L 11 R 3491/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 10 R 738/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 3491/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 08.07.2016 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahren mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Beigeladene zu 1) in seiner Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer bei der Klägerin vom 01.09.2010 bis 30.09.2015 abhängig beschäftigt war und der Sozialversicherungspflicht unterlag.

Die Klägerin ist eine im Handelsregister des Amtsgerichts Ulm (HRB ...) eingetragene Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Gegenstand des Unternehmens ist der Betrieb einer Tanzschule sowie kaufmännische Dienstleistungen und Beratung. Im hier streitgegenständlichen Zeitraum waren der Beigeladene zu 1) mit einer Stammeinlage von 15.000 EUR (33,3 %) und M. F. mit einer Stammeinlage von 30.000 EUR (66,7 %) als Gesellschafter an der Klägerin beteiligt. Der Beigeladene zu 1) ist ADTV-Tanzlehrer, M. F. ist Dipl. Betriebswirt. Beide Gesellschafter waren im hier streitgegenständlichen Zeitraum zu Geschäftsführern bestellt und vom Selbstkontrahierungsverbot befreit.

Die Klägerin und der Beigeladene zu 1) beantragten am 04.06.2015 die Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status des Beigeladenen zu 1). Sie gaben in dem Antrag an, dass der Beigeladene seit 01.09.2010 als einziger leitender Tanzlehrer bei der Klägerin als Geschäftsführer beschäftigt sei und die Tanzschule allein verantwortlich führe, da nur er als Tanzlehrer ausgebildet sei. Das Jahresarbeitsentgelt überschreite die allgemeine Jahresarbeitsentgeltgrenze nicht. Die Tätigkeit als Tanzlehrer sei am 01.09.2010 begonnen worden, Feststellungen durch eine Krankenkasse bzw einen Rentenversicherungsträger zu der Beurteilung des Versicherungsverhältnisses seien noch keine getroffen worden. Bis August 2010 habe der Beigeladene zu 1) ein Einzelunternehmen als ADTV-Tanzlehrer geleitet. Die tatsächliche durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit betrage 45-55 Stunden. Der Beigeladene zu 1) unterliege keinem Direktionsrecht der Gesellschaft bezüglich Zeit, Ort oder Art der Beschäftigung. Er erhalte eine monatliche gleichbleibende Vergütung iHv 2.400 EUR. Im Falle einer Arbeitsunfähigkeit werde die Vergütung sechs Wochen weitergezahlt. Von der Vergütung werde Lohnsteuer entrichtet. Zudem erhalte er eine Tantieme vom Jahresüberschuss. Die Mitarbeit in der GmbH sei durch einen besonderen Arbeitsvertrag geregelt. Ergänzend wurde der Geschäftsführerdienstvertrag vom 15.07.2010 sowie der Gesellschaftsvertrag vorgelegt.

In § 6 des Gesellschaftsvertrages ist geregelt, dass Beschlüsse mit einfacher Mehrheit gefasst werden, soweit Gesetz oder Gesellschaftsvertrag nichts Abweichendes vorsehen. Die Gesellschafterversammlung ist beschlussfähig, wenn zwei Drittel aller vorhandenen Stimmen anwesend oder vertreten sind. Ist diese Mindestzahl nicht erreicht, ist eine neue Gesellschafterversammlung einzuberufen, die ohne Rücksicht auf die Anzahl der anwesenden oder vertretenen Stimmen beschlussfähig ist. § 7 sieht vor, dass je volle 50 EUR Geschäftsanteil eine Stimme gewähren.

Der Geschäftsführerdienstvertrag lautet auszugsweise wie folgt: "§ 1 Aufgabenbereich des Geschäftsführers [ ] (3) Der Geschäftsführer hat in den Angelegenheiten der Gesellschaft die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes anzuwenden. Er hat eine Arbeitskraft, seine Kenntnisse und Erfahrungen der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen. Die Rechte und Pflichten des Geschäftsführers bestimmen sich nach Maßgabe dieses Vertrages, des Gesellschaftsvertrages, der jeweils geltenden Geschäftsordnung, den Weisungen der Gesellschaft und den ergänzenden gesetzlichen Vorschriften." [ ]

§ 3 Vertragsdauer (1) Der Dienstvertrag beginnt am 01.09.2010. Er ist auf unbestimmte Zeit geschlossen. (2) Die ersten sechs Monate gelten als Probezeit. Die Gesellschaft behält sich die Verlängerung der Probezeit um weitere drei Monate vor. Eine Verlängerung ist von der Gesellschaft spätestens einen Monat vor Ablauf der Probezeit dem Geschäftsführer gegenüber geltend zu machen. Während der Probezeit kann das Probearbeitsverhältnis beiderseits mit einmonatiger Frist, jeweils zum Monatsende gekündigt werden. [ ]

§ 4 Arbeitszeit/Nebentätigkeit (1) Der Geschäftsführer ist zur regelmäßigen Arbeitsleistung nach Arbeitsanfall verpflichtet. (2) Der Geschäftsführer ist im Rahmen seines Dienstverhältnisses bereit, Mehrarbeit zu leisten oder seine Arbeitszeit auf das Wochenende oder die Zeit nach 20:00 Uhr zu verlegen, wenn dies aus betrieblichen Gründen notwendig ist. (3) Dem Geschäftsführer ist eine Nebentätigkeit nur nach Genehmigung durch Gesellschafterversammlung gestattet. [ ] § 8 Urlaub (1) Der Geschäftsführer hat Anspruch auf einen Jahresurlaub von 30 Arbeitstagen, mit der Maßgabe, nur im Einklang mit der Geschäftslage zu nehmen."

Mit Schreiben vom 22.07.2015 hörte die Beklagte die Klägerin zu der Feststellung einer abhängigen Beschäftigung und von Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung an. Sie führte aus, dass ein gesonderter Arbeitsvertrag bestehe, der die Mitarbeit in der Gesellschaft regle und arbeitsvertragstypische Regelungen zum Urlaubsanspruch und zur Lohnfortzahlung bei Krankheit enthalte. Für die Tätigkeit werde eine monatliche Vergütung von 2.400,00 EUR gezahlt. Kraft des Anteils am Stammkapital könne kein maßgebender Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft genommen werden, da nur eine Beteiligung von 33,4 % vorliege.

Hierzu nahm die Klägerin dahingehend Stellung, dass von Anfang an beabsichtigt gewesen sei, dem Beigeladenen die Möglichkeit einzuräumen, Gesellschafterbeschlüsse zu blockieren, eine entsprechende Änderung der Satzung werde nunmehr dahingehend erfolgen, dass Gesellschafterbeschlüsse nur noch einstimmig möglich seien. In der Vergangenheit seien auch nur einstimmige Beschlüsse gefasst worden. Vor dem Datum des Prüfzeitraumes habe eine Versicherungsfreiheit vorgelegen und eine solche werde auch nach der Satzungsänderung wieder vorliegen. Nach dem Grundsatz der Kontinuität des Versicherungsschutzes sei eine zeitweise festgesetzte Rentenversicherungspflicht abzulehnen. Bei der im Jahr 2011 durchgeführten Betriebsprüfung sei keine Beanstandung erfolgt. Aufgrund der zu Beginn des Beschäftigungsverhältnisses vorliegenden Prüfschemata seien alle Merkmale für eine sozialversicherungsfreie Beschäftigung erfüllt gewesen. Da weder die Einzugsstelle ein Statusfeststellungsverfahren für notwendig gehalten, noch der Betriebsprüfer die sozialversicherungsrechtliche Einordnung beanstandet habe, könne für die Vergangenheit keine Versicherungspflicht gegeben sein. Die Meldebescheinigung nach § 25 DEÜV bezüglich des Beigeladenen zu 1) habe das Statuskennzeichen "2" enthalten. Damit sei er bei der Einzugsstelle als geschäftsführender Gesellschafter einer GmbH zu erkennen gewesen und hätte das automatische Feststellungsverfahren durchlaufen müssen. Dies sei jedoch nicht erfolgt. Die Krankenkasse habe sie erst 2015 aufgefordert, einen Antrag auf Statusfeststellung zu stellen. Dieser sei auf Einordnung ab der Antragstellung zu verstehen.

Mit Bescheid vom 29.09.2015 stellte die Beklagte das Vorliegen von Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung für die Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer bei der Klägerin ab dem 01.09.2010 fest. Zur Begründung führte sie aus, dass nach Gesamtwürdigung aller zur Beurteilung relevanter Tatsachen die Merkmale für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis überwiegen würden. Aufgrund des Stimmrechtsanteils sei es dem Beigeladenen nicht möglich, die Geschicke der Gesellschaft maßgeblich zu beeinflussen, ein unternehmerisches Risiko bestehe aufgrund der Zahlung fester Bezüge nicht. Die gewährte Gewinnbeteiligung in Form von Tantiemen führe zu keiner anderen Beurteilung, da diese nicht einem Wagniskapital gleichzusetzen sei, sondern sich als Ausdruck eines leistungsorientierten Vergütungsbestandteiles darstelle. Die Arbeitsleistung bleibe fremdbestimmt, da sie sich in eine von der Gesellschafterversammlung vorgegebene Ordnung des Betriebes eingliedere, wobei sich die Weisungsgebundenheit, wie bei Diensten höherer Art üblich, in eine dienende Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinere. Allein aus der weisungsfreien Ausübung der Tätigkeit könne nicht auf die selbstständige Tätigkeit geschlossen werden. Ein Gesellschafter-Geschäftsführer habe nur dann entscheidenden Einfluss auf die Geschicke der GmbH, wenn er aufgrund besonderer Vereinbarungen im Gesellschaftsvertrag Beschlüsse der anderen Gesellschafter verhindern könne (Sperrminorität). Eine solche Regelung fehle. Besondere Branchenkenntnisse stünden der Beurteilung der Tätigkeit als abhängige Beschäftigung nicht entgegen, da es durchaus üblich sei, dass Geschäftsführer über spezielle Fachkenntnisse verfügten.

Gegen den Bescheid erhob die Klägerin am 28.10.2015 Widerspruch und machte geltend, dass die Einordnung im Jahr 2010 auf Basis der damals vorhandenen Informationen erfolgt sei. Der Beigeladene sei aufgrund seiner zuvor ausgeübten 15-jährigen Tätigkeit privat krankenversichert gewesen und habe sich eine eigene Altersvorsorge aufgebaut. Im Jahr 2010 seien nur die Fremdgeschäftsführer hinsichtlich der Versicherungspflicht in der Diskussion gewesen, sodass wegen des Kontinuitätsgedankens von einer Versicherungsfreiheit auszugehen gewesen sei. Eine nachträglich abweichende Auslegungsauffassung der Gerichte könne nicht die damalige Entscheidungsgrundlage revidieren, dies gebe schon die Kausalität nicht her. Die A. habe die Anmeldung des Beigeladenen mit dem Statuskennzeichnen für Beitragsfreiheit nicht beanstandet, sodass die A. einen Antrag habe stellen müssen. Dieser Pflicht sei die A. nicht nachgekommen, sodass der Arbeitgeber hierfür nicht haftbar gemacht werden könne. Im Frühjahr 2015 sei die Aufforderung der A. zur Abgabe der Jahresmeldung für 2013 ergangen, wobei in einem Telefonat sodann zur Stellung eines Statusfeststellungsantrages geraten worden sei. Der Prüfzeitraum der Betriebsprüfung habe die ersten vier Monate der Tätigkeit, also bis 31.10.2010, umfasst, eine Beanstandung sei nicht erfolgt. Die monatliche Vergütung sei nur eine Art Abschlagszahlung, da eine Vergütung von 2.400,00 EUR nicht als angemessene Vergütung eines Geschäftsführers angesehen werden könne. Für eine angemessene Vergütung bedürfe es der Tantieme und ganz wesentlich einer Ausschüttung von erzielten Gewinnen. Somit trage der Beigeladene zu 1) das volle unternehmerische Risiko. Der weitere Gesellschafter verfüge mangels Ausbildung, Berufspraxis und Status im Verband nicht über die notwendigen Kenntnisse und Voraussetzungen, die Tanzschule zu betreiben, bei dem Anteilsverkauf sei daher weniger auf juristische Feinheiten als vielmehr auf das gemeinsame Ziel geachtet worden. Der GmbH-Satzung sei in diesem Zusammenhang keine Beachtung geschenkt worden. Diese sei am 01.10.2015 geändert worden. Der Änderungsbeschluss wurde übersandt.

Mit Teilabhilfebescheid vom 26.11.2015 nahm die Beklagte den Bescheid vom 29.09.2015 für die Zeit ab 01.10.2015 zurück und stellte fest, dass die Tätigkeit ab diesem Zeitpunkt nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde und daher keine Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestehe. Seit dem 01.10.2015 könne durch die Änderung der Satzung (Einstimmigkeitserfordernis bei Beschlüssen) maßgebender Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft genommen werden, sodass keine persönliche Abhängigkeit zum Auftraggeber mehr bestehe.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 05.02.2016 zurück und führte ergänzend aus, dass bei einem Geschäftsführer, der am Kapital der Gesellschaft nicht zur Hälfte beteiligt sei, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes in der Regel ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorliege. Der Umstand, dass der Satzung beim Anteilskauf wenig Beachtung geschenkt worden sei, könne nicht zum Ausschluss der statusrechtlichen Beurteilung führen, da die Regelungen wirksam gewesen seien. Zur Beschlussfassung sei eine einfache Mehrheit erforderlich gewesen, wobei sich die Stimmrechte nach der Höhe der Geschäftsanteile gerichtet habe. Eine Sperrminorität habe nicht bestanden, allein aus der im gewöhnlichen Geschäftsalltag weisungsfreien Ausführung der ansonsten fremdbestimmten Arbeit könne nicht auf eine selbstständige Tätigkeit geschlossen werden. Aus den Kapitalanteilen des Beigeladenen hätten keine größeren Chancen und Risiken noch Einflussmöglichkeiten auf die Ausgestaltung der eigenen Tätigkeit und die Geschicke der Gesellschaft resultiert. Der Beigeladene zu 1) habe ein festes monatliches Gehalt erhalten und ausschließlich mit seiner Stammeinlage gehaftet, das Vorhandensein von Branchenkenntnisse spreche nicht gegen das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung. Aus der Betriebsprüfung 2011 lasse sich kein Vertrauensschutz herleiten, da in deren Ergebnis keine verbindlichen Feststellungen konkret zu der zu beurteilenden Tätigkeit getroffen worden seien. Auch aus der Anmeldung gegenüber der Krankenkasse könne keine Rechtssicherheit hergeleitet werden. Die Bedeutung der gesellschaftsvertraglichen Rechtsmacht sei auch in den Entscheidungen des BSG vom 29.07.2015, 19.08.2015 und 11.11.2015 nochmals betont worden, die sogenannte "Kopf und Seele Rechtsprechung" sei aufgegeben und eine Rechtsmachtverschiebung aufgrund von Stimmbindungsvereinbarungen verneint worden.

Gegen den Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 03.03.2016 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben. Der Klägerbevollmächtigte hat ergänzend zu den Ausführungen im Verwaltungsverfahren geltend gemacht, dass Herrn F. Engagement für die Klägerin rein idealistische Motive, die in der Liebe zum Tanzsport begründet seien, habe. Der Beigeladene zu 1) hingegen sei vom Erfolg des Unternehmens existenziell abhängig. Nur er verfüge über die notwendigen Kenntnisse und Befähigungen. Nur er dürfe als einziger ADTV-Tanzlehrer ausbilden. Das Wohl und Wehe der Klägerin hänge maßgeblich an seiner Person. Entsprechend sei für die Klägerin auch eine abhängige Beschäftigung ausgeschlossen gewesen. Erst durch den in diesem Verfahren gelieferten Hinweis sei eine schon vorher bestehende Einstimmigkeitsregelung für Gesellschafterbeschlüsse in den Gesellschaftsvertrag mit Wirkung zum 01.10.2015 aufgenommen worden. Die Klägerin habe den Beigeladenen zu 1) bei der A. als Gesellschafter-Geschäftsführer gemeldet. Diese habe kein Statusfeststellungsverfahren eingeleitet. Dieses Fehlverhaltens dürfe keinesfalls zulasten der Klägerin gehen.

Mit Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 08.07.2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beklagte zutreffend zu dem Ergebnis gelangt sei, dass der Beigeladene im noch streitigen Zeitraum bei der Klägerin im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses tätig geworden sei und daher der Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung unterliege. Zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen habe ein Dienstvertrag bestanden, welcher Regelungen dahingehend enthalten habe, dass dem Beigeladenen ein festes monatliches Gehalt sowie ein Urlaubsanspruch zustehe. Damit bestünden wesentliche Regelungen, wie sie in einem Arbeitsvertrag typisch seien. Daraus folge auch gleichzeitig, dass ein relevantes unternehmerisches Risiko für den Beigeladenen nicht bestanden habe, da er seine Arbeitskraft nicht mit der Gefahr des Verlustes aufgewandt habe. Die wesentliche existenzsichernde Funktion erfülle ein Gehalt von 2.400 EUR zweifellos. Aus der Tatsache, dass der Beigeladene zu 1) Gesellschafter der Klägerin sei, ergebe sich keine andere Beurteilung, da dieser nur über einen Anteil am Stammkapital von 33,3 % verfüge und nach der Satzung der Gesellschaft Beschlüsse mit einfacher Mehrheit zu fassen gewesen seien. Eine Sperrminorität habe der Beigeladene zu 1) nicht gehabt. Der Umstand, dass die Einzugsstelle keinen Statusfeststellungsantrag gestellt habe, ändere nichts an der Versicherungspflicht. Unabhängig davon, welche Daten der Einzugsstelle übermittelt worden seien, normiere die Vorschrift des § 7a Abs 1 S 2 SGB IV nur eine Befugnis und Verpflichtung der Einzugsstelle zum Tätigwerden, deren Verletzung unter Umständen eine Amtshaftung begründen könne, aber keinen Einfluss auf den Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 7a SGB IV habe. Letztlich ergebe sich auch aus dem Betriebsprüfungsbescheid für das Jahr 2010 nichts anderes, da dieser keinerlei Feststellungen zu der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) enthalte.

Gegen das dem Klägerbevollmächtigten am 18.08.2016 zugestellte Urteil hat dieser am 15.09.2016 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass sich die Beklagte an der Beurteilung der Einzugsstelle festhalten lassen müsse. Diese habe trotz Meldung als Gesellschafter-Geschäftsführer mit dem Statuskennzeichen "2" keinen Antrag nach § 7a SGB IV gestellt. Damit habe sie zu erkennen gegeben, dass sie von einer selbstständigen Tätigkeit ausgehe. Zudem habe zwischen den Gesellschaftern Einigkeit bestanden, dass Gesellschafterbeschlüsse über den Kopf des jeweils anderen nicht gefasst werden sollten, sondern der Zustimmung jeweils beider bedürfe. Insoweit spiegele sich diese Vereinbarung auch in der Praxis wieder, da nur einstimmige Beschlüsse gefasst worden seien. Auch der Verfahrensverlauf zeige, dass die Einstimmigkeit Grundlage der Zusammenarbeit gewesen sei. Denn nach Anhörung durch die Beklagte sei der Gesellschaftsvertrag unmittelbar geändert worden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 08.07.2016 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29.09.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.02.2016, soweit nicht durch den Bescheid vom 26.11.2015 abgeholfen, aufzuheben und festzustellen, dass der Beigeladene zu 1) in seiner Tätigkeit bei der Klägerin vom 01.09.2010 bis 30.09.2015 nicht der Versicherungspflicht zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung unterlag.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass für die Feststellung einer selbständigen Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer die gesellschaftsvertragliche Rechtsmacht entscheidungserheblich sei.

Der Senat hat zusätzlich zur bereits beigeladenen Einzugsstelle die Pflegekasse und die Bundesagentur für Arbeit zum Verfahren beigeladen.

Wegen weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft, zulässig, aber in der Sache unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten, soweit nicht im Widerspruchsverfahren abgeholfen wurde, sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Beigeladene zu 1) übte seine Tätigkeit bei der Klägerin vom 01.09.2010 bis 30.09.2015 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses aus und unterlag in diesem Zeitraum der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse ist erst ab dem 01.10.2015 eingetreten. Die Zeit ab 01.10.2015 ist jedoch nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

Formell sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig. Sie sind nach erfolgter Anhörung der Beteiligten ergangen. Die Beklagte hat zudem die Anforderungen an eine Statusfeststellung erfüllt, die das Bundessozialgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat (BSG 11.03.2009, B 12 R 11/07 R, BSGE 103, 17 ff.; 04.06.2009, B 12 R 6/08 R, juris), und nicht nur eine isolierte Entscheidung über das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung "dem Grunde nach", sondern auch über das Vorliegen von Versicherungspflicht in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung getroffen.

Nach § 7a Abs 1 Satz 1 SGB IV können die Beteiligten schriftlich eine Entscheidung der nach § 7a Abs 1 Satz 3 SGB IV zuständigen Beklagten beantragen, ob eine Beschäftigung vorliegt, es sei denn, die Einzugsstelle oder ein anderer Versicherungsträger hätte im Zeitpunkt der Antragstellung bereits ein Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung eingeleitet. Die Beklagte entscheidet aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles, ob eine Beschäftigung vorliegt (§ 7a Abs 2 SGB IV). Das Verwaltungsverfahren ist in den Absätzen 3 bis 5 geregelt. § 7a Abs 6 SGB IV regelt in Abweichung von den einschlägigen Vorschriften der einzelnen Versicherungszweige und des SGB IV den Eintritt der Versicherungspflicht (Satz 1) und die Fälligkeit des Gesamtsozialversicherungsbeitrags (Satz 2). Abs 7 der Vorschrift ordnet die aufschiebende Wirkung von Klage und Widerspruch bezüglich der Fälligkeit der Beiträge an (Satz 1). Mit dem rückwirkend zum 01.01.1999 durch das Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit vom 20.12.1999 (BGBl I, 2000, 2) eingeführten Anfrageverfahren soll eine schnelle und unkomplizierte Möglichkeit zur Klärung der Statusfrage erreicht werden; zugleich sollen divergierende Entscheidungen verhindert werden (BT-Drs 14/1855, S 6).

Ein entsprechender Antrag auf Statusfeststellung ist seitens der Klägerin und des Beigeladenen zu 1) am 04.06.2015 bei der Beklagten eingegangen. Eine Betriebsprüfung nach § 28p SGB IV steht der Einleitung eines Statusverfahrens nach § 7a SGB IV nur dann entgegen, wenn das konkrete Beschäftigungsverhältnis Gegenstand der Betriebsprüfung war (LSG Baden-Württemberg 11.05.2011, L 11 R 1075/11 ER-B, juris; Baier in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 7a SGB IV Rn 5, Stand März 2011). Dies war hier nach dem Inhalt des Betriebsprüfungsbescheides vom 20.12.2011 bezüglich des Beigeladenen zu 1) nicht der Fall.

Ein vorheriges Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung durch einen anderen Versicherungsträger oder die Einzugsstelle ist weder durchgeführt noch beantragt worden. Die Beklagte muss sich auch nicht so behandeln lassen, als sei ein vorheriges Verfahren durchgeführt worden. Die Sperrwirkung des § 7a Abs 1 S 1 Hs 2 SGB IV greift nicht. Die Klägerin hat zwar am 06.09.2010 eine Meldung nach § 25 DEÜV mit dem Statuskennzeichen "2" für einen Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH für den Beigeladenen zu 1) bei der Beigeladenen zu 2) abgegeben. Bei der Abgabe der Meldung handelt es sich jedoch nicht um einen Antrag auf Statusfeststellung gemäß § 7a SGB IV. Zwar hat gem § 7a Abs 1 S 2 und 3 SGB IV die Einzugsstelle einen Statusfeststellungsantrag zu stellen, wenn sich aus der Meldung des Arbeitgebers ergibt, dass der Beschäftigte geschäftsführender Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist. Über den Antrag entscheidet abweichend von § 28h Absatz 2 SGB IV die Beklagte. Die Beigeladene zu 2) hat die Antragstellung tatsächlich unterlassen. Jedoch führt dieser Umstand, wie das SG zutreffend ausgeführt hat, nicht zu einer fiktiven Antragstellung, sondern allenfalls zu einer – im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfenden – Amtspflichtverletzung. Eine formelle Entscheidung der Einzugsstelle über den Status des Beigeladenen zu 1) wurde weder vorgetragen noch ist eine solche ersichtlich. Die reine Unterlassung einer Statusentscheidung kann mit einer Feststellung nicht gleichgesetzt werden.

In der Sache ist der angefochtene Bescheid für die Zeit vom 01.09.2010 bis 30.09.2015 rechtmäßig. Nach Würdigung aller Umstände des Einzelfalls war der Beigeladene zu 1) in diesem Zeitraum bei der Klägerin abhängig beschäftigt, mit der Folge, dass Versicherungspflicht in der gesetzlichen Renten-, Kranken und Pflegeversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung bestand.

Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen in der Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung der Versicherungs- bzw Beitragspflicht (§ 5 Abs 1 Nr 1 SGB V, § 20 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB XI, § 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI, § 25 Abs 1 SGB III). Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB IV eine Tätigkeit nach Weisung und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG 24.01.2007, B 12 KR 31/06 R, SozR 4-2400 § 7 Nr 7, 04.07.2007, B 11a AL 5/06 R, SozR 4-2400 § 7 Nr 8) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit Bundesverfassungsgericht 20.05.1996, 1 BvR 21/96, SozR 3-2400 § 7 Nr 11). Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung (vgl zum Ganzen BSG 29.08.2012, B 12 R 25/10 R, BSGE 111, 257, SozR 4-2400 § 7 Nr 17 mwN).

Das Gesamtbild bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen. Tatsächliche Verhältnisse in diesem Sinne sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine - formlose - Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist.

Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht (BSG 08.08.1990, 11 RAr 77/89, SozR 3-2400 § 7 Nr 4; BSG 08.12.1994, 11 RAr 49/94, SozR 3-4100 § 168 Nr 18). In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen (BSG 01.12.1977, 12/3/12 RK 39,74, BSGE 45, 199, 200 ff; BSG 04.06.1998, B 12 KR 5/97 R, SozR 3-2400 § 7 Nr 13; BSG 10.08.2000, B 12 KR 21/98 R, BSGE 87, 53, 56 = SozR 3-2400 § 7 Nr 15; jeweils mwN). Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so wie sie rechtlich zulässig ist (vgl hierzu insgesamt BSG 29.08.2012, B 12 KR 25/10 R, SozR 4-2400 § 7 Nr 17 und B 12 KR 14/10 R, juris).

Nach den angeführten Grundsätzen der BSG-Rechtsprechung ist auch zu beurteilen, ob der Gesellschafter einer GmbH zu dieser in einem Beschäftigungsverhältnis steht. Dies ist grundsätzlich neben seiner gesellschaftsrechtlichen Stellung möglich. Allerdings schließt ein rechtlich maßgeblicher Einfluss auf die Willensbildung der Gesellschaft auf Grund der Gesellschafterstellung ein Beschäftigungsverhältnis in diesem Sinne aus, wenn der Gesellschafter damit Einzelanweisungen an sich im Bedarfsfall jederzeit verhindern könnte (BSG 25.01.2006, B 12 KR 30/04 R, juris, mwN). Eine derartige Rechtsmacht hat ein GmbH-Gesellschafter regelmäßig dann, wenn er aufgrund seiner Stellung als Geschäftsführer und Kapitalbeteiligung einen so maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft hat, dass er jeden ihm nicht genehmen Beschluss verhindern kann (BSG 14.12.1999, B 2 U 48/98 R, juris). Dies ist der Fall, wenn der Geschäftsführer Mehrheitsgesellschafter ist, er also über die Hälfte des Stammkapitals der Gesellschaft oder mehr verfügt (BSG 20.03.1984, 7 RAr 70/82, juris), und zwar auch dann, wenn er von der ihm zustehenden Rechtsmacht tatsächlich keinen Gebrauch macht und die Entscheidung anderen überlässt (BSG 18.04.1991, 7 RAr 32/90, SozR 3-4100 § 168 Nr 5).

In seiner neueren Rechtsprechung hat das BSG, dem der Senat folgt, die Bedeutung der Rechtsmacht im Unternehmen für die sozialversicherungsrechtliche Statusbeurteilung hervorgehoben (BSG 29.08.2012, B 12 KR 25/10 R, SozR 4-2400 § 7 Nr 11 und B 12 R 14/10 R USK 2012 - 182); es spreche einiges dafür, der aus gesetzlichen und vertraglichen Vorgaben entspringenden Rechtsmacht als Teil der tatsächlichen Verhältnisse maßgebende Bedeutung beizumessen, da entscheidender Gesichtspunkt für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit anstelle einer abhängigen Beschäftigung die Möglichkeit sei, unliebsame Weisungen des Arbeitgebers bzw Dienstberechtigten abzuwenden (BSG, aaO). Unerheblich ist in jedem Fall, dass eine bestehende Rechtsmacht mit daraus folgenden Weisungsrechten mangels tatsächlichen Anlasses in der Geschäftspraxis nicht ausgeübt wird, solange sie nur aufrechterhalten bleibt und von ihr bei gegebenem Anlass, etwa bei einem Zerwürfnis Gebrauch gemacht werden kann (vgl Senatsurteil vom 17.04.2007, L 11 R 5748/06). Eine (bloße) "Schönwetter-Selbstständigkeit" (so BSG, aaO) ist mit Blick auf das Erfordernis der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände nicht hinnehmbar.

Nach den genannten Grundsätzen gelangt der Senat unter Abwägung aller Umstände in diesem Einzelfall zu der Überzeugung, dass der Beigeladene zu 1) vom 01.09.2010 bis 30.09.2015 bei der Klägerin abhängig beschäftigt war und Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung vorlag.

Ausgangspunkt ist der Geschäftsführerdienstvertrag vom 15.07.2010, der typische Regelungen für Arbeitnehmer enthält: Der Beigeladene zu 1) erhält ein monatliches Festgehalt von 2.400. Er hat Anspruch auf einen 30-tägigen bezahlten Jahresurlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für 6 Wochen. Zudem war eine Probezeit und wörtlich ein "Probearbeitsverhältnis" vereinbart. Der Geschäftsführer Dienstvertrag sieht auch eine Bindung des Geschäftsführers an Weisungen der Gesellschafterversammlung vor (§ 1 Abs. 3). Ein weiteres Indiz für das Vorliegen abhängiger Beschäftigung ist die Abführung von Lohnsteuer bezüglich der Vergütung des Beigeladenen zu 1).

Nicht für eine versicherungsfreie Tätigkeit spricht die Tatsache, dass der Beigeladene zu 1) aufgrund seiner Vorqualifikation und den Befähigungen die Entwicklung und den Geschäftsbetrieb der Klägerin maßgeblich geprägt hat. Weitreichende Entscheidungsbefugnisse eines "leitenden Angestellten", der in funktionsgerecht dienender Teilhabe am Arbeitsprozess einem verfeinerten Weisungsrecht unterliegt, machen diesen nicht zu einem Selbstständigen. Die insbesondere für das Leistungsrecht der Arbeitsförderung entwickelte "Kopf und Seele"-Rechtsprechung, wonach Angestellte ausnahmsweise als Selbstständige zu betrachten sind, wenn sie faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte der Gesellschaft nach eigenem Gutdünken führen, ist für die Statusbeurteilung im sozialversicherungsrechtlichen Deckungsverhältnis nicht heranzuziehen (BSG 29.07.2015, B 12 KR 23/13 R, SozR 4-2400 § 7 Nr 24).

Eine für Selbstständigkeit sprechende im Gesellschaftsrecht wurzelnde Rechtsmacht (zu deren Bedeutung vgl BSGE 111, 257 = SozR 4-2400 § 7 Nr 17, RdNr 32), die den Beigeladenen zu 1) in die Lage versetzt hätte, eine Einflussnahme auf seine Tätigkeit, insbesondere durch ihm uU unangenehme Weisungen der Klägerin zu verhindern (BSG 29.07.2015, B 12 KR 23/13 R, SozR 4-2400 § 7 Nr 24 Rn 27) bestand nicht. Der Beigeladene zu 1) hält lediglich 33,3 % der stimmberechtigten Anteile der Klägerin. Er verfügte im maßgeblichen Zeitraum in keinem Bereich über eine Sperrminorität. Eine wesentliche Abweichung zu § 47 Abs 1 und 2 GmbHG, wonach durch Beschlussfassung nach der Mehrheit der abgegebenen Stimmen entschieden wird und jeder Euro eines Geschäftsanteils eine Stimme gewährt, liegt nicht vor. Nach den Bestimmungen im Gesellschaftsvertrag wird nach Geschäftsanteilen abgestimmt, wobei je 50 EUR eines Geschäftsanteils eine Stimme gewähren. Die Bindung an das willensbildende Organ Gesellschafterversammlung und die dortigen Mehrheitsverhältnisse stehen also in der Krise gegen den Beigeladenen zu 1), was nach Auffassung des Senats ein maßgeblicher Gesichtspunkt ist (ebenso LSG Baden-Württemberg 07.05.2014, L 4 KR 1024/13; Sächsisches LSG 04.03.2014, L 1 KR 9/11). Damit ist die vom Beigeladenen zu 1) eingenommene Rechtsposition als Minderheitsgesellschafter mit keiner ausreichenden Rechtsmacht ausgestattet, die es ihm erlauben würde, die Geschicke des Unternehmens in wesentlicher Hinsicht – auch gegen Widerstände des Mehrheitsgesellschafters – zu lenken. Darauf kommt es für eine selbstständige Tätigkeit in Abgrenzung zu einer abhängigen Beschäftigung eines Gesellschafters jedoch an. Unter diesen Rahmenbedingungen führt auch die vereinbarte Tantieme in Höhe von bis zu 25 % des Jahresüberschusses nicht zur Bejahung eines unternehmerischen Risikos; dem steht auch das feste Monatsgehalt entgegen.

Aus der (behaupteten) Einstimmigkeitsvereinbarung folgt nichts anderes. Eine solche wäre mit einer Stimmbindungsvereinbarung gleichzusetzen. Der Verstoß gegen eine solche Stimmbindungsvereinbarung lässt die Wirksamkeit eines Gesellschaftsbeschlusses grundsätzlich unberührt und berechtigt regelmäßig nicht zur Anfechtung des Gesellschafterbeschlusses. Eine Einstimmigkeitsvereinbarung gewährt dem Beigeladenen zu 1) nicht die Rechtsmacht, sich - einer gesellschaftsvertraglich vereinbarten umfassenden Sperrminorität qualitativ gleichwertig - jederzeit gegen unliebsame Einzelweisungen zur Wehr zu setzen.

Stimmbindungsverträge stellen rein schuldrechtliche Vereinbarungen dar (BGH 25.09.1986, II ZR 272/15, NJW 1987, 890). Nach der Rechtsprechung des BGH führen solche außerhalb des Gesellschaftsvertrages auf Dauer eingegangenen schuldrechtlichen Abstimmungsverpflichtungen unter wechselseitiger Beteiligung aller Gesellschafter an der Stimmbindungsvereinbarung regelmäßig zu einer Innengesellschaft bürgerlichen Rechts (§§ 705 ff BGB), weil mit der koordinierten Ausübung der Stimmrechte ein gemeinsamer Zweck verfolgt wird (vgl BGHZ 126, 226, 234 = NJW 1994, 2536; BGHZ 179, 13, 19 = NJW 2009, 669). Auch wenn sie auf unbestimmte Zeit abgeschlossen werden, sind sie jederzeit ordentlich kündbar (§ 723 Abs 1 S 1 BGB). Gestaltungen der Gesellschaftsrechts- bzw Gesellschaftsvertragsrechtslage prägen die Abwägungsentscheidung zum sozialversicherungsrechtlichen Status nicht iS einer strikten Parallelwertung zwingend vor; ihnen kommt keine - im Rahmen der sozialversicherungsrechtlich gebotenen Gesamtabwägung von vornherein den Ausschlag gebende, dh entscheidende - Indizfunktion für das Vorliegen selbstständiger Tätigkeit zu (BSG 11.11.2015, B 12 KR 13/14 R Rn 23 ff, juris). Eine unterschiedliche Bewertung von Stimmrechtsvereinbarungen im Gesellschaftsrecht einerseits und im Sozialversicherungsrecht andererseits ist durch die verschiedenen Sachstrukturen der jeweiligen Rechtsbereiche gerechtfertigt (BSG 11.11.2015, B 12 KR 13/14 R unter Hinweis auf Bernsdorff, DB 2014, 1551 (1555)). Eine Stimmabgabe ist in der Regel auch dann gültig, wenn sie entgegen einem wirksamen Stimmbindungsvertrag erfolgt; ein Mangel des Gesellschafterbeschlusses wird durch eine Stimmabgabe entgegen der Stimmbindungsvereinbarung grundsätzlich nicht bewirkt (vgl Senatsurteil vom 24.06.2014, L 11 KR 5338/12; OLG Köln 25.07.2002, 18 U 60/02, juris; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 20. Aufl, § 47 RdNr 117). Lediglich im Innenverhältnis zwischen einzelnen Gesellschaftern wirkende Stimmrechtsvereinbarungen können daher an dem Beschäftigtenstatus des Beigeladenen zu 1) nichts ändern (Senatsurteil vom 24.06.2014, L 11 KR 5338/12; LSG Hamburg 04.09.2013, L 2 R 111/12, juris). Die außerhalb des Gesellschaftsvertrages von den Gesellschaftern getroffene Stimmbindungsvereinbarung ist daher nach der Rechtsprechung des BSG, der sich der Senat anschließt, nicht geeignet, die sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden "Rechtsmachtverhältnisse" mit sozialversicherungsrechtlicher Wirkung zu "verschieben", weil der Stimmbindungsvertrag von jedem Gesellschafter aus wichtigem Grund gekündigt werden konnte (BSG 11.11.2015, B 12 KR 13/14 R, SozR 4-2400 § 7 Nr 26 Rn 25 mwN). Auch dass Kündigungsrechte in der vorliegend zu beurteilenden Zeit tatsächlich nicht ausgeübt wurden, ist im sozialversicherungsrechtlichen Kontext ohne Bedeutung (BSG 11.11.2015, B 12 KR 13/14 R, aaO Rn 26).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, 52 Abs 2, 47 Gerichtskostengesetz. Die Höhe des Streitwerts entspricht dem Regelstreitwert von 5.000 EUR, da es der Klägerin nicht um eine konkrete Beitragsforderung geht.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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