshalb der Beklagte ohne Weiteres auf die Rückzahlung von Arbeitslosengeld II-Leistungen in Höhe von ca. 100.000,00 EUR verzichte, lasse sich dem Widerspruchsbescheid vom 17.02.2017 nicht entnehmen. Nach wie vor lägen die Voraussetzungen für die Gewährung einer darlehensweisen Leistung vor. Der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig und ermessensfehlerhaft.

Das SG hat nach vorheriger Anhörung der Beteiligten die Klage mit Gerichtsbescheid vom 09.06.2017 abgewiesen. Die Klage sei bereits unzulässig. Der Kläger begehre hier die Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides vom 15.11.2016. Der Kläger werde durch den angefochtenen Bescheid nicht beschwert. Es werde ihm durch diesen Bescheid keine Verpflichtung auferlegt, sondern er werde dadurch gerade von der Rückzahlungsverpflichtung des von ihm bezogenen Arbeitslosengeldes II befreit.

Gegen den ihm am 22.06.2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger mit Schreiben vom 24.07.2017, eingegangen am selben Tag beim SG Mannheim, Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erhoben. Zur Begründung trägt er unter anderem vor, dass der Beklagte es unterlassen habe, beim Staatsministerium Baden-Württemberg nachzuforschen. Dann hätte sich herausgestellt, dass der Kläger tatsächlich Anspruch auf eine höhere Summe aus Staatshaftung habe. Es sei widersprüchlich, dass der Beklagte zunächst Darlehen bewilligt habe und dies nun rückgängig machen wolle. Die Umwandlung sei aus sachfremden Erwägungen heraus erfolgt. Er halte daher seine Klage aufrecht. Ersatzweise ändere er die Klage dahingehend, dass festzustellen sei, dass der Widerspruchsbescheid wegen fehlender Begründung und Verzerrung der Darstellung des Sachverhaltes ermessenmissbräuchlich und damit aufzuheben sei.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 19. Juni 2017 sowie den Bescheid des Beklagten vom 15. November 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Februar 2017 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung wird unter anderem vorgetragen, dass die Umwandlung der darlehensweise gewährten Leistungen in einen Zuschuss gerechtfertigt gewesen sei, da die Leistungen bereits ab Beginn hätten zuschussweise gewährt werden müssen. Eine etwaige Schadensersatzforderung wäre nämlich bei Auszahlung als Einkommen im Sinne von § 11 SGB II zu qualifizieren gewesen. Unabhängig davon hätte auch ein rechtmäßiges Darlehen nicht dauerhaft bzw. über mehrere Bewilligungsabschnitte gewährt werden dürfen. Sofern eine Verwertungsmöglichkeit von Vermögen nicht absehbar sei, sei von dessen Unverwertbarkeit auszugehen.

Mit Schreiben vom 22.09.2017 bzw. 25.09.2017 haben der Kläger und der Beklagte ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist auch im Übrigen zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung ist aber nicht begründet. Das SG hat die Klage gegen den Bescheid vom 15.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.02.2017 zu Recht abgewiesen.

Der Kläger begehrt hier mit einer Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) die Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides in der Gestalt des Widerspruchsbescheides, mit welchem die darlehensweisen Leistungen in Zuschüsse umgewandelt wurden.

Eine solche Anfechtungsklage ist jedoch - wie das SG zutreffend ausgeführt hat - bereits unzulässig.

Dem Kläger fehlt für das Begehren, die Leistung weiterhin als Darlehen zu erhalten, bereits das Rechtsschutzinteresse. Im Einklang mit Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) setzt jede an einen Antrag gebundene gerichtliche Entscheidung ein Rechtsschutzinteresse voraus. Nur derjenige, der mit dem von ihm angestrengten gerichtlichen Rechtsschutzverfahren ein rechtsschutzwürdiges Interesse verfolgt, hat einen Anspruch auf eine gerichtliche Sachentscheidung; fehlt es daran, so ist das prozessuale Begehren als unzulässig abzuweisen (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 08.09.2017 - L 32 AS 416/17 NZB - juris). Am Rechtsschutzinteresse fehlt es, wenn eine Verletzung subjektiver Rechte nicht in Betracht kommt, wenn eine Klage selbst im Falle ihres Erfolgs für den Kläger keinerlei rechtlichen oder tatsächlichen Vorteile bringen kann, also wenn die begehrte gerichtliche Entscheidung weder gegenwärtig noch zukünftig die Stellung des Klägers verbessern würde (vgl. BSG, Urteil vom 22.03.2012 – B 8 SO 24/10 R – juris Rn. 10 m.w.N.; Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, Vorbem. vor § 51 Rn. 16a). So ist es hier. Durch den angefochtenen Bescheid wird dem Kläger gerade keine Verpflichtung auferlegt, er wird vielmehr von der bislang bestehenden Rückzahlungsverpflichtung der darlehensweisen gewährten Leistungen befreit. Weitere (neue) Regelungen enthält der Bescheid nicht. Bei der Bewertung, ob ein rechtlicher oder tatsächlicher Vorteil besteht, ist kein allein subjektiver Maßstab anzuwenden. Das bloße Empfinden des Betroffenen, also ein "Nicht-einverstanden-sein", kann allein nicht als Nachteil im Sinne des Rechtsschutzbedürfnisses anerkannt werden. Der Bescheid ist daher unter keinem denkbaren Gesichtspunkt für den Kläger nachteilig. Der Kläger ist durch die Entscheidung des Beklagten vom 15.11.2016 auch nicht verpflichtet, die gewährten Leistungen dauerhaft zu behalten. Es steht ihm selbstverständlich frei - sollte er tatsächlich Schadensersatzzahlungen vom Land Baden-Württemberg erhalten - auf die gewährten Leistungen auch für die Vergangenheit zu verzichten und die nun als Zuschuss gewährten Leistungen an den Beklagten - auch ohne Bestehen eines Darlehensvertrages - freiwillig zurückzuzahlen.

Auch sein weiterer Vortrag, der Beklagte dürfe nicht auf die Rückzahlung der Leistungen verzichten, führt zu keinem anderen Ergebnis. Hier kann der Kläger schon keine Betroffenheit eigener Rechte geltend machen, was jedoch zum Ausschluss von Popularklagen notwendig wäre (vgl. Böttiger in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl. 2014, § 54, Rn. 49; Keller, a.a.O, § 54 Rn. 10). Der Kläger beruft sich mit diesem Argument, der Beklagte dürfe nicht auf die Rückzahlung der Leistungen verzichten, auf den Schutz der Solidargemeinschaft vor einer ungerechtfertigten Inanspruchnahme. Damit macht er die Verletzung von Regelungen geltend, die allein dem öffentlichen Interesse dienen. Die nur indirekte Betroffenheit eines Mitglieds der Solidargemeinschaft genügt nicht (vgl. Keller, a.a.O.). Dies gilt hier insbesondere auch deshalb, da es sich bei dem Kläger um denjenigen handelt, der von der (vermeintlichen) Verletzung des öffentlichen Interesses begünstigt wird.

Soweit der Kläger nun weiter vorträgt, die angegriffene Entscheidung sei aufzuheben, weil in ihr der Sachverhalt falsch dargestellt sei bzw. die Begründung falsch sei, führt dies zu keinem anderen Ergebnis, denn die Beschwer muss im Entscheidungsausspruch, der Regelung des Einzelfalles i.S.d. § 31 SGB X, also im Tenor der Verwaltungsentscheidung, liegen. Dass lediglich die Begründung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung (möglicherweise) falsch ist, genügt nicht (Böttiger, a.a.O., Rn. 46).

Im Übrigen wäre die Klage auch unbegründet, denn der Beklagte hat zu Recht die darlehensweise Gewährung der Leistungen an den Kläger für die Zeit vom 23.07.2009 bis 28.02.2014 und die Zeit vom 01.03.2015 bis 31.12.2016 zurückgenommen und dem Kläger stattdessen diese Leistungen als Zuschuss ohne Rückzahlungsverpflichtung in unveränderter Höhe gewährt. Die Voraussetzungen für die Rücknahme dieser unanfechtbar gewordenen Veraltungsakte lagen vor, da der Beklagte in diesen Zeiträumen das Recht nicht richtig angewandt hat (vgl. § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X)). Die Voraussetzungen für die darlehensweise Gewährung lagen von Anfang an nicht vor, denn unabhängig davon, ob eine ggf. bestehende Schadensersatzforderung überhaupt als Vermögen zu berücksichtigen ist, kann eine Verwertbarkeit von Vermögen i.S. des § 12 Abs. 1 SGB II nur dann angenommen werden, wenn der Berechtigte in der Lage ist, die Verwertung innerhalb einer bei Antragstellung feststehenden Zeitspanne durch eigenes Handeln - autonom - herbeizuführen (BSG, Urteil vom 06.12.2007 – B 14/7b AS 46/06 R –, BSGE 99, 248-252, SozR 4-4200 § 12 Nr. 6). Dies war hier gerade nicht der Fall, denn es ist (nach wie vor) völlig ungewiss, ob und ggf. wann der Kläger eine Schadensersatzforderung in der von ihm geltend gemachten Höhe vom Land Baden-Württemberg erhält.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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