L 27 R 265/14

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
27
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 10 R 5245/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 27 R 265/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. März 2014 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am 8. März 1961 geborene Kläger begehrt eine Rente wegen Erwerbsminderung. Den Rentenantrag des Klägers vom November 2008 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30. Dezember 2008 ab und führte zur Begründung aus, der Kläger könne noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein. Mit dem hiergegen gerichteten Widerspruch machte der Kläger geltend, bei ihm stünden neurologisch-psychiatrische Erkrankungen im Vordergrund, deren Schwere und Behandlungsbedürftigkeit bei ihm befristet eine volle Erwerbsminderung herbeigeführt hätten. Ein durch die Beklagte eingeholtes Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. H vom 28. Mai 2009 gelangte zu der Einschätzung, der Kläger könne noch vollschichtig unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein. Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30. September 2009 zurück.

Mit der am 29. Oktober 2009 erhobenen Klage hat der Kläger sich auf die Einschätzung seines behandelnden Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. K bezogen, der ihn für erwerbsunfähig halte und die Diagnose einer erheblich ausgeprägten depressiven Symptomatik gestellt habe.

Das Sozialgericht hat neben Befundberichten der den Kläger behandelnden Ärzte ein Gutachten der Diplom-Psychologin S vom 7. März 2011 nebst ergänzenden Stellungnahmen vom 22. März 2011 und 9. Juni 2011 und schließlich vom 9. August 2011 eingeholt. Die Sachverständige ist darin zu der Einschätzung gelangt, nach den vorliegenden Befundergebnissen und unter Berücksichtigung "teilweise stark verzerrter Selbstangaben" könne eine Diagnose auf ihrem Fachgebiet derzeit nur als Verdacht formuliert werden. Auf ihrem Fachgebiet sei hierbei eine depressive Reaktion zunächst als Anpassungsstörung auf kumulativ erfahrene Belastungen in den Jahren 2006 und 2007 zu verzeichnen, die nicht bewältigt worden seien und rezidivierten. Allerdings hätte sich in der Untersuchung eine Reihe von Hinweisen ergeben, nach denen der Kläger "stark aggraviert und teilweise simuliert" habe. Es müsse daher angenommen werden, dass die von ihm berichteten psychischen Beschwerden und körperlichen Schmerzen nicht so ausgeprägt seien wie von ihm dargestellt. Dem Kläger seien leichte körperliche Arbeiten möglich, die in einem halben Jahr auf mittelschwere körperliche Arbeiten ausgeweitet werden könnten. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt und unter Berücksichtigung der vorliegenden ärztlichen und psychologischen Befunde reiche allerdings das verbliebene Leistungsvermögen für die volle übliche Arbeitszeit nicht aus. Nach einem halben Jahr und Verbesserung der körperlichen und seelischen Belastbarkeit könnten zunächst täglich unter sechs Stunden geleistet werden, nach einem weiteren halben Jahr und guter psychischer Stabilisierung müsste die volle Erwerbsfähigkeit wieder hergestellt sein. Dieser Zustand bestehe seit 2006. Die psychischen Leiden des Klägers seien bei zumutbarer Willensanstrengung überwindbar. Die Einschätzung des den Kläger behandelnden Dr. K, wonach ein schweres psychiatrisches Krankheitsbild und andauernde Erwerbsfähigkeit vorliege, entbehre hingegen jeder Grundlage. Maßgeblich für die genannte Einschränkung der Leistungsfähigkeit sei die Erkrankung des Klägers an Diabetes Mellitus II und behandlungsbedürftigem Bluthochdruck. Hierdurch bestehe ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkt und Gefäßerkrankungen, einschließlich Schlaganfall, weshalb die Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit zum Zeitpunkt der Begutachtung nicht verantwortbar sei.

Das Sozialgericht hat weiter ein fachärztliches Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Neurologie, Psychotherapie und Psychoanalyse Dr. T eingeholt. Dieser Sachverständige ist in seinem Gutachten vom 27. März 2012 zu der Einschätzung gelangt, der Kläger leide an länger andauernder Angst und depressiver Reaktion gemischt, Schmerzsyndrom der Wirbelsäule mit einer psychischen Ausgestaltung im Sinne einer somato-psychischen Verknüpfung, schädlichem Gebrauch von Alkohol, insulinpflichtigem Diabetes Mellitus, Hypertonus, koronarer Herzerkrankung und Übergewicht. Der Kläger könne – ohne auf Kosten der Gesundheit zu arbeiten – täglich regelmäßig keine schweren und mittelschweren, jedoch leichte Arbeiten verrichten. Diese Arbeiten könnten sowohl im Freien als in geschlossenen Räumen ausgeführt werden, wobei extreme Witterungseinflüsse zu meiden seien. Möglich seien Arbeiten in allen Haltungsarten, ein ständiger Wechsel sei nicht erforderlich. Der Kläger könne in einem festgelegten Arbeitsrhythmus tätig werden, solle jedoch nicht in einem Akkord- oder Fließbanddienst eingesetzt werden. Er könne leichte Lasten heben und tragen und sowohl in der Früh- als auch in der Spätschicht, nicht aber in der Nachtschicht tätig werden. Er solle nicht auf Leitern und Gerüsten arbeiten. Das bei ihm verbliebene Leistungsvermögen reiche für die volle übliche Arbeitszeit von acht Stunden täglich aus.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Sozialgericht ferner ein Gutachten der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Scheingeholt, die in ihrem Gutachten vom 26. April 2013 aufgrund von Untersuchungen am 21. Januar und 29. Januar 2013 zu der Einschätzung gelangt ist, beim Kläger bestünde folgendes Krankheitsbild:

- rezidivierend-depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode mit Versagens- und Insuffizienzgefühlen sowie somatischem Syndrom, - anhaltende somatoforme Schmerzstörung, - Angststörung, - schädlicher Alkoholabusus, - Polyneuropathie, distal betont in den Beinen, - koronare Zwei-Gefäßerkrankung, Zustand nach Herzinfarkt und zwei Stents, - Hypertonus, - Diabetes Mellitus Typ II, - Adipositas, - Hypercholesterinämie.

Das verbliebene Restleistungsvermögen sei aus ihrer Sicht nicht ausreichend für eine voll übliche Arbeitszeit von "mindestens acht Stunden täglich. Die tägliche Arbeitszeit müsse auf "mindestens drei Stunden" gesenkt werden, da der Kläger aufgrund der rezidivierend depressiven Störung (gegenwärtig mittelgradig schwere Episode) nicht regelmäßig mehr als drei Stunden, soweit er belastbar sei, eine Tätigkeit von wirtschaftlichem Nutzen ausführen könne. Dieser Zustand bestehe seit der Begutachtung durch die Sachverständige S. Anders als beim Vorgutachter Dr. Tsei der Kläger in der Exploration bei ihr in der Lage gewesen, sich in seiner Muttersprache zu verständigen und habe auch auf das kulturelle Vorverständnis der Sachverständigen mit eigenem Migrationshintergrund vertrauen können. Dieses Vorverständnis lasse es zu, Umstände, die Vorgutachter als Aggravation und Simulation beschrieben hätten, abweichend zu deuten und rechtfertigten den von der Sachverständigen gezogenen Schluss. Anzuraten sei in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Dr. T jedoch eine weitere fachinternistische Begutachtung.

Das Sozialgericht hat weiter Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Facharztes für Innere Medizin und Sozialmedizin Dr. G. Dieser ist aufgrund eigener Untersuchung des Klägers am 27. Juni 2013 zu der Einschätzung gelangt, beim Kläger bestünden auf seinem Fachgebiet folgende Diagnosen:

1. Koronare Zwei-Gefäßerkrankung mit Stentversorgung, 2. Arterieller Hypertonus, 3. Diabetes Mellitus Typ II, sekundär insulinpflichtig, 4. Adipositas II. Grades, 5. Gemischte Hyperlipidämie, 6. Hyperurikämie, 7. Hypophosphatämie, 8. Hypomagnesiämie sowie 9. Vitamin-D-Mangel.

Führend sei die koronare Zwei-Gefäßerkrankung. Hier sei von einem guten Behandlungsergebnis auszugehen. Auf dem Fachgebiet der Orthopädie sei der Verdacht einer klinisch nicht relevanten Coxarthrose zu stellen. Aus seiner Sicht liege beim Kläger eine vollschichtige körperliche Leistungsfähigkeit für mittelschwere körperliche Arbeiten vor. Er könne sowohl Arbeiten im Freien als auch in geschlossenen Räumen verrichten. Das verbliebene Leistungsvermögen reiche für die volle übliche Arbeitszeit von mindestens acht Stunden täglich aus. Ein von ihm erhobener Medikamentenspiegel habe gezeigt, dass der Kläger die ihm verordneten Medikamente zur Behandlung der depressiven Verstimmung offenbar nicht einnehme. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten vom 21. Juli 2013 Bezug genommen.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 10. März 2014 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe weder einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller, noch wegen teilweiser Erwerbsminderung. Im Ergebnis der durchgeführten Beweiserhebung stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein könne. Grundlage für diese Überzeugung sei das Ergebnis der Begutachtung durch die Sachverständigen Dr. T und Dr. G. Hingegen sei die Beurteil des Leistungsvermögens des Klägers aus den Gutachten der Psychologin S und der Fachärztin Dr. Schnicht überzeugend. So sei die Sachverständige S bereits nicht auf medizinischem Gebiet sachverständig und habe sich insoweit für sie außerhalb ihrer Qualifikation zu den internistisch begründeten Leistungseinschränkungen beim Kläger geäußert. Die Sachverständige Schsei zu ihrer Einschätzung maßgeblich aufgrund allgemeiner Betrachtungen über Menschen mit Migrationshintergrund gelangt. Dies überzeuge indes nicht, da der Kläger bereits seit der 3. Klasse in Deutschland gelebt habe und integriert worden sei. Auch die Hochzeit des Klägers im Jahr vor der Begutachtung und sein Kümmern und den Verkauf einer Eigentumswohnung liessen das Vorliegen einer gravierenden depressiven Symptomatik ausgeschlossen erscheinen. Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 18. März 2014 zugestellt worden.

Mit der am 8. April 2014 eingelegten Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er ist der Ansicht, das Sozialgericht habe das Gutachten der Sachverständigen Sch zu Unrecht für nicht überzeugend gehalten. Hingegen sei dieses in besonderer Weise überzeugend, weil sich die Sachverständige mit dem Kläger in der gemeinsamen Muttersprache hätte verständigen können. So habe sich der Kläger vom 18. Juni bis zum 28. Juni 2014 in stationärer Behandlung wegen rezidivierender depressiver Störung bei gegenwärtig schwerer Episode ohne psychotische Symptome aufhalten müssen. Auch wenn die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen letztmalig für einen Leistungsfall am 31. März 2012 erfüllt gewesen seien, sei der Rentenanspruch des Klägers gegeben, denn ein Leistungsfall sei jedenfalls im Zeitpunkt der Begutachtung durch die Sachverständige S anzunehmen, die dem Kläger im Januar und Februar 2011 ausführlich exploriert habe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. März 2014 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 2009 zu verurteilen, dem Kläger ab November 2008 Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte wird beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den gesamten Inhalt der Streitakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet, denn das mit ihr angegriffene Urteil des Sozialgerichts Berlin ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, noch wegen teilweiser Erwerbsminderung. Ein Versicherter, der unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann, ist weder voll, noch teilweise erwerbsgemindert, § 43 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI).

Hinsichtlich der Leistungsfähigkeit des Klägers nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Ausführungen des mit der Berufung angegriffenen Urteils Bezug und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Soweit der Kläger sich auf die Ausführungen der Sachverständigen Sbezieht und hierzu geltend macht, deren Untersuchung habe eine völlige Aufhebung seines Leistungsvermögens im Zeitpunkt der Begutachtung ergeben, dringt er nicht durch. Vielmehr hat die Sachverständige sich dahingehend geäußert, ihre Bewertung der Leistungsfähigkeit des Klägers beruhe auf dessen internistischen Erkrankungen, also gerade nicht auf den von ihr selbst lediglich als Verdacht bezeichneten Diagnosen, die sie auf ihrem Fachgebiet getroffen hat. Da es sich bei der Sachverständigen nicht um eine medizinische Sachverständige handelt, kann ihren Ausführungen nur insoweit Bedeutung zukommen, wie sie im Umkehrschluss eine Aufhebung der Leistungsfähigkeit des Klägers aufgrund der auf ihrem Fachgebiet gestellten Verdachts-Diagnosen gerade nicht hat bestätigen können. Dies wird letztlich durch den Sachverständigen Dr. T bestätigt, der den Kläger im März 2012 untersucht hat und auf seinem Fachgebiet ebenfalls zu der eindeutigen Einschätzung gelangt ist, der Kläger sei jedenfalls für leichte körperliche Arbeiten vollschichtig einsatzfähig ohne außergewöhnlichen qualitativen Einschränkungen an die von ihm zu verrichtende Tätigkeit zu unterliegen. Ergänzend zu den Ausführungen der ersten Instanz fehlt es dem Gutachten der Sachverständigen Sch auch deshalb an Überzeugungskraft, weil deren Untersuchung des Klägers erst etwa ein Jahr nach letztmaligem Vorliegen der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen stattgefunden hat.

Ausgehend davon, dass die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen gem. § 43 Abs. 1 Nr. 2 bzw. Abs. 2 Nr. 2 SGB VI für die begehrte Rentengewährung – wie zwischen den Beteiligten unstreitig – letztmalig am 31. März 2012 erfüllt gewesen sind, müssen seither eingetretene Veränderungen in der gesundheitlichen Situation des Klägers außer Betracht bleiben. Demgemäß gab es keine Veranlassung zu einer weiteren Beweisaufnahme.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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