L 8 SB 675/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 3 SB 898/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 675/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 20.01.2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleiches (Merkzeichen) "RF" (Rundfunkbeitragsermäßigung) streitig.

Bei der 1962 geborenen Klägerin stellte das Landratsamt Reutlingen - Versorgungsamt - (LRA) in Ausführung eines beim Sozialgericht Reutlingen (SG) im Klageverfahren S 5 SB 1978/07 wegen der Zuerkennung des Merkzeichens "aG" geschlossenen Vergleichs unter Berücksichtigung eines organischen Nervenleidens sowie einer depressiven Verstimmung den Grad der Behinderung (GdB) mit 80 sowie die Merkzeichen "B" und "aG" neu und das Merkzeichen "G" weiterhin fest (Ausführungsbescheid vom 17.12.2008).

Am 20.05.2009 beantragte die Klägerin beim LRA die Zuerkennung des Merkzeichens "RF". Mit Bescheid vom 15.09.2009 entsprach das LRA diesem Antrag nicht. Ein hiergegen eingelegter Widerspruch blieb durch Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart - Landesversorgungsamt - vom 26.10.2009 ohne Erfolg. Hiergegen erhob die Klägerin Klage beim SG (S 5 SB 3862/09), die mit Gerichtsbescheid vom 26.07.2011 abgewiesen wurde. Die gegen den Gerichtsbescheid beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegte Berufung (L 8 SB 3807/11) wurde mit Urteil vom 27.01.2012 zurückgewiesen. Eine beim Bundessozialgericht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wurde mit Beschluss vom 17.04.2012 (B 9 SB 11/12 B) als unzulässig verworfen.

02.01.2015 beantragte die Klägerin beim LRA erneut das Merkzeichen "RF". Sie machte eine chronisch progrediente Encephalomyelitis disseminata (Multiple Sklerose), Trigenimusschmerzen, Panikattacken und Angst in Menschenmassen geltend. Das LRA holte den Befundschein von Dr. C. vom 20.02.2015 ein, der mitteilte, die Klägerin leide unter einer chronisch-progredienten Multiplen Sklerose mit deutlichen Einschränkungen der Bewegungsfähigkeit, des Gleichgewicht, der freien Gehstrecke, jüngst auch zunehmend mit Gedächtnisstörungen und Einschränkung der hirnorganischen Leistungsfähigkeit. Außerdem bestünden rezidivierende depressive Symptome, bedingt durch Krankheitssymptome (Schmerzen) und aus der Krankheit resultierenden sozialen Probleme. Eine Teilnahme am öffentlichen Leben sei weitgehend eingeschränkt. Die Einnahme hochdosierter schmerzdistanzierender Medikamente seien erforderlich. In der eingeholten gutachtlichen Stellungnahme des ärztlichen Dienstes vom 27.03.2015 schlug Dr. F. wegen eines organischen Nervenleidens und Depression den GdB weiterhin mit 80 vor und verneinte die Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF".

Mit Bescheid vom 21.04.2015 entsprach das LRA dem Antrag auf Feststellung des Merkzeichens "RF" nicht.

Hiergegen legte die Klägerin am 15.05.2015 Widerspruch ein. Sie legte zur Begründung eine Bescheinigung des Facharztes für Anästhesiologie T. , Kreiskliniken R. , vom 24.08.2015 vor, in der das Vorliegen einer chronischen Schmerzsymptomatik im weit fortgeschrittenen Chronifizierungsstadium mit Konsequenzen für das gesamte Leben der Klägerin beschrieben wird. In der hierzu eingeholten gutachtlichen Stellungnahme des ärztlichen Dienstes vom 04.12.2015 schlug Dr. G. wegen eines organischen Nervenleidens, seelischen Störung und chronisches Schmerzsyndrom den GdB nunmehr mit 90 vor und verneinte weiterhin die Voraussetzungen für eine Rundfunkbeitragsermäßigung.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14.03.2016 wies das Regierungspräsidium Stuttgart - Landesversorgungsamt - den Widerspruch der Klägerin zurück. Die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" lasse sich nicht begründen.

Am 07.04.2016 erhob die Klägerin Klage beim SG. Sie machte unter Bezug auf die Bescheinigung des Facharztes für Anästhesiologie T. vom 24.08.2015 im Verlauf des Klageverfahrens geltend, es sei ihr nicht möglich an öffentlichen Veranstaltungen ständig teilzunehmen. Sie bekomme in Menschenmengen Panikzustände, Herzrasen und Todesangst. Sie leide an einer sehr schmerzhaften Trigeminusneuralgie. Sie sei definitiv nicht in der Lage, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen.

Das SG hörte Dr. C. schriftlich als sachverständigen Zeugen an. Dr. C. teilte in seiner Aussage vom 01.06.2016 den Behandlungsverlauf, die Befunde und Diagnosen mit. Er erachtete die Klägerin wegen ihrer Schmerzen für kaum in der Lage, längere Termine einzuhalten und damit auch öffentliche Veranstaltungen zu besuchen. Die Klägerin wäre zwar in der Lage, öffentliche Veranstaltungen zu besuchen, aufgrund der Schmerzen der eingeschränkt Konzentrationsfähigkeit sei dies aber nur sehr eingeschränkt sinnvoll/durchführbar.

Anschließend holte das SG von Amts wegen das Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. P. vom 08.11.2016 ein. Dr. P. diagnostizierte in seinem Gutachten auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet eine progrediente Encephalomyelitis disseminata mit symptomatischer Trigeminusneuralgie beidseits, krankheitsbedingte Bewegungsstörungen, Ataxie, Koordinationsstörungen, Gangstörungen, hirnorganische leichtere Beeinträchtigungen, Sprach- und Sprechstörungen sowie ein Fatigue-Syndrom, eine depressive Anpassungsstörung im Rahmen der Grunderkrankung und sozialen Folgeproblemen. Dr. P. gelangte zusammenfassend zu der Beurteilung, die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" seien nicht erfüllt. Zumindest könne nicht von einer ständigen gesundheitlichen Voraussetzung ausgegangen werden, die eine ständige Verhinderung der Teilnahme am öffentlichen Leben bedinge. Die Klägerin sei wegen ihrer Leiden nicht ständig an die Wohnung gebunden.

Mit Gerichtsbescheid vom 20.01.2017 wies das SG die Klage, gestützt auf das Gutachten des Dr. P. , ab. Bei der Klägerin lägen die Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht nicht vor. Zwar betrage der bei ihr vorliegende GdB 80. Die Klägerin sei aber durch die bei ihr vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht ständig an der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen gehindert. Dies ergebe sich auch nicht aus der sachverständigen Zeugenauskunft des behandelnden Arztes der Klägerin Dr. C. vom 16.06.2016.

Hiergegen richtet sich die von der Klägerin am 15.02.2017 beim SG eingelegte Berufung, die dem Landessozialgericht Baden-Württemberg am 22.02.2017 vorgelegt worden ist. Die Klägerin macht zur Begründung geltend, ihr Gesundheitszustand habe sich dramatisch verschlechtert. Sie hat das Attest des Facharztes für Anästhesiologie T. vom 08.05.2017 vorgelegt, in dem eine weitere Verschlechterung des Allgemeinzustandes attestiert und die Voraussetzungen des Merkzeichens "RF" als "zunehmend erfüllt" angesehen wird.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 20.01.2017 sowie den Bescheid des Beklagten vom 21.04.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.03.2016 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "RF" seit 02.01.2015 festzustellen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Eine dramatische Verschlechterung im Gesundheitszustand der Klägerin, die gegebenenfalls nun das streitige Merkzeichen rechtfertigen könnte, sei nicht nachgewiesen. Es sei durchaus denkbar, dass die Klägerin dem Inhalt einer dargebotenen Veranstaltung nicht vollständig folgen könne. Diese Einschränkung rechtfertigte das Merkzeichen "RF" nicht.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Beklagter: Schriftsatz vom 17.10.2017, Klägerin: Schreiben vom 30.10.2017).

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die angefallenen Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf einen Band Verwaltungsakten des Beklagten und die beigezogene Senatsakte L 8 SB 3807/11 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG), ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig aber nicht begründet. Der streitgegenständliche Bescheid des LRA vom 21.04.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.03.2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen zur Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs (Merkzeichen) "RF". Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG ist nicht zu beanstanden.

Die Voraussetzungen des Merkzeichens "RF" sind nach § 69 Abs. 5 SGB IX i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 5 Schwerbehindertenausweis-Verordnung (SchwbAwV) landesrechtlich und daher in Baden-Württemberg für die Zeit seit dem 01.01.2013 im Rundfunkbeitragsstaatsvertrag (RBStV) vom 15.12.2010, der in Baden-Württemberg durch das Gesetz zum Fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag und zur Änderung medienrechtlicher Vorschriften vom 18.10.2011 (GBl. S. 477 ff.) gilt, enthalten. Nach § 4 Abs. 2 RBStV wird bei gesundheitlichen Einschränkungen keine Befreiung mehr gewährt, es werden lediglich die Rundfunkbeiträge ermäßigt. Die medizinischen Voraussetzungen wurden jedoch im Verhältnis zu dem zuvor geltenden Recht nicht geändert. Gleichermaßen ist in § 4 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 RBStV, zuvor § 6 Abs. 1 Nrn. 7 und 8 RGebStV, vorausgesetzt, dass es sich um - blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von (wenigstens) 60 vom Hundert allein wegen der Sehbehinderung (Nr. 1 bzw. Nr. 7. a), - hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist (Nr. 2 bzw. Nr. 7. b), oder - behinderte Menschen, deren Grad der Behinderung nicht nur vorübergehend wenigsten 80 vom Hundert beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können (Nr. 3 bzw. Nr. 8), handelt.

Diese Voraussetzungen sind bei der Klägerin nicht erfüllt. Sie hat keinen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen zur Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "RF", weil sie weder blind noch gehörlos oder hörgeschädigt in dem dargestellten Maß ist. Zwar ist der Kläger ein GdB von wenigstens 80 zuerkannt, doch ist sie nach Überzeugung des Senats nicht wegen ihrer Leiden von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ständig und allgemein ausgeschlossen. Insoweit kommt es darauf an, ob der behinderte Mensch gerade wegen seines Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen kann. Er muss also gerade wegen seines Leidens allgemein und umfassend von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen, d.h. von Zusammenkünften politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher und unterhaltender Art ausgeschlossen sein, also allenfalls an einem nicht nennenswerten Teil der Gesamtheit solcher Veranstaltungen teilnehmen können (BSG, Urt. v. 10.08.1993 - 9/9a RVs 7/91 -, SozR 3-3870 § 48 Nr. 2; Urteil vom 12.02.1997 - 9 RVs 2/96 -, SozR 3-3780 § 4 Nr. 7;.Senatsurteil 24.10.2016 - L 8 SB 3744/15 -, juris RdNr. 39). Bei der vom BSG vertretenen Auslegung muss der behinderte Mensch praktisch an das Haus gebunden sein, um seinen Ausschluss an öffentlichen Veranstaltungen begründen zu können (ständ. Rspr. des Senats, vgl. stellvertr. Beschluss vom 20.08.2010 - L 8 SB 818/10 -, unveröffentlicht).

Nach dem im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten Gutachten des Dr. P. vom 08.11.2016, der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage von Dr. C. vom 01.06.2016 sowie der Bescheinigung des Facharztes für Anästhesiologie T. , Kreiskliniken R. , vom 24.08.2015 bestehen bei der Klägerin eine progrediente Encephalomyelitis disseminata (Multiple Sklerose) mit symptomatischer Trigeminusneuralgie beidseits und depressiven Anpassungsstörungen im Rahmen der Grunderkrankung und sozialen Folgeproblemen. Es bestehen dadurch Bewegungsstörungen, Ataxie, Koordinationsstörungen, Gangstörungen, hirnorganische Beeinträchtigungen / Hirnleistungsminderung, Sprach- und Sprechstörungen sowie ein Fatigue-Syndrom. Bei der Klägerin kommt es zunehmend zu einer muskulären Schwäche, besonders auf der gesamten linken Körperhälfte, zu Gang- und Gleichgewichtstörungen. Aufgrund der Schmerzsymptomatik im Gesicht, betreffend den Ober- und Unterkiefer sowie ausstrahlend in beide Stirnhälften, kommt es regelmäßig zu zusätzlichen Kopfschmerzen, Ohrgeräuschen, Magenschmerzen, Schwindel und Kribbelparästhesien der linken Hand. Schlucken, Essen, Zähneputzen und Grimassieren führen zur Schmerzverstärkung. Die Klägerin befindet sich deswegen seit Februar 2015 beim Facharzt für Anästhesiologie T. in ambulanter Behandlung, zuletzt in Abständen von ein bis zwei Wochen. Die Klägerin muss stark wirksame nebenwirkungsbehaftete Schmerzmittel einnehmen, die Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Benommenheit, Gleichgewichtsstörungen und Sehstörungen beinhalten und weitere Nebenwirkungen hervorrufen können. Sie ist aufgrund ihrer Schmerzen kaum in der Lage, längere Termine einzuhalten. Die Konzentrationsstörungen und wiederkehrende Attacken der Trigeminusneuralgie bedingen ein erhebliches Nachlassen der Konzentrationsfähigkeit nach etwa 30 Minuten.

Trotz dieser bei ihr vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen, die der Senat nicht verkennt, steht für den Senat fest, dass die Klägerin in zumutbarer Weise öffentliche Veranstaltungen in einem nennenswerten Teil der Gesamtheit aufsuchen kann. Den bestehenden Mobilitätsbeeinträchtigungen (Bewegungsstörungen, Ataxie/Gangstörungen, Koordinationsstörungen, muskuläre Schwäche, Gleichgewichtsstörungen) können mit Hilfe einer Begleitperson und/oder technischer Hilfsmittel (Rollstuhl) soweit ausgeglichen werden, dass sie dem Besuch von öffentlichen Veranstaltungen nicht entgegenstehen. Eine Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen durch Rollstuhlfahrer mit und ohne Begleitpersonen wird heute als normal empfunden. Für diesen Personenkreis sind in den meisten Fällen auch entsprechende Vorkehrungen geschaffen wie z.B. Rampen, verbreiterte Türen, geeignete Toiletten (vgl. Senatsurteil vom 21.05.2010 - L 8 SB 3588/09 -; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17.11.2004 - L 10 SB 17/03 -, juris). Diesen Behinderungen hat der Beklagte auch durch die Zuerkennung der Merkzeichen "G", "B" und "aG" Rechnung getragen. Dies gilt auch im Hinblick auf die bestehende Schmerzsymptomatik. Die Klägerin befindet sich wegen ihrer Schmerzen in schmerztherapeutischer Behandlung. Dass die Klägerin allein wegen bestehender Schmerzen von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ständig und allgemein ausgeschlossen ist, lässt sich der Bescheinigung des Facharztes für Anästhesiologie T. vom 24.08.2015 bzw. auch seinem ärztlichen Attest vom 08.05.2017 sowie der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage des Dr. C. vom 01.06.2016 nicht entnehmen. Dr. C. geht lediglich davon aus, dass die Klägerin aufgrund ihrer Schmerzen kaum in der Lage ist, längere Termine einzuhalten. Dies schließt - entgegen seiner Ansicht - den Besuch von öffentlichen Veranstaltungen nicht aus. Dies gilt auch für bestehende Sprech-/Sprachstörungen bzw. Ohrgeräusche oder Kribbelparästhesien der linken Hand. Auch die Einschränkung der Konzentrationsfähigkeit/Konzentrationsstörungen rechtfertigen nicht die Zuerkennung des Merkzeichens "RF". Mit der Rechtsprechung des BSG genügt für die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen vielmehr die bloße körperliche Anwesenheit bei öffentlichen Veranstaltungen. Teilnahme ist ohne Rücksicht darauf zu verstehen, ob der Teilnehmer geistig (noch) in der Lage ist, dem Dargebotenen zu folgen (vgl. BSG 28.06.2000 - B 9 SB 2/00 R -, SozR 3-3870 § 4 Nr. 26 = juris RdNr. 13; BSG 11.09.1991 - 9a/9 RVs 15/89 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 2 = juris; BSG 16.03.1994 - 9 RVs 3/93 - juris). Auch die als Anlage zu § 2 der VersMedV vom 10.12.2008 (BGBl. I S. 2412), zuletzt durch Art. 18 Abs. 4 des Gesetzes vom 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234) geändert, ergangenen Versorgungsmedizinischen Grundsätze enthalten eben so wenig wie deren Vorgängerin die sog. AHP nähere Bestimmungen, die die Teilnahmefähigkeit erläutern. Mithin hat das BSG zutreffend im Hinblick auf die Voraussetzungen des Merkzeichens "RF" auf die Fähigkeit zur körperlichen Anwesenheit abgestellt. Auch der Senat hat bereits entschieden, dass die fehlende geistige Fähigkeit, den Inhalt öffentlicher Veranstaltungen zu erfassen, keinen Anspruch auf den Nachteilsausgleich "RF" begründet, wenn der Behinderte noch in der Lage ist, die äußeren Umstände einer Veranstaltung als solche wahrzunehmen und zu erkennen, (Senatsbeschluss 09.08.2011 - L 8 SB 5408/08 - juris RdNr. 24 unter Hinweis auf BSG 11.09.1991 - 9 a/9 RVs 15/89 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 2 = juris). Dafür, dass die Klägerin nicht in der Lage ist, die äußeren Umstände einer Veranstaltung als solche wahrzunehmen und zu erkennen, findet sich kein Anhaltspunkt. Eine andere Auslegung des Begriffs der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen lässt sich auch nicht aus dem SGB IX ableiten, denn die Regelungen des RBStV gehören nicht zum SGB und sind daher nicht dessen Regelungen unterworfen, wie das BSG zur früheren Verordnung über die Voraussetzung für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht in der Fassung vom 18.03.1993 - RGVO - (Amtsblatt des Saarlandes 1993, 266) entschieden hat (BSG 28.06.2000 - B 9 SB 2/00 R - SozR 3-3870 § 4 Nr. 26 = juris RdNr. 11). Auch Panikzustände in Menschenmengen rechtfertigen die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" nicht. Dadurch wird die Möglichkeit der Klägerin hauptsächlich zum Besuch von "Großveranstaltungen" eingeengt.

Nach den von Dr. P. in seinem Gutachten vom 08.11.2016 beschriebenen Angaben der Klägerin ist diese auch nicht praktisch an das Haus gebunden. Ihr ist es nach ihren Angaben bei der Untersuchung durch Dr. P. möglich, von ihrem Wohnort (B. U. ) mit eigenem Pkw die Städte R. , T. und M. zu erreichen. Therapeutische Kontakte (Ergotherapie, Physiotherapie, Reittherapie) finden regelmäßig statt. Darüber hinaus ist es der Klägerin auch möglich, in ein Café, wo man sie kennt, regelmäßig einzukehren, wo sie sich mit Bekannten trifft und Zeitung liest, wobei sie mit Begleitung in das Lokal gebracht wird. Zwar hat der Facharzt für Anästhesiologie Dr. T. in seinem von der Klägerin im Berufungsverfahren vorgelegten ärztlichen Attest vom 08.05.2017 attestiert, die Klägerin könne nur noch zu Arztbesuchen und therapeutischen Behandlungen die Wohnung verlassen. Seine weiteren Angaben im Attest vom 08.05.2017, insbesondere die körperliche Belastbarkeit der Klägerin habe im Laufe der Behandlung deutlich abgenommen, zunehmend komme es bei der Klägerin zur muskulärer Schwäche, machen nicht plausibel, dass die Klägerin tatsächlich (nunmehr) praktisch an das Haus gebunden wäre. Dass bei der Klägerin eine muskuläre Schwäche bzw. eine fehlende körperliche Belastbarkeit vorliegt, die nicht mit Hilfe einer Begleitperson und/oder technischer Hilfsmittel (Rollstuhl) ausgeglichen werden, lässt sich dem Attest vom 08.05.2017 nicht entnehmen und ist auch sonst nicht dokumentiert. Es überzeugt deshalb auch nicht, wenn der Facharzt für Anästhesiologie T. in seinem Attest vom 08.05.2017 davon ausgeht, die Klägerin könne nur noch zu Arztbesuchen und therapeutischen Behandlungen die Wohnung verlassen.

Gründe, die in den Leiden der Klägerin liegen und die ihr selbst eine solche körperliche Anwesenheit unmöglichen machen, oder wegen ihrer Gebrechen sie zum Anlass für Ausgrenzung durch Dritte machen bzw. Dritte zum Verlassen der Veranstaltung veranlassen, hat weder die Klägerin vorgetragen und sind auch sonst nicht feststellen.

Hiervon ausgehend steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin trotz der bei ihr zweifellos vorliegenden erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die der Senat nicht verkennt, in zumutbarer Weise öffentliche Veranstaltungen in einem nennenswerten Teil der Gesamtheit aufsuchen kann. Es verbleiben eine hinreichende Anzahl von Veranstaltungen tagsüber und ohne Menschenansammlungen, deren Besuch der Klägerin zumutbar möglich ist (z.B. der Besuch von kleineren Sportveranstaltungen, Veranstaltungen im Freien, Museen, Zoo, künstlerische Ausstellungen, Gottesdienste). Es genügt nicht, dass die Teilnahme an einzelnen, Veranstaltungen bestimmter Art nicht möglich ist. Die Voraussetzungen für die Feststellung des Nachteilsausgleichs "RF" liegen damit bei der Klägerin nicht vor. Hiervon geht auch Dr. P. in seinem Gutachten vom 08.11.2016 aus. Auch Dr. C. hat in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage an das SG vom 01.06.2016 die Klägerin für grundsätzlich in der Lage gehalten, öffentliche Veranstaltungen zu besuchen, wenn auch mit der Einschränkung, dass dies nur sehr eingeschränkt sinnvoll bzw. durchführbar wäre. Diese Einschränkung des Dr. C. ist nach dem oben Ausgeführten allerdings rechtlich ohne Belang. Ein ständiger Ausschluss der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ergibt sich aus den Darlegungen von Dr. C. nicht. Dass der Besuch von – entsprechenden – Veranstaltungen mangels ausreichender Konzentrationsfähigkeit und wegen auftretender Schmerzen nicht sinnvoll sei, begründet nicht den durch das Merkzeichen "RF" beabsichtigten Nachteilsausgleich, wie oben dargelegt. Auch der Facharzt für Anästhesiologie hat zuletzt in seinem ärztlichen Attest vom 08.05.2017 nicht angenommen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichen "RF" bei der Klägerin erfüllt sind, sondern, dass die Klägerin diese Voraussetzungen wegen einer Verschlechterung des Allgemeinzustandes "zunehmend erfüllt".

Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt. Der Senat hält weitere Ermittlungen, nicht für erforderlich. Die vorliegenden ärztlichen Unterlagen haben mit den sachverständigen Zeugenauskünften die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 ZPO). Denn der medizinische festgestellte Sachverhalt bietet die Basis für die alleine vom Senat vorzunehmende rechtliche Bewertung unter Einschluss der Bewertung der sich zwischen den einzelnen Erkrankungen und Funktionsbehinderungen ergebenden Überschneidungen und Wechselwirkungen. Dass bei der Klägerin eine dramatische Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes eingetreten ist, wie Sie zur Begründung ihrer Berufung maßgeblich geltend macht, ist nicht festzustellen. Zwar wird in dem hierzu von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Attest des Facharztes für Anästhesiologie T. vom 08.05.2017 ausgeführt, dass die körperliche Belastbarkeit der Klägerin deutlich abgenommen habe. Dass die Klägerin wegen der eingeschränkten körperlichen Belastbarkeit außer Stande ist, öffentliche Veranstaltungen zu besuchen, wird im ärztlichen Attest vom 08.05.2017 nicht nachvollziehbar dargelegt, wie oben ausgeführt worden ist.

Die Berufung war nach alledem zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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