Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
51
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 51 KR 3987/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Versicherter ist bei Vorliegen einer Bescheinigungslücke so zu stellen, als hätte er die weitere Arbeitsunfähigkeit rechtzeitig ärztlich feststellen lassen, wenn die verspätete ärztliche Feststellung darauf beruht, dass die Krankenkasse von sich aus Auskunft zu den Einzelheiten im Zusammenhang mit dem Krankengeldbezug erteilt hat, diese Auskunft aber auf die Obliegenheit zur rechtzeitigen weiteren ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit keinen Hinweis enthält. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Umfang und die Formulierung der Informationen für den objektiven Empfänger den Eindruck vermitteln, einen umfassenden Überblick über die wesentlichen Aspekte des Krankengeldbezuges zu verschaffen und kein Hinweis enthalten ist, dass es daneben noch weitere zentrale Aspekte gibt, über die sich der Versicherte selbständig informieren muss.
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 16. Juli 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 2015 verurteilt, der Klägerin weiteres Krankengeld für den Zeitraum 23. Mai 2015 bis 28. August 2015 in Höhe von kalendertäglich netto 49,34 EUR (brutto 56,08 EUR) zu zahlen. Die Beklagte erstattet der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über den Anspruch der Klägerin auf (weiteres) Krankengeld für den Zeitraum 23. Mai 2015 bis 28. August 2015. Die Klägerin war im Jahr 2014 bei der Beklagten pflichtversichertes Mitglied aufgrund ihres bis zum 31. Dezember 2014 laufenden Arbeitsverhältnisses.
Aufgrund einer Arbeitsunfähigkeit seit dem 8. Mai 2014 bezog sie seit dem 28. Juni 2014 Krankengeld von der Beklagten (Bescheid vom 20. August 2014) zunächst bis zum 14. No-vember 2014 und dann wieder ab dem 1. Januar 2015.
Für diese Arbeitsunfähigkeit legte die Klägerin - nach den Angaben der Beklagten im Wider-spruchsbescheid vom 28. Oktober 2015 - einschließlich der Bescheinigung vom 27. April 2015 lückenlose Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Die Beklagte gewährte dementsprechend Krankengeld. Für den Zeitraum 1. Mai 2015 bis 22. Mai 2015 betrug dieses Krankengeld ka-lendertäglich 56,08 EUR brutto bzw. 49,34 EUR netto.
Im engeren Zusammenhang mit dem hier streitbefangenen Zeitraums legte die Klägerin der Beklagten die Bescheinigung vom 27. April 2015 (Gültigkeitszeitraum bis zum 22. Mai 2015), die Bescheinigung vom 27. Mai 2015 (Gültigkeitszeitraum 23. Mai 2015 bis zum 26. Juni 2015, die Bescheinigung vom 29. Juni 2015 (Gültigkeitszeitraum 23. Mai 2105 bis zum 31. Juli 2015), die Bescheinigung vom 29. Juli 2015 (Gültigkeitszeitraum 23. Mai 2015 bis zum 28. August 2015) sowie die Bescheinigung vom 7. August 2015 (Gültigkeitszeitraum 20.12.2014 bis zum 28. August 2015) vor.
Bereits mit Schreiben vom 2. Januar 2014 (im Zusammenhang mit einer Krankschreibung seit dem 15. Oktober 2013) hatte die Beklagte der Klägerin ein Informationsschreiben zum Thema Krankengeld zukommen lassen. Darin heißt es: "[ ] Damit Sie wissen, womit sie bei einer längeren Erkrankung rechnen können, haben wir für Sie die wichtigsten Eckpunkte zum Thema Krankengeld in dem beigefügten Merkblatt zusammengefasst." Es folgen vier Absätze die jeweils wie folgt überschrieben sind: "Wie berechnet sich das Krankengeld?", "Mit dem Aus-zahlungsschein zum Arzt!", "Ihr Krankengeld wird immer rückwirkend ausgezahlt." sowie "Ihre Beiträge". Diesem Schreiben war – wie angekündigt – ein "Merkblatt Krankengeld" beigefügt. Dieses Merkblatt umfasste acht Absätze mit folgenden Überschriften: "Wie berechnet sich das Krankengeld?", "Rund um die Krankengeldzahlung", "Alles was über den Anspruch auf Krankengeld wissen müssen", "Krankengeldanspruch und Rentenversicherung", "Krankengeld und Steuer", "Beachten Sie bitte", "Darüber hinaus ist wichtig", "Datenschutz", "Haben sie Anspruch auf Zuschuss zum Krankengeld".
Mit Bescheid vom 16. Juli 2015 (und quasi wortgleich mit Bescheid vom 4. August 2015) teilte die Beklagte der Klägerin mit, Krankengeld könne nur bis zum zweiten 22. Mai 2015 gezahlt werden. Ab dem 23 Mai 2015 sei die Klägerin nicht mehr bei der Beklagten mit Anspruch auf Krankengeld versichert. Denn die ärztliche Feststellung ihrer weiteren Arbeitsunfähigkeit vom 27. Mai 2015 sei nicht bis zum letzten Tag ihrer bisherigen Krankschreibung, also bis zum 22. Mai 2015 erfolgt.
Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. Oktober 2015 zurückwies. Zur Begründung führte die Beklagte aus, für die Beurteilung des Anspruchs auf Krankengeld sei das Versicherungsverhältnis zum Zeitpunkt des Entstehens des Anspruchs maßgebend. Bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit, aber abschnittsweise Krankengeldbewilligung beziehungsweise –zahlung seien diese Voraussetzungen für jeden Bewilligungs- bzw. Zahlungsabschnitt eigenständig zu prüfen. Für die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf Krankengeld sei es deshalb grundsätzlich erforderlich, dass die weitere Ar-beitsunfähigkeit vor Ablauf des Krankengeldbewilligung bzw. -zahlungsabschnitts erneut ärztlich festgestellt werde. Diese Grundsätze habe das Bundessozialgericht in ständiger Recht-sprechung aufgestellt. Da das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin am 31. Dezember 2014 geendet habe, sei es zur Aufrechterhaltung des Anspruchs auf Krankengeld erforderlich ge-wesen, die weiteren Zeiträume der Arbeitsunfähigkeit jeweils spätestens am letzten Tag des vorhergehenden Zeitraums ärztlich feststellen zu lassen. Vorliegend sei die Arbeitsunfähigkeit erstmals am 13. Mai 2014 und danach ununterbrochen bis zum 22. Mai 2015 ärztlich festge-stellt worden. Danach sei die Arbeitsunfähigkeit erst am 27. Mai 2015 (für die Zeit seit 23. Mai 2015) wieder festgestellt worden. Zu diesem Zeitpunkt habe aber kein Versicherungsverhältnis mehr bestanden, aus dem ein Anspruch auf Krankengeld habe hergeleitet werden können.
Die Klägerin hat gegen diese Entscheidungen am 17. November 2015 Klage erhoben, mit der sie Krankengeld für den Zeitraum 23. Mai 2015 bis zum bis 28. August 2015 geltend macht. Zur Begründung führt sie aus, sie sei durchgehend arbeitsunfähig gewesen. Dies würde sich aus den vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen auch ergeben. Am 22. Mai 2015 habe sie einen schweren Migräneanfall erlitten. Sie habe bei ihrer Ärztin angerufen und einen Termin für den 25. Mai 2015 vereinbart. Ein Arztbesuch am 25. oder 26. Mai 2015 sei dann aber an der Arbeitsunfähigkeit der Ärztin gescheitert. Am 27. Mai 2015 habe die Klägerin dann zur Ärztin gehen können, die ihre weitere Arbeitsunfähigkeit festgestellt habe. Die Klägerin habe sich bei ihrem Vorgehen auf die Informationen der Beklagten, die sie zum Thema Krankengeld von dieser erhalten habe, verlassen. Aufgrund der dort enthaltenen Formulierung "Alles, was Sie über den Anspruch auf Krankengeld wissen müssen." sei sie davon ausgegangen, dass Sie alles Notwendige und Wichtige wisse. Sie vertraue grundsätzlich den Angaben der Beklagten. Dass sie dafür Sorgen tragen müsse, dass keine Lücke auf dem Papier entstehe, sei ihr nicht bekannt gewesen. Ihr sei nicht bewusst gewesen, dass sie notfalls zu einer anderen Arztpraxis habe gehen müssen. Wenn die Beklagte auch grundsätzlich keine Informationspflicht habe, so müsse eine erteilte Auskunft dennoch richtig und vollständig sein. Dies ergebe sich § 15 Abs. 1 und Abs. 2 SGB I sowie § 2 Abs. 2 SGB I. Vor dem Hintergrund, dass die Lücke bei Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen regelmäßig die Gerichte beschäftige, gehöre zu einer vollständigen Auskunft auch der Hinweis, dass notfalls ein anderer Arzt aufgesucht werden müsse, um eine Lücke zu verhindern. Daher seien vorliegend die Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches erfüllt. Denn die Beklagte habe durch ihr Informationsschreiben den – unzutreffenden – Eindruck erweckt, dass sie über alles Wichtige im Zusammenhang mit dem Krankengeldbezug informiert worden sei. Wäre sie über die Notwendigkeit von nahtlosen Bescheinigungen informiert worden, hätte sie am 25. Mai 2015 ihre Ärztin um einen Hausbesuch gebeten.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16. Juli 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 2015 zu verurteilen, ihr weiteres Krankengeld für den Zeitraum 23. Mai 2015 bis 28. August 2015 in Höhe von kalendertäglich netto 49,34 EUR (brutto 56,08 EUR) zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid. Sie trägt zudem vor, dass zum die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hinsichtlich des Nahtlosigkeitserfordernisses erst Ende 2014 endgültig bestätigt worden sei. Bei der Beklagten sei vor diesem Zeitpunkt auch nicht in der heutigen Strenge auf die Lückenlosigkeit geachtet worden.
Das Gericht hat am 23. Mai 2017 einen Termin zur Erörterung des Sachverhalts durchgeführt. Zu dessen Inhalt wird auf das Protokoll verwiesen.
Die Beteiligten haben im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 23. Mai 2017 ihr Einver-ständnis mit einer schriftlichen Entscheidung gemäß § 124 Abs. 2 SGG erklärt.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhand-lung entscheiden, weil die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben.
Die Klage ist als Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und Abs. 4 SGB V zu-lässig und begründet. Die Beklagte hat die Krankengeldzahlung für den Zeitraum vom 23. Mai 2015 bis 28. August 2015 zu Unrecht abgelehnt. Der Klägerin stand auch für diesen Zeitraum ein Anspruch auf Krankengeld gegen die Beklagte zu.
Dieser Anspruch ergibt sich aus § 44 Abs. 1 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld unter anderem dann, wenn eine Krankheit sie arbeitsunfähig macht.
Die Klägerin war seit dem 8. Mai 2014 einschließlich des gesamten hier streitgegenständlichen Zeitraum aufgrund ihrer Erkrankung durchgängig arbeitsunfähig. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig und ergibt sich für den hier streitgegenständliche Zeitraum auch aus den von der Klägerin bei der Beklagten eingereichten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen.
Die Klägerin war auch mit Anspruch auf Krankengeld bei der Beklagten versichert. Für die Zeit bis zum Ende ihres Beschäftigungsverhältnisses war sie beim Beklagten nämlich gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V versichert und damit nicht gemäß § 44 Abs. 2 SGB V vom Krankengeld-bezug ausgeschlossen. Dieses Versicherungsverhältnis bestand gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V durch den ununterbrochenen Krankengeldanspruch bis zum 22. Mai 2015 fort.
Die Klägerin war aber auch über den 22. Mai 2015 hinaus weiter auf Grundlage des § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V mit Anspruch auf Krankengeld bei der Beklagten versichert.
Zwar weist die Beklagte zutreffend auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (z.B. Urteil vom 10. Mai 2012, Az: B 1 KR 19/11 R, juris, dort Rz 28) hin, nach der – wenn wie hier das Arbeitsverhältnis bereits beendet ist und das Versicherungsverhältnis mit Anspruch auf Krankengeldzahlung nur nach Maßgabe des §§ 192 SGB V durch die fortlaufende Gewährung von Krankengeld aufrechterhalten wird – eine Bescheinigungslücke, d.h. die ärztliche Feststel-lung der weiteren Arbeitsunfähigkeit erst nach Ablauf des vorangegangenen ärztlich beschei-nigten Zeitraums der Arbeitsunfähigkeit, zur Beendigung des Versicherungsschutzes nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V und damit zum endgültigen Verlust des Krankengeld Anspruches führt (wenn sich nicht ein anderes Versicherungsverhältnis mit Anspruch auf Krankengeld anschließt).
Dies gilt aber nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts dann nicht, wenn eine un-zutreffende Beratung den Versicherten/die Versicherte davon abgehalten hat, seine/ihre Ob-liegenheiten zu erfüllen. In einem solchen Fall ist der/die Versicherte so zu stellen als habe er/sie innerhalb der ablaufenden Frist seine Arbeitsunfähigkeit ärztlich feststellen lassen (Bundessozialgericht, Urteil vom 16. Dezember 2014, Az: B 1 KR 37/14 R, juris, dort Rz 25).
Ein solcher Fall ist hier anzunehmen. Denn dem vom Bundesozialgericht genannten Fall einer unzutreffenden Information muss auch der Fall gleichgestellt werden, in dem die Krankenkasse den Versicherten/die Versicherte in einem wesentlichen Punkt unvollständig informiert.
Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Umfang und die Formulierung der Informationen für den objektiven Empfänger den Eindruck vermitteln, einen umfassenden Überblick über die we-sentlichen Aspekte des Krankengeldbezuges zu verschaffen und kein Hinweis enthalten ist, dass es daneben noch weitere zentrale Aspekte (insbesondere Obliegenheiten oder Mitwir-kungspflichten, deren Nichtbeachtung den kompletten Verlust des Krankengeldanspruches zur Folge haben können) gibt, über die sich der Versicherte/die Versicherte selbständig informieren muss.
Diese Bewertung ergibt sich insbesondere im Lichte des § 15 Abs. 2 SGB I i.V.m. § 2 Abs. 2 SGB I.
§ 2 Abs. 2 SGB I lautet:
"Die nachfolgenden sozialen Rechte sind bei der Auslegung der Vorschriften dieses Gesetz-buchs und bei der Ausübung von Ermessen zu beachten; dabei ist sicherzustellen, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden."
Dieser sogenannten Effektuierungsgrundsatz des § 2 Abs. SGB I hat insbesondere bei den Ansprüchen auf Auskunft und Beratung (§§ 14 und 15 SGB I) eine erhebliche Bedeutung (vgl. Niedermeyer in: BeckOK Sozialrecht, Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, 45. Edition, Stand: 01.06.2017, § 2, Rz 9).
In § 15 Abs. 2 SGB I ist geregelt:
"Die Auskunftspflicht erstreckt sich auf die Benennung der für die Sozialleistungen zuständigen Leistungsträger sowie auf alle Sach- und Rechtsfragen, die für die Auskunftsuchenden von Bedeutung sein können und zu deren Beantwortung die Auskunftsstelle imstande ist."
Zwar gilt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – wie die Beklagte zutreffend ausführt – grundsätzlich, dass die Krankenkassen nicht verpflichtet sind, ihre Versicherten ohne konkrete Anhaltspunkte für einen entsprechenden Beratungsbedarf über die im Zusammenhang mit dem Krankengeldbezug für die Versicherten bestehenden Obliegenheiten aufzuklären (Bundessozialgericht, Urteil vom 10. Mai 2012, Az: B 1 KR 19/11 R, juris, dort Rz 28).
Die Beklagte ist vorliegend aber ganz offenbar – wie aus dem Schreiben vom 2. Januar 2014 und dem übersandten Merkblatt Krankgeld erkennbar wird – von einem grundsätzlichen In-formationsbedarf der Klägerin ausgegangen und hat ihr umfangreiche Informationen zukommen lassen. Bereits das Bundessozialgericht hatte in seinem Urteil vom 10. Mai 2012, Az: B 1 KR 19/11 R, juris, dort Rz 28, formuliert: "Die differenzierende gesetzliche Regelung der Krg-Ansprüche mag zwar eine Aufklärung der Versicherten über ihre Obliegenheiten wünschens-wert erscheinen lassen[ ]" Diesem grundsätzlichen Beratungs-/Auskunftsbedürfnis der Ver-sicherten wollte die Beklagte mit ihrem Schreiben und Merkblatt offenbar gerecht werden.
Wenn dann aber – wie hier – die Krankenkasse bei Beginn des Krankengeldbezugs den Ver-sicherten/bzw die Versicherte von sich aus mit umfangreichen Informationen dazu versorgt, wie der Krankengeldbezug im Einzelnen funktioniert, dann müssen diese Informationen, wenn sie nicht ausdrücklich erkennen lassen, dass sie nur einen unvollständigen Überblick der we-sentlichen Aspekte bieten, die für die Versicherten wichtigsten Punkte zutreffend und vollständig darstellen.
Vorliegend haben der Umfang und die Formulierung der Informationen (z.B. "Rund um die Krankengeldzahlung", "Alles was über den Anspruch auf Krankengeld wissen müssen", "Be-achten Sie bitte", "Darüber hinaus ist wichtig") für den objektiven Empfänger den Eindruck vermittelt, einen umfassenden Überblick über die wesentlichen Aspekte des Krankengeldbe-zuges zu verschaffen. Es war kein Hinweis enthalten, dass es daneben noch weitere zentrale Aspekte, insbesondere Obliegenheiten oder Mitwirkungspflichten gibt, deren Nichtbeachtung den kompletten Verlust des Krankengeldanspruches zur Folge haben können. Vor diesem Hintergrund konnte die Klägerin erwarten dass in dem Schreiben alle Sach- und Rechtsfragen, die für ihn von Bedeutung sein können (vgl. § 15 Abs. 2 SGB I), angesprochen worden waren und musste nicht damit rechnen, dass ihr noch zentrale Informationen fehlen.
Tatsächlich aber fehlte aber jeder Hinweis auf die Obliegenheit der Klägerin, ihre weitere Ar-beitsunfähigkeit jeweils rechtzeitig (d.h. im streitgegenständlichen Zeitraum: innerhalb der Gültigkeitszeitraumes der aktuellen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung) ärztlich feststellen zu lassen, sowie auf die gravierenden Folgen der Verletzung dieser Obliegenheit. Dieses rechtli-che Erfordernis war – entgegen dem Vortrag der Beklagten im Erörterungstermin – auch bereits zum Zeitpunkt des Informationsschreibens im Januar 2014 vom Bundessozialgericht aufgestellt worden (vgl. Urteil vom 10. Mai 2012, Az: B 1 KR 19/11, juris, dort Rz 22) und stellte auch im Januar 2014 bereits einen zentralen Punkt im Bereich der sozialgerichtlichen Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Krankengeldbezug dar. Umso erstaunlicher ist es, dass diese Obliegenheit in dem umfangreichen Informationsschreiben keine Erwähnung fand.
Bei dieser Sachlage ist die Unvollständigkeit der erteilten Informationen in diesem Punkt als Pflichtverletzung der Beklagten zu werten, so dass vorliegend nach dem sozialrechtlichen Herstellungsgedanken die rückwirkende Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ausnahmsweise als ausreichend anzusehen ist (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 16. Dezember 2014, Az: B 1 KR 37/14 R, juris, dort Rz 25.). Denn bei einer vollständigen Information der Klägerin wäre ihr die Bedeutung einer rechtzeitigen Feststellung der weiteren Arbeitsunfähigkeit für ihren Krankengeldanspruch bewusst gewesen und sie hätte die Möglichkeit gehabt, für eine recht-zeitige erneute Feststellung Sorge zu tragen (durch eine frühzeitigere Neufeststellung oder – wie die Klägerin selbst vorträgt – indem sie ihre Ärztin am 22. Mai 2015 um einen Hausbesuch gebeten hätte oder durch einen Vertretungsarzt oder im Notfall über den kassenärztlichen Notdienst). Zugleich gab es im Gegensatz zu einem/einer Versicherten, der/die keine Informa-tionen zum Krankengeldbezug von der Krankenkasse erhalten hat, für die Klägerin wegen der den Eindruck der Vollständigkeit erweckenden Information durch die Beklagte keinen Anlass, sich über eventuell zu beachtenden Punkte im Zusammenhang mit dem Krankengeld selb-ständig zu informieren.
Die vorstehenden Ausführungen gelten nicht nur für die "Bescheinigungslücke" zwischen dem 22. Mai 2015 und dem 27. Mai 2015 sondern gleichermaßen auch für die Lücke zwischen dem 26. Juni 2015 und dem 29. Juni 2015. Denn auch diese wäre für die Klägerin bei vollständiger Information durch die Beklagte vermeidbar gewesen.
Vor diesem Hintergrund ist die Klägerin im Sinne des sozialrechtlichen Herstellungsanspruch so zu stellen als habe sie die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen alle jeweils rechtzeitig eingeholt. Das Versicherungsverhältnis mit Anspruch auf Krankengeld wirkte daher gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V über den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum fort, so dass die Klägerin einen Anspruch auf Krankengeld auch für diesen Zeitraum hat.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Sache. Anhaltspunkte für eine abweichende Kostenverteilung ergaben sich vorliegend nicht.
Die Berufung bedurfte nicht der Zulassung, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes aus-weislich des gestellten Klageantrages 750 EUR übersteigt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über den Anspruch der Klägerin auf (weiteres) Krankengeld für den Zeitraum 23. Mai 2015 bis 28. August 2015. Die Klägerin war im Jahr 2014 bei der Beklagten pflichtversichertes Mitglied aufgrund ihres bis zum 31. Dezember 2014 laufenden Arbeitsverhältnisses.
Aufgrund einer Arbeitsunfähigkeit seit dem 8. Mai 2014 bezog sie seit dem 28. Juni 2014 Krankengeld von der Beklagten (Bescheid vom 20. August 2014) zunächst bis zum 14. No-vember 2014 und dann wieder ab dem 1. Januar 2015.
Für diese Arbeitsunfähigkeit legte die Klägerin - nach den Angaben der Beklagten im Wider-spruchsbescheid vom 28. Oktober 2015 - einschließlich der Bescheinigung vom 27. April 2015 lückenlose Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Die Beklagte gewährte dementsprechend Krankengeld. Für den Zeitraum 1. Mai 2015 bis 22. Mai 2015 betrug dieses Krankengeld ka-lendertäglich 56,08 EUR brutto bzw. 49,34 EUR netto.
Im engeren Zusammenhang mit dem hier streitbefangenen Zeitraums legte die Klägerin der Beklagten die Bescheinigung vom 27. April 2015 (Gültigkeitszeitraum bis zum 22. Mai 2015), die Bescheinigung vom 27. Mai 2015 (Gültigkeitszeitraum 23. Mai 2015 bis zum 26. Juni 2015, die Bescheinigung vom 29. Juni 2015 (Gültigkeitszeitraum 23. Mai 2105 bis zum 31. Juli 2015), die Bescheinigung vom 29. Juli 2015 (Gültigkeitszeitraum 23. Mai 2015 bis zum 28. August 2015) sowie die Bescheinigung vom 7. August 2015 (Gültigkeitszeitraum 20.12.2014 bis zum 28. August 2015) vor.
Bereits mit Schreiben vom 2. Januar 2014 (im Zusammenhang mit einer Krankschreibung seit dem 15. Oktober 2013) hatte die Beklagte der Klägerin ein Informationsschreiben zum Thema Krankengeld zukommen lassen. Darin heißt es: "[ ] Damit Sie wissen, womit sie bei einer längeren Erkrankung rechnen können, haben wir für Sie die wichtigsten Eckpunkte zum Thema Krankengeld in dem beigefügten Merkblatt zusammengefasst." Es folgen vier Absätze die jeweils wie folgt überschrieben sind: "Wie berechnet sich das Krankengeld?", "Mit dem Aus-zahlungsschein zum Arzt!", "Ihr Krankengeld wird immer rückwirkend ausgezahlt." sowie "Ihre Beiträge". Diesem Schreiben war – wie angekündigt – ein "Merkblatt Krankengeld" beigefügt. Dieses Merkblatt umfasste acht Absätze mit folgenden Überschriften: "Wie berechnet sich das Krankengeld?", "Rund um die Krankengeldzahlung", "Alles was über den Anspruch auf Krankengeld wissen müssen", "Krankengeldanspruch und Rentenversicherung", "Krankengeld und Steuer", "Beachten Sie bitte", "Darüber hinaus ist wichtig", "Datenschutz", "Haben sie Anspruch auf Zuschuss zum Krankengeld".
Mit Bescheid vom 16. Juli 2015 (und quasi wortgleich mit Bescheid vom 4. August 2015) teilte die Beklagte der Klägerin mit, Krankengeld könne nur bis zum zweiten 22. Mai 2015 gezahlt werden. Ab dem 23 Mai 2015 sei die Klägerin nicht mehr bei der Beklagten mit Anspruch auf Krankengeld versichert. Denn die ärztliche Feststellung ihrer weiteren Arbeitsunfähigkeit vom 27. Mai 2015 sei nicht bis zum letzten Tag ihrer bisherigen Krankschreibung, also bis zum 22. Mai 2015 erfolgt.
Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. Oktober 2015 zurückwies. Zur Begründung führte die Beklagte aus, für die Beurteilung des Anspruchs auf Krankengeld sei das Versicherungsverhältnis zum Zeitpunkt des Entstehens des Anspruchs maßgebend. Bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit, aber abschnittsweise Krankengeldbewilligung beziehungsweise –zahlung seien diese Voraussetzungen für jeden Bewilligungs- bzw. Zahlungsabschnitt eigenständig zu prüfen. Für die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf Krankengeld sei es deshalb grundsätzlich erforderlich, dass die weitere Ar-beitsunfähigkeit vor Ablauf des Krankengeldbewilligung bzw. -zahlungsabschnitts erneut ärztlich festgestellt werde. Diese Grundsätze habe das Bundessozialgericht in ständiger Recht-sprechung aufgestellt. Da das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin am 31. Dezember 2014 geendet habe, sei es zur Aufrechterhaltung des Anspruchs auf Krankengeld erforderlich ge-wesen, die weiteren Zeiträume der Arbeitsunfähigkeit jeweils spätestens am letzten Tag des vorhergehenden Zeitraums ärztlich feststellen zu lassen. Vorliegend sei die Arbeitsunfähigkeit erstmals am 13. Mai 2014 und danach ununterbrochen bis zum 22. Mai 2015 ärztlich festge-stellt worden. Danach sei die Arbeitsunfähigkeit erst am 27. Mai 2015 (für die Zeit seit 23. Mai 2015) wieder festgestellt worden. Zu diesem Zeitpunkt habe aber kein Versicherungsverhältnis mehr bestanden, aus dem ein Anspruch auf Krankengeld habe hergeleitet werden können.
Die Klägerin hat gegen diese Entscheidungen am 17. November 2015 Klage erhoben, mit der sie Krankengeld für den Zeitraum 23. Mai 2015 bis zum bis 28. August 2015 geltend macht. Zur Begründung führt sie aus, sie sei durchgehend arbeitsunfähig gewesen. Dies würde sich aus den vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen auch ergeben. Am 22. Mai 2015 habe sie einen schweren Migräneanfall erlitten. Sie habe bei ihrer Ärztin angerufen und einen Termin für den 25. Mai 2015 vereinbart. Ein Arztbesuch am 25. oder 26. Mai 2015 sei dann aber an der Arbeitsunfähigkeit der Ärztin gescheitert. Am 27. Mai 2015 habe die Klägerin dann zur Ärztin gehen können, die ihre weitere Arbeitsunfähigkeit festgestellt habe. Die Klägerin habe sich bei ihrem Vorgehen auf die Informationen der Beklagten, die sie zum Thema Krankengeld von dieser erhalten habe, verlassen. Aufgrund der dort enthaltenen Formulierung "Alles, was Sie über den Anspruch auf Krankengeld wissen müssen." sei sie davon ausgegangen, dass Sie alles Notwendige und Wichtige wisse. Sie vertraue grundsätzlich den Angaben der Beklagten. Dass sie dafür Sorgen tragen müsse, dass keine Lücke auf dem Papier entstehe, sei ihr nicht bekannt gewesen. Ihr sei nicht bewusst gewesen, dass sie notfalls zu einer anderen Arztpraxis habe gehen müssen. Wenn die Beklagte auch grundsätzlich keine Informationspflicht habe, so müsse eine erteilte Auskunft dennoch richtig und vollständig sein. Dies ergebe sich § 15 Abs. 1 und Abs. 2 SGB I sowie § 2 Abs. 2 SGB I. Vor dem Hintergrund, dass die Lücke bei Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen regelmäßig die Gerichte beschäftige, gehöre zu einer vollständigen Auskunft auch der Hinweis, dass notfalls ein anderer Arzt aufgesucht werden müsse, um eine Lücke zu verhindern. Daher seien vorliegend die Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches erfüllt. Denn die Beklagte habe durch ihr Informationsschreiben den – unzutreffenden – Eindruck erweckt, dass sie über alles Wichtige im Zusammenhang mit dem Krankengeldbezug informiert worden sei. Wäre sie über die Notwendigkeit von nahtlosen Bescheinigungen informiert worden, hätte sie am 25. Mai 2015 ihre Ärztin um einen Hausbesuch gebeten.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16. Juli 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 2015 zu verurteilen, ihr weiteres Krankengeld für den Zeitraum 23. Mai 2015 bis 28. August 2015 in Höhe von kalendertäglich netto 49,34 EUR (brutto 56,08 EUR) zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid. Sie trägt zudem vor, dass zum die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hinsichtlich des Nahtlosigkeitserfordernisses erst Ende 2014 endgültig bestätigt worden sei. Bei der Beklagten sei vor diesem Zeitpunkt auch nicht in der heutigen Strenge auf die Lückenlosigkeit geachtet worden.
Das Gericht hat am 23. Mai 2017 einen Termin zur Erörterung des Sachverhalts durchgeführt. Zu dessen Inhalt wird auf das Protokoll verwiesen.
Die Beteiligten haben im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 23. Mai 2017 ihr Einver-ständnis mit einer schriftlichen Entscheidung gemäß § 124 Abs. 2 SGG erklärt.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhand-lung entscheiden, weil die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben.
Die Klage ist als Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und Abs. 4 SGB V zu-lässig und begründet. Die Beklagte hat die Krankengeldzahlung für den Zeitraum vom 23. Mai 2015 bis 28. August 2015 zu Unrecht abgelehnt. Der Klägerin stand auch für diesen Zeitraum ein Anspruch auf Krankengeld gegen die Beklagte zu.
Dieser Anspruch ergibt sich aus § 44 Abs. 1 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld unter anderem dann, wenn eine Krankheit sie arbeitsunfähig macht.
Die Klägerin war seit dem 8. Mai 2014 einschließlich des gesamten hier streitgegenständlichen Zeitraum aufgrund ihrer Erkrankung durchgängig arbeitsunfähig. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig und ergibt sich für den hier streitgegenständliche Zeitraum auch aus den von der Klägerin bei der Beklagten eingereichten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen.
Die Klägerin war auch mit Anspruch auf Krankengeld bei der Beklagten versichert. Für die Zeit bis zum Ende ihres Beschäftigungsverhältnisses war sie beim Beklagten nämlich gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V versichert und damit nicht gemäß § 44 Abs. 2 SGB V vom Krankengeld-bezug ausgeschlossen. Dieses Versicherungsverhältnis bestand gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V durch den ununterbrochenen Krankengeldanspruch bis zum 22. Mai 2015 fort.
Die Klägerin war aber auch über den 22. Mai 2015 hinaus weiter auf Grundlage des § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V mit Anspruch auf Krankengeld bei der Beklagten versichert.
Zwar weist die Beklagte zutreffend auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (z.B. Urteil vom 10. Mai 2012, Az: B 1 KR 19/11 R, juris, dort Rz 28) hin, nach der – wenn wie hier das Arbeitsverhältnis bereits beendet ist und das Versicherungsverhältnis mit Anspruch auf Krankengeldzahlung nur nach Maßgabe des §§ 192 SGB V durch die fortlaufende Gewährung von Krankengeld aufrechterhalten wird – eine Bescheinigungslücke, d.h. die ärztliche Feststel-lung der weiteren Arbeitsunfähigkeit erst nach Ablauf des vorangegangenen ärztlich beschei-nigten Zeitraums der Arbeitsunfähigkeit, zur Beendigung des Versicherungsschutzes nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V und damit zum endgültigen Verlust des Krankengeld Anspruches führt (wenn sich nicht ein anderes Versicherungsverhältnis mit Anspruch auf Krankengeld anschließt).
Dies gilt aber nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts dann nicht, wenn eine un-zutreffende Beratung den Versicherten/die Versicherte davon abgehalten hat, seine/ihre Ob-liegenheiten zu erfüllen. In einem solchen Fall ist der/die Versicherte so zu stellen als habe er/sie innerhalb der ablaufenden Frist seine Arbeitsunfähigkeit ärztlich feststellen lassen (Bundessozialgericht, Urteil vom 16. Dezember 2014, Az: B 1 KR 37/14 R, juris, dort Rz 25).
Ein solcher Fall ist hier anzunehmen. Denn dem vom Bundesozialgericht genannten Fall einer unzutreffenden Information muss auch der Fall gleichgestellt werden, in dem die Krankenkasse den Versicherten/die Versicherte in einem wesentlichen Punkt unvollständig informiert.
Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Umfang und die Formulierung der Informationen für den objektiven Empfänger den Eindruck vermitteln, einen umfassenden Überblick über die we-sentlichen Aspekte des Krankengeldbezuges zu verschaffen und kein Hinweis enthalten ist, dass es daneben noch weitere zentrale Aspekte (insbesondere Obliegenheiten oder Mitwir-kungspflichten, deren Nichtbeachtung den kompletten Verlust des Krankengeldanspruches zur Folge haben können) gibt, über die sich der Versicherte/die Versicherte selbständig informieren muss.
Diese Bewertung ergibt sich insbesondere im Lichte des § 15 Abs. 2 SGB I i.V.m. § 2 Abs. 2 SGB I.
§ 2 Abs. 2 SGB I lautet:
"Die nachfolgenden sozialen Rechte sind bei der Auslegung der Vorschriften dieses Gesetz-buchs und bei der Ausübung von Ermessen zu beachten; dabei ist sicherzustellen, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden."
Dieser sogenannten Effektuierungsgrundsatz des § 2 Abs. SGB I hat insbesondere bei den Ansprüchen auf Auskunft und Beratung (§§ 14 und 15 SGB I) eine erhebliche Bedeutung (vgl. Niedermeyer in: BeckOK Sozialrecht, Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, 45. Edition, Stand: 01.06.2017, § 2, Rz 9).
In § 15 Abs. 2 SGB I ist geregelt:
"Die Auskunftspflicht erstreckt sich auf die Benennung der für die Sozialleistungen zuständigen Leistungsträger sowie auf alle Sach- und Rechtsfragen, die für die Auskunftsuchenden von Bedeutung sein können und zu deren Beantwortung die Auskunftsstelle imstande ist."
Zwar gilt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – wie die Beklagte zutreffend ausführt – grundsätzlich, dass die Krankenkassen nicht verpflichtet sind, ihre Versicherten ohne konkrete Anhaltspunkte für einen entsprechenden Beratungsbedarf über die im Zusammenhang mit dem Krankengeldbezug für die Versicherten bestehenden Obliegenheiten aufzuklären (Bundessozialgericht, Urteil vom 10. Mai 2012, Az: B 1 KR 19/11 R, juris, dort Rz 28).
Die Beklagte ist vorliegend aber ganz offenbar – wie aus dem Schreiben vom 2. Januar 2014 und dem übersandten Merkblatt Krankgeld erkennbar wird – von einem grundsätzlichen In-formationsbedarf der Klägerin ausgegangen und hat ihr umfangreiche Informationen zukommen lassen. Bereits das Bundessozialgericht hatte in seinem Urteil vom 10. Mai 2012, Az: B 1 KR 19/11 R, juris, dort Rz 28, formuliert: "Die differenzierende gesetzliche Regelung der Krg-Ansprüche mag zwar eine Aufklärung der Versicherten über ihre Obliegenheiten wünschens-wert erscheinen lassen[ ]" Diesem grundsätzlichen Beratungs-/Auskunftsbedürfnis der Ver-sicherten wollte die Beklagte mit ihrem Schreiben und Merkblatt offenbar gerecht werden.
Wenn dann aber – wie hier – die Krankenkasse bei Beginn des Krankengeldbezugs den Ver-sicherten/bzw die Versicherte von sich aus mit umfangreichen Informationen dazu versorgt, wie der Krankengeldbezug im Einzelnen funktioniert, dann müssen diese Informationen, wenn sie nicht ausdrücklich erkennen lassen, dass sie nur einen unvollständigen Überblick der we-sentlichen Aspekte bieten, die für die Versicherten wichtigsten Punkte zutreffend und vollständig darstellen.
Vorliegend haben der Umfang und die Formulierung der Informationen (z.B. "Rund um die Krankengeldzahlung", "Alles was über den Anspruch auf Krankengeld wissen müssen", "Be-achten Sie bitte", "Darüber hinaus ist wichtig") für den objektiven Empfänger den Eindruck vermittelt, einen umfassenden Überblick über die wesentlichen Aspekte des Krankengeldbe-zuges zu verschaffen. Es war kein Hinweis enthalten, dass es daneben noch weitere zentrale Aspekte, insbesondere Obliegenheiten oder Mitwirkungspflichten gibt, deren Nichtbeachtung den kompletten Verlust des Krankengeldanspruches zur Folge haben können. Vor diesem Hintergrund konnte die Klägerin erwarten dass in dem Schreiben alle Sach- und Rechtsfragen, die für ihn von Bedeutung sein können (vgl. § 15 Abs. 2 SGB I), angesprochen worden waren und musste nicht damit rechnen, dass ihr noch zentrale Informationen fehlen.
Tatsächlich aber fehlte aber jeder Hinweis auf die Obliegenheit der Klägerin, ihre weitere Ar-beitsunfähigkeit jeweils rechtzeitig (d.h. im streitgegenständlichen Zeitraum: innerhalb der Gültigkeitszeitraumes der aktuellen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung) ärztlich feststellen zu lassen, sowie auf die gravierenden Folgen der Verletzung dieser Obliegenheit. Dieses rechtli-che Erfordernis war – entgegen dem Vortrag der Beklagten im Erörterungstermin – auch bereits zum Zeitpunkt des Informationsschreibens im Januar 2014 vom Bundessozialgericht aufgestellt worden (vgl. Urteil vom 10. Mai 2012, Az: B 1 KR 19/11, juris, dort Rz 22) und stellte auch im Januar 2014 bereits einen zentralen Punkt im Bereich der sozialgerichtlichen Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Krankengeldbezug dar. Umso erstaunlicher ist es, dass diese Obliegenheit in dem umfangreichen Informationsschreiben keine Erwähnung fand.
Bei dieser Sachlage ist die Unvollständigkeit der erteilten Informationen in diesem Punkt als Pflichtverletzung der Beklagten zu werten, so dass vorliegend nach dem sozialrechtlichen Herstellungsgedanken die rückwirkende Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ausnahmsweise als ausreichend anzusehen ist (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 16. Dezember 2014, Az: B 1 KR 37/14 R, juris, dort Rz 25.). Denn bei einer vollständigen Information der Klägerin wäre ihr die Bedeutung einer rechtzeitigen Feststellung der weiteren Arbeitsunfähigkeit für ihren Krankengeldanspruch bewusst gewesen und sie hätte die Möglichkeit gehabt, für eine recht-zeitige erneute Feststellung Sorge zu tragen (durch eine frühzeitigere Neufeststellung oder – wie die Klägerin selbst vorträgt – indem sie ihre Ärztin am 22. Mai 2015 um einen Hausbesuch gebeten hätte oder durch einen Vertretungsarzt oder im Notfall über den kassenärztlichen Notdienst). Zugleich gab es im Gegensatz zu einem/einer Versicherten, der/die keine Informa-tionen zum Krankengeldbezug von der Krankenkasse erhalten hat, für die Klägerin wegen der den Eindruck der Vollständigkeit erweckenden Information durch die Beklagte keinen Anlass, sich über eventuell zu beachtenden Punkte im Zusammenhang mit dem Krankengeld selb-ständig zu informieren.
Die vorstehenden Ausführungen gelten nicht nur für die "Bescheinigungslücke" zwischen dem 22. Mai 2015 und dem 27. Mai 2015 sondern gleichermaßen auch für die Lücke zwischen dem 26. Juni 2015 und dem 29. Juni 2015. Denn auch diese wäre für die Klägerin bei vollständiger Information durch die Beklagte vermeidbar gewesen.
Vor diesem Hintergrund ist die Klägerin im Sinne des sozialrechtlichen Herstellungsanspruch so zu stellen als habe sie die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen alle jeweils rechtzeitig eingeholt. Das Versicherungsverhältnis mit Anspruch auf Krankengeld wirkte daher gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V über den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum fort, so dass die Klägerin einen Anspruch auf Krankengeld auch für diesen Zeitraum hat.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Sache. Anhaltspunkte für eine abweichende Kostenverteilung ergaben sich vorliegend nicht.
Die Berufung bedurfte nicht der Zulassung, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes aus-weislich des gestellten Klageantrages 750 EUR übersteigt.
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