L 9 R 3938/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 2473/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 3938/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 20. September 2017 teilweise aufgehoben.

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig ab dem 24. Juli 2017 bis zur bestandskräftigen Entscheidung über den Antrag vom 20. Februar 2017, längstens jedoch bis zum 31. Dezember 2017, Regelleistungen in Höhe von monatlich 80 vom Hundert des geltenden Regelbedarfes und zusätzlich ab 1. November 2017 bis zur bestandskräftigen Entscheidung über den Antrag vom 20. Februar 2017, längstens jedoch bis zum 31. Dezember 2017, vorläufig Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 326,20 Euro zu zahlen.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen zur Hälfte zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Antragsteller Anspruch auf die vorläufige Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) hat.

Der 1954 geborene Antragsteller hatte bereits am 17.02.2015 beim Antragsgegner Leistungen nach dem SGB II beantragt. Nachdem der Antragsteller am Tag der Antragstellung 10.000,00 Euro von seinem Konto abgehoben hatte, erklärte er hierzu auf Nachfrage des Antragsgegners, dass er das Geld abgehoben habe, um ein Darlehen zurückzubezahlen. Auf weitere Nachfrage wurde zunächst angegeben, dass er sich 2011 insgesamt 15.000,00 Euro für den Kauf eines Autos bei einem Bekannten (Herr D.) geliehen habe, das zum 28.02.2015 zurückzubezahlen gewesen sei. Später trug er vor, dass der Darlehensvertrag erst 2014 geschlossen worden sei. Der Antragsgegner lehnte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 22.04.2015 ab, der hiergegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 04.11.2015). Daraufhin erhob der Antragsteller Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) (S 6 AS 3490/15).

Auf einen erneuten Antrag vom 30.09.2015 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller mit Bescheid vom 16.11.2015 Leistungen nach dem SGB II als Darlehen für die Zeit vom 01.10.2015 bis 29.02.2016.

Der Antragsgegner stellte zudem Strafanzeige gegen den Antragsteller und den Darlehensgeber wegen Betrugsverdachts bezüglich des ersten Antrages vom Februar 2015. Im Zuge der Ermittlungen veranlasste die Staatsanwaltschaft M. eine Wohnungsdurchsuchung beim Antragsteller am 02.02.2016. Bei der in dessen Abwesenheit durchgeführten Durchsuchung wurden Barmittel in Höhe von 17.000,00 Euro in einem Briefumschlag im Sicherungskasten im Flur der Wohnung gefunden. Hierzu gab der Antragsteller später an, er habe das Geld zusammengespart. Zu dem Betrag von 10.000,00 Euro, den er vor der ersten Antragstellung beim Antragsgegner von seinem Konto abgehoben hatte, gab der Antragsteller im Rahmen der Beschuldigtenvernehmung bei der Polizei an, dass er sich im Sommer 2014 bei Herrn D. 15.000,00 Euro geliehen habe. Das Geld habe er mit seiner in T. lebenden Lebensgefährtin dazu verwendet, um eine Tamarindenplantage zu finanzieren. Nachdem er bereits zuvor 5.000,00 Euro an Herrn D. zurückgezahlt habe, habe er im Februar 2015 die restlichen 10.000,00 Euro zurückbezahlt. Das Geld habe er durch den Gewinn aus der Plantage gehabt. Er habe niemals angegeben, dass er das Geld für ein Auto benötige. Die Angaben des Antragsgegners seien falsch. Das Strafverfahren gegen den Antragsteller wurde von der Staatanwaltschaft Mannheim mangels hinreichendem Tatverdacht für eine verfolgbare Straftat nach § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) eingestellt. Es lasse sich nicht mehr feststellen, ob es sich bei dem vom Antragsteller an den Darlehensgeber gezahlten Gelder um fremdes oder eigenes Geld gehandelt habe, d.h. ob der Antragsteller selbst an der Unternehmung in T. beteiligt gewesen sei oder ob er lediglich Darlehen vermittelt habe. Hinsichtlich der in der Wohnung gefundenen 17.000,00 Euro könne man nicht mehr feststellen, ob diese schon zum Zeitpunkt der Antragstellung vorhanden gewesen seien.

Nach Hinweis des SG nahm der Antragsteller die Klage im Verfahren S 6 AS 3490/15 mit Schreiben vom 09.05.2016 zurück. Dabei teilte er mit, die Klagrücknahme erfolge ausdrücklich ohne Eingeständnis der Vorwürfe des Antragsgegners.

Den Weiterbewilligungsantrag des Antragstellers vom 17.02.2016 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 19.02.2016 mit der Begründung ab, der Antragsteller verfüge über Vermögen in Höhe von 17.000,00 Euro, welches den zu dieser Zeit aktuellen Vermögensfreibetrag um 7.100,00 Euro übersteige.

Am 20.02.2017 beantragte der Antragsteller beim Antragsgegner erneut die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Er legte dem Antrag u.a. eine Mietbescheinigung der G.gesellschaft vom 17.02.2017 bei, wonach die monatliche Miete für die von ihm bewohnte Wohnung 326,20 Euro beträgt (= Kaltmiete inklusive Vorauszahlungen für Ver-/ Entsorgung, Heizung und restliche Betriebskosten). Er gab zudem an, dass er nach der Kündigung seines letzten Arbeitsverhältnisses zum 31.01.2017 über keine Einkünfte verfüge. Sein Konto bei der Postbank weise zum 16.02.2017 einen Kontostand von 3.928,00 Euro, sein Sparbuch von 140,00 Euro auf. Über weiteres Vermögen, insbesondere auch Barvermögen, verfüge er nicht.

Der Antragsgegner lehnte den Antrag mit Bescheid vom 04.04.2017 ab. Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 26.06.2017). Der Antragsteller verfüge über Vermögen, das seinen aktuellen Vermögensfreibetrag von 10.050,00 Euro übersteige. Der Antragsteller habe insbesondere nicht darlegen können, dass das bei ihm gefundene Bargeld in Höhe von 17.000,00 Euro verbraucht sei.

Der Antragsteller hat hiergegen am 24.07.2017 Klage beim SG (S 12 AS 2259/17) erhoben und zugleich den vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Er hat in einer eidesstattlichen Versicherung vom 07.08.2017 ausgeführt, dass er außer den Einnahmen aus einer Tätigkeit bei der S. vom 01.09.2016 bis 31.12.2016 (Verdienst in Höhe von insgesamt 6.751,88 Euro) seit Februar 2016 keine Einnahmen gehabt habe. Er habe Fixkosten von monatlich 599,87 Euro, so dass er das gefundene Barvermögen von 17.000,00 Euro, das er sich im Laufe seines Lebens angespart habe, verbraucht habe. Sein aktueller Bargeldbestand betrage 47,00 Euro. Weiter hat er angegeben, dass Rückstände bei der Krankenversicherung bestünden, die inzwischen angedroht habe, diese zu vollstrecken. In einer weiteren eidesstattlichen Versicherung vom 14.08.2017 hat er ausgeführt, dass er niemals Eigentümer einer Plantage in T. gewesen sei. Er schöpfe auch keine Gewinne aus einer Plantage in T. ab. Man habe ihm im Februar 2016 gesagt, er müsse sein Barvermögen verbrauchen und dann könne er einen neuen Antrag stellen. Das habe er nun getan.

Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 20.09.2017 abgelehnt. Dass der Antragsteller den im Februar 2016 bei ihm gefundenen Barbetrag von 17.000,00 Euro inzwischen verbraucht habe, erscheine durchaus nachvollziehbar, da er in dieser Zeit nur 6.751,88 Euro aus einer Erwerbstätigkeit erzielt habe. Es sei aber nicht auszuschließen, dass der Antragsteller auch 2017 wieder Einnahmen aus der Tamarindenplantage in T. erzielt habe. Nach alledem seien daher die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Antragstellers nicht nachvollziehbar glaubhaft gemacht.

Gegen den ihm am 25.09.2017 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 26.09.2017 beim SG Beschwerde eingelegt und zur Begründung nochmals ausgeführt, dass er im Sommer 2014 von Herrn D. 15.000,00 Euro geliehen habe. Seine Bekannte in T. - Frau M. - habe damals eine Tamarindenplantage gepachtet. Mit dem geliehenen Geld habe er seine Bekannte hierbei unterstützt. Nachdem er bereits vorab 5.000,00 Euro zurückbezahlt habe, habe er die restlichen 10.000,00 Euro aus den Einkünften, die nach der Ernte auf der Tamarindenplantage erzielt worden seien, zurückerhalten und im Februar 2015 an Herr D. zurückbezahlt. Er habe aber niemals behauptet, dass er die Plantage erworben habe. Er habe seine Bekannte auch nicht nochmals bei einem solchen Geschäft unterstützt. Er habe keine Einnahmen und kein Vermögen mehr. Er habe sich schon Geld borgen müssen, da zu befürchten sei, dass er ansonsten seine Wohnung verliere. Die bei ihm im Februar 2016 gefundenen Barmittel in Höhe von 17.000,00 Euro habe er im Laufe seines Lebens zusammengespart und da er seit Februar 2016 außer den Einnahmen aus der dreimonatigen Beschäftigung keine Einnahmen gehabt habe, sei das Geld inzwischen verbraucht. Zudem vollstrecke nun die Krankenkasse die offenen Beiträge. Auf Nachfrage des Senats hat der Antragsteller mitgeteilt, dass er im Jahr 2016 vom 16.07.2016 bis 16.08.2016 in T. gewesen sei. Reisekosten seien in Höhe von 800,00 Euro für den Flug entstanden, daneben habe er weitere Aufwendungen von etwa 1.600,00 Euro für die Reise gehabt. Seither sei er nicht mehr in T. gewesen. Er legte eine E-Mail seiner Bekannten aus T. vor, in der diese bestätigte, dass der Antragsteller ihr im Sommer 2014 10.000,00 Euro für die Tamarindenplantage (für Lohnzahlungen, Autos und Werkzeug) geliehen habe. Sie habe diese Plantage nur einmal gepachtet. Sie sei nicht Eigentümerin einer solchen Plantage. Das geliehene Geld habe sie dem Antragsteller vor seiner Rückkehr zurückgegeben. Außerdem legte der Antragsteller seine Kontoauszüge seit Februar 2017 bis 20.10.2017 vor. Zur Erläuterung hat er ausgeführt, dass er zeitweilig mehr Geld abgehoben habe, als er zum Lebensunterhalt gebraucht habe. Dementsprechend habe er dann wieder Einzahlungen der abgehobenen Beträge vorgenommen. Den Kontoauszügen sind folgende Bareinzahlungen und Barabhebungen zu entnehmen:

Einzahlungen Datum Summe 31.07.2017 100,00 Euro 31.08.2017 450,00 Euro 14.09.2017 100,00 Euro 27.09.2017 350,00 Euro

Auszahlungen: Datum Summe 16.02.2017 150,00 Euro 08.03.2017 300,00 Euro 27.03.2017 100,00 Euro 04.04.2017 200,00 Euro 12.04.2017 200,00 Euro 18.04.2017 300,00 Euro 21.04.2017 500,00 Euro 08.05.2017 550,00 Euro 09.05.2017 500,00 Euro 22.05.2017 700,00 Euro 08.06.2017 200,00 Euro

Daneben werden vom Konto regelmäßige Kosten wie Miete, Kabelfernsehen, GEZ und Telefon abgebucht. Außerdem finden sich zwei Einzahlungen der T. Krankenkasse (385,35 Euro am 04.05.2017 und 770,70 Euro am 01.03.2017) sowie eine Steuererstattung in Höhe von 952,63 Euro am 18.05.2017. Der Antragsteller hat weiter angegeben, dass er sich bis Ende Oktober 2017 1.200,00 Euro geborgt habe. Nähere Angaben hierzu hat er nicht gemacht.

Der Antragsteller beantragt (sinngemäß),

unter Aufhebung des Beschlusses des SG Mannheim vom 20. September 2017 den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte des Antragsgegners und die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist im tenorierten Umfang begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht der Fall des Absatzes 1 des § 86b SGG vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Wegen des Gebots, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz), ist von diesem Grundsatz eine Abweichung nur dann geboten, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare, später nicht mehr gutzumachende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Eine solche Fallgestaltung ist anzunehmen, wenn es – wie hier – im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums während eines Verfahrens geht. Ist während des Hauptsacheverfahrens das Existenzminimum nicht gedeckt, kann diese Beeinträchtigung nachträglich nicht mehr ausgeglichen werden, selbst wenn die im Rechtsbehelfsverfahren erstrittenen Leistungen rückwirkend gewährt werden (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05NVwZ 2005, 927, 928). Die Gerichte müssen in solchen Fällen, wenn sie sich an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren wollen, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.07.2003 - 2 BvR 311/03 - NVwZ 2004, 95, 96). Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind nach der Rechtsprechung des BVerfG (Beschluss vom 12.05.2005 , a.a.O.) die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen. Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern. Diese besonderen Anforderungen an Eilverfahren schließen andererseits nicht aus, dass die Gerichte den Grundsatz der unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache vermeiden, indem sie zum Beispiel Leistungen nur mit einem Abschlag zusprechen (vgl. SG Düsseldorf, Beschluss vom 16.02.2005 – S 35 SO 28/05 ER –, Juris). Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II dienen der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens. Diese Sicherstellung ist eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, die aus dem Gebot zum Schutze der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot folgt. Diese Pflicht besteht unabhängig von den Gründen der Hilfebedürftigkeit. Hieraus folgt, dass bei der Prüfung der Voraussetzungen eines Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums, soweit es um die Beurteilung der Hilfebedürftigkeit der Antragsteller geht, nur auf die gegenwärtige Lage abgestellt werden darf. Umstände der Vergangenheit dürfen nur insoweit herangezogen werden, als sie eindeutige Erkenntnisse über die gegenwärtige Lage des Anspruchstellers ermöglichen. Aus diesen Gründen dürfen existenzsichernde Leistungen nicht auf Grund bloßer Mutmaßungen verweigert werden, insbesondere wenn sich diese auf vergangene Umstände stützen (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, a.a.O.).

Eine vollständige Aufklärung des Sachverhalts ist im Rahmen des vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahrens und der damit verbundenen zeitlichen Verzögerung nicht möglich. Hier ist nicht abschließend zu klären, ob und ggf. in welcher Höhe Hilfebedürftigkeit im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB II und § 9 Abs. 1 und 2 SGB II besteht, wobei der Senat davon ausgeht, dass die übrigen Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 SGB II vorliegen und Ausschlusstatbestände nicht gegeben sind. Die weiteren Ermittlungen zur Hilfebedürftigkeit müssen allerdings dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

Wie bereits das SG ausgeführt hat, ist der Vortrag des Antragstellers, er habe die im Februar 2016 bei ihm gefundenen Barmittel in Höhe von 17.000,00 Euro weitestgehend aufgebraucht, zumindest nicht von der Hand zu weisen. Nach dem Vortrag des Antragstellers hatte er in der Zeit ab Februar 2016 lediglich Einnahmen aus einer kurzfristigen Beschäftigung in Höhe von insgesamt 6.751,88 Euro. Berücksichtigt man nun, dass der Antragsteller damit bis zur Antragstellung beim SG hiervon seine monatliche Miete, die Beiträge zur Krankenversicherung (zumindest in den Monaten, in denen er nicht versicherungspflichtig beschäftigt war) und seinen Regelbedarf decken musste, sowie, dass er weitere Ausgaben von etwa 2.400,00 Euro für eine T.reise im Sommer 2016 hatte, so kann davon ausgegangen werden, dass zumindest kein Vermögen mehr vorhanden ist, das über den aktuellen Vermögensfreibetrag des Klägers von 10.050,00 Euro hinausgeht.

Nach den vorliegenden Unterlagen geht der Senat entgegen den Ausführungen des SG auch nicht davon aus, dass der Antragsteller derzeit Einnahmen aus einer Tamarindenplantage in T. hat. Konkrete Anhaltspunkte hierfür sind nicht vorhanden. Der Antragsteller hat dies mehrfach verneint und auch Frau M., die Bekannte des Antragstellers in T., hat in einer vorgelegten E-Mail bestätigt, dass eine solche Plantage weder von ihr noch vom Antragsteller derzeit betrieben wird. Zudem hat der Antragsteller erklärt, dass er zuletzt im Sommer 2016 in T. gewesen sei, was ebenfalls gegen eine aktuelle Beteiligung an den Einnahmen aus einer solchen Plantage spricht. Allein aus der Tatsache, dass der Antragsteller nach wie vor Kontakt zu Frau M. in T. hat und diese auch nach 2014 besucht hat, lässt sich nicht ableiten, dass er regelmäßige oder auch nur weitere einmalige Einnahmen aus einer solchen Plantage erzielt. Der Senat kann dabei offen lassen, ob der Antragsteller 2014 Einnahmen aus dieser Plantage hatte oder ob er lediglich - wie von ihm behauptet - die von ihm seiner Bekannten geliehenen 10.000,00 Euro zurückerhalten hat, da die Herkunft dieses Geldes für den vorliegenden Bewilligungszeitraum unerheblich ist.

Die Zweifel an der Hilfebedürftigkeit des Antragstellers ergeben sich auch nicht bereits aus seinen zahlreichen, sich widersprechenden Angaben zu der Herkunft der beiden größeren Geldbeträge. Es ist zwar auffällig, dass der Antragsteller sowohl bezüglich der Barabhebung von 10.000,00 Euro im Februar 2015 als auch bezüglich der Barmittel in Höhe von 17.000,00 Euro erheblich voneinander abweichende Angaben gemacht hat und die Herkunft und den Verbleib dieser Beträge nicht schlüssig erklärt hat. Wie dargestellt dürfen Umstände der Vergangenheit hinsichtlich der Hilfebedürftigkeit als auch hinsichtlich der Überprüfung einer Obliegenheitsverletzung nur insoweit herangezogen werden, als sie eindeutige Erkenntnisse über die gegenwärtige Lage des Anspruchstellers ermöglichen (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, a. a. O.). Der Umstand, dass die Erklärungen des Antragstellers unklar sind, führten nicht zu eindeutigen Erkenntnissen in diesem Sinne.

Zweifel an der Hilfebedürftigkeit des Antragstellers ergeben sich aber aus den vorgelegten Kontounterlagen und den sich hieraus ergebenden Ein- und Auszahlungen. Auffällig waren hier zum einen die doch erheblichen Barauszahlungen im Zeitraum Februar bis Juni 2017. Hier hat der Antragsteller zum Teil erhebliche Summen abgehoben, auch mehrmals mehrere hundert Euro innerhalb weniger Tage. Auffällig ist weiter, dass der Antragsteller im Zeitraum Juli bis September 2017 insgesamt 1.000,00 Euro eingezahlt hat. Seine Erklärung hierfür, er habe zum Teil mehr Geld abgehoben, als er dann benötigt habe und deshalb dieses Geld später wieder eingezahlt, erscheint wenig plausibel. Es ist hier z.B. nicht nachvollziehbar, warum der Antragsteller am 08.05.2017 500,00 Euro abhebt und am folgenden Tag bereits wieder 550,00 Euro, wenn er das Geld dann doch nicht aufgebraucht haben will. Das Vorgehen könnte vielmehr dafür sprechen, dass die Einzahlungen aus Barvermögen stammen, über das der Antragsteller noch verfügt, wobei dies seinen Angaben gegenüber dem SG im August 2017 widersprechen würde, lediglich noch über Barmittel in Höhe von 47,00 Euro zu verfügen. Ob es sich bei den Einzahlungen auch um die Gelder handelt, die er nach seinen eigenen Angaben als Darlehen von Dritten erhalten haben will, kann der Senat offen lassen. Hier kann zunächst dahinstehen, ob solche Darlehenszahlungen zumindest im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes einer Bewilligung von Leistungen entgegenstehen. Denn allein der pauschale Vortrag, es handle sich um Darlehen, reicht nicht aus, um solche Zahlungen nicht als Einnahmen im Sinne des § 11 SGB II zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sind nur solche Zahlungen, die als Darlehen mit einer zivilrechtlich wirksamen Rückzahlungsverpflichtung belastet sind, nicht als Einkommen zu berücksichtigen. An den Nachweis des Abschlusses und der Ernstlichkeit eines Darlehensvertrages sind jedoch strenge Anforderungen zu stellen, um eine Darlehensgewährung eindeutig von einer Schenkung zu unterscheiden (vgl. BSG, Urteil vom 17.06.2010 - B 14 AS 46/09 R -). Vorliegend sind bislang aber weder nachprüfbare Angaben zu den Darlehensgebern noch zu den vereinbarten Rückzahlungsmodalitäten gemacht worden. Es ist daher nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller völlig mittellos ist. Vielmehr spricht manches dafür, dass Barmittel in nicht unerheblichem Umfang noch vorhanden sind. Im Rahmen der Folgenabwägung im einstweiligen Rechtschutz sind die Möglichkeiten des Betroffenen einzustellen, an der Sicherung seines verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums mitzuwirken. Dabei ist es ungeachtet eines möglichen gesetzlichen Anspruchs auf Sozialleistungen dem Betroffenen auch zumutbar, Barmittel, die nach den Regelungen des SGB II zu seinem Vermögenfreibetrag zu zählen sind, vorläufig für den Lebensunterhalt zu verwenden und die dann mögliche Rückerstattung erst bei einem Obsiegen im Hauptsacheverfahren zu erlangen.

Es obliegt daher dem Antragsteller im Hauptsacheverfahren, den Verbleib der bei ihm im Februar 2016 gefundenen Barmittel näher darzulegen und auch mittels Nachweisen (z.B. schriftliche Unterlagen, Angebot von Zeugen) zu belegen, wie hoch die von Dritten seit der letzten Antragstellung erhaltenen Zahlungen tatsächlich waren und welche Rückzahlungsmodalitäten vereinbart wurden.

Der Senat erachtet es jedoch im Rahmen der Folgenabwägung für geboten, dem Antragsteller dennoch (abgesenkte) Leistungen für den Lebensunterhalt sowie ab November 2017 auch die geltend gemachten Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 326,20 Euro monatlich zu gewähren. Dies dient dazu, das Existenzminimum des Antragstellers zu sichern und eine drohende Wohnungslosigkeit - auch im Hinblick auf die anstehende kalte Jahreszeit - sowie den Verlust des Krankenversicherungsschutzes zu vermeiden und es dem Antragsteller zu ermöglichen, durch weiteren Vortrag und die Vorlage weiterer Unterlagen seine Hilfebedürftigkeit (auch hinsichtlich der Höhe) abschließend nachzuweisen. Da der Erfolg aber nur möglich erscheint, hält es der Senat im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens für sachgerecht, den Regelbedarf der Höhe nach mit einem Abschlag zuzusprechen, um eine vollständige Vorwegnahme zu vermeiden. Dem Senat erscheint es gerechtfertigt, einen Abschlag von 20 vom Hundert vorzunehmen. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass bei einer Absenkung von sogar 30 vom Hundert (so die Rechtsfolge einer Pflichtverletzung gem. § 31a SGB II) eine Existenzgefährdung ausgeschlossen ist (s. auch § 31a Abs. 3 SGB II). Für die Vornahme eines Abschlags spricht u.a. der Gesichtspunkt, dass in den Grundsicherungsleistungen auch Ansparbeträge (s. hierzu Zeitschrift für das Fürsorgewesen, 2014, S. 1 ff) enthalten sind, die nicht zur unmittelbaren Existenzsicherung erforderlich sind (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - BvR 569/05 -). Damit wird dem Antragsteller jedenfalls das zum Lebensunterhalt Unerlässliche zur Verfügung gestellt. Es sind daher monatliche Regelleistungen in Höhe von 327,20 Euro (=80 Prozent von 409,00 Euro) zu gewähren. Darüber hinaus war es dem Antragsteller zumindest bis einschließlich Oktober 2017 möglich, die Miete zu bezahlen (vgl. vorgelegte Kontoauszüge), so dass der Bedarf für Unterkunft und Heizung bis dahin gedeckt war. Ab November 2017 sind die Kosten für Unterkunft und Heizung dann jedoch in Höhe der geltend gemachten monatlichen Mietkosten des Antragstellers für seine Wohnung einschließlich der Nebenkostenvorauszahlung, also in Höhe von 326,20 Euro, zu übernehmen. Da der Antragsteller somit Empfänger von Leistungen nach dem SGB II ist und keine der in § 5 Abs. 1 Nr. 2a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) genannten Ausnahmen vorliegt, besteht nach der genannten Norm zudem Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung.

Die Leistungen waren aber erst ab Antragstellung beim SG, mithin ab dem 24.07.2017, zu gewähren. Im Beschwerdeverfahren hat der Antragsteller keinen ausdrücklichen Antrag gestellt, dem Antrag im erstinstanzlichen Verfahren war keine zeitliche Einschränkung der Verpflichtung zur Leistung zu entnehmen. Leistungen für die Vergangenheit waren nicht zu gewähren. Dies beruht auf dem auch für das Recht des SGB II geltenden Grundsatz, dass Hilfe zum Lebensunterhalt im Wege einer einstweiligen Anordnung nur zur Behebung einer gegenwärtigen Notlage zu erfolgen hat und nicht rückwirkend zu bewilligen ist, wenn nicht ein Nachholbedarf plausibel und glaubhaft gemacht ist. Solche Umstände sind hier weder substantiiert vorgetragen noch glaubhaft gemacht worden. Die Leistungen waren zudem längstens bis zum 31.12.2017 zu befristen. Eine weitergehende vorläufige Verpflichtung im Wege der einstweiligen Anordnung erscheint aufgrund der nach wie vor bestehenden Zweifel an der Hilfebedürftigkeit des Antragstellers nicht als geboten, zumal dem Antragsteller somit genügend Zeit bleibt, um diese auszuräumen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und berücksichtigt das teilweise Obsiegen des Antragstellers im Beschwerdeverfahren.

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved