L 6 U 1309/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 10 U 1833/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 1309/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 21. November 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, gegenüber der Klägerin als Rechtsnachfolgerin eine Lungenerkrankung ihres verstorbenen Ehemannes als Berufskrankheit nach Nr. 4104 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) festzustellen.

Die Klägerin ist Witwe des 1952 geborenen und am 2004 verstorbenen, bei der Beklagten bis dahin freiwillig versicherten B. B. (im Folgenden: Versicherter), welcher als geschäftsführender Gesellschafter ein Tiefbauunternehmen betrieb. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor, welche Anfang 2004 noch im Haus der Eltern lebten und von diesen unterhalten wurden. Aufgrund eines beim Versicherten festgestellten ausgedehnten Tumorbefalls der Lungen im linken Lungenunterfeld erfolgte im 2003 bei einer Rechtsvorgängerin der Beklagten die ärztliche Anzeige des Verdachts einer Berufskrankheit. Mit Bescheid vom 11. Dezember 2003 lehnte diese die Feststellung einer solchen nach Nr. 4104 der Anlage 1 zur BKV beim Versicherten ab. Es habe nicht ermittelt werden können, ob der Tumor in der Lunge entstanden sei, also ein primäres Lungenkarzinom vorliege, oder es sich um Absiedelungen, mithin Metastasen, eines solchen handele. Somit fehle es am erforderlichen Vollbeweis eines primären Lungenkarzinoms. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 22. April 2005, der gegenüber der Klägerin erlassen wurde, zurückgewiesen. Der Rechtsbehelf sei zulässig, aber unbegründet.

Hiergegen hat diese am 10. Mai 2005 beim Sozialgericht F. (SG) Klage erhoben. Nach Einholung des Sachverständigengutachtens nach Aktenlage von Dr. F., Arzt für Arbeitsmedizin, vom 1. Juni 2006, wonach eine Minimalasbestose, Pleuraplaques oder eine Mindestdosis von Asbestfaserstaub nicht sicher als Grundlage für die Entstehung von Lungenkrebs diene, vielmehr in der Wissenschaft davon ausgegangen werde, dass sich diese Krankheit nicht deterministisch verhalte, und Brückenbefunde fehlten, hat das SG die Klage aufgrund der mündlichen Verhandlung am 21. November 2006, in der die Klägerin die Verpflichtung der Beklagten zur Anerkennung und Entschädigung einer Berufskrankheit nach Nr. 4104 der Anlage 1 zur BKV beim Versicherten begehrt hat, mit Urteil abgewiesen. Entscheidungserheblich sei, ob sie als Rechtsnachfolgerin des Versicherten einen auf sie übergegangenen Anspruch auf Verletztenrente habe. Über etwaige Ansprüche auf Hinterbliebenenrente sei hingegen keine Verwaltungsentscheidung getroffen worden und daher in diesem Rechtsstreit nicht zu befinden. Der verfolgbare Anspruch bestehe nicht, da die Verursachung des Lungenkarzinoms durch berufsbedingte Einwirkungen nicht im erforderlichen Maße nachgewiesen sei.

Gegen die den vorherigen Bevollmächtigten der Klägerin am 26. Februar 2007 zugestellte Entscheidung hat diese am 12. März 2007 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt, welche mit dem Aktenzeichen (Az.) geführt worden ist. Sie hat nunmehr als Rechtsnachfolgerin des Versicherten sinngemäß ausschließlich das Begehren weiterverfolgt, die Beklagte zu verpflichten, eine Berufskrankheit nach Nr. 4104 der Anlage 1 zur BKV festzustellen. In der nichtöffentlichen Sitzung am 21. Mai 2008 ist auf Antrag der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens angeordnet worden. Dieses ist am 31. März 2016 wieder angerufen und mit dem Az. fortgeführt worden.

Die Klägerin trägt im Wesentlichen vor, sie habe als Witwe und Sonderrechtsnachfolgerin des Versicherten ein Interesse an der Feststellung der Berufskrankheit, weil hiervon die Lebzeitenleistungen abhängig seien. Zum Zeitpunkt seines Todes sei auch ein Verwaltungsverfahren anhängig gewesen, wie dem Bescheid vom 11. Dezember 2003 zu entnehmen sei. § 59 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) entfalte keine Wirkung, wenn die behandelnden Ärzte eine Berufskrankheit zu Unrecht nicht angezeigt haben.

Sie beantragt (teilweise sachgerecht),

das Urteil des Sozialgerichts F. vom 21. November 2006 und den Bescheid vom 11. Dezember 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2005 aufzuheben sowie die Beklage zu verpflichten, eine Berufskrankheit nach Nr. 4104 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung bei ihrem verstorbenen Ehemann B. B. festzustellen, hilfsweise ein Sachverständigengutachten bei Prof. Dr. X. B., C. Human- und Gesundheitswissenschaften C. 1, Institut für Arbeitsmedizin, B. nach § 109 Sozialgerichtsgesetz einzuholen. Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Sie trägt im Wesentlichen vor, diese könne mit ihrem Begehren nicht durchdringen.

Der vormalige Bevollmächtigte hat mit Schriftsatz vom 9. September 2016 angekündigt, in einer mündlichen Verhandlung zu beantragen, die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin mit Wirkung ab dem 9. Februar 2004 eine Witwenrente in Höhe von monatlich 2.324 EUR zu zahlen. Die jetzigen Bevollmächtigten haben mit Schriftsatz vom 14. Dezember 2016 angeregt, die Beklagte möge einen rechtsbehelfsfähigen Bescheid über die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen erteilen.

Der Berichterstatter hat die Klägerin mit Schreiben vom 22. Februar 2017 auf die Erfolglosigkeit der Berufung hingewiesen. Ihr ist mitgeteilt worden, dass über das Rechtsmittel ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden wird. Den Beteiligten ist Gelegenheit gegeben worden, hierzu Stellung zu nehmen. Hierauf hat die Klägerin weiter vorgetragen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die Berufung nach § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richterinnen und Richter durch Beschluss, da die Berufsrichterin und -richter des Senats dieses Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halten. Den Beteiligten ist mit Schreiben vom 22. Februar 2017 Gelegenheit zur Stellungnahme zu dieser Verfahrensweise gegeben worden. Zudem ist die Klägerin darauf hingewiesen worden, dass die Berufung wenig aussichtsreich erscheint (vgl. BSG, Urteil vom 25. November 1999 - B 13 RJ 25/99 R -, SozR 3-1500 § 153 Nr. 9, S. 27). Eine nochmalige Anhörung war vor dem Hintergrund der Rechte der Klägerin auf effektiven Rechtsschutz und ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG; vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Januar 2009 - 2 BvR 2044/07 -, juris, Rz. 67 ff.) nicht nötig, da sich die Prozesssituation danach nicht wesentlich geändert hat (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 12. Aufl. 2017, § 153 Rz. 20 f.). Insbesondere sind danach weder wesentliche neue Tatsachen vorgetragen noch ist ein neuer Beweisantrag gestellt worden, der ausgehend von der Rechtsauffassung des Senats erheblich war (vgl. BSG, Urteil vom 17. September 1997 - 6 RKa 97/96 -, SozR 3-1500 § 153 Nr. 4). Die hilfsweise verfolgte Einholung eines Sachverständigengutachtens bei Prof. Dr. B. nach § 109 SGG, was mangels Benennung eines Beweisthemas bereits keinen Beweisantrag darstellt, ist aus tatsächlichen Gründen bedeutungslos, da eine solche Expertise mangels Zulässigkeit der Klage (s. sogleich) die Entscheidung von vornherein nicht beeinflussen kann, weshalb dieser Hilfsbeweisermittlungsantrag im Übrigen abgelehnt wurde.

Das Rechtsmittel der Klägerin ist form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden sowie im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft (§ 143, § 144 SGG), aber unbegründet. Denn die Klage ist unzulässig.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nach Auslegung des zuletzt Begehrten nach § 123 SGG das angefochtene Urteil des SG vom 21. November 2006, soweit die als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG; zur Klageart vgl. BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 - B 2 U 6/12 R -, SozR 4-2700 § 9 Nr. 22, Rz. 13 m. w. N) erhobene Klage abgewiesen wurde, mit welcher die Klägerin unter Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 4104 der Anlage 1 zur BKV beim Versicherten verfolgt hat (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. September 2009 - L 8 U 5884/08 -, juris, Rz. 32 ff. zu einer Teilrücknahme der Klage durch spätere Antragsbeschränkung). Hinterbliebenenleistungen wurden zwar angekündigt, letztendlich aber im Berufungsverfahren nicht konkret verfolgt. Dies zeigt sich auch daran, dass die jetzigen Bevollmächtigten im Dezember 2016 darauf gedrängt haben, hierüber erst noch eine Verwaltungsentscheidung herbeizuführen. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bezogen auf die vorliegende Klageart an sich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. Keller, a. a. O., § 54 Rz. 34), mangels Durchführung einer solchen indes derjenige der Entscheidung.

Zwar eröffnet § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG Versicherten und gegebenenfalls Rechtsnachfolgenden die Möglichkeit, Elemente eines Rechtsverhältnisses, vorliegend eines Versicherungsfalls, feststellen zu lassen. Allerdings ist eine solche gesetzlich zugelassene Elementenfeststellungsklage nur zulässig, wenn Beteiligte für die begehrte Anerkennung ein Feststellungsinteresse haben (vgl. BSG, Urteil vom 12. Januar 2010 - B 2 U 21/08 R -, SozR 4-2700 § 63 Nr. 6, Rz. 14).

An diesem prozessualen Interesse fehlt es, soweit die Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin (§ 56 SGB I) des Versicherten die Feststellung der Berufskrankheit nach Nr. 4104 der Anlage 1 zur BKV begehrt. Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB I gehen fällige Ansprüche auf laufende Geldleistungen beim Tod des Berechtigten unter anderem auf die Ehegattin (Nr. 1) über, wenn diese mit ihm zur Zeit seines Todes in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat oder von ihm wesentlich unterhalten worden ist. Gemäß § 59 Satz 1 SGB I erlöschen indes Ansprüche auf Dienst- und Sachleistungen mit dem Tod des Berechtigten. Ansprüche auf Geldleistungen erlöschen nach Satz 2 der Vorschrift nur, wenn sie im Zeitpunkt des Todes des Berechtigten weder festgestellt sind noch über sie ein Verwaltungsverfahren anhängig ist.

Als Sonderrechtsnachfolgerin hat die Klägerin damit ein Feststellungsinteresse nur, wenn als Folge der Anerkennung, also der Berufskrankheit nach Nr. 4104 der Anlage 1 zur BKV, ein Anspruch auf Geldleistungen bestehen und durch Sonderrechtsnachfolge auf sie übergegangen sein kann. Denn Sach- und Dienstleistungen sind höchstpersönlicher Natur und daher insbesondere weder übertragbar (§ 53 Abs. 1 SGB I) noch vererblich (Seewald, in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand: Mai 2017, § 11 SGB I, Rz. 9). Ein Anspruch des Versicherten auf Geldleistungen, von der Klägerin unpräzise als "Lebzeitenleistungen" bezeichnet, kommt vorliegend nicht in Betracht. Denn zum Zeitpunkt seines Todes am 9. Februar 2004 waren solche weder festgestellt noch ein Verwaltungsverfahren über sie anhängig (vgl. Siefert, in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand: September 2016, § 59 SGB I, Rz. 8 f.), weshalb sie jedenfalls erloschen sind und nicht auf sie als Sonderrechtsnachfolgerin übergegangen sein können. Mit dem Bescheid vom 11. Dezember 2003 ist demgegenüber nur die negative Feststellung getroffen worden, dass beim Versicherten keine Berufskrankheit nach Nr. 4104 der Anlage 1 zur BKV vorliegt. Es reicht nicht aus, dass irgendein Verwaltungsverfahren anhängig war, was die Klägerin verkennt. Ihre Auffassung, § 59 Satz 2 SGB I entfalte keine Wirkung, wenn die behandelnden Ärzte eine Berufskrankheit zu Unrecht nicht angezeigt haben, überschreitet den Wortlaut der Norm als Grenze der Auslegung (vgl. BSG, Urteil vom 20. März 2013 - B 12 KR 4/11 R -, SozR 4-2500 § 257 Nr. 1, Rz. 22 m. w. N.).

Das Feststellungsinteresse lässt sich auch nicht daraus ableiten, dass ihr die begehrte Feststellung bei der Durchsetzung eines Anspruches auf Hinterbliebenenrente nach Maßgabe des § 63 Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) einen rechtlichen Vorteil verschaffen könnte (vgl. BSG, a. a. O., Rz. 17).

Daher war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Da die Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin des Versicherten in diesem Verfahren beteiligt war, sind von ihr gemäß § 183 Satz 1 SGG keine Gerichtskosten zu zahlen.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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