L 3 VE 1/14

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 59 VG 33/09
Datum
-
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 VE 1/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Über den Antrag nach § 109 SGG auf Anhörung eines bestimmten Arztes ohne Erhebung eines Kostenvorschusses bzw. mit vorheriger Entscheidung, die Kosten auf die Staatskasse zu übernehmen, entscheidet das Gericht isoliert. Das Gericht ist nicht gehalten, dem Antrag unter Fristsetzung für die Zahlung eines Kostenvorschusses stattzugeben, wenn der Antragsteller deutlich macht, dass er Kosten nicht übernehmen will oder kann.
Der Antrag der Klägerin auf Einholung eines Gutachtens durch den Oberarzt des U. Dr. K. nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne Erhebung eines Kostenvorschusses nach § 109 Abs. 1 Satz 2 SGG bzw. unter vorhergehender Entscheidung, die Kosten nach § 109 SGG auf die Staatskasse zu übernehmen, wird abgelehnt.

Gründe:

Gemäß § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG muss auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, dass der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt (§ 109 Abs. 1 Satz 2 SGG). Das Gericht kann den Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist (Abs. 2).

Der Antrag der Klägerin ist zulässig. Während die Klägerin den Antrag so formuliert, dass sie eine Gutachteneinholung ohne Zahlung eines Kostenvorschusses begehre, weil sie – wie sie näher darlegt angesichts ihrer finanziellen Situation nicht in der Lage sei, einen Kostenvor-schuss aufzubringen, stellt ihr Bevollmächtigter für sie den Antrag nach § 109 SGG unter Nennung des Arztes und beantragt darüber hinaus "schon jetzt", die Kosten der Anhörung auf die Staatskasse zu übernehmen. Beide Konstruktionen sind darauf gerichtet, der Klägerin das Aufbringen der Kosten für die Begutachtung von vornherein zu ersparen, indem entweder kein Kostenvorschuss erhoben oder noch vor Einholung des Gutachtens über eine Kostenübernahme auf die Staatskasse (zugunsten der Klägerin) entschieden wird, so dass deswegen ein Kostenvorschuss nicht mehr erhoben zu werden braucht. Obwohl in § 109 SGG nicht ausdrücklich vorgesehen, ist in einer solchen Situation isoliert darüber zu entscheiden, ob die Antragstellung nach § 109 SGG für den Antragsteller mit einer Kostenbe-lastung verbunden ist. Zwar liegen ansich die Voraussetzungen für die Stattgabe des Antra¬ges nach § 109 SGG vor, wenn ein bestimmter Arzt benannt wurde. Jedoch erscheint es nicht sachdienlich, dass das Gericht dem Antrag mit der Maßgabe stattgibt, dass ein bestimmter Kostenvorschuss in einer bestimmten Frist gezahlt wird, wenn schon feststeht, dass der Kostenvorschuss nicht gezahlt werden wird oder kann. Der Antragsteller bekäme in einem solchen Fall eine Bewilligung mit Kostenbelastung, obwohl er eine Bewilligung aus¬schließlich und nur ohne Kostenbelastung beantragt hat. Die Ablehnung der Kostenübernahme würde ihm nur indirekt mitgeteilt. Außerdem bestünde das Problem, dass die Bewilligung nicht automatisch gegenstandslos wird, wenn der Kostenvorschuss nicht innerhalb der Frist eingeht, und damit die Frage, ob die Bewilligung zumindest klarstellend wieder zu beseitigen wäre.

Diese hier vertretene Auffassung finde eine Bestätigung in der Rechtsprechung des Bundes-sozialgerichts und der Literatur. Obwohl das (Instanz-)Gericht die Anhörung des bestimmten Arztes von einem Kostenvorschuss abhängig machen könne, dürfe es nach der Rechtspre-chung des Bundessozialgerichts (BSG vom 31. Januar 1973, 9 RV 362/72, juris) aber bei Nichteinhaltung dieser Bedingung die aus rechtsstaatlichen Gründen ergangene zwingende Verfahrensvorschrift des § 109 Absatz 1 SGG nicht einfach übergehen. Werde der Antrag nach § 109 SGG bis zur letzten mündlichen Verhandlung nicht zurückgenommen, müsse das Gericht entweder durch Beschluss oder in den Urteilsgründen über den Antrag entschei¬den. Im SGG sei zwar nicht ausdrücklich gesagt, welche Folgen die Nichteinzahlung eines nach § 109 Absatz 1 Satz 2 SGG verlangten Kostenvorschusses nach sich ziehe. Wegen der sachlich ähnlichen Regelung im Zivilprozess sei es aber gerechtfertigt, über § 202 SGG die Vorschrift des § 379 Zivilprozessordnung (ZPO) und die erweiternde Vorschrift in § 114 Gerichtskostengesetz (GKG) ergänzend heranzuziehen. Danach unterblieben Handlungen des Gerichts, die mit Auslagen verbunden sind also auch die Ausführung einer Beweisan-ordnung -, wenn die zur Einzahlung eines Kostenvorschusses gesetzte Frist nicht eingehal¬ten und die Einzahlung auch nicht so zeitig nachgeholt werde, dass die Beweiserhebung ohne Verzögerung des Verfahrens durchgeführt werden könne. Die Nichteinzahlung des Vorschusses mache aber die Beweisanordnung als solche nicht hinfällig oder gegenstandslos. Sie beseitige auch den Anspruch aus § 109 Absatz 1 Satz 1 SGG nicht. Dieser könne, wenn der Antrag aufrechterhalten bleibt, nur aus den Gründen des § 109 Absatz 2 SGG ab¬gelehnt werden. In der Kommentarliteratur wird die Auffassung vertreten, dass, wenn der Antragsteller von vornherein erkläre, er werde einen Kostenvorschuss nicht bezahlen, das Gericht aber ein Gutachten ohne Kostenvorschuss nicht einholen wolle, es den Antrag unmittelbar ablehnen könne (Roller in Lüdtke, SGG-Handkommentar, Rz. 12 zu § 109). Verwiesen wird dabei auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 26. April 1967, 9 RV 634/65, SozR Nr. 35 zu § 109 SGG, die darlegt, dass ein Antrag nach § 109 SGG nicht deswegen unentschieden bleiben darf, weil der Antragsteller nicht seine Bereitschaft zur Übernahme des Kostenvor-schusses erklärt. Beantrage der Kläger nämlich die Anhörung eines bestimmten Arztes gemäß § 109 SGG "ohne Kostenvorschuss", so leide das Verfahren an einem wesentlichen Mangel, wenn der Tatsachenrichter über diesen Antrag weder durch besonderen Beschluss noch in den Urteilsgründen entscheide. Der Zusatz "ohne Kostenvorschuss" ändere nichts daran, dass § 109 Absatz 1 Satz 1 SGG ohne Einschränkung bestimme, dass auf Antrag ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden "muss" und diese zwingende Verfahrensvorschrift sonach nicht die vorherige Bereiterklärung des Antragstellers zur Leistung eines Kostenvor-schusses voraussetze. Das ergebe sich aus Satz 2 der Vorschrift, wonach es in das Ermessen des Gerichts gestellt sei, ob es die Anhörung von der Leistung eines Kostenvorschusses abhängig mache. Angesichts der Möglichkeit, von der Erhebung eines Kostenvorschusses abzusehen, müsse es auch dem Antragsteller gestattet sein, etwa bei schwierigen wirt-schaftlichen Verhältnissen zu beantragen, dass von der Anforderung eines Kostenvorschus-ses abgesehen werde. Das Gericht müsse sich dann schlüssig werden, ob dem in dieser Form gestellten Antrag stattzugeben oder ob er nach Abs. 1 Satz 2 des § 109 SGG abzu-lehnen sei (vgl. im Einzelnen BSG vom 26. April 1967, 9 RV 634/65, SozR Nr. 35 zu § 109 SGG).

Der Antrag ist jedoch unbegründet, weil keine besondere Sachlage gegeben ist, welche es rechtfertigt, von dem Aufbringen der Kosten für die Begutachtung nach § 109 SGG durch die Klägerin abzusehen. Weder sind die Voraussetzungen für einen Verzicht auf einen Kosten-vorschuss erfüllt, noch ist es möglich, "schon jetzt" die Kosten der Anhörung auf die Staatskasse zu übernehmen.

§ 109 SGG stellt es in das Ermessen des Gerichts, ob es die Anhörung eines bestimmten Arztes von einem Kostenvorschuss des Klägers abhängig machen will. Auch bei einem un-bemittelten Kläger, der die Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG begehrt, darf das Gericht die Einholung davon abhängig machen, dass der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt (vgl. Bundessozi-algericht (BSG) vom 26. August 1998, B 9 VS 7/98 B, juris, sowie schon vom 21. Januar 1958, 2 RU 256/55, SozR Nr. 21 zu § 109 SGG). Das Gericht ist gemäß § 103 SGG verpflichtet, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären und hat zu diesem Zweck u. U. auch medizinische Sachverständige anzuhören (durch schriftliche Gutachten oder Beweisaufnahmen im Termin). Unabhängig von dieser Verpflichtung des Gerichts besteht nach § 109 SGG für Versicherte, behinderte Menschen, Ver-sorgungsberechtigte oder Hinterbliebene die Möglichkeit, ihren Sachverhaltsvortrag durch die Anhörung eines Arztes ihrer Wahl zu untermauern. Da dieser Anspruch unabhängig von dem Umfang der Aufklärung durch das Gericht besteht, sieht das Gesetz eine Kostentragung des Antragstellers mit Vorschießen der voraussichtlichen Kosten und endgültiger Kostentragung vor, wenn das Gericht nicht weil das Gutachten oder die Anhörung den Prozess wesentlich gefördert hat die Übernahme der Kosten auf die Staatskasse beschließt. Die Übernahme der Kosten auf die Staatskasse ist also die Ausnahme, bei der sich das nicht vom Gericht eingeholte Gutachten oder die Anhörung im Nachherein als besonders sinnvoll für den Prozess erweist. Das Absehen von einem Kostenvorschuss ist eine noch weit gehende Ausnahme, bei der eine bestimmte Situation vorliegt, die es rechtfertigt, schon im Vorweg anzunehmen, dass das Gutachten oder die Anhörung den Prozess wesentlich fördern wird.

Eine ermessensfehlerfreie Ausübung im Sinne des § 109 Absatz 1 Satz 2 SGG kann es da-her im Einzelfall gebieten, die Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG auch dann nicht von der Zahlung eines Kostenvorschusses abhängig zu machen, wenn zwar ein von Amts wegen eingeholtes medizinisches Sachverständigengutachten bereits vorliegt, es sich aber z. B. um eine besonders schwierige Kausalitätsfrage aus dem Bereich des Unfallversiche-rungsrechts handelt oder die medizinische Frage besonders kontrovers ist, oder aber wenn der nach § 109 SGG benannte Arzt auf seinem Fachgebiet eine besondere wissenschaftli¬che Reputation genießt oder über neue Untersuchungsmethoden verfügt (BSG vom 23. September 1997, 2 BU 177/97, SozR 3-1500 § 109 Nr. 2 unter Verweis auf Gouder SGb 1984, 89). Eine derartige Situation ist jedoch im Falle der Klägerin nicht ersichtlich. Die Klägerin ist le-diglich der Auffassung, dass das vom Gericht eingeholte medizinische Sachverständigengutachten welches bei Unterstellung des weitgehend nicht belegbaren Sachverhaltsvortra-ges der Klägerin als wahr zu dem Ergebnis kommt, dass die Kriterien der medizinischen Wissenschaft für die von der Klägerin geltend gemachte Erkrankung nicht vorliegen und da-her die Erkrankung nicht festgestellt werden könne, unzutreffend sei, weil andere Ärzte ihr die Erkrankung (ohne nähere Begründung) attestiert haben.

Die Kosten für das Gutachten nach § 109 Abs. 1 Satz 2 SGG sind auf Antrag von der Staatskasse zu übernehmen, wenn das Gutachten bzw. die Anhörung den Rechtsstreit we-sentlich gefördert hat. Vorliegend sind keine Gesichtspunkte erkennbar, die es rechtfertigen könnten, schon im Voraus davon auszugehen, dass ein Gutachten nach § 109 SGG (zusätz-lich zu dem bereits eingeholten Gutachten im Rahmen des § 103 SGG) den Prozess we-sentlich fördern würde.

Eine Kostenentscheidung findet nicht statt.

Diese Entscheidung ist endgültig (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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