Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 31 SF 12/15 E
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AL 69/16 B KO
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
zeitliche Wirkung der Beiordnung eines im Wege der PKH beigeordneten Rechtsanwaltes
1. § 48 Abs. 4 Satz 1 RVG stellt allein auf die zeitliche Wirkung der Beiordnung ab. Dementsprechend kann sich die "andere Bestimmung" im Sinne des § 48 Abs. 4 Satz 1 RVG auch nur auf den Zeitpunkt der ansonsten auf die Antragstellung zurückwirkenden Beiordnung beziehen.
2. Macht das die Prozesskostenhilfe bewilligende Gericht von der in § 48 Abs. 4 Satz 1 RVG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, abweichend vom Grundsatz, dass sich die Beiordnung auf Tätigkeiten ab dem Zeitpunkt der Beantragung der Prozesskostenhilfe erstreckt, eine zeitliche Begrenzung zu bestimmen, ab dem die Bewilligung und Beiordnung wirken soll, ist diese für die Festsetzung des Vergütungsanspruches des beigeordneten Rechtsanwaltes gegen die Staatskasse maßgeblich und im Vergütungsfestsetzungsverfahren
bindend. Außerhalb dieses Zeitraumes liegende Tätigkeiten des Rechtsanwaltes können daher bei der Ausfüllung der Kriterein nach § 14 Abs. 1 RVG nicht herangezogen werden.
1. § 48 Abs. 4 Satz 1 RVG stellt allein auf die zeitliche Wirkung der Beiordnung ab. Dementsprechend kann sich die "andere Bestimmung" im Sinne des § 48 Abs. 4 Satz 1 RVG auch nur auf den Zeitpunkt der ansonsten auf die Antragstellung zurückwirkenden Beiordnung beziehen.
2. Macht das die Prozesskostenhilfe bewilligende Gericht von der in § 48 Abs. 4 Satz 1 RVG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, abweichend vom Grundsatz, dass sich die Beiordnung auf Tätigkeiten ab dem Zeitpunkt der Beantragung der Prozesskostenhilfe erstreckt, eine zeitliche Begrenzung zu bestimmen, ab dem die Bewilligung und Beiordnung wirken soll, ist diese für die Festsetzung des Vergütungsanspruches des beigeordneten Rechtsanwaltes gegen die Staatskasse maßgeblich und im Vergütungsfestsetzungsverfahren
bindend. Außerhalb dieses Zeitraumes liegende Tätigkeiten des Rechtsanwaltes können daher bei der Ausfüllung der Kriterein nach § 14 Abs. 1 RVG nicht herangezogen werden.
I. Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 12. April 2016 aufgehoben und die Erinnerung der Beschwerdegegnerin gegen den Festsetzungsbeschluss vom 10. Dezember 2014 zurückgewiesen.
II. Diese Entscheidung ergeht gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe:
I.
Streitig ist die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Vergütung einer im Rahmen der Prozesskostenhilfe (PKH) in einem sozialgerichtlichen Verfahren beigeordneten Rechtsanwältin.
Die Klägerin führte - zunächst selbst und später anwaltlich durch die Beschwerdegegnerin vertreten - vor dem Sozialgericht Chemnitz (SG) das Klageverfahren S 31 AL 327/14, mit dem sie sich gegen die Aufhebung von Arbeitslosengeld wandte. In der mündlichen Verhandlung am 24.11.2014 bewilligte das SG der Klägerin auf Antrag vom 06.08.2014 PKH unter Beiordnung der Beschwerdegegnerin ab 24.11.2014. Das Verfahren wurde durch gerichtlichen Vergleich beendet.
Mit Schriftsatz vom 08.12.2014 beantragte die Beschwerdegegnerin, ihre aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren und Auslagen nach den Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) und dessen Vergütungsverzeichnisses (VV RVG) für das Klageverfahren S 31 AL 327/14 wie folgt festzusetzen:
Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG 300,00 EUR Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG 280,00 EUR Einigungs-/Erledigungsgebühr nach Nr. 1006 VV RVG 300,00 EUR Pauschale für Post- und Telekommunikation nach Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR Fahrtkosten nach Nr. 7003 VV RVG für 80 Kilometer 24,00 EUR Tage- und Abwesenheitsgeld nach Nr. 7005 VV RVG zu 1/11 25,00 EUR Zwischensumme netto 949,00 EUR 19 % Umsatzsteuer 180,31 EUR Gesamtbetrag 1.129,31 EUR
Mit Beschluss vom 10.12.2014 setzte der Urkundsbeamte des SG die der Beschwerdegegnerin aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen für das Klageverfahren auf insgesamt 534,31 EUR wie folgt fest:
Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG 50,00 EUR Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG 280,00 EUR Einigungs-/Erledigungsgebühr nach Nr. 1006 VV RVG 50,00 EUR Pauschale für Post- und Telekommunikation nach Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR Fahrtkosten nach Nr. 7003 VV RVG für 80 Kilometer 24,00 EUR Tage- und Abwesenheitsgeld nach Nr. 7005 VV RVG 25,00 EUR Zwischensumme netto 449,00 EUR 19 % Umsatzsteuer 85,31 EUR Gesamtbetrag 534,31 EUR
Bei der Festsetzung der Verfahrensgebühr könne nur der anwaltliche Aufwand ab dem Zeitpunkt der Bewilligung von PKH und Beiordnung der Beschwerdegegnerin berücksichtigt werden. Da hier lediglich noch die mündliche Verhandlung wahrgenommen worden sei, rechtfertige sich die Festsetzung der Mindestgebühr. Gleichen Erwägungen folge die Festsetzung der Einigungsgebühr.
Auf die hiergegen gerichtete Erinnerung setzte das SG mit Beschluss vom 12.04.2016 unter Zurückweisung der Erinnerung im Übrigen die an die Beschwerdegegnerin zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 653,31 EUR fest. Der zwischen PKH-Antrag und dem Beiordnungszeitpunkt eingereichten Klagebegründung komme auch die Funktion zu, die Erfolgsaussicht des PKH-Antrages zu begründen. Unter Berücksichtigung dessen, erscheine eine doppelte Mindestgebühr jeweils für Verfahrens- und Einigungsgebühr angemessen. Das SG hat die Beschwerde zugelassen.
Gegen den am 14.04.2016 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde des Beschwerdeführers vom 18.04.2016. Die ursprüngliche Festsetzung des Urkundsbeamten sei nicht zu beanstanden, da die gesamte anwaltliche Tätigkeit vor dem Wirksamwerden der Beiordnung am 21.11.2014 keine Berücksichtigung finden könne. Der Umfang der PKH-Bewilligung bemesse sich nach dem Tenor im PKH-Beschluss. Hier sei abweichend vom Tag der Antragstellung ein anderer Zeitpunkt bestimmt, nämlich der 21.11.2014.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Akten des Vergütungsfestsetzungsverfahrens einschließlich des PKH-Beiheftes sowie die Akten des Hauptsacheverfahrens Bezug genommen.
II.
Die vom SG zugelassene Beschwerde, über die wegen grundsätzlicher Bedeutung der Senat entscheidet (§ 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG), ist begründet.
Die Festsetzung des Urkundsbeamten vom 10.12.2014 ist nicht zu beanstanden.
Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG richtet sich die Höhe der Vergütung nach den Bestimmungen des VV RVG, wobei in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen - wie hier - das Gerichtskostengesetz nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 RVG). Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG bestimmt der Rechtsanwalt die Rahmengebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Grundsätzlich ist für den Durchschnitts- oder Normalfall die Mittelgebühr billige Gebühr im Sinne des RVG. Die Mittelgebühr ist in Fällen zugrunde zu legen, in denen sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts nicht nach oben oder unten vom Durchschnitt abhebt; sie gilt damit in "Normalfällen" als billige Gebühr (Bundessozialgericht, Urteil vom 09.12.2010 – B 13 R 63/09 R – juris RdNr. 35 m.w.N.). Jedes in § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG genannte Bemessungskriterium kann indes Anlass sein, vom Mittelwert nach oben oder unten abzuweichen, soweit ein Umstand vom Durchschnitt abweicht (Mayer in: Gerold/Schmidt, RVG, 22. Aufl. 2015, § 14 RdNr. 10).
1. Unter Berücksichtigung dessen erweist sich die Festsetzung der sich nach Nr. 3102 VV RVG bemessenden Verfahrensgebühr in Höhe der Mindestgebühr als angemessen.
Die insoweit zu berücksichtigende anwaltliche Tätigkeit beschränkte sich hier allein auf die Wahrnehmung der mündlichen Verhandlung am 21.11.2014, die bereits mit der Terminsgebühr abgegolten ist. Die anwaltliche Tätigkeit vor dem 21.11.2014 kann bei der Gebührenbemessung keine Beachtung finden.
Nach § 48 Abs. 1 RVG bestimmt sich der Vergütungsanspruch des Rechtsanwalts gegen die Staatskasse nach den Beschlüssen, durch die die PKH bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet oder bestellt worden ist. Er ist damit nach Grund und Höhe vom Umfang der Beiordnung abhängig (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 47. Aufl. 2017, § 48 RVG RdNr. 5 m.w.N.). Dabei ist die Entscheidung des in der Sache zuständigen Spruchkörpers über den Umfang der Bewilligung von PKH und der Beiordnung für das gesamte Festsetzungsverfahren vorgreiflich und bindend (vgl. Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 22. Aufl. 2015, § 55 RdNr. 24; H. Schneider, in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Aufl. 2017, § 48 RdNr. 2). Eine inhaltliche Überprüfung und Korrektur dieser Entscheidung durch den für die Kostenfestsetzung zuständigen Spruchkörper ist damit nicht möglich (so auch Hessisches Landessozialgericht [LSG], Beschluss vom 10.07.2015 – L 2 SF 11/15 E – juris RdNr. 23; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 03.03.2017 - L 4 AS 141/16 B – nicht veröffentlicht).
Nach § 48 Abs. 4 Satz 1 RVG erstreckt sich die Beiordnung in Angelegenheiten in denen nach § 3 Abs. 1 RVG Betragsrahmengebühren entstehen, regelmäßig auf Tätigkeiten ab dem Zeitpunkt der Beantragung der PKH, soweit vom PKH bewilligenden Gericht nichts anderes bestimmt ist. Enthält die Bewilligungs- und Beiordnungsentscheidung also keine ausdrückliche Bestimmung zum Umfang der Beiordnung, wirkt sie auf den Zeitpunkt der Antragstellung zurück.
Wird – wie hier – durch den für die Bewilligung und Beiordnung zuständigen Spruchkörper allerdings eine zeitliche Begrenzung und damit ein vom Antragszeitpunkt abweichender Zeitpunkt bestimmt, ab dem die Bewilligung und Beiordnung des Rechtsanwaltes wirken soll, so ist für das Vergütungsfestsetzungsverfahren dieser Zeitpunkt maßgeblich, ohne dass im Festsetzungsverfahren aufgrund der Bindungswirkung der PKH-Entscheidung die inhaltliche Berechtigung dieser Begrenzung zu prüfen ist.
Nicht zu folgen ist der Auffassung, wonach durch die Festlegung eines Zeitpunktes für das Wirksamwerden der im Rahmen der Bewilligung von PKH erfolgten Beiordnung keine zeitliche, sondern eine sachliche, auf bestimmte Tätigkeiten bzw. Gebührentatbestände bezogene Einschränkung sein soll, bzw. eine zeitliche Einschränkung allenfalls dann möglich sein soll, wenn der PKH-Beschluss zusätzlich zu der Zeitangabe einen hinreichenden Bezug auf eine bestimmte nach dem Willen des Gerichts nicht bei der Vergütungsbemessung zu berücksichtigende Tätigkeit herstellt (so SG Dortmund, Beschluss vom 16.11.2015 – S 32 SF 135/15 E – juris RdNr. 63).
Zum einen lässt der Wortlaut der Vorschrift diesen Schluss nicht zu. Denn § 48 Abs. 4 Satz 1 RVG stellt allein auf die zeitliche Wirkung der Beiordnung ab. Dementsprechend kann die "andere Bestimmung" sich auch nur auf den Zeitpunkt der ansonsten auf die Antragstellung zurückwirkenden Beiordnung beziehen. Anderes ergibt sich auch nicht aus der Gesetzesbegründung. Denn danach dient die Regelung allein dem Zweck, die zeitliche Wirkung der Beiordnung in den Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit klarzustellen bzw. neu zu regeln. Es soll lediglich die nach alter Rechtslage vermeintlich bestehende Lücke zwischen dem Zeitpunkt der Antragstellung und dem Zeitpunkt der Bewilligung bzw. Beiordnung für die kostenlose Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts dadurch geschlossen werden, dass neben der Tätigkeit im Klageverfahren bis zur Bewilligung auch die Tätigkeit im PKH-Bewilligungsverfahren von der bewilligten PKH erfasst wird (BT-Drs. 17/11471, S. 270). Der Gesetzgeber stellt jedoch ausdrücklich klar, dass dem Gericht die Möglichkeit verbleibt, hiervon abweichend etwas anderes zu bestimmen, mit der Folge, dass von der Beiordnung bestimmte Tätigkeiten nicht umfasst werden (Ebert in Mayer/Kroiß, RVG, 6. Aufl. 2013, RdNr. 103). Allein die Frage, ob und inwieweit die anwaltliche Tätigkeit innerhalb dieses zeitlichen Rahmens für die zu gewährende Vergütung relevant ist, bleibt dem Festsetzungsverfahren nach § 55 RVG vorbehalten.
Im konkreten Fall können daher bei der Ausfüllung der Kriterien nach § 14 Abs. 1 RVG nur Umstände ab dem Zeitpunkt der Beiordnung der Beschwerdegegnerin am 24.11.2014 herangezogen werden.
Die zeitliche Zäsur durch die Bestimmung eines Beiordnungszeitpunktes erfasst auch sämtliche davorliegende Tätigkeiten im PKH-Bewilligungsverfahren (Ebert in Mayer/Kroiß, RVG, 6. Aufl. 2013, RdNr. 103; offengelassen Hessisches LSG, Beschluss vom 10.07.2015 – L 2 SF 11/15 E – juris RdNr. 26). § 48 Abs. 4 Satz 2 RVG ist nicht dahingehend zu verstehen, dass die zeitliche Begrenzung der Beiordnung nur noch für die Festsetzungsfähigkeit einer bestimmten Gebühr dem Grunde nach bedeutsam ist und im Übrigen die gesamte anwaltliche Tätigkeit ab PKH-Antragstellung von der Beiordnung erfasst wird (so aber SG Dortmund, Beschluss vom 16.11.2015 – S 32 SF 135/15 E – juris RdNr. 65). Es widerspräche dem Sinn und Zweck der zeitlichen Begrenzung der Wirkung der Beiordnung durch das bewilligende Gericht, den vor der Beiordnung liegenden Aufwand für das Stellen und die Begründung des PKH-Antrages auch in diesem Fall zu berücksichtigen. Denn dies würde faktisch auf eine nicht zulässige inhaltliche Änderung der Bewilligungsentscheidung im Festsetzungsverfahren hinauslaufen (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 03.03.2017 - L 4 AS 141/16 B – nicht veröffentlicht). Gegen eine solche Sichtweise spricht auch nicht, dass nach § 122 Abs. 1 Nr. 3 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 73a Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes, die Bewilligung der PKH bewirkt, dass die beigeordneten Rechtsanwälte Ansprüche auf Vergütung gegen ihre Mandanten nicht geltend machen können (so aber z.B. Bayerisches LSG, Beschluss vom 22.07.2010 – L 15 SF 303/09 B E – juris, RdNr. 21; SG Dortmund, Beschluss vom 25.07.2015 – S 28 SF 311/13 E –, juris RdNr. 16). Denn gleiche Wirkungen treten ein, wenn der später beigeordnete Rechtsanwalt bereits im gerichtlichen Verfahren tätig wurde und die PKH erst zu einem späteren Zeitpunkt während des laufenden Verfahrens beantragt wird (etwa, weil Bedürftigkeit erst zu diesem Zeitpunkt vorliegt). Auch hier würde die Beiordnung maximal auf den Antragszeitpunkt zurückwirken (§ 48 Abs. 4 Satz 1 RVG) und die anwaltliche Tätigkeit vor diesem Zeitpunkt bei der Gebührenfestsetzung unbeachtet bleiben.
Nach allem ist die anwaltliche Tätigkeit der Beschwerdegegnerin nur ab dem Zeitpunkt der PKH-Bewilligung und ihrer Beiordnung am 24.11.2014 anhand der Vorgaben aus § 14 Abs. 1 RVG gebührenrechtlich zu bewerten. Eine für die Bemessung der Verfahrensgebühr relevante anwaltliche Tätigkeit fand im Beiordnungszeitraum nicht statt, so dass eine Festsetzung über der Mindestgebühr nicht gerechtfertigt war.
2. Die in Höhe der Verfahrensgebühr angefallene Einigungsgebühr nach Nr. 1006 VV RVG war damit ebenfalls auf 50,00 EUR festzusetzen.
Diese Entscheidung ergeht gebührenfrei (§ 56 Abs. 2 Satz 2 RVG). Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 3 RVG). Sie ist nicht weiter anfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).
Dr. Wahl Fischer Schurigt
II. Diese Entscheidung ergeht gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe:
I.
Streitig ist die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Vergütung einer im Rahmen der Prozesskostenhilfe (PKH) in einem sozialgerichtlichen Verfahren beigeordneten Rechtsanwältin.
Die Klägerin führte - zunächst selbst und später anwaltlich durch die Beschwerdegegnerin vertreten - vor dem Sozialgericht Chemnitz (SG) das Klageverfahren S 31 AL 327/14, mit dem sie sich gegen die Aufhebung von Arbeitslosengeld wandte. In der mündlichen Verhandlung am 24.11.2014 bewilligte das SG der Klägerin auf Antrag vom 06.08.2014 PKH unter Beiordnung der Beschwerdegegnerin ab 24.11.2014. Das Verfahren wurde durch gerichtlichen Vergleich beendet.
Mit Schriftsatz vom 08.12.2014 beantragte die Beschwerdegegnerin, ihre aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren und Auslagen nach den Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) und dessen Vergütungsverzeichnisses (VV RVG) für das Klageverfahren S 31 AL 327/14 wie folgt festzusetzen:
Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG 300,00 EUR Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG 280,00 EUR Einigungs-/Erledigungsgebühr nach Nr. 1006 VV RVG 300,00 EUR Pauschale für Post- und Telekommunikation nach Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR Fahrtkosten nach Nr. 7003 VV RVG für 80 Kilometer 24,00 EUR Tage- und Abwesenheitsgeld nach Nr. 7005 VV RVG zu 1/11 25,00 EUR Zwischensumme netto 949,00 EUR 19 % Umsatzsteuer 180,31 EUR Gesamtbetrag 1.129,31 EUR
Mit Beschluss vom 10.12.2014 setzte der Urkundsbeamte des SG die der Beschwerdegegnerin aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen für das Klageverfahren auf insgesamt 534,31 EUR wie folgt fest:
Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG 50,00 EUR Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG 280,00 EUR Einigungs-/Erledigungsgebühr nach Nr. 1006 VV RVG 50,00 EUR Pauschale für Post- und Telekommunikation nach Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR Fahrtkosten nach Nr. 7003 VV RVG für 80 Kilometer 24,00 EUR Tage- und Abwesenheitsgeld nach Nr. 7005 VV RVG 25,00 EUR Zwischensumme netto 449,00 EUR 19 % Umsatzsteuer 85,31 EUR Gesamtbetrag 534,31 EUR
Bei der Festsetzung der Verfahrensgebühr könne nur der anwaltliche Aufwand ab dem Zeitpunkt der Bewilligung von PKH und Beiordnung der Beschwerdegegnerin berücksichtigt werden. Da hier lediglich noch die mündliche Verhandlung wahrgenommen worden sei, rechtfertige sich die Festsetzung der Mindestgebühr. Gleichen Erwägungen folge die Festsetzung der Einigungsgebühr.
Auf die hiergegen gerichtete Erinnerung setzte das SG mit Beschluss vom 12.04.2016 unter Zurückweisung der Erinnerung im Übrigen die an die Beschwerdegegnerin zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 653,31 EUR fest. Der zwischen PKH-Antrag und dem Beiordnungszeitpunkt eingereichten Klagebegründung komme auch die Funktion zu, die Erfolgsaussicht des PKH-Antrages zu begründen. Unter Berücksichtigung dessen, erscheine eine doppelte Mindestgebühr jeweils für Verfahrens- und Einigungsgebühr angemessen. Das SG hat die Beschwerde zugelassen.
Gegen den am 14.04.2016 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde des Beschwerdeführers vom 18.04.2016. Die ursprüngliche Festsetzung des Urkundsbeamten sei nicht zu beanstanden, da die gesamte anwaltliche Tätigkeit vor dem Wirksamwerden der Beiordnung am 21.11.2014 keine Berücksichtigung finden könne. Der Umfang der PKH-Bewilligung bemesse sich nach dem Tenor im PKH-Beschluss. Hier sei abweichend vom Tag der Antragstellung ein anderer Zeitpunkt bestimmt, nämlich der 21.11.2014.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Akten des Vergütungsfestsetzungsverfahrens einschließlich des PKH-Beiheftes sowie die Akten des Hauptsacheverfahrens Bezug genommen.
II.
Die vom SG zugelassene Beschwerde, über die wegen grundsätzlicher Bedeutung der Senat entscheidet (§ 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG), ist begründet.
Die Festsetzung des Urkundsbeamten vom 10.12.2014 ist nicht zu beanstanden.
Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG richtet sich die Höhe der Vergütung nach den Bestimmungen des VV RVG, wobei in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen - wie hier - das Gerichtskostengesetz nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 RVG). Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG bestimmt der Rechtsanwalt die Rahmengebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Grundsätzlich ist für den Durchschnitts- oder Normalfall die Mittelgebühr billige Gebühr im Sinne des RVG. Die Mittelgebühr ist in Fällen zugrunde zu legen, in denen sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts nicht nach oben oder unten vom Durchschnitt abhebt; sie gilt damit in "Normalfällen" als billige Gebühr (Bundessozialgericht, Urteil vom 09.12.2010 – B 13 R 63/09 R – juris RdNr. 35 m.w.N.). Jedes in § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG genannte Bemessungskriterium kann indes Anlass sein, vom Mittelwert nach oben oder unten abzuweichen, soweit ein Umstand vom Durchschnitt abweicht (Mayer in: Gerold/Schmidt, RVG, 22. Aufl. 2015, § 14 RdNr. 10).
1. Unter Berücksichtigung dessen erweist sich die Festsetzung der sich nach Nr. 3102 VV RVG bemessenden Verfahrensgebühr in Höhe der Mindestgebühr als angemessen.
Die insoweit zu berücksichtigende anwaltliche Tätigkeit beschränkte sich hier allein auf die Wahrnehmung der mündlichen Verhandlung am 21.11.2014, die bereits mit der Terminsgebühr abgegolten ist. Die anwaltliche Tätigkeit vor dem 21.11.2014 kann bei der Gebührenbemessung keine Beachtung finden.
Nach § 48 Abs. 1 RVG bestimmt sich der Vergütungsanspruch des Rechtsanwalts gegen die Staatskasse nach den Beschlüssen, durch die die PKH bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet oder bestellt worden ist. Er ist damit nach Grund und Höhe vom Umfang der Beiordnung abhängig (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 47. Aufl. 2017, § 48 RVG RdNr. 5 m.w.N.). Dabei ist die Entscheidung des in der Sache zuständigen Spruchkörpers über den Umfang der Bewilligung von PKH und der Beiordnung für das gesamte Festsetzungsverfahren vorgreiflich und bindend (vgl. Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 22. Aufl. 2015, § 55 RdNr. 24; H. Schneider, in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Aufl. 2017, § 48 RdNr. 2). Eine inhaltliche Überprüfung und Korrektur dieser Entscheidung durch den für die Kostenfestsetzung zuständigen Spruchkörper ist damit nicht möglich (so auch Hessisches Landessozialgericht [LSG], Beschluss vom 10.07.2015 – L 2 SF 11/15 E – juris RdNr. 23; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 03.03.2017 - L 4 AS 141/16 B – nicht veröffentlicht).
Nach § 48 Abs. 4 Satz 1 RVG erstreckt sich die Beiordnung in Angelegenheiten in denen nach § 3 Abs. 1 RVG Betragsrahmengebühren entstehen, regelmäßig auf Tätigkeiten ab dem Zeitpunkt der Beantragung der PKH, soweit vom PKH bewilligenden Gericht nichts anderes bestimmt ist. Enthält die Bewilligungs- und Beiordnungsentscheidung also keine ausdrückliche Bestimmung zum Umfang der Beiordnung, wirkt sie auf den Zeitpunkt der Antragstellung zurück.
Wird – wie hier – durch den für die Bewilligung und Beiordnung zuständigen Spruchkörper allerdings eine zeitliche Begrenzung und damit ein vom Antragszeitpunkt abweichender Zeitpunkt bestimmt, ab dem die Bewilligung und Beiordnung des Rechtsanwaltes wirken soll, so ist für das Vergütungsfestsetzungsverfahren dieser Zeitpunkt maßgeblich, ohne dass im Festsetzungsverfahren aufgrund der Bindungswirkung der PKH-Entscheidung die inhaltliche Berechtigung dieser Begrenzung zu prüfen ist.
Nicht zu folgen ist der Auffassung, wonach durch die Festlegung eines Zeitpunktes für das Wirksamwerden der im Rahmen der Bewilligung von PKH erfolgten Beiordnung keine zeitliche, sondern eine sachliche, auf bestimmte Tätigkeiten bzw. Gebührentatbestände bezogene Einschränkung sein soll, bzw. eine zeitliche Einschränkung allenfalls dann möglich sein soll, wenn der PKH-Beschluss zusätzlich zu der Zeitangabe einen hinreichenden Bezug auf eine bestimmte nach dem Willen des Gerichts nicht bei der Vergütungsbemessung zu berücksichtigende Tätigkeit herstellt (so SG Dortmund, Beschluss vom 16.11.2015 – S 32 SF 135/15 E – juris RdNr. 63).
Zum einen lässt der Wortlaut der Vorschrift diesen Schluss nicht zu. Denn § 48 Abs. 4 Satz 1 RVG stellt allein auf die zeitliche Wirkung der Beiordnung ab. Dementsprechend kann die "andere Bestimmung" sich auch nur auf den Zeitpunkt der ansonsten auf die Antragstellung zurückwirkenden Beiordnung beziehen. Anderes ergibt sich auch nicht aus der Gesetzesbegründung. Denn danach dient die Regelung allein dem Zweck, die zeitliche Wirkung der Beiordnung in den Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit klarzustellen bzw. neu zu regeln. Es soll lediglich die nach alter Rechtslage vermeintlich bestehende Lücke zwischen dem Zeitpunkt der Antragstellung und dem Zeitpunkt der Bewilligung bzw. Beiordnung für die kostenlose Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts dadurch geschlossen werden, dass neben der Tätigkeit im Klageverfahren bis zur Bewilligung auch die Tätigkeit im PKH-Bewilligungsverfahren von der bewilligten PKH erfasst wird (BT-Drs. 17/11471, S. 270). Der Gesetzgeber stellt jedoch ausdrücklich klar, dass dem Gericht die Möglichkeit verbleibt, hiervon abweichend etwas anderes zu bestimmen, mit der Folge, dass von der Beiordnung bestimmte Tätigkeiten nicht umfasst werden (Ebert in Mayer/Kroiß, RVG, 6. Aufl. 2013, RdNr. 103). Allein die Frage, ob und inwieweit die anwaltliche Tätigkeit innerhalb dieses zeitlichen Rahmens für die zu gewährende Vergütung relevant ist, bleibt dem Festsetzungsverfahren nach § 55 RVG vorbehalten.
Im konkreten Fall können daher bei der Ausfüllung der Kriterien nach § 14 Abs. 1 RVG nur Umstände ab dem Zeitpunkt der Beiordnung der Beschwerdegegnerin am 24.11.2014 herangezogen werden.
Die zeitliche Zäsur durch die Bestimmung eines Beiordnungszeitpunktes erfasst auch sämtliche davorliegende Tätigkeiten im PKH-Bewilligungsverfahren (Ebert in Mayer/Kroiß, RVG, 6. Aufl. 2013, RdNr. 103; offengelassen Hessisches LSG, Beschluss vom 10.07.2015 – L 2 SF 11/15 E – juris RdNr. 26). § 48 Abs. 4 Satz 2 RVG ist nicht dahingehend zu verstehen, dass die zeitliche Begrenzung der Beiordnung nur noch für die Festsetzungsfähigkeit einer bestimmten Gebühr dem Grunde nach bedeutsam ist und im Übrigen die gesamte anwaltliche Tätigkeit ab PKH-Antragstellung von der Beiordnung erfasst wird (so aber SG Dortmund, Beschluss vom 16.11.2015 – S 32 SF 135/15 E – juris RdNr. 65). Es widerspräche dem Sinn und Zweck der zeitlichen Begrenzung der Wirkung der Beiordnung durch das bewilligende Gericht, den vor der Beiordnung liegenden Aufwand für das Stellen und die Begründung des PKH-Antrages auch in diesem Fall zu berücksichtigen. Denn dies würde faktisch auf eine nicht zulässige inhaltliche Änderung der Bewilligungsentscheidung im Festsetzungsverfahren hinauslaufen (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 03.03.2017 - L 4 AS 141/16 B – nicht veröffentlicht). Gegen eine solche Sichtweise spricht auch nicht, dass nach § 122 Abs. 1 Nr. 3 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 73a Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes, die Bewilligung der PKH bewirkt, dass die beigeordneten Rechtsanwälte Ansprüche auf Vergütung gegen ihre Mandanten nicht geltend machen können (so aber z.B. Bayerisches LSG, Beschluss vom 22.07.2010 – L 15 SF 303/09 B E – juris, RdNr. 21; SG Dortmund, Beschluss vom 25.07.2015 – S 28 SF 311/13 E –, juris RdNr. 16). Denn gleiche Wirkungen treten ein, wenn der später beigeordnete Rechtsanwalt bereits im gerichtlichen Verfahren tätig wurde und die PKH erst zu einem späteren Zeitpunkt während des laufenden Verfahrens beantragt wird (etwa, weil Bedürftigkeit erst zu diesem Zeitpunkt vorliegt). Auch hier würde die Beiordnung maximal auf den Antragszeitpunkt zurückwirken (§ 48 Abs. 4 Satz 1 RVG) und die anwaltliche Tätigkeit vor diesem Zeitpunkt bei der Gebührenfestsetzung unbeachtet bleiben.
Nach allem ist die anwaltliche Tätigkeit der Beschwerdegegnerin nur ab dem Zeitpunkt der PKH-Bewilligung und ihrer Beiordnung am 24.11.2014 anhand der Vorgaben aus § 14 Abs. 1 RVG gebührenrechtlich zu bewerten. Eine für die Bemessung der Verfahrensgebühr relevante anwaltliche Tätigkeit fand im Beiordnungszeitraum nicht statt, so dass eine Festsetzung über der Mindestgebühr nicht gerechtfertigt war.
2. Die in Höhe der Verfahrensgebühr angefallene Einigungsgebühr nach Nr. 1006 VV RVG war damit ebenfalls auf 50,00 EUR festzusetzen.
Diese Entscheidung ergeht gebührenfrei (§ 56 Abs. 2 Satz 2 RVG). Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 3 RVG). Sie ist nicht weiter anfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).
Dr. Wahl Fischer Schurigt
Rechtskraft
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