Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 9 P 10/09
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 P 38/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid vom 10.04.2007 und der Widerspruchsbescheid vom 24.02.2009 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, Leistungen der Pflegestufe II ab März 2007 zu gewähren.
2. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Tatbestand:
Im Streit steht die Gewährung von Pflegegeld nach Pflegestufe II.
Die 1952 geborene Klägerin leidet an einer Leistungsminderung nach Lebertransplantation sowie an einer inkompletten Hemiparese links nach Schlaganfall. Seit 2002 erhielt die Klägerin von der AOK – Die Gesundheitskasse in Hessen - Pflegegeld nach Pflegestufe II. 2006 erfolgte eine Überprüfung der Pflegestufe und die AOK holte ein Gutachten des MDK – C. - vom 22.05.2006 ein. C. kam zu dem Ergebnis, dass nur die Voraussetzungen für die Pflegestufe I seit März 2006 gegeben seien, da für die Grundpflege 82 Minuten pro Tag berücksichtigt werden könnten. Die AOK Hessen forderte noch weitere Stellungnahmen des MDK nach Aktenlage an und gewährte der Klägerin weiterhin Pflegegeld nach Pflegestufe II bis 28.02.2007.
Ab 01.03.2007 ist die Klägerin Mitglied bei der Beklagten. Mit Bescheid vom 10.04.2007 gewährte die Beklagte der Klägerin Pflegegeld nach Pflegestufe I ab 01.03.2007. Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 20.03.2008 Widerspruch und die Beklagte holte ein weiteres Gutachten des MDK – D. - vom 30.04.2007 und eine Stellungnahme von Dr. E. vom 18.06.2008 ein. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24.02.2009 zurück. Zur Begründung führte die Beklagte u. a. aus, die Voraussetzungen für die Pflegestufe II seien nicht gegeben. Der vom MDK ermittelte Hilfebedarf sei nachvollziehbar. Die geltend gemachten Warte- und Therapiezeiten im Rahmen der verordneten Heilmittel seien nicht zu berücksichtigen, da die Notwendigkeit der Anwesenheit der Pflegeperson während der Warte- und Therapiezeiten nicht gegeben sei. Die Pflegeperson sei zeitlich nicht gebunden und könne während dieser Zeit beispielsweise kleinere Besorgungen machen. Der Hilfebedarf bei der Grundpflege betrage daher im Tagesdurchschnitt nicht mehr als 120 Minuten.
Mit der am 04.03.2009 beim Sozialgericht Gießen eingegangenen Klage begehrt die Klägerin die Zahlung von Pflegegeld nach Pflegestufe II ab März 2007. Die Klägerin vertritt die Ansicht, die Voraussetzungen für die Pflegestufe II seien gegeben. Sie erhalte weiterhin mehrfach in der Woche Lymphdrainage und Krankengymnastik. Aufgrund der linksseitigen Lähmung mit Gehbehinderung und Gleichgewichtsstörungen sei eine Begleitung für die Fahrten notwendig. Die Wegezeiten und auch die Wartezeiten während der Therapie seien anzurechnen, da die Hin- und Rückfahrten nach Hause mehr Zeit in Anspruch nehmen würden als das Warten. Die Pflegeperson könne auch während der Wartezeit keine Besorgungen machen, da es in F-Stadt keine Geschäfte gebe und ein Einkaufen dreimal wöchentlich nicht nötig sei.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 10.04.2007 und den Widerspruchsbescheid vom 24.02.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Leistungen der Pflegestufe II ab März 2007 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sich die Beklagte im Wesentlichen auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und macht darüber hinaus geltend, die Krankengymnastik könne in der Praxis G. durchgeführt werden und die Entfernung von zu Hause bis dorthin betrage nur 5,26 km mit einer Fahrzeit von lediglich 7 Minuten. Die Praxis G. sei der nächsterreichbare Heilmittelerbringer. Außerdem bestünden in der Nähe der Praxis G. zahlreiche Einkaufsmöglichkeiten, so dass die Berechnung der Wartezeit hinfällig sei. Die Durchführung der Krankengymnastik in der H-Klinik in F-Stadt sei nicht notwendig, da die Leistung auch in der Praxis G. erbracht werden könne. Die Wegezeit zur I-Klinik in F Stadt sei daher nicht zu berücksichtigen.
Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens bei J. In seinem Gutachten vom 17.10.2009 kommt der Gutachter J. zu dem Ergebnis, dass ein Hilfebedarf beim Duschen fünfmal pro Woche, bei der Ganzkörperwäsche zweimal pro Woche, bei der Zahnpflege, beim Händewaschen, bei der Teilkörperwäsche einmal am Tag, beim Entleeren des Toilettenstuhls, beim An- und Ausziehen auch zur Mittagsruhe, beim Aufstehen und Zubettgehen, beim Treppensteigen und -gehen bestehe. Außerdem seien an Wege- und Wartezeiten für die Begleitung zur Krankengymnastik 28,5 Minuten pro Tag zu berücksichtigen. Insgesamt bestehe ein Hilfebedarf bei der Grundpflege von 131 Minuten und für die hauswirtschaftliche Versorgung von 60 Minuten pro Tag. Damit lägen die Voraussetzungen der Pflegestufe II vor und es sei auch davon auszugehen, dass die Voraussetzungen für die Pflegestufe II durchgehend vorgelegen hätten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Gutachten Bl. 24 ff. der Gerichtsakte Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten, auch im Vorbringen der Parteien, wird auf die Gerichts- und die Beklagtenakte verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist auch begründet. Der Klägerin steht Pflegegeld nach Pflegestufe II ab 01.03.2007 zu.
Gemäß § 14 Sozialgesetzbuch -Soziale Pflegeversicherung- (SGB XI) sind pflegebedürftig Personen, die wegen einer körperlichen oder geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen. Gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen sind im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, das Rasieren, die Darm- oder Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten und die Aufnahme der Nahrung, im Bereich der Mobilität das selbständige Aufstehen und Zubettgehen, das An- und Auskleiden, das Gehen, das Stehen, das Treppensteigen oder das Verlassen und das Wiederaufsuchen der Wohnung und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, das Spülen, das Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen (vgl. § 14 Abs. 4 SGB XI). Für die Gewährung von Leistungen sind pflegebedürftige Personen in drei Pflegestufen einzuordnen. Pflegedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Pflegebedürftige der Pflegestufe II (Schwerpflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Pflegebedürftige der Pflegestufe III (Schwerstpflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen in der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen (vgl. § 15 Abs. 1 SGB XI).
Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen, in der Pflegestufe II mindestens drei Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen, in der Pflegestufe III mindestens fünf Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens vier Stunden entfallen (§ 15 Abs. 3 Satz 1 SGB XI).
Die Voraussetzungen für die Pflegestufe II sind seit 01.03.2007 gegeben. Dies steht zur Überzeugung der Kammer aufgrund des gut nachvollziehbaren und zutreffenden Gutachtens von Herrn J. fest. Der von Herrn J. festgestellte Hilfebedarf bei der Körperpflege, der Blasen- und Darmentleerung, des An- und Ausziehens, der Hilfe beim Aufstehen und Zubettgehen, beim Treppensteigen und bei den verrichtungsbezogenen Wegstrecken ist zutreffend. Die Kammer folgt den von Herrn J. festgestellten Zeiten. Die von Herrn J. festgestellten Pflegezeiten in diesen Bereichen werden von der Beklagten auch nicht beanstandet. Der Pflegebedarf für die oben genannten Verrichtungen beträgt nach dem Gutachten von Herrn J. 102,5 Minuten.
Zusätzlich zu diesem Pflegebedarf ist jedoch auch ein Hilfebedarf bei der Begleitung zu den Therapien, Krankengymnastik und Lymphdrainage, sowie die Wartezeit zu berücksichtigen. Der Pflegebedarf für die Grundpflege beträgt mehr als 120 Minuten pro Tag bei Berücksichtigung der Wege- und Wartezeit, auch wenn nur die Fahrzeit zur nächstgelegenen Praxis G. berücksichtigt würde. Nach dem von der Beklagten vorgelegten Routenplaner beträgt die Fahrzeit zur Praxis G. 7 Minuten. Nach Ansicht der Kammer ist die Fahrtstrecke von der Wohnung bis zur Praxis G. jedoch nicht in einer Zeit von 7 Minuten zu bewältigen. Es handelt sich um eine Landstraße, die häufig von LKW’s und landwirtschaftlichen Fahrzeugen befahren wird. Außerdem erhält die Klägerin in der Klinik in F-Stadt an einem Termin neben Krankengymnastik auch noch Lymphdrainage. Die Krankengymnastik und Lymphdrainage wird in F-Stadt an einem Tag durchgeführt. Ob dies in der Praxis G. möglich ist, ist fraglich, so dass zusätzlich Wegezeiten für einen dritten Behandlungstag berücksichtigt werden müssten.
Aber auch die Wartezeit ist vorliegend zu berücksichtigen. Nach den Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem Elften Buch des Sozialgesetzbuches (Begutachtungsrichtlinien - BRi) in der Fassung vom 11.05.2006, 4.0/V. Verrichtungen im Sinne des SGB XI, Ziffer 15, sind zu den Fahrzeiten bei den Therapien die zwangsläufig anfallenden Warte- und Begleitzeiten der Begleitperson anzurechnen, wenn sie dadurch zeitlich und örtlich gebunden ist. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich die Kammer anschließt, Az. B 3 P 17/97 R, ist für die Bemessung des zeitlichen Umfangs des Pflegebedarfs von der zeitlichen und örtlichen Gebundenheit der Pflegeperson auszugehen; d. h. maßgebend ist die Zeit, die die Pflegeperson ausschließlich für die Abwicklung einer Hilfeleistung benötigt und während der sie keiner anderen Tätigkeit - etwa auch keiner solchen im Bereich der allgemeinen Haushaltsführung - nachgehen kann. Deshalb zählt eine zwangsläufig anfallende Wartezeit, während der der Pflegebedürftige vom Arzt untersucht wird oder sich ärztlich angeordneten Maßnahmen in einer Arztpraxis unterzieht, zum berücksichtigungsfähigen Bedarf, da die Pflegeperson während dieser Zeit im Allgemeinen keiner Tätigkeit nachgehen kann, der sie sich widmen würde, wenn die Notwendigkeit der Hilfeleistung nicht bestünde. Vorliegend ist nach Ansicht der Kammer die Wartezeit zu berücksichtigen, da die Klägerin zum einen Begleitung zu den Therapien benötigt und zum anderen ihr Ehemann keiner anderen Tätigkeit nachgehen kann. Der Ehemann der Klägerin ist nicht darauf verweisbar, dass er in dieser Zeit die Einkäufe durchführen könne, wie die Beklagte meint. Zum einen ist das Einkaufen mehrmals wöchentlich nicht erforderlich, zum anderen ergeben sich gerade im ländlichen Bereich nicht immer Einkaufsmöglichkeiten und dem Versicherten kann sicher nicht vorgeschrieben werden, wo er seine Einkäufe tätigen muss, da dem Versicherten Gelegenheit gegeben werden muss, günstige Angebote oder besonders günstige Einkaufsquellen auszuwählen. Dem Ehemann der Klägerin ist auch nicht zumutbar, während der Therapien nach Hause zu fahren, da er nur wenige Minuten zu Hause wäre. Es ist auch nicht erkennbar, dass der Ehemann der Klägerin die Wartezeiten für eigenwirtschaftliche Tätigkeiten nutzen könnte. Die Beklagte will den Ehemann der Klägerin auf das Lesen von Büchern und Zeitschriften als eigenwirtschaftliche Tätigkeit verweisen. Die Klägerin hat angegeben, dass ihr Mann weder Bücher noch Zeitschriften lesen würde, so dass die Wartezeit anzurechnen ist, da der Ehemann der Klägerin nicht auf die Freizeitbeschäftigung Lesen verweisbar ist.
Bei einer Berücksichtigung einer Wartezeit von nur zweimal 30 Minuten pro Woche, wäre bereits der Pflegebedarf für die Grundpflege von 120 Minuten pro Tag erreicht.
Aus den vorgenannten Gründen war die Klage erfolgreich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), die Zulässigkeit der Berufung aus § 143 SGG.
2. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Tatbestand:
Im Streit steht die Gewährung von Pflegegeld nach Pflegestufe II.
Die 1952 geborene Klägerin leidet an einer Leistungsminderung nach Lebertransplantation sowie an einer inkompletten Hemiparese links nach Schlaganfall. Seit 2002 erhielt die Klägerin von der AOK – Die Gesundheitskasse in Hessen - Pflegegeld nach Pflegestufe II. 2006 erfolgte eine Überprüfung der Pflegestufe und die AOK holte ein Gutachten des MDK – C. - vom 22.05.2006 ein. C. kam zu dem Ergebnis, dass nur die Voraussetzungen für die Pflegestufe I seit März 2006 gegeben seien, da für die Grundpflege 82 Minuten pro Tag berücksichtigt werden könnten. Die AOK Hessen forderte noch weitere Stellungnahmen des MDK nach Aktenlage an und gewährte der Klägerin weiterhin Pflegegeld nach Pflegestufe II bis 28.02.2007.
Ab 01.03.2007 ist die Klägerin Mitglied bei der Beklagten. Mit Bescheid vom 10.04.2007 gewährte die Beklagte der Klägerin Pflegegeld nach Pflegestufe I ab 01.03.2007. Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 20.03.2008 Widerspruch und die Beklagte holte ein weiteres Gutachten des MDK – D. - vom 30.04.2007 und eine Stellungnahme von Dr. E. vom 18.06.2008 ein. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24.02.2009 zurück. Zur Begründung führte die Beklagte u. a. aus, die Voraussetzungen für die Pflegestufe II seien nicht gegeben. Der vom MDK ermittelte Hilfebedarf sei nachvollziehbar. Die geltend gemachten Warte- und Therapiezeiten im Rahmen der verordneten Heilmittel seien nicht zu berücksichtigen, da die Notwendigkeit der Anwesenheit der Pflegeperson während der Warte- und Therapiezeiten nicht gegeben sei. Die Pflegeperson sei zeitlich nicht gebunden und könne während dieser Zeit beispielsweise kleinere Besorgungen machen. Der Hilfebedarf bei der Grundpflege betrage daher im Tagesdurchschnitt nicht mehr als 120 Minuten.
Mit der am 04.03.2009 beim Sozialgericht Gießen eingegangenen Klage begehrt die Klägerin die Zahlung von Pflegegeld nach Pflegestufe II ab März 2007. Die Klägerin vertritt die Ansicht, die Voraussetzungen für die Pflegestufe II seien gegeben. Sie erhalte weiterhin mehrfach in der Woche Lymphdrainage und Krankengymnastik. Aufgrund der linksseitigen Lähmung mit Gehbehinderung und Gleichgewichtsstörungen sei eine Begleitung für die Fahrten notwendig. Die Wegezeiten und auch die Wartezeiten während der Therapie seien anzurechnen, da die Hin- und Rückfahrten nach Hause mehr Zeit in Anspruch nehmen würden als das Warten. Die Pflegeperson könne auch während der Wartezeit keine Besorgungen machen, da es in F-Stadt keine Geschäfte gebe und ein Einkaufen dreimal wöchentlich nicht nötig sei.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 10.04.2007 und den Widerspruchsbescheid vom 24.02.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Leistungen der Pflegestufe II ab März 2007 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sich die Beklagte im Wesentlichen auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und macht darüber hinaus geltend, die Krankengymnastik könne in der Praxis G. durchgeführt werden und die Entfernung von zu Hause bis dorthin betrage nur 5,26 km mit einer Fahrzeit von lediglich 7 Minuten. Die Praxis G. sei der nächsterreichbare Heilmittelerbringer. Außerdem bestünden in der Nähe der Praxis G. zahlreiche Einkaufsmöglichkeiten, so dass die Berechnung der Wartezeit hinfällig sei. Die Durchführung der Krankengymnastik in der H-Klinik in F-Stadt sei nicht notwendig, da die Leistung auch in der Praxis G. erbracht werden könne. Die Wegezeit zur I-Klinik in F Stadt sei daher nicht zu berücksichtigen.
Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens bei J. In seinem Gutachten vom 17.10.2009 kommt der Gutachter J. zu dem Ergebnis, dass ein Hilfebedarf beim Duschen fünfmal pro Woche, bei der Ganzkörperwäsche zweimal pro Woche, bei der Zahnpflege, beim Händewaschen, bei der Teilkörperwäsche einmal am Tag, beim Entleeren des Toilettenstuhls, beim An- und Ausziehen auch zur Mittagsruhe, beim Aufstehen und Zubettgehen, beim Treppensteigen und -gehen bestehe. Außerdem seien an Wege- und Wartezeiten für die Begleitung zur Krankengymnastik 28,5 Minuten pro Tag zu berücksichtigen. Insgesamt bestehe ein Hilfebedarf bei der Grundpflege von 131 Minuten und für die hauswirtschaftliche Versorgung von 60 Minuten pro Tag. Damit lägen die Voraussetzungen der Pflegestufe II vor und es sei auch davon auszugehen, dass die Voraussetzungen für die Pflegestufe II durchgehend vorgelegen hätten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Gutachten Bl. 24 ff. der Gerichtsakte Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten, auch im Vorbringen der Parteien, wird auf die Gerichts- und die Beklagtenakte verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist auch begründet. Der Klägerin steht Pflegegeld nach Pflegestufe II ab 01.03.2007 zu.
Gemäß § 14 Sozialgesetzbuch -Soziale Pflegeversicherung- (SGB XI) sind pflegebedürftig Personen, die wegen einer körperlichen oder geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen. Gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen sind im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, das Rasieren, die Darm- oder Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten und die Aufnahme der Nahrung, im Bereich der Mobilität das selbständige Aufstehen und Zubettgehen, das An- und Auskleiden, das Gehen, das Stehen, das Treppensteigen oder das Verlassen und das Wiederaufsuchen der Wohnung und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, das Spülen, das Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen (vgl. § 14 Abs. 4 SGB XI). Für die Gewährung von Leistungen sind pflegebedürftige Personen in drei Pflegestufen einzuordnen. Pflegedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Pflegebedürftige der Pflegestufe II (Schwerpflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Pflegebedürftige der Pflegestufe III (Schwerstpflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen in der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen (vgl. § 15 Abs. 1 SGB XI).
Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen, in der Pflegestufe II mindestens drei Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen, in der Pflegestufe III mindestens fünf Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens vier Stunden entfallen (§ 15 Abs. 3 Satz 1 SGB XI).
Die Voraussetzungen für die Pflegestufe II sind seit 01.03.2007 gegeben. Dies steht zur Überzeugung der Kammer aufgrund des gut nachvollziehbaren und zutreffenden Gutachtens von Herrn J. fest. Der von Herrn J. festgestellte Hilfebedarf bei der Körperpflege, der Blasen- und Darmentleerung, des An- und Ausziehens, der Hilfe beim Aufstehen und Zubettgehen, beim Treppensteigen und bei den verrichtungsbezogenen Wegstrecken ist zutreffend. Die Kammer folgt den von Herrn J. festgestellten Zeiten. Die von Herrn J. festgestellten Pflegezeiten in diesen Bereichen werden von der Beklagten auch nicht beanstandet. Der Pflegebedarf für die oben genannten Verrichtungen beträgt nach dem Gutachten von Herrn J. 102,5 Minuten.
Zusätzlich zu diesem Pflegebedarf ist jedoch auch ein Hilfebedarf bei der Begleitung zu den Therapien, Krankengymnastik und Lymphdrainage, sowie die Wartezeit zu berücksichtigen. Der Pflegebedarf für die Grundpflege beträgt mehr als 120 Minuten pro Tag bei Berücksichtigung der Wege- und Wartezeit, auch wenn nur die Fahrzeit zur nächstgelegenen Praxis G. berücksichtigt würde. Nach dem von der Beklagten vorgelegten Routenplaner beträgt die Fahrzeit zur Praxis G. 7 Minuten. Nach Ansicht der Kammer ist die Fahrtstrecke von der Wohnung bis zur Praxis G. jedoch nicht in einer Zeit von 7 Minuten zu bewältigen. Es handelt sich um eine Landstraße, die häufig von LKW’s und landwirtschaftlichen Fahrzeugen befahren wird. Außerdem erhält die Klägerin in der Klinik in F-Stadt an einem Termin neben Krankengymnastik auch noch Lymphdrainage. Die Krankengymnastik und Lymphdrainage wird in F-Stadt an einem Tag durchgeführt. Ob dies in der Praxis G. möglich ist, ist fraglich, so dass zusätzlich Wegezeiten für einen dritten Behandlungstag berücksichtigt werden müssten.
Aber auch die Wartezeit ist vorliegend zu berücksichtigen. Nach den Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem Elften Buch des Sozialgesetzbuches (Begutachtungsrichtlinien - BRi) in der Fassung vom 11.05.2006, 4.0/V. Verrichtungen im Sinne des SGB XI, Ziffer 15, sind zu den Fahrzeiten bei den Therapien die zwangsläufig anfallenden Warte- und Begleitzeiten der Begleitperson anzurechnen, wenn sie dadurch zeitlich und örtlich gebunden ist. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich die Kammer anschließt, Az. B 3 P 17/97 R, ist für die Bemessung des zeitlichen Umfangs des Pflegebedarfs von der zeitlichen und örtlichen Gebundenheit der Pflegeperson auszugehen; d. h. maßgebend ist die Zeit, die die Pflegeperson ausschließlich für die Abwicklung einer Hilfeleistung benötigt und während der sie keiner anderen Tätigkeit - etwa auch keiner solchen im Bereich der allgemeinen Haushaltsführung - nachgehen kann. Deshalb zählt eine zwangsläufig anfallende Wartezeit, während der der Pflegebedürftige vom Arzt untersucht wird oder sich ärztlich angeordneten Maßnahmen in einer Arztpraxis unterzieht, zum berücksichtigungsfähigen Bedarf, da die Pflegeperson während dieser Zeit im Allgemeinen keiner Tätigkeit nachgehen kann, der sie sich widmen würde, wenn die Notwendigkeit der Hilfeleistung nicht bestünde. Vorliegend ist nach Ansicht der Kammer die Wartezeit zu berücksichtigen, da die Klägerin zum einen Begleitung zu den Therapien benötigt und zum anderen ihr Ehemann keiner anderen Tätigkeit nachgehen kann. Der Ehemann der Klägerin ist nicht darauf verweisbar, dass er in dieser Zeit die Einkäufe durchführen könne, wie die Beklagte meint. Zum einen ist das Einkaufen mehrmals wöchentlich nicht erforderlich, zum anderen ergeben sich gerade im ländlichen Bereich nicht immer Einkaufsmöglichkeiten und dem Versicherten kann sicher nicht vorgeschrieben werden, wo er seine Einkäufe tätigen muss, da dem Versicherten Gelegenheit gegeben werden muss, günstige Angebote oder besonders günstige Einkaufsquellen auszuwählen. Dem Ehemann der Klägerin ist auch nicht zumutbar, während der Therapien nach Hause zu fahren, da er nur wenige Minuten zu Hause wäre. Es ist auch nicht erkennbar, dass der Ehemann der Klägerin die Wartezeiten für eigenwirtschaftliche Tätigkeiten nutzen könnte. Die Beklagte will den Ehemann der Klägerin auf das Lesen von Büchern und Zeitschriften als eigenwirtschaftliche Tätigkeit verweisen. Die Klägerin hat angegeben, dass ihr Mann weder Bücher noch Zeitschriften lesen würde, so dass die Wartezeit anzurechnen ist, da der Ehemann der Klägerin nicht auf die Freizeitbeschäftigung Lesen verweisbar ist.
Bei einer Berücksichtigung einer Wartezeit von nur zweimal 30 Minuten pro Woche, wäre bereits der Pflegebedarf für die Grundpflege von 120 Minuten pro Tag erreicht.
Aus den vorgenannten Gründen war die Klage erfolgreich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), die Zulässigkeit der Berufung aus § 143 SGG.
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