S 54 (43,51) VG 255/08

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Dortmund (NRW)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
54
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 54 (43,51) VG 255/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 13 VG 47/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 01.08.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.10.2008 dazu verurteilt, den Bescheid vom 12.08.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.01.2006 zurückzunehmen und der Klägerin unter Anerkennung einer chronisch inflammatorischen demyelisierenden Polyneuropathie (CIPD) als Impfschaden aufgrund der Impfung vom 29.05.2001 ab Juni 2004 Versorgung unter Zugrundelegung eines GdS von 50 zu gewähren Der Beklagte hat die der Klägerin entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt im Wege des Überprüfungsverfahrens nach § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) Versorgung nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen eines geltend gemachten Impfschadens.

Bei der am XX.XX.XXXX geborenen Klägerin verliefen die regelmäßigen kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchungen bis einschließlich der U6 am 03.11.2000 unauffällig. Am 29.05.2001 erfolgte eine Schutzimpfung mit einem Mehrfachimpfstoff gegen Tetanus, Pertussis, Diphterie, Haemophilus und Poliomyelitis (Infanrix + IPV + Hib) sowie einem weiteren Impfstoff gegen Hepatis B (GenH-B-Vax). Anlässlich der Vorsorgeuntersuchung U7 am 29.11.2001 wurde ein fehlendes freies Gehen und ein auffälliges Gangbild sowie ein Fehlen von altersgerechter Sprache verzeichnet. Im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung U8 am 07.10.2003 wurde ein unsicheres Gleichgewicht, Muskelschwäche sowie eine X-Beinstellung festgestellt.

Am 08.10.2003 erfolgte eine erste Vorstellung der Klägerin in der Kinderklinik E mit dem Ergebnis, dass eine Entwicklungsstörung nicht auszuschließen sei und eine weitere Abklärung bei Verdacht auf neuromuskuläre Erkrankung empfohlen werde. Es schlossen sich stationäre Behandlungen in der Kinderklinik E (März und April 2004) zur Abklärung einer Neuropathie an. Im Verlauf der Behandlungen wurde ärztlicherseits der Verdacht auf eine heriditäre-motorisch-sensorische Neuropathie (HMSN) sowie auf eine chronisch-inflammatorische demyelisierende Polyneuropathie (CIDP) geäußert. Ein histopathologisches Gutachten der Klinik für Neuropädiatrie und Muskelerkrankungen des Universitätsklinikums G vom 13.05.2004 führte zu dem Ergebnis, dass der neuropathologische Befund am Nervus suralis am ehesten mit einer HMSN II zu vereinbaren sei und die Ergebnisse ebenfalls eine neuropathologische Zuordnung zu einer CIDP erlaubten. Nach molekulargenetischen Untersuchungen im Institut für Humangenetik der Ruhr-Universität C wurde bei der Klägerin eine Neumutation im EGR II-Gen festgestellt und davon ausgegangen, dass die Mutation für die Polyneuropathie bei der Klägerin ursächlich sei (Bericht des Instituts für Humangenetik vom 13.07.2004).

Am 22.06.2004 stellte die Klägerin, vertreten durch ihre Mutter, beim damals zuständigen Versorgungsamt E einen Antrag auf Beschädigtenversorgung wegen eines Impfschadens. Als aus der Schutzimpfung vom 29.05.2001 herrührende Gesundheitsstörungen gab sie eine allgemeine Entwicklungsstörung, Muskelhypotonie bei neuromuskulärer Arthropie sowie stoffwechselbedingten Dauerdurchfall an. Hinsichtlich des Krankheitsverlaufs nach der Schutzimpfung wurde angegeben, dass die Klägerin 14 Tage nach der Impfung angefangen habe zu fallen und nicht rennen, springen oder klettern könne. Mit ihrem Antrag legte die Klägerin Kopien des Impfbuches sowie einer ärztlichen Bescheinigung des Kinderarztes Dr. L vor, der sich entnehmen lässt, dass die im Impfbuch verzeichnete Impfung vom 29.03.2001 auf den 29.05.2001 verschoben war. Auf Anfrage des Versorgungsamtes erteilte das Gesundheitsamt der Stadt E die Auskunft, dass es sich bei der Impfung vom 29.05.2001 um eine öffentlich empfohlene Impfung gehandelt habe. Auf Anforderung des Versorgungsamtes legte die Klägerin das kinderärztliche Vorsorgeheft sowie die vorerwähnten ärztlichen Berichte und einen weiteren aktuellen Bericht der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Klinikums E vom 06.09.2004 vor. In diesem Bericht wird eine Behandlung mit Immunglobulinen bei CIDP und heriditärer HMSN beschrieben, und mitgeteilt, dass eine eindeutige klinische Besserung nicht zu verifizieren war.

In einer hierzu eingeholten versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 11.08.2005 gelangte Frau Dr. D zu der Einschätzung, dass bei der Klägerin eine heriditäre (angeborene) motorisch-sensorische Neuropathie bestehe, die Ursache der bestehenden motorischen Störungen sei. Diese Erkrankung stehe in keinerlei kausalem Zusammenhang zu der angeschuldigten Impfung. Soweit differentialdiagnostisch zusätzlich das Vorliegen einer CIDP diagnostiziert worden sei, spreche der Umstand, dass nach Verabreichung von Immunglobulinen eine sichere klinische Besserung nicht habe beobachtet werden können gegen das Vorliegen dieser Erkrankung.

Unter Zugrundelegung der versorgungsärztlichen Ausführungen lehnte das Versorgungsamt E den Antrag der Klägerin durch Bescheid vom 12.08.2005 ab. Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 02.01.2006 als unbegründet zurückgewiesen.

In dem sich anschließenden Klageverfahren S 19 VJ 3/06 zog das Gericht weitere ärztliche Unterlagen bei. In einem Bericht der Klinik für Kinder – und Jugendmedizin des Klinikums E vom 27.01.2005 wird die Einschätzung vertreten, dass eine eindeutige Zuordnung des bei der Klägerin bestehenden neurologischen Krankheitsbildes zum aktuellen Zeitpunkt nicht gelinge. Es bestehe der Verdacht auf eine sogenannte HMSN bzw. CIDP. Es bleibe zum jetzigen Zeitpunkt sicherlich offen, ob der zeitliche Zusammenhang mit einer Impfung eher zufälliger oder kausaler Natur sei. In einem Bericht des Zentrums für Kinderheilkunde und Jugendmedizin des Universitätsklinikums G vom 23.01.2006 wird es nach dortiger stationärer Behandlung der Klägerin für denkbar gehalten und als in der Literatur beschrieben bezeichnet, dass bei der Klägerin beide Komponenten einer motorischen Neuropathie, nämlich eine heriditäre sowie eine inflammatorische vorliegen könnten. Letztlich werde die Differenzierung zwischen einer heriditären Neuropathie und CIDP nur zu sichern sein, wenn die Erkrankung auf konsequente Therapie anspreche bzw. nicht anspreche. Der Beklagte legte sodann ein auf seine Veranlassung erstattetes wissenschaftlich begründetes Gutachten nach Aktenlage von Prof. Dr. T, Arzt für Mikrobiologie und Kinder- Jugendmedizin, vom 11.08.2006 vor. Dieser vertrat nach Auswertung der bis zu diesem Zeitpunkt aktenkundigen ärztlichen Unterlagen die Auffassung, dass die Klägerin an einer heriditären motorischen Neuropathie (HMSN) leide und die über längere Zeit vermutete Beteiligung einer chronisch inflammatorischen demyelisierenden Polyneuropathie (CIDP) aufgrund fehlender Therapieerfolge nicht habe gesichert werden können. Damit sei eine ursächliche Mitwirkung der angeschuldigten Impfungen am Zustandekommen der Gesundheitsstörung mehr unwahrscheinlich als wahrscheinlich. Auf Anfrage des Gerichts erteilten die behandelnden Ärzte der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Klinikums E (Dr. T und Dr. C) die Auskunft, dass derzeit eine entzündliche Komponente im Sinne einer CIDP weder 100prozentig zu sichern noch 100prozentig auszuschließen sei. Weitere klinische Verlaufskontrollen seien der Familie empfohlen worden.

In einem Termin zur mündlichen Verhandlung vom 05.12.2006 erfolgte sodann eine Rücknahme der Klage im Verfahren S 19 VJ 3/06 durch die Klägerin.

Am 29.03.2007 beantragte die Klägerin eine Überprüfung des ablehnenden Bescheides vom 12.08.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.01.2006 nach § 44 SGB X. Zur Begründung legte sie eine zwischenzeitlich von ihr eingeholte Auskunft des Q-F-Instituts – erstattet durch den Kinderarzt Dr. N – vom 19.02.2007 vor. In der Auskunft wird ärztlicherseits die Einschätzung geäußert, dass die bei der Klägerin vorliegenden Symptome für eine spezielle Form der Polyneuropathie im Sinne eines Guillian-Barrè-Syndrom sprächen. Diese sehr seltene Erkrankung trete in der Regel bis 4 Wochen nach einer Impfung auf, wobei die betroffenen Menschen eine auffällige Gangunsicherheit mit zum Teil Lähmungserscheinungen in den Beinen oder Armen zeigten. Hingegen seien Formen von entzündlichen Erkrankungen (z.B. Colitis ulcerosa) unwahrscheinlich in einen Zusammenhang mit einer Impfung zu bringen. Dies gelte auch für Entwicklungsstörungen, die im zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung aufträten. Abschließend werde empfohlen, den Fall an das zuständige Gesundheitsamt zu melden, da ihm (Dr. N) die Symptomatik einer Polyneuropathie bzw. Guillain-Barre-Syndroms nach den Unterlagen durchaus im Zusammenhang mit der Impfung erscheine. Desweiteren legte die Klägerin einen weiteren Bericht der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Klinikums E vom 12.01.2007 vor, dem sich das Bemühen entnehmen lässt, genauer zu klären, ob es sich um eine heriditäre oder entzündliche Störung handelt.

Das Versorgungsamt E zog sodann weitere ärztliche Unterlagen bei: In Berichten des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums F vom 07.05.2007 sowie vom 24.05.2007 werden als Diagnosen neben einer heriditären sensomotorischen Polyneuropathie mit Mutation im ERG-II-Gen eine chronisch inflammatorische demyelisierende Polyneuropathie genannt. Das bei der Klägerin bestehende Krankheitsbild der Polyneuropathie wird dahingehend bewertet, dass von einer heriditären sensomotorischen Polyneuropathie auszugehen sei, die durch eine entzündliche Reaktion getriggert sei, so dass ein kombiniertes Bild vorliege. Aufgrund der entzündlichen Problematik und der subjektiven Befundstabilisierung werde die Fortsetzung der Immunglobulien-Therapie heimatsnah empfohlen. In einem Bericht des Instituts für Neuropathologie des Universitätsklinikums B vom 05.02.2007 über eine Muskel-Nerv-Biopsie erfolgt nach Auswertung der Befunde die abschließende Beurteilung, dass eine zusätzlich zur HMSN bestehende CIDP zwar prinzipiell nicht ausgeschlossen, aber unwahrscheinlich sei.

Nach Abgabe der Akten an den zuständig gewordenen Landschaftsverband Westfalen-Lippe holte dieser einen Befundbericht von dem Kinderarzt Dr. T vom 15.04.2008 ein, dem Kopien der die Klägerin betreffenden Patientenkarteikarte beigefügt waren. Ausweislich dieser Karteikarte datiert die nächste auf die Schutzimpfung vom 29.05.2001 folgende schriftliche Eintragung vom 06.08.2001 mit dem Befund einer Windeldermatitis. Desweiteren wurde ein Befundbericht von der Kinderärztin Frau T vom 27.06.2008 eingeholt, dem sich entnehmen lässt, dass diese die Klägerin während des Zeitraumes vom 16.11.1999 bis zum 24.01.2001 und anschließend nochmals einmalig am 05.10.2006 behandelt hat.

Die Klägerin legte ihrerseits noch einen Bericht von Prof. Dr. L, Leiter des Bereiches Neuropädiatrie der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums N, vom 11.02.2008 vor. Dieser äußerte die Einschätzung, dass bei der Klägerin eindeutig eine HMSN mit Mutation im ERG-II-Gen vorliege. Da andere Befunde, wie die MR-Tomographie der Cauda equina und die Lumbalpunktion eher auf eine CIDP hinwiesen, scheine die Diagnose einer CIDP auf dem Boden einer heriditären, motorisch-sensiblen Neuropathie recht wahrscheinlich. Ein Therapieversuch mit Immunglobulinen erscheine durchaus sinnvoll.

In einer hierzu auf Veranlassung des Beklagten erstatteten ärztlichen Stellungnahme vom 15.07.2008 vertrat dF beratende Ärztin Frau Dr. C die Auffassung, dass bei Wertung der umfangreichen Diagnostik ein wahrscheinlich wesentlicher Zusammenhang der geltend gemachten Impfungen mit den bei der Klägerin vorliegenden gesundheitlichen Problemen nicht gesehen werden könne.

Durch Bescheid vom 01.08.2008 lehnte der Beklagte eine Zurücknahme des Bescheides vom 12.08.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.01.2006 ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass nach erneuter Überprüfung der Angelegenheit ein ursächlicher Zusammenhang der geltend gemachten Gesundheitsstörungen mit der Impfung nicht wahrscheinlich sei. Es bestehe eine genetische Variante, die als Ursache für die festgestellten neurologischen Auffälligkeiten in Betracht komme. Die angeschuldigten Impfungen seien grundsätzlich gut verträglich, Komplikationen nach diesen Impfungen seien extrem selten. Auch erste Symptome der bestehenden Darmerkrankung seien nicht zeitnah zu der geltend gemachten Impfung aufgetreten.

Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass sie am 16.03.2000, 18.05.2000 sowie 01.03.2001 mit dem Impfstoff Gen H-B-Vax gegen Hepatitis-B geimpft worden sei. Nach dieser dreimaligen Impfung sei grundsätzlich die Grundimmunisierung gegen Hepatitis-B abgeschlossen. Gleichwohl sei am 29.05.2001 eine vierte Impfung gegen Hepatitis-B mit demselben Impfstoff erfolgt. Vor der vierten Hepatitis-B Impfung sei durch den behandelnden Arzt nicht überprüft worden, inwiefern die bisher durchgeführten drei Einzelimpfungen die gewünschte Grundimmunisierung ergeben hätten. Dies sei jedoch durch die Bestimmung des sogenannten Hepatitis-B-Wertes (Titer) angezeigt gewesen. Noch am Tag der Impfung habe sie – die Klägerin – Fieber erlitten und angefangen, dauerhaft zu schreien. Sie sei kaum zu beruhigen gewesen. Nach ca. 1 Woche habe sich gezeigt, dass sie deutlich weniger gesprochen habe als zuvor. Sie sei nicht mehr aufgestanden, obwohl sie vor der vierten Impfung gegen Hepatitis-B bereits habe laufen können. Beim Versuch aufzustehen, habe sich ihr Stand als x-beinig und wackelig dargestellt. Sie sei immer wieder zusammengesackt. In Verhalten und Bewegungsabläufen hätten sich deutliche Rückschritte gezeigt, die nicht mehr altersgerecht seien. Anlässlich der Vorsorgeuntersuchungen U7 und U8 sei aufgefallen, dass die Reflexe beidseitig nicht auslösbar waren. Desweiteren habe eine Gleichgewichtsstörung sowie eine vermehrte Fallneigung bestanden. Es habe auch ein Verlauf in Schüben beobachtet werden können; jeweils in mehrwöchigen Abständen hätten sich die Gangunfähigkeit, die Fallneigung sowie die Schwäche in beiden Beinen vermehrt. Bei den beteiligten Behandlern und Gutachtern bestehe Einigkeit dahingehend, dass neben einer als gesichert anzusehenden Erbgutveränderung (Punktmutation) auch eine zusätzliche inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) in Betracht gezogen werden müsse. Während in früheren Berichten aber nur von der Möglichkeit einer solchen Komponente gesprochen worden sei, bestehe nach dem Bericht der Universitätsklinik N vom 11.02.2008 nunmehr der dringende Verdacht auf das Vorliegen einer solchen Erkrankung, da die Klägerin auch ärztlicherseits objektivierte Symptome gezeigt habe, die mit einer CIDP korrelierten.

In einer anschließend hierzu erstatteten weiteren ärztlichen Stellungnahme vom 09.10.2008 führte die ärztliche Beraterin des Beklagten Frau Dr. C aus, dass nach dem von der STiKO empfohlenen Impfkalender eine vierte Impfung gegen Hepatitis-B durchaus vorgesehen sei. Durch ärztliche Befunde sei in keinster Weise zeitnah zu der Impfung am 29.05.2001 eine neurologische Verschlechterung dokumentiert, so dass sie bei der bisherigen Bewertung verbleibe.

Durch Widerspruchsbescheid vom 31.10.2008 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin sodann als unbegründet zurück.

Hiergegen richtet sich die am 02.12.2008 erhobene Klage, mit der die Klägerin ihr Begehren auf Gewährung einer Beschädigtenversorgung unter Anerkennung einer CIDP als Impfschaden weiter verfolgt.

Zur Begründung ihrer Klage nimmt die Klägerin auf ihre Widerspruchsbegründung Bezug und verweist auf eine von ihr vorgelegte aktenmäßige Stellungnahme durch Dr. I von der Vereinigten IKK. Dieser führt aus, dass unter kritischer Würdigung aller objektivierbaren Anknüpfungspunkte davon ausgegangen werden müsse, dass im Falle der Klägerin die in der Tat zwar seltene, aber wahrscheinlich zu machende Konstellation eines schicksalsmäßigen Impfschadens nach Hepatitis-B-Impfung in Form einer impfgetriggerten CIDP auf dem Boden der genetischen Grunderkrankung vorliege.

Nach einer mündlichen Verhandlung vom 03.06.2011 sowie einer weiteren mündlichen Verhandlung vom 05.03.2013 und Widerruf eines unter Widerrufsvorbehalt geschlossenen Vergleichs durch den Beklagten haben sich die Beteiligten einvernehmlich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Auf Nachfrage des Gerichts hat die Klägerin klargestellt, dass neben der CIDP keine weiteren Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen der Impfung von 29.05.2001 geltend gemacht werden.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

den Bescheid des Beklagten vom 01.08.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.10.2008 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr Beschädigtenversorgung nach dem Infektionsschutzgesetz i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz wegen der Erkrankung an einer chronisch inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie (CIDP) aufgrund der Impfung vom 29.05.2001 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Er hält die angefochtenen Bescheide unter Bezugnahme auf die im Klageverfahren vorgelegten Stellungnahmen seiner beratenden Ärztin Frau Dr. C und der von ihm vorgelegten Stellungnahmen des Arztes für Kinder- und Jugendmedizin Prof. Dr. L – Leiter des Bereiches Neuropädiatrie am Universitätsklinikum N – für rechtmäßig.

Das Gericht hat einen Bericht der Kinder- und Jugendklinik E vom 08.04.2009, einen Bericht der Fachklinik für Kinderneurologie und Sozialpädiatrie L vom 05.06.2009 und einen Bericht der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin im St. Josef-Hospital C vom 13.12.2008 sowie einen Bericht des Sozialpädiatrischen Zentrums der Kinderklinik F vom 07.05.2007 beigezogen. Auf Anforderung des Gerichts hat das Universitätsklinikum N die Behandlungsdokumentationen bezüglich der Behandlung der Klägerin in der dortigen Klinik und Poliklinik für Kinder – und Jugendmedizin zu den Gerichtsakten übersandt. Das Klinikum E hat auf Veranlassung des Gerichts die Krankenblattunterlagen aus der Kinderklinik des Hauses sowie eine CD mit den MRT-Befunden übersandt. Desweiteren sind vom Universitätsklinikum F die dortigen Behandlungsunterlagen beigezogen worden. Das Gericht hat Befundberichte eingeholt von dem Kinderarzt Dr. T und der Kinderärztin L, die noch weitere ärztliche Unterlagen beifügte. Auf den Inhalt der beigezogenen ärztlichen Unterlagen sowie der eingeholten Befundberichte wird verwiesen.

Anschließend hat das Gericht weiteren Beweis erhoben durch Einholung eines pädiatrischen Gutachtens von dem Sachverständigen Prof. Dr. L vom 21.02.2010. Dieser gelangt unter Zugrundelegung der Aktenlage sowie nach telefonischer Befragung der Mutter der Klägerin – vorbehaltlich der Richtigkeit ihrer Angaben hinsichtlich des Auftretens der ersten polyneuropathischen Symptomatik innerhalb von 14 Tagen nach der Impfung – zu dem Ergebnis, dass eine bei der Klägerin vorliegende chronische entzündliche demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) sowie eine Colitis ulcerosa so gut wie sicher auf die Impfung vom 29.05.2001, namentlich auf die verabreichten Impfstoffe gegen Hepatitis-B, Diphterie und Tetanus im Sinne der Entstehung zurückzuführen seien. Die daneben bei der Klägerin vorliegende genetisch bedingte neurodegenerative Erkrankung (HMSN), deren Beginn (im Gegensatz zur CIDP) nicht unmittelbar postvakzinal im Juni 2001 angesetzt werden könne, sei nicht mit der nötigen Sicherheit im Sinne einer teilursächlichen Verschlimmerung auf die Impfung vom 29.05.2001 zurückzuführen. Die in den ärztlichen Unterlagen gelegentlich zur Diskussion gestellte impfbedingte Manifestationprovokation der HMSN sei theoretisch zwar nicht undenkbar, bleibe aber im konkreten Fall reine Spekulation. Die Auswirkungen des schädigungsbedingten Anteils der Polyneuropathie, d. h. allein der CIDP werden von dem Sachverständigen Prof. Dr. L mit einem Grad der Schädigung (GdS) von 50 und die Auswirkungen der Colitis ulcerosa mit einem GdS von 30 bemF. Hinsichtlich aller weiteren Einzelheiten des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Gutachtens von 21.02.2010 Bezug genommen.

Der Beklagte hat anschließend eine weitere gutachtliche Stellungnahme nach Aktenlage seiner ärztlichen Beraterin Frau Dr. C vom 15.04.2010 vorgelegt. Sie vertritt die Auffassung, dass die Diagnose einer CIDP nicht als belegt angesehen werden könne, und selbst im Falle der Unterstellung einer nachgewiesenen CIDP die verschiedenen Informationen zum Verlauf in sich nicht konsistent in Bezug auf einen engen zeitlichen Zusammenhang mit der am 29.05.2001 durchgeführten Mehrfachimpfung sein. Die von dem Sachverständigen Prof. Dr. L ebenfalls als Impfschaden bewertete Colitis ulcerosa könne nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft nicht in einen wahrscheinlich wesentlichen Zusammenhang mit der Impfung gebracht werden.

Das Gericht hat hierzu eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Dr. L vom 10.05.2010 eingeholt, in der dieser bei seiner Auffassung verbleibt und feststellt, dass bei der Klägerin neben der genetisch bedingten HMSN ohne jeden vernünftigen Zweifel auch eine CIDP bestehe.

Sodann hat der Beklagte eine Stellungnahme nach Aktenlage des Arztes für Kinder- und Jugendmedizin Prof. Dr. L (Leiter des Bereiches Neuropädiatrie am Universitätsklinikum N) vom 20.08.2010 vorgelegt. Dieser gelangt nach Auseinandersetzung mit den bei der Klägerin erhobenen aktenkundigen Befunden zu der Einschätzung, dass diese für das Vorliegen einer HMSN in der Dejerine-Sottas-Variante mit frühem schwerem Verlauf und gegen das Vorliegen einer CIDP sprächen. Hierzu verweist Prof. Dr. L insbesondere auf den Liquorbefund, die elektrophysiologischen Befunde und den Nachweis der Wurzelveränderungen in der spinalen Kernspintomographie, die seiner Auffassung nach gut zu der Variante der Dejerine-Sottas passen. Überdies spreche auch der gesamte klinische Verlauf gegen das Vorliegen einer CIDP.

Das Gericht hat anschließend eine weitere ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Dr. L vom 26.11.2010 eingeholt, der unter Auseinandersetzung mit den Ausführungen von Prof. Dr. L weiterhin seine bisherige Auffassung vertritt und die vorgetragene Diagnose einer HMSN vom Typ Dejerine-Sottas für nicht belegbar hält. Der akute Beginn der Erkrankung spreche für eine CIDP; im Gegensatz dazu setze eine HMSN quasi schleichend ein und nehme in der Lähmungssymptomatik erst langsam weiter zu. Desweiteren sei der schubweise Verlauf der Erkrankung typisch für CIDP, nicht hingegen für die (bei der Klägerin zusätzlich vorhandene) HMSN. Dabei sei zu beachten, dass mit dem kontinuierlichen Fortschreiten der HMSN der schubweise Verlauf der zusätzlich vorhandenen CIDP zunehmend verdeckt werde.

Der Beklagte hat hierzu eine nochmalige Stellungnahme von Prof. Dr. L vom 09.03.2011 überreicht. Dieser verbleibt bei seiner bisherigen Auffassung und führt an, dass das stärkste Argument gegen das Vorliegen einer CIDP die fehlende Ansprechbarkeit auf therapeutische Maßnahmen, wie Steroide oder Immunglobuline sei.

In einem Termin zur mündlichen Verhandlung vom 03.06.2011 hat das Gericht die Mutter der Klägerin persönlich zur ersten Impfreaktion gehört. Wegen ihrer Angaben wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift verwiesen. In dem Termin hat die Klägerin zur Stützung ihres Klagevorbringens einen Bericht des Sozialpädiatrischen Zentrums L über eine dortige ambulante Vorstellung am 02.07.2010 sowie weitere Berichte dieser Klinik über stationäre Aufenthalte in 2010 und 2011 überreicht.

Der Beklagte hat hierzu eine weitere Stellungnahme von Prof. Dr. L vom 07.07.2011 vorgelegt, der nach Auswertung der Berichte seine Auffassung wiederholt, dass durch den bisherigen Gesamtverlauf, bei dem keinerlei Befundverbesserung, sondern im Gegenteil eine Befundverschlechterung eingetreten sei, belegt werde, dass keine CIPD vorliege.

Im Anschluss an den weiteren Termin zur mündlichen Verhandlung vom 05.03.2013 hat der Beklagte nochmals eine Stellungnahme seiner ärztlichen Beraterin Frau Dr. C vom 25.03.2013 vorgelegt, die weiterhin die Auffassung vertritt, dass eine CIPD nicht als hinreichend belegt angesehen werden könne.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten sowie der Akten des Verfahrens S 19 VJ 3/06 und der Akten nach dem Schwerbehindertenrecht, die der Kammer vorgelegen haben, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Urteil entscheiden, da die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben.

Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid vom 01.08.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.10.2008 beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG, weil dieser rechtswidrig ist. Entgegen der Auffassung des Beklagten liegen die Voraussetzungen für eine Zurücknahme des Bescheides vom 12.08.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.01.2006 nach § 44 SGB X vor.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Das seinerzeit zuständige Versorgungsamt E hat es durch Bescheid vom 12.08.2005 zu Unrecht abgelehnt, der Klägerin auf ihren Antrag vom 22.06.2004 eine Beschädigtenversorgung nach dem Infektionsschutzgesetz i.V.m dem Bundesversorgungsgesetz wegen einer auf die Impfung vom 29.05.2001 zurückzuführenden CIDP zu gewähren.

Der Anspruch der Klägerin, der für die Zeit ab Antragstellung im Juni 2004 (gem. § 44 Abs. 4 Satz 3 SGB X) zu prüfen ist, richtet sich nach den ab 01.01.2001 in Kraft getretenen Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes (IfSG). Gem. § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erhält derjenige, der durch eine Impfung, die gesetzlich vorgeschrieben oder aufgrund dieses Gesetzes angeordnet oder von einer zuständigen Behörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen oder aufgrund der Verordnung zur Ausführung von internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist, eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens im Sinne des § 2 Nr. 11 auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes, soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes bestimmt. Nach § 2 Nr. 11 IfSG ist ein Impfschaden im Sinne dieses Gesetzes die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung.

Nach der nunmehr maßgeblichen Terminologie des Bundessozialgerichtes müssen die Impfung, der Eintritt einer über eine übliche Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (Impfkomplikation) sowie eine dauerhafte gesundheitliche Schädigung (Impfschaden) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit – im sogenannten Vollbeweis – feststehen (vgl. BSG, Urteil vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10R mit Hinweisen zur abweichenden Terminologie in der Rechtsprechung des BSG nach dem Bundesseuchengesetz, wonach als Impfschaden die über die übliche Impfreaktion hinausgehende Schädigung, also das zweite Glied der Kausalkette, bezeichnet wurde). Allein für den Zusammenhang zwischen der Impfung und der Impfkomplikation (im Sinne einer impfbedingten Primärschädigung) sowie zwischen dieser und dem Impfschaden (im Sinne einer dauerhaften gesundheitlichen Schädigung) ist der Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit ausreichend (§ 61 Satz 1 ISfG). Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn mehr Umstände für als gegen die Kausalität sprechen. Die bloße Möglichkeit reicht nicht aus (vgl. BSG aaO m.w.N).

Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

Die Kammer geht in Übereinstimmung mit den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. L davon aus, dass die Klägerin entgegen der Angaben im Impfbuch (mit dem Datum 29.03.2001 für die hier in Rede stehende Impfung) erst am 29.05.2001 mit einem Mehrfachimpfstoff (Infanrix + IPV + Hib) gegen Tetanus, Diphterie, Keuchhusten, Haemophilus und Polyomyelitis sowie mit dem Impfstoff Gen H-B-Vax gegen Hepatitis-B geimpft worden ist. Die Verschiebung der offenbar zunächst für den 29.03.2001 vorgesehenen Impfung auf den 29.05.2001 ergibt sich aus der von dem Kinderarzt Dr. T im Verwaltungsverfahren übersandten Patientenkarteikarte und der von dem seinerzeit impfenden Kinderarzt Dr. L ausgestellten ärztlichen Bescheinigung vom 06.01.2003. Zutreffend weist der Sachverständige Prof. Dr. L nach Durchsicht aller Unterlagen darauf hin, dass die Impfung gegen Hepatitis-B in der Patientenkarteikarte sowie auch in der vorbezeichneten ärztlichen Bescheinigung unzutreffend als dritte Hepatitis-B Impfung bezeichnet wurde, da ausweislich der Eintragungen in der Patientenkarteikarte sowie auch im Impfbuch bereits zuvor am 01.03.2001 eine dritte Impfung gegen Hepatitis-B erfolgt war. Es ist daher in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Prof. Dr. L davon auszugehen, dass es sich tatsächlich am 29.05.2001 um eine vierte Impfung gegen Hepatitis-B gehandelt hat. Die am 29.05.2001 verabreichten Impfungen erfolgten aufgrund öffentlicher Empfehlungen. Dies gilt nach den insoweit eindeutigen Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. L auch für die vierte Impfung gegen Hepatitis-B, der unter Zugrundelegung der Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STiKO) von Juli 2008 darauf hinweist, dass zwischen dem Alter von ca. 2 Monaten und ca. 14 Monaten vier Hepatitis-B-Impfungen im Falle polivalenter Impfungen zu verabreichen seien, hingegen (angesichts hierbei besserer immunologischer Antwort) nur drei Impfungen im Falle monovalenter Hepatitis-B-Impfung. Im Falle der Klägerin sei nur die Impfung vom 01.03.2001 monovalent gewesen, während zu den drei übrigen Terminen der Hepatitis-B-Impfstoff im Rahmen einer polivalenten Impfung verabreicht worden sei. Nach allem liegt eine Übereinstimmung mit den Empfehlungen der STiKO vor. Dies wird im Übrigen auch von dem Beklagten nicht angezweifelt.

Infolge der am 29.05.2001 verabreichten Impfungen ist es zu einer auffälligen Impfreaktion (Impfkomplikation) im Sinne einer Primärschädigung gekommen, die über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgeht.

Ausweislich der aktenkundigen ärztlichen Unterlagen hat die Mutter der Klägerin im Rahmen der Anamnese wiederholt und kontinuierlich angegeben, dass nach der Impfung bei der Klägerin eine X-Beinstellung, häufigeres Stürzen und eine Gangverschlechterung aufgefallen sei. Bereits anlässlich der zweiten Vorstellung in der Kinderklinik E am 27.11.2003 wird ausweislich des dortigen Berichtes vom 02.12.2003 das Auftreten der auffälligen X-Beinstellung von der Mutter auf einen Zeitpunkt von 14 Tagen nach der Impfung datiert. Hiermit im Wesentlichen übereinstimmend hat die Mutter in dem Antrag auf Beschädigtenversorgung vom 17.06.2004 angeführt, dass die Klägerin 14 Tage nach der Impfung angefangen habe zu fallen und nicht mehr rennen, springen und klettern habe können. Bei Befragung durch den Sachverständigen Prof. Dr. L gab die Mutter – bei wiederholtem Hinterfragen gleichlautend – an, dass noch am Tag der Impfung vom 29.05.2001 ihre Tochter mit Schreien und Fiebrigkeit reagiert habe, ab der zweiten Woche nach der Impfung seien Motorik und Sprache zunehmend auffällig gewesen, schließlich habe sich die Klägerin 14 Tage nach der Impfung nicht mehr hochziehen können, nicht mehr stehen können und nicht mehr gehen können. Wenn man die Klägerin auf den Boden gestellt habe, sei es zu einer Berührung der Knie gekommen und die Beine seien seitlich weggesackt, sie – die Mutter – habe dies als X-Bein-Stellung beschrieben. Das Kind habe nur schlaff auf dem Boden gesF, habe kaum noch reagiert und nicht mehr gesprochen. Die Kammer sieht nach eingehender Würdigung der aktenkundigen Unterlagen keinen Anlass, die Glaubhaftigkeit dieser Angaben in Zweifel zu ziehen, auch wenn diese durch zeitnahe ärztliche Dokumentationen nicht belegt sind. Die Mutter hat ihre Angaben im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 03.06.2011 gegenüber der Kammer bestätigt. Sie hat – wie auch zuvor schon gegenüber dem Sachverständigen Prof. Dr. L – geschildert, dass sie nach Auftreten der Auffälligkeiten im Anschluss an die Impfung immer wieder über Wochen und Monate versucht habe, zu dem Impf- und Kinderarzt Dr. L vorzudringen, jedoch von der Arzthelferin bereits im Vorzimmer konstant abgewiesen worden sei. Gegenüber dem Sachverständigen Prof. Dr. L hat die Mutter der Klägerin hierzu weiter angegeben, dass der Kinderarzt zwei- oder dreimal im Vorzimmer aufgetaucht sei und dabei auch einige Worte mit ihr – der Mutter – gewechselt habe, wobei er den von ihr vorgetragenen Bezug auf die Impfung abgelehnt habe. Der Arzt habe die Klägerin in dieser Situation zwar gesehen, aber nicht eingehend untersucht. Hinsichtlich der Würdigung dieses von der Mutter der Klägerin beschriebenen ärztlichen Abwehrverhaltens schließt sich die Kammer der Einschätzung des in Impfangelegenheiten erfahrenen Sachverständigen Prof. Dr. L an, wonach eine derartige Ablehnung wegen zu befürchtender Rufminderung bzw. etwaigen RegrF häufig bei Ärzten anzutreffen ist. Vor diesem Hintergrund sieht die Kammer keinen Anlass, allein aufgrund der fehlenden zeitnahen Dokumentation einer Beeinträchtigung des Gangbildes im Anschluss an die Impfung an der Glaubwürdigkeit der Mutter zu zweifeln. Da insbesondere die Angaben zu der innerhalb von 14 Tagen nach der Impfung bei der Klägerin aufgetretenen X-Bein-Stellung bereits bei der Vorstellung der Klägerin im Klinikum E am 27.11.2003 zu einem Zeitpunkt erfolgten, der deutlich vor der Antragstellung im Juni 2004 liegt, sind nach Auffassung der Kammer auch keine Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass sich die Mutter bei ihren zeitlichen Angaben von einem Versorgungsbegehren hat leiten lassen.

Nach den Feststellungen des in Impfangelegenheiten erfahrenen Sachverständigen Prof. Dr. L handelt es sich bei der von der Mutter beschriebenen Symptomatik des Auftretens einer X-Bein-Stellung um das typische Geschehen beim Aufstellversuch beingelähmter Kleinkinder. Dabei kommt es zu einer passiven Einwärtsdrehung in den Hüftgelenken, dadurch gegenseitige Berührung der Kniegelenke und anschließend schlaffer Beugung in den (passiv nach einwärts verdrehten) Kniegelenken mit Abweichen der Unterschenkel nach hinten und außen.

Bei den vorbeschriebenen postvakzinalen Lähmungserscheinungen im Bereich der Beine handelt es sich unter Zugrundelegung der überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. L um eine unübliche Impfreaktion im Sinne einer Impfkomplikation. Die Frage, ob ein im Anschluss an eine Impfung aufgetretenes Krankheitsgeschehen mit Wahrscheinlichkeit auf die betreffende Impfung im Sinne einer Impfkomplikation zurückzuführen ist, ist auf der Grundlage des im Entscheidungszeitpunkt neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes bezogen auf den konkret verwendeten Impfstoff zu beantworten (vgl. BSG, Urteil vom 07.04.2001, B 9VJ 1/10 R). Bei der insoweit vorzunehmenden Kausalitätsbeurteilung ist nach den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) in der Fassung des Jahres 2008 auf die Hinweise der beim Robert-Koch-Institut eingerichteten Ständigen Impfkommission (STiKO) von Juni 2007 (Hinweise für Ärzte zum Aufklärungsbedarf über mögliche unerwünschte Wirkungen bei Schutzimpfungen/Stand: 2007, veröffentlicht im Epidemiologischen Bulletin vom 22.06.2007/Nr. 25) abzustellen. Nach Nr. 57 Satz 2 AHP 2008 stellen die Arbeitsergebnisse der STiKO den jeweiligen aktuellen Stand der Wissenschaft dar. Auch nach Inkrafttreten der in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 festgelegten Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VmG) seit dem 01. Januar 2009 behalten die Nrn. 53 bis 143 der AHP, also auch der Verweis in Nr. 57 auf die Mitteilungen der STiKO, weiterhin Gültigkeit als antizipiertes Sachverständigengutachten.

Hinsichtlich des bei der Impfung verwendeten Mehrfachimpfstoffes Infanrix-IPV + Hib ist davon auszugehen, dass er bei Abfassung der STiKO-Hinweise von 2007 Berücksichtigung gefunden hat. Die Kammer vermochte sich unter Zugrundelegung der durch das Q-F-Institut im Internet veröffentlichten Liste der zugelassenen Kombinationsimpfstoffe (www.pei.de) davon zu überzeugen, dass der Impfstoff Infanrix-IPV + Hib erstmalig 1998 zugelassen wurde und auch aktuell weiterhin zu den zugelassenen Impfstoffen gehört. Es kann somit davon ausgegangen werden, dass die Hinweise der STiKO für die Beurteilung von Komplikationen nach Impfungen gegen Tetanus, Diphterie, Keuchhusten, Haemophilus influenzae sowie Polymyelitis auch für die im Jahre 2001 vorgenommene Impfung maßgebend sind. Zutreffend weist der Sachverständige Prof. Dr. L darauf hin, dass in den STiKO-Hinweisen von 2007 als Komplikationen nach Diphterie-Impfstoff u. a. beschrieben werden: ebenfalls sehr selten kann es zu Erkrankungen des peripheren Nervensystems (Mono-und Polyneuritiden, Neuropathie) kommen. Zu Komplikationen nach Diphterie- Tetanus-Impfstoff heißt es: Im Einzelfall kann es zu Erkrankungen des peripheren Nervensystems (Mono- und Polyneuritiden, Neuropathie) kommen. Bei der Klägerin ist eine Impfkomplikation im Sinne dieser Beschreibung eingetreten, da die 14 Tage nach der Impfung aufgetretenen Lähmungserscheinungen im Bereich der Beine nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. L Ausdruck einer ersten polyneuropathischen Symptomatik sind.

Nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. L ist die bei der Klägerin eingetretene Impfkomplikation zusätzlich auch mit Wahrscheinlichkeit auf den verabreichen Impfstoff gegen Hepatitis-B zurückzuführen. Der Sachverständige hat sich bei der insoweit erfolgten Kausalitätsbeurteilung ebenfalls in erster Linie auf die Hinweise der STiKO von Juni 2007 gestützt. Hinsichtlich des bei der Impfung gegen Hepatitis-B verwendeten Impfstoffes Gen H-B-Vax vermochte sich die Kammer aufgrund der ihr vorliegenden Unterlagen zwar nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon zu überzeugen, ob dieser Impfstoff auch aktuell weiterhin Verwendung findet. Der Impfstoff wird in der zuvor bezeichneten durch das Q-F-Institut veröffentlichen Liste der zugelassenen Impfstoffe nicht erwähnt. Nach den Darlegungen des Sachverständigen Prof. Dr. L wird in der "Roten Liste 2009" lediglich das Nachfolgepräparat des Herstellers aufgeführt. Da aber auch bereits in den zum Impfzeitpunkt noch maßgeblichen AHP-1996 (Nr. 57) als Impfkomplikation nach Hepatitis-B-Schutzimpfung folgende Angaben enthalten sind: "sehr selten Neuritis, Polyneuritis, Guillain-Barré-Syndrom" und dieselben Angaben gleichlautend auch in den nachfolgenden AHP 2005 (Nr. 57) enthalten sind, geht die Kammer in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Prof. Dr. L davon aus, dass die bei der Klägerin im Anschluss von 14 Tagen nach der Impfung aufgetretenen neurologischen Symptome mit Wahrscheinlichkeit auf den verabreichten Hepatitis-B-Impfstoff zurückzuführen sind und bei der Klägerin das zwar nur als selten beschriebene, aber dennoch für eine Minderzahl anzuerkennende Impfrisiko einer Nervenerkrankung sich verwirklicht hat. Nach den weiteren Darlegungen des Sachverständigen Prof. Dr. L handelt es sich bei derartigen neurologischen Komplikationen um immunvermittelte Leiden, für die nach Infekt bzw. Infektionen ebenso wie nach Impfungen als Spanne postvakzinaler Inkubationszeit ein Zeitraum von bis zu 4 Wochen allgemein anerkannt wird. Da es bei der Klägerin etwa 14 Tage nach der Impfung zur ersten polyneuropathischen Symptomatik im Sinne von Lähmungserscheinungen der Beine gekommen ist, hält die Kammer den Eintritt einer Impfkomplikation, die nach den medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen mit Wahrscheinlichkeit auf die verabreichte Schutzimpfung vom 29.05.2001 zurückzuführen ist, für erwiesen.

Zur Überzeugung der Kammer liegt bei der Klägerin auch eine dauerhafte Gesundheitsstörung (Impfschaden) in Form einer chronisch entzündlichen demyelisierenden Polyneuropathie (CIDP) vor, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf die vorbeschriebene Impfkomplikation zurückzuführen ist.

Die Kammer schließt sich nach Auseinandersetzung mit allen der in den Akten enthaltenen gutachterlichen Äußerungen, den schlüssig und plausibel begründeten Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. L an, der nach eingehender Würdigung der in den Akten enthaltenen medizinischen Unterlagen und des daraus ersichtlichen Verlaufs der polyneuropathischen Erkrankung bei der Klägerin zu der Einschätzung gelangt, dass neben der gesicherten (zwischen den Beteiligten unstreitigen) Diagnose einer genetisch bedingten chronisch progredienten Neuropathie (HMSN) zusätzlich die Diagnose einer schubweise verlaufenden CIDP zu stellen ist. Als überzeugende Belege für diese Diagnose führt der Sachverständige – neben dem akuten Beginn der ersten polyneuropathischen Symptomatik in einem Zeitabstand von 14 Tagen nach der Impfung – die klinisch-technischen Untersuchungsergebnisse an, nämlich den Nachweis erhöhter Eiweißwerte im Liquor, den Nachweis oligoklonaler Banden sowie einer Schrankenstörung als Hinweis für einen entzündlichen Prozess. Daneben zeigen die MRT-Befunde der unteren Wirbelsäule die Wurzeln und Nervenfasern der sogenannten Cauda equina entzündlich-ödematös angeschwollen im Sinne einer progredienten floriden entzündlichen Aktivität (so Juli 2004, März 2005, Dezember 2006, Januar 2007). Als weiteren Beleg für die Diagnose einer CIDP führt der Sachverständige eine vorübergehende Besserung oder wenigstens Stabilisierung der Erkrankung unter entsprechender Therapie an. Der Sachverständige verweist hierzu auf einen Bericht der Kinderklinik E vom 27.06.2006, dem sich entnehmen lässt, dass die Mutter der Klägerin unter Cortison-Therapie Anfang des Jahres eine leichte Besserung gesehen hat, indem das Kind etwas an Kraft gewonnen, insgesamt stabiler geworden und weniger gefallen sei. Weiter nimmt der Sachverständige auf einen Bericht der Fachklinik L vom 05.06.2009 Bezug, wonach es den Angaben der Mutter zufolge nach einer Immunglobulin-Therapie zunächst zu einer deutlichen Stabilisierung des Gesamtzustandes gekommen sei, der jedoch nach ärztlicher Einschätzung nicht von Dauer war. Ungeachtet dieser von der Mutter beobachteten vorübergehenden geringfügigen Verbesserung unter Therapie ist nach Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr. L eine über die Jahre langsame, aber eindeutige Verschlechterung der polyneuropathischen Erkrankung festzustellen. Für die Diagnose einer CIDP spricht zur Überzeugung der Kammer auch der von dem Sachverständigen angeführte weitere Umstand, dass genetisch bedingte neuro-degenerative Erkrankungen wie die bei der Klägerin diagnostizierte HMSN nur ausnahmsweise schon bei Neugeborenen oder in den ersten Lebensmonaten manifest werden, sondern meistens erst nach Jahren, in manchen Fällen auch nach Jahrzehnten eine Erstmanifestation festzustellen ist.

Die entgegenstehenden Ausführungen des im Auftrag des Beklagten herangezogenen Gutachters Prof. Dr. L sowie dF ärztlicher Beraterin Frau Dr. C, die ausschließlich das Vorliegen einer HMSN bei der Klägerin für erwiesen erachten, vermochten die Kammer nicht zu überzeugen. Prof. Dr. L hält der Argumentation des Sachverständigen Prof. Dr. L entgegen, dass auch bei heriditären motorischen und sensiblen Neuropathien Veränderungen der Cauda equina und der Spinalwurzeln in der Kernspintomographie (MRT) beschrieben würden und im Falle der Klägerin aufgrund des Nachweises einer Punktmutation im EGR2-Gen am ehesten von einer genetisch bedingten Polyneuropathie im Sinne der Dejerine-Sottas Polyneuropathie auszugehen sei, bei der es sich um eine demyelisierende Neuropathie handele und die sich häufig innerhalb der ersten zwei Lebensjahre manifestiere. Desweiteren vertritt Prof. Dr. L die Auffassung, dass insbesondere das fehlende Ansprechen auf immunmodulatorische Therapien eher gegen als für eine CIDP spreche. In seiner letzten Stellungnahme vom 07.07.2011 weist Prof. Dr. L nach Auswertung der von der Klägerin vorgelegten aktuellen Berichte des Lebenszentrums L darauf hin, dass trotz kontinuierlicher Immuntherapie und Steroidtherapie eine progrediente Verschlechterung des neurologischen Befindens bis hin zur absoluten Hilflosigkeit bei der Klägerin eingetreten sei.

Die Kammer hält die vorstehend angeführten Argumente in Übereinstimmung mit der Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr. L für nicht überzeugend. Dieser verbleibt in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 26.11.2010 unter erneuter eingehender Auswertung der aktenkundigen Befunde bei seiner Auffassung, dass von der Doppeldiagnose einer HMSN und einer CIDP auszugehen sei. Dabei weist der Sachverständige zutreffend darauf hin, dass sich Prof. Dr. L mit dem Aspekt der Doppeldiagnose an keiner Stelle auseinandersetzt, sondern ausschließlich mit der Frage, ob die eine oder andere Diagnose bei der Klägerin vorliegt. Hierzu verweist der Sachverständige Prof. Dr. L auf die in den Akten enthaltenen zahlreichen Berichte verschiedener Kliniken, die den Aspekt der Doppelerkrankung diskutieren und auch eine Behandlung unter dem Aspekt der Doppelerkrankung durchgeführt haben. Der Umstand, dass der Gutachter Prof. Dr. L in seinem früheren Bericht als Leiter der Abteilung Neuropädiatrie der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin der Universitätsklinik N vom 11.02.2008 unter Hinweis auf die erhobenen Befunde, Nachweis einer Eiweiß-Erhöhung sowie oligoklonaler Banden im Liquor sowie Veränderungen im Bereich der Cauda equina die Diagnose einer CIDP noch für recht wahrscheinlich gehalten hat, führt dazu, dass es seinen aktuellen Ausführungen an Überzeugungskraft fehlt. Der Versuch, die zu einem frühen Zeitpunkt sowie abrupt eingetretene Erstmanifestation der polyneuropathischen Symptomatik auf die Diagnose einer HMSN im Sinne der Dejerine-Sottas-Variante zurückzuführen, vermag ebenfalls nicht zu überzeugen, da eine derartige Erkrankung nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. L molekulargenetisch nicht erwiesen ist. Prof. Dr. L weist hierzu darauf hin, dass der Morbus Dejerine-Sottas gemeinhin zu den autosomal rezessiven Erbkrankheiten gezählt wird, d. h. dass die ursächliche genetische Veränderung chromosomal doppelt vorhanden sein muss, damit es tatsächlich zur Erkrankung kommt. Im Falle der Klägerin trägt hingegen nur ein Chromosom die ursächliche genetische Veränderung, so dass es sich um eine dominante Form von HMSN handeln muss und die Diagnose des speziellen HMSN-Typs Dejerine-Sottas nicht belegbar ist. Die von Prof. Dr. L mehrfach kritisierte fehlende Ansprechbarkeit auf therapeutische Maßnahmen ist nach der plausiblen Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. L darauf zurückzuführen, dass das Krankheitsbild der CIDP bei der Klägerin zunehmend durch die daneben vorliegende stetig voranschreitende HMSN überdeckt wird. Entgegen der Einschätzung des Gutachters Prof. Dr. L vermochte sich die Kammer nach Einsichtnahme in die aktuellen Berichte des Sozialpädiatrischen Zentrums L auch nicht davon zu überzeugen, dass im Rahmen der weiterhin kontinuierlich durchgeführten Immuntherapie und Steroidtherapie jeglicher Behandlungserfolg ausgeblieben sein soll. Denn ausweislich des Berichtes des Sozialpädiatrischen Zentrums L vom 23.07.2010 über eine physiotherapeutische Verlaufskontrolle am 02.07.2010 zeigte sich dort während der Untersuchungssituation ein Wiedererwerb von zuvor verlorenen motorischen Fähigkeiten im Vergleich zum Vorbefund. Danach erscheint – ungeachtet des aus den Berichten ersichtlichen progredienten Verlaufs der polyneuropathischen Symptomatik mit stetiger Zunahme der motorischen Beeinträchtigungen – eine zumindest vorübergehende, wenn auch nicht stetige Besserung aufgrund der kontinuierlichen Therapie nicht gänzlich ausgeschlossen.

Mit den vorstehenden Feststellungen und Bewertungen stützt sich die Kammer im Wesentlichen auf die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. L, dF langjährige Erfahrung bei der Beurteilung von Impfschäden der Kammer aus anderen Verfahren bekannt ist. Die Ausführungen des Sachverständigen sind in sich schlüssig, nachvollziehbar und logisch. Die Kammer hat daher nach eingehender Beratung seinen gutachtlichen Äußerungen gegenüber den Ausführungen von Prof. Dr. L und Frau Dr. C den Vorzug gegeben.

Infolge des Impfschadens hat die Klägerin einen Anspruch auf Versorgung unter Zugrundelegung eines Grades der Schädigungsfolgen (GdS) von 50. Nach Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr. L sind die Auswirkungen der auf die Impfung zurückzuführenden CIDP mit einem GdS von 50 zu bewerten, während er die Auswirkungen der beiden Polyneuropathien CIDP und der daneben bestehenden (nicht mit der nötigen Wahrscheinlichkeit auf die Impfung vom 29.05.2001 zurückzuführenden) HMSN zusammen mit einem GdS von 100 in Ansatz bringt. Die Kammer hält die von Prof. Dr. L als erfahrenem Sachverständigen vorgenommene Bewertung für angemF, da sie bei analoger Anwendung den Vorgaben für Muskelkrankheiten in Teil B Ziff. 18.6 VmG bzw. Ziff. 26.18 AHP, wonach eine Muskelschwäche mit mittelgradigen Auswirkungen mit einem GdS von 50 – 80 zu bewerten ist, entspricht. Ungeachtet des seit der Begutachtung durch den Sachverständigen Prof. Dr. L im Februar 2010 weiteren progredienten Verlaufs der polyneuropathischen Erkrankung verbleibt es nach Auffassung der Kammer auch für den sich anschließenden Zeitraum bei einem GdS von 50. Hierbei hat sich die Kammer unter Berücksichtigung der Vorgaben in Teil C Ziff. 12 b VmG bzw. Ziff. 47 Abs. 2 AHP von folgenden Erwägungen leiten lassen: Den insoweit eindeutigen Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. L lässt sich entnehmen, dass die bei der Klägerin unstreitig diagnostizierte heriditäre, d. h. genetisch bedingte polyneuropathische Erkrankung (HMSN) bei Eintritt der Schädigung (Zeitpunkt der Impfung) noch nicht manifest war. Der Beginn der durch langsames, allmähliches und nicht akutes Einsetzen der Symptomatik gekennzeichneten HMSN ist nicht unmittelbar postvakzinal, sondern auf einen späteren, von dem Sachverständigen Prof. Dr. L nicht sicher zu datierenden Zeitpunkt anzusetzen. Es handelt sich somit nach Auffassung der Kammer um einen Nachschaden im Sinne der Ziff. 47 Abs. 2 AHP. Eine solche Gesundheitsstörung kann bei der Festsetzung des GdS nicht berücksichtigt werden, auch dann nicht, wenn sie zusammen mit Schädigungsfolgen zu besonderen Auswirkungen führt, bei denen die Schädigungsfolge eine gleichwertige oder überwiegende Bedeutung hat. Da das bei der Klägerin bestehende polyneuropathische Krankheitsbild ausweislich der aktenkundigen ärztlichen Berichte zunehmend progredient ist und nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. L die CIDP durch die stetig zunehmende HMSN überdeckt wird, kann die seit Begutachtung durch den Sachverständigen Prof. Dr. L eingetretene Verschlimmerung des Gesamtbildes der neuromuskulären Erkrankung nicht als schädigungsbedingt gewertet werden, so dass eine Erhöhung des GdS von 50 nicht in Betracht zu ziehen ist. Im Hinblick auf diese Erwägungen hat sich die Kammer zu einer weiteren Beweiserhebung nicht gedrängt gesehen.

Da die Klägerin auf Nachfrage des Gerichts ausdrücklich klargestellt hat, dass neben der CIDP mit der Klage keine weiteren Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen der Impfung vom 29.05.2001 geltend gemacht werden sollen, brauchte sich die Kammer mit der von dem Sachverständigen Prof. Dr. L aufgeworfenen Frage, ob auch eine Colitis ulcerosa bzw. eine Entwicklungsverzögerung als weitere Schädigungsfolgen anzuerkennen sind, nicht auseinandersetzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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