S 12 KA 475/13

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 475/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.

3. Der Streitwert wird auf 24.000,00 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Teilnahme an der erweiterten Honorarverteilung (EHV) auch für den Zeitraum 01.08.2010 bis 31.07.2011.

Der 1945 geb. und jetzt 68-jährige Kläger ist seit 1977 als Facharzt für Allgemeinmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen. Am 21.06.2011 beantragte er, aufgrund der Neuregelung zum 01.08.2010, die Teilnahme an der EHV.

Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 31.08.2011 die Teilnahme an der EHV ab 01.07.2011 mit dem Anspruchshöchstsatz von 18%.

Hiergegen legte der Kläger am 13.09.2011 Widerspruch ein.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 25.01.2012, dem Kläger am 26.01.2012 zugestellt, den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, aufgrund der ab Mai 2010 gültigen Satzungsänderung könnten Ärzte, die das 65. Lebensjahr vollendet hätten und damit Anspruch auf Teilnahme an der EHV hätten, nunmehr bereits an der EHV teilnehmen und dennoch weiterhin ihre vertragsärztliche Tätigkeit ausüben. Für den Kläger sei jedoch eine rückwirkende Teilnahme ab dem 01.08.2010 nicht möglich. Die Zahlungen würden erst ab dem Folgemonat nach Antragseingang laufen. Soweit er vortrage, die Sonderausgabe 1/2010 von "EHV-Aktuell" nicht erhalten zu haben, könne dies nicht nachvollzogen werden, da sie diese am 11.05.2010 per E-Mail an die Praxis erfolgreich versandt habe. Unabhängig hiervon sei die Sonderausgabe "EHV-Aktuell" auf ihrer Homepage eingestellt worden, so dass sie von allen Vertragsärzten hätte eingesehen werden können.

Hiergegen hat der Kläger am 21.02.2012 die Klage erhoben. Er trägt vor, es fehle bereits an einer wirksamen Bekanntmachung der Neuregelung. Es fehle an einem Nachweis für den Zugang der E-Mail. Die von der Beklagten gewählte Art der Bekanntmachung reiche nicht aus. Er habe einen Anspruch auf rückwirkende Bewilligung.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 31.08.2011 über die EHV in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.01.2012 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, ihn unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie weist daraufhin, die Teilnahme an der EHV setze einen Antrag voraus, da der Kläger seine vertragsärztliche Tätigkeit weiterhin ausübe. Die Antragsfrist schließe eine rückwirkende Bewilligung aus. Sie habe die Änderung der Grundsätze der EHV ordnungsgemäß bekannt gegeben. Dem Kläger habe sie sie per E-Mail übermittelt. Es komme nicht darauf an, ob sie nachweisen könne, dass dieses Rundschreiben dem Kläger tatsächlich zugegangen sei. Zu einer gezielten Information sei sie nicht verpflichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid nach § 105 SGG entscheiden. Die Kammer hat die Beteiligten hierzu angehört. Die Sache hat keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art, und der Sachverhalt ist geklärt. Die Kammer hat über vergleichbare Sachverhalte bereits mit Urteilen v. 05.10.2011 - S 12 KA 397/11 und S 12 KA 403/11, v. 18.04.2012 - S 12 KA 398/11, S 12 KA 505/11 und S 12 KA 687/11 entschieden.

Die Klage ist zulässig, denn sie ist insbesondere form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht erhoben worden.

Die Klage ist aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 31.08.2011 über die EHV in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.01.2012 ist rechtmäßig. Er war daher nicht abzuändern oder aufzuheben. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewilligung der Teilnahme an der EHV auch für den Zeitraum vom 01.08.2010 bis 31.01.2011 und damit auch nicht auf Neubescheidung.

Die Beklagte hat nach den Grundsätzen der Erweiterten Honorarverteilung der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen in der geänderten Fassungen ab Mai 2010, veröffentlicht in EHV-aktuell, Sonderausgabe 1/2010 (im Folgenden: GEHV) einen weitergehenden Anspruch des Klägers zutreffend verneint.

Jedes zugelassene ärztliche Mitglied der KV Hessen nimmt auch im Falle der Anerkennung seiner Berufsunfähigkeit und/oder nach Verzicht auf die vertragsärztliche Zulassung (inaktiver Vertragsarzt) weiterhin an der Honorarverteilung im Rahmen dieser Bestimmungen der EHV teil. Der Anspruch errechnet sich nach den nachfolgenden Bestimmungen (§ 1 Abs. 1 GEHV). Die Teilnahme an der EHV erfolgt ohne Antrag für den Vertragsarzt ab dem Monatsersten, der auf die Aufgabe der vertragsärztlichen Tätigkeit nach Vollendung des 65. Lebensjahres folgt (§ 1 Abs. 2 GEHV). Die Teilnahme an der EHV ist im Übrigen zu beantragen. Wird ein Antrag auf Teilnahme an der EHV später als drei Monate nach Eintritt des Versorgungsfalles gestellt, beginnen die Zahlungen vom Ersten des auf den Eingang des Antrages folgenden Monats. Zahlungen an Hinterbliebene werden bei verspäteter Antragstellung bis zu einem Jahr rückwirkend gewährt, soweit diese Verspätung auf einer Unkenntnis dieser Bestimmungen beruht. In besonderen Härtefällen können Zahlungen bis zu drei Jahren rückwirkend geleistet werden. Der Anspruch auf Teilnahme an der EHV besteht für den Vertragsarzt ab dem Monatsersten, der auf den Eintritt der Berufsunfähigkeit folgt, für den Vertragsarzt auf Antrag ab dem vollendeten 63. Lebensjahr, für Hinterbliebene ab dem auf den Todestag folgenden Monatsersten (§ 1 Abs. 3 GEHV).

Die Teilnahme an der EHV setzt voraus: (1) vorausgegangene Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit in eigener Praxis, nach rechtskräftiger Zulassung im Bereich der KV Hessen, (2) Rechtskraft des Verzichts auf die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit oder Tod des Vertragsarztes, wobei ein Verzicht auf die Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit nach Vollendung des 65. Lebensjahres nicht erforderlich ist, wenn weiterhin die Tätigkeit als Vertragsarzt oder angestellter Arzt eines vertragsärztlichen Leistungserbringers ausgeübt und eine Teilnahme an der EHV beantragt wird, (3) vor der Vollendung des 65. Lebensjahres zusätzlich die Unfähigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufes (§ 2 Abs. 1 Satz 1 GEHV).

Nach diesen Regelungen ist ein Antrag auf Teilnahme an der EHV für den Fall entbehrlich, dass die Aufgabe der vertragsärztlichen Tätigkeit nach Vollendung des 65. Lebensjahres erfolgt. Der Kläger hat aber seine vertragsärztliche Tätigkeit über sein 65. Lebensjahr fortgeführt und übt sie weiterhin aus. Soweit durch die Satzungsänderung zum 01.06.2010 nunmehr auch bei Fortführung der vertragsärztlichen Tätigkeit nach Vollendung des 65. Lebensjahres eine Teilnahme an der EHV möglich ist, ist ebenfalls ein Antrag erforderlich (vgl. bereits Urteile der Kammer v. 05.10.2011 - S 12 KA 397/11 - und - S 12 KA 403/11 - www.sozialgerichtsbarkeit de = www.lareda.hessenrecht.hessen.de = juris). Einen solchen Antrag hat der Kläger wirksam erst am 21.06.2011 gestellt.

Der Kläger hat nicht behauptet, einen schriftlichen Antrag bereits früher gestellt zu haben.

Die Beklagte war nicht verpflichtet, allen Vertragsärzten nach Erreichen des 65. Lebensjahres die Teilnahme an der EHV zu bewilligen. Dem steht grundsätzlich die genannte Regelung in § 2 Satz 1 GEHV entgegen, wonach es bei Fortführung der vertragsärztlichen Tätigkeit immer eines Antrags bedarf. Zur Antragsstellung gehört auch die Angabe des Zeitpunkts, soweit sie sich nicht aus den Umständen unmittelbar entnehmen lässt.

Die Beklagte war auch nicht verpflichtet, den Kläger gezielt zu informieren, dass in seiner Person die Voraussetzungen zur Teilnahme an der EHV vorlagen. Die Beklagte ist ihren allgemeinen Informationspflichten durch die Versendung des Rundschreibens nachgekommen. Für eine gezielte Beratung fehlt es an einer entsprechenden Rechtsverpflichtung. Die Vorschriften des SGB I, aus den insoweit besondere Hinweispflichten der Sozialversicherungsträger abgeleitet werden, sind nicht anwendbar, als sie sich ausschließlich auf Sozialleistungsansprüche beziehen. Auch nach der Rechtsprechung des LSG Hessen, der die Kammer hier folgt, sind die in der Rechtsprechung des BSG entwickelten Grundsätze zu den Hinweispflichten eines Rentenversicherungsträgers gegenüber einem Versicherten im Zusammenhang mit der Rentenantragstellung nicht auf das sozialrechtliche Schuldverhältnis zwischen Vertragsarzt und KV übertragbar (vgl. LSG Hessen, Urt. v. 14.12.2005 - L 4 KA 41/05 - www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris; s.a. SG Marburg, Urt. v. 07.03.2007 - S 12 KA 36/06 - www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris Rdnr. 20). Insofern kommt es auch nicht darauf an, ob nachgewiesen werden kann, dass der Kläger tatsächlich das Rundschreiben erhalten hat.

Das LSG Hessen hat weiter entschieden, dass ein Anspruch auf Teilnahme an der EHV nach der Satzung der KV Hessen erst nach Antragseingang entsteht und die KV nicht verpflichtet ist, die Altersentwicklung ausgeschiedener Vertragsärzte zu überwachen und diese vor Vollendung des 65. Lebensjahres auf die Möglichkeit eines Anspruchs auf Teilnahme an der EHV hinzuweisen (vgl. LSG Hessen, Urt. v. 14.12.2005 - L 4 KA 41/05 – a.a.O). Dies gilt insofern auch für den vorliegenden Fall, da die Beklagte nur bei Zulassungsverzicht bei Erreichen der 65-Jahresgrenze auf das Antragserfordernis verzichtet hat, nicht aber bei Fortführen der Praxis.

Bei dieser Rechtslage kann hier dahinstehen, ob die Beklagte die Änderung der GEHV wirksam veröffentlicht hat. Nach § 14 "Bekanntmachungen" der Satzung der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen, zuletzt geändert durch die Beschlüsse der Vertreterversammlung vom 28. August 2010, 06. November 2010 sowie 28. Mai 2011, veröffentlicht in info.doc August 2011 Nr. 4, Seite 29, insofern unverändert zur vorherigen Fassung, sind die Satzung der KVH sowie die sonstigen Bekanntmachungen, durch welche Pflichten der Mitglieder begründet werden (z.B. § 8 Abs. 2a), sowie sonstige Veröffentlichungen im Hessischen Ärzteblatt oder durch Rundschreiben zu veröffentlichen. Hierunter fallen Änderungen der GEHV. Grundsätzlich reicht es aus, dass die Betroffenen sich verlässlich Kenntnis von Rechtsnormen verschaffen können müssen, was auch durch Rundschreiben erfolgen kann (vgl. BSG, Urt. v. 23.03.2011 - B 6 KA 9/10 R - juris Rdnr. 18 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt das Rundschreiben "EHV-aktuell Sonderausgabe 1/2010", mit der die Änderung bekanntgegeben wurde, da die geänderten Teile der GEHV im Wortlaut enthalten waren. Die Beklagte hat das Rundschreiben nach ihrem Vorbringen in erster Linie und an die weit überwiegende Zahl ihrer Mitglieder per E-Mail versandt, per Fax nur in den Fällen, in denen ihr keine E-Mail-Adresse bekannt war oder eine Fehlermeldung erfolgte. Soweit eine Versendung per E Mail oder per Fax nicht möglich war oder scheiterte, erfolgte eine Versendung per Post. Fraglich ist allein, ob eine Bekanntgabe per E-Mail hierfür ausreichte. Dies wäre dann nicht der Fall, wenn der Begriff "Rundschreiben" nach § 14 der Satzung zwingend die Bekanntgabe in schriftlicher Form, also der Versendung des Rundschreibens in gedruckter Fassung per Post, voraussetzen würde. Anders aber als z. B. das Schriftformerfordernis für Rechtsbehelfe wie Widerspruch und Klage, die nur unter besonderen Voraussetzungen durch eine digitale Form ersetzt werden können, legt weder die Satzung noch eine andere Rechtsnorm zwingend fest, dass eine Versendung nur in Druckform per Post zulässig wäre. Insofern könnte § 14 der Satzung, der bereits in einer Zeit verabschiedet wurde, in der die Bekanntgabe eines Rundschreibens per E-Mail noch unbekannt war, ohne förmliche Anpassung die erst durch technischen Wandel ermöglichten neuen Versendungsformen noch zulassen. Geht man von der Wirksamkeit der Bekanntmachung aus, dann ist die Satzung in Kraft getreten und hat der Kläger keinen Anspruch auf Teilnahme an der EHV für den strittigen Zeitraum, wie bereits ausgeführt. Geht man aber von der Unwirksamkeit der Bekanntmachung aus, dann ist die Satzung nicht in Kraft getreten und es fehlt bereits an einer Anspruchsgrundlage für die Teilnahme an der EHV für den strittigen Zeitraum.

Im Ergebnis war die Klage daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach den sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet der Sach- und Streitwert für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, so ist ein Streitwert von 5.000,00 Euro anzunehmen (§ 52 Abs. 1 und 2 GKG).

Der wirtschaftliche Wert folgt aus dem Betrag für den strittigen Zeitraum von 12 Monaten (August 2010 bis Juli 2011). Bei einem Quartalsanspruch von ca. 6.000 Euro ergab dies den festgesetzten Wert.
Rechtskraft
Aus
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