S 36 AS 814/17

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Altenburg (FST)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
36
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 36 AS 814/17
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Der selbständige Leistungsberechtigte kann vor dem Hintergrund seiner Mitwirkungsobliegenheiten nicht deshalb auf Beibringung ausgefüllter Formulare zu Einnahmen und Ausgaben aus selbständiger Tätigkeit sowie auf Vorlage seiner Kontoauszüge verzichten, weil er behauptet, er hätte keine Aufträge gehabt. Die Prüfung, ob die Leistungsvoraussetzungen vorliegen, obliegt dem Leistungsträger und zwar aufgrund entsprechender Nachweise.
1. Der Antrag wird abgelehnt. 2. Der Antragsteller trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst. 3. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufige Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Er ist alleinstehend, wohnt zur Miete und steht in lfd. Leistungsbezug.

Die Antragsgegnerin hatte ihm zuletzt Leistungen bis einschließlich März 2017 bewilligt, und zwar vorläufig, weil der Antragsteller einer selbständigen Tätigkeit nachgeht, die er nach Aktenlage mit Recherchen für Rechtsanwälte bestreitet.

Mit Schreiben vom 09.02.2017 wurden dem Antragsteller drei Formulare übersandt, und zwar der Antrag auf Weiterbewilligung, die Prognose zu Einnahmen und Ausgaben aus selbständiger Tätigkeit und Erklärungen zu den erzielten Einnahmen und Ausgaben für die ersten drei Monate des letzten Bewilligungszeitraums sowie für den gesamten vorletzten Bewilligungszeitraum, incl. der zugehörigen Belege. Ferner wurde er gebeten, aktuelle Nachweise zu Einkommen und Vermögen, darunter Kontoauszüge der letzten zwei Monate vorzulegen.

Der Antragsteller beanstandete, dass der vorletzte Bewilligungszeitraum keine Auskunft über die tatsächlichen Verhältnisse gebe. Er reichte den Fortzahlungsantrag ein, die Prognose und einige teils geschwärzte Auszüge. Außerdem erklärte er sich bereit, weitere Unterlagen einzureichen, sofern dies nicht schon erfolgt sei. Er habe seit Oktober 2016 keine Aufträge und damit keine Einnahmen gehabt.

Die Antragsgegnerin erneuerte mit Schreiben vom 22.03.2017 ihre Aufforderung, einen aktuellen Kontoauszug des Bausparvertrages vorzulegen und bat um Mitteilung, über welches Konto die Gegenbuchungen für das P.-Konto laufen. Der Fallmanager forderte mit separatem Schreiben gleichen Datums die vollständigen Angaben für den vergangenen Bewilligungszeitraum und erneut "unbearbeitete" Kontoauszüge, die auch zur Einsicht vorgelegt werden könnten.

Der Antragsteller erwiderte, es sei systemwidrig, Unterlagen bis einschließlich März zu fordern, wenn für den Zeitraum ab April zu entscheiden sei. Er werde keine ungeschwärzten Auszüge vorlegen. In einer achtzeiligen Tabelle listete er für den abgelaufenen Zeitraum Ausgaben von 541,00 EUR auf, denen er keine Einnahmen gegenüber stellt.

Am 31.03.2017 stellte der Antragsteller einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz, den er in anwaltlicher Vertretung mit Schriftsatz vom 03.04.2017 unter Vertiefung seines bisherigen Vortrages begründen ließ. Die Leistungen seien dem Antragsteller spätestens am 01.04.2017 in zustehender Höhe zu zahlen. Die Mitwirkungspflichten seien kein Mittel, um eine vorläufige Leistungsgewährung zu verzögern.

Der Antragsteller beantragt,

die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller ab 01.04.2017 Leistungen gem. SGB II in gesetzlich zustehender Höhe zu zahlen.

Die Antragsgegnerin hat keinen Antrag gestellt.

Sie hat dargelegt, dass sie die Angaben zu Einnahmen und Ausgaben aus selbständiger Tätigkeit für die prognostische Einkommensermittlungen benötige. Insoweit seien die Auszüge nur vom 14.01. bis 16.03., 01.08. bis 04.10. und 26.10. bis 22.12.2016 aktenkundig. Zur aktuellen Bedürftigkeitsprüfung seien überdies die Auszüge für Januar 2017 und vom 09.03. bis 01.04.2017 vorzulegen.

Der Antragsteller wurde mit Verfügung vom 12.04.2017 um Stellungnahme gebeten, die bei Beschlussfassung nicht vorlag.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen. Die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin lag vor und ist Gegenstand der Entscheidung gewesen.

II.

Der Antrag hat keinen Erfolg.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweiligen Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes mit Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Eine solche Anordnung setzt sowohl einen Anordnungsanspruch, also ein materielles Recht in der Hauptsache, als auch einen Anordnungsgrund, d.h. Eilbedürftigkeit voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund müssen glaubhaft sein, § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung (ZPO).

Da der Antragsteller gegenwärtig nicht ausreichend seinen Mitwirkungspflichten im Verwaltungsverfahren nachkommt, fehlt es bereits am Rechtsschutzinteresse für die Inanspruchnahme gerichtlichen Eilrechtsschutzes, letztlich an der Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruches.

Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 und 3 SGB II umfasst das Alg II Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung. Der Regelbedarf für Alleinstehende beträgt ab 01.01.2017 mtl. 409,00 EUR, die Unterkunftskosten des Klägers betragen derzeit offenbar noch 326,50 EUR (Bruttokaltmiete) zzgl. Heizkosten von 73,50 EUR.

Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält, § 9 Abs. 1 SGB II.

Einkommen ist insbesondere solches aus selbständiger Tätigkeit § 11 i.V.m. § 13 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 Alg II-V. Aus den vorliegenden Unterlagen ist zu entnehmen, dass der Antragsteller zu Beginn der vergangenen beiden Bewilligungszeiträume mit keinem Gewinn gerechnet hat und nach seinen sporadischen Angaben auch davor von keinen Einkünften ausging, die (signifikant) über dem monatlichen Erwerbstätigenfreibetrag nach § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II gelegen hätten. Verwertbare Unterlagen, die Rückschlüsse auf Art und Umfang seiner Tätigkeit und die aktuelle Geschäftsentwicklung zulassen, liegen jedoch ebenso wenig vor wie aktuelle Kontoauszüge in aussagekräftiger Vollständigkeit.

Auch wenn erhebliche Zweifel bestehen, ob der Antragsteller überhaupt einer selbständigen Tätigkeit nachgeht, so hat er jedoch bislang nicht positiv erklärt, die "Bearbeitung von Rechtsfragen im Rahmen von Recherchen", wie sie auf seiner Internetseite beschrieben wird, nicht mehr zu betreiben.

Im Rahmen der Mitwirkungspflicht nach § 60 SGB I obliegt es ihm deshalb, namentlich bzgl. seiner selbständigen Tätigkeit alle Angaben zu machen, die leistungserheblich sind und dem Leistungsträger eine objektive Beurteilung der Einkommenssituation erlauben. Über den Umfang dieser Mitwirkungspflichten dürfte er mit Blick auf die Eilverfahren der letzten Jahre hinreichend informiert sein (vgl. etwa Beschluss vom 18.01.2017, S 36 AS 1/17 ER; Beschluss vom 29.06.2015 S 36 AS 1220/15 ER, Beschluss vom 01.12.2014, S 36 AS 3472/14 ER).

Die Einlassung, es komme nicht auf das Einkommen aus vergangenen Zeiträumen, sondern auf die gegenwärtige Situation an, trifft nur bedingt zu; denn auch eine vorläufige Entscheidung nach § 41a SGB II, auf die der Antragsteller Bezug nimmt, setzt voraus, dass die Anspruchsvoraussetzungen "mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorliegen"; und dies einzuschätzen, ist Aufgabe des Leistungsträgers auf Grundlage speziell abschließender Angaben, die der Antragsgegnerin bislang vorenthalten werden.

Zwar hat der Antragsteller angegeben, dass sich seine Gewinnsituation nicht ändern werde und zur Begründung "keine Aufträge" vermerkt. Er hat aber dennoch Ausgaben für Oktober 2016 bis März 2017 aufgelistet, die mit 541,00 EUR völlig außer Verhältnis zu den Einnahmen von "0 EUR" stehen. Weitere Angaben hat er nicht gemacht und der Antragsgegnerin damit die Möglichkeit genommen, die Gewinnsituation selbst einzuschätzen. Eine solche Einschätzung ist insbesondere anhand der bisherigen Einkommensentwicklung vorzunehmen, die sich vorzugsweise aus betriebswirtschaftlichen Abrechnungen, untersetzt mit entsprechenden Nachweisen ergibt (Mecke in Eicher: Kommentar zum SGB II, 3. Aufl. 2013, Rdn. 69 m.w.N.). Denn Selbständige haben zum Nachweis ihrer Hilfebedürftigkeit eine grundsicherungsrechtliche Buchführung vorzunehmen und sich der dafür vorgesehenen und von der Antragsgegnerin überlassenen Formulare zu bedienen (vgl. Geiger in LPK-SGB II, 4 Aufl. 2011, Rdn. 51 zu § 13). Warum sich der Antragsteller außerstande sieht, die Formulare auszufüllen bzw. für sich einen Verzicht auf Prüfungsmodalitäten in Anspruch nimmt, die für andere freiberuflich tätigen Leistungsempfänger selbstverständlich sind, hat er nicht darlegen können. Überdies fehlen bislang die aktuellen Girokontoauszüge, der aktuelle Kontoauszug für den Bausparvertrag und Ausführungen zu den Buchungsvorgängen auf dem P.konto.

Der Antragsgegnerin kann in Anbetracht dieser Umstände nicht vorgehalten werden, sie verzögere die Leistungsgewährung über Mitwirkungsaufforderungen. Dem Antragsteller wurden die Formulare per Mail vom 09.02.2017 übersandt, also fast zwei Monate vor Beginn des hier streitigen Bewilligungszeitraumes. Zuletzt mit Schreiben vom 22.03.2017 hatte die Antragsgegnerin klar zum Ausdruck gebracht, welche Informationen sie benötigt. Der Antragsteller ist bis jetzt diesen Aufforderungen nicht nachgekommen. Er hat es selbst in der Hand, durch Vorlage der erbetenen Unterlagen die Grundlage für eine vorläufige Bewilligung zu schaffen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe ist nach § 73a SGG i.V.m. § 114 ZPO wegen mangelnder Erfolgsaussicht abzulehnen.
Rechtskraft
Aus
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