L 9 R 394/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 15 R 1795/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 394/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 19. Dezember 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Der 1964 geborene Kläger beantragte am 11.03.2014 bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Zuvor befand sich der Kläger vom 29.08.2013 bis 19.09.2013 im Rahmen einer medizinischen Rehabilitation in den Sankt R. Kliniken, Bad S. Unter Berücksichtigung der dort gestellten Diagnosen Sequestrektomie und Nukleotomie L5/S1 rechts über erweiterte intralaminäre Fensterung am 12.08.2013 bei NPP L5/S1 rechts, bekannte Cholezystolithiasis, Adipositas und reaktive Depression wurde er mit der Prognose entlassen, dass er nach einer postoperativ bestehenden Arbeitsunfähigkeit von drei Monaten in der Lage sein sollte, eine Tätigkeit entsprechend näher ausgeführter qualitativer Einschränkungen wenigstens sechs Stunden ausüben zu können (Entlassungsbericht vom 19.09.2013).

Die Beklagte zog weitere Befundberichte bei und gab ein Gutachten beim Neurologen und Psychiater Dr. B., M., in Auftrag. Im Gutachten vom 15.08.2014 stellte Dr. B. die Diagnosen eines sogenannten Postnukleotomiesyndroms bei Zustand nach lumbaler Bandscheiben-OP L5/S1 08/2013 mit noch bestehender sensibler Restsymptomatik ohne Anhalt für motorische radikuläre Ausfälle, einer vorbestehenden, vielschichtigen Persönlichkeitsakzentuierung bei gleichzeitig nur niedrigem Persönlichkeitsstrukturniveau, einer dysthym-depressiven Entwicklung und einer Adipositas. In der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Metzger hielt Dr. B. den Kläger für unter drei Stunden leistungsfähig. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien ihm unter Berücksichtigung näher dargelegter qualitativer Einschränkungen noch sechs Stunden und mehr zumutbar.

Unter Berücksichtigung einer Stellungnahme der Prüfärztin A. vom 15.09.2014, die erneut Leistungen zur medizinischen Rehabilitation befürwortete, lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung mit Bescheid vom 22.09.2014 ab. Der Kläger befand sich sodann vom 11.11.2014 bis 08.12.2014 im Rahmen einer von der Beklagten bewilligten medizinischen Rehabilitationsmaßnahme in stationärer Behandlung. Die R.-Klinik, Bad D., stellte in dem Entlassungsbericht vom 12.01.2014 (gemeint: 2015) folgende Diagnosen: Dysthymia, kombinierte und andere Persönlichkeitsstörungen, andauernde Persönlichkeitsveränderung nach extremer Belastung, posttraumatische Belastungsstörung und chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren. Mittelschwere Tätigkeiten seien dem Kläger sechs Stunden und mehr am Tag zumutbar.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13.05.2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, eine nochmalige Überprüfung habe ergeben, dass der Kläger noch in der Lage sei, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes leichte Arbeiten im Wechselrhythmus mindestens sechs Stunden täglich verrichten zu können, die nicht mit Wechsel- und Nachtschicht, nicht mit besonderen Anforderungen an das Konzentrations-, Reaktions- und Umstellungsvermögen, mit der Überwachung und Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge, mit Zeitdruck, Akkord, Nässe, Zugluft und mit häufig wechselnden Arbeitszeiten verbunden seien.

Gegen den seiner Bevollmächtigten am 19.05.2015 zugegangenen Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 19.06.2015 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben.

Das SG hat Beweis erhoben durch das Einholen sachverständiger Zeugenaussagen beim Facharzt für Psychiatrie Gülen und dem Hausarzt Dr. G. Wegen der gemachten Angaben wird auf Bl. 26 ff. bzw. 32 ff. der Akten des SG verwiesen. Ferner hat das SG die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. E. und den Orthopäden Dr. R. mit der Erstellung eines nervenärztlichen bzw. orthopädischen Gutachtens betraut. Dr. E. ist unter Berücksichtigung der von ihr gestellten Diagnosen einer Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion, einer posttraumatischen Belastungsstörung, subsyndromal, einer Persönlichkeitsakzentuierung, eines Zustandes nach lumbaler Diskotomie L5/S1 rechts 08/2013 und einer Entwicklung körperlicher Symptome aus psychischen Gründen zu der Leistungseinschätzung gelangt, dass dem Kläger leichte, gelegentlich mittelschwere körperliche Tätigkeiten unter Berücksichtigung weiterer, näher dargelegter qualitativer Einschränkungen noch vollschichtig, und damit noch mindestens sechs Stunden täglich abverlangt werden können (Gutachten vom 15.03.2016). Dr. R. hat in seinem Gutachten vom 20.05.2016 eine lokale Druckschmerzhaftigkeit im Bereich der Lendenwirbelsäule und der Kreuz-Darmbein-Fugen, einen mäßiggradigen muskulären Verspannungsschmerz bei schmerzakzentuierter demonstrierter Bewegungseinschränkung, die Restsymptomatik einer S1-Irritation bei aufgehobenem Achillessehnenreflex rechts sowie – unter Berücksichtigung des kernspintomographischen Befundes – ein degeneratives Lumbalsyndrom bei operiertem Bandscheibenschaden L5/S1 mit Restsymptomatik in Form eines erloschenen Achillessehnenreflexes und einen muskulär statischen Schmerz- und Reizzustand mit endgradiger Einschränkung der Beweglichkeit festgestellt. Trotz geklagter Schmerz- und Reizsymptomatik liege ein Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr vor. Eine rentenrelevante Einschränkung der Wegefähigkeit bestehe nicht.

Das SG hat sodann den Facharzt für Neurochirurgie Dr. M. als weiteren sachverständigen Zeugen gehört. Dieser hat unter dem 23.09.2016 mitgeteilt, dass allenfalls eine Arbeitsaufnahme im Umfang von drei- bis vierstündiger Arbeit zu vertreten sei.

In seiner vom SG eingeholten ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 05.10.2016 hat Dr. R. an seiner bislang vertretenen Auffassung festgehalten.

Nachdem der Kläger Berichte der S. Klinik L. vom 20.09.2016 und einen Bericht des Neurochirurgen Dr. M. vorgelegt hat, hat auch Dr. E. in der vom SG veranlassten ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme an der von ihr vertretenen Leistungseinschätzung festgehalten.

Mit Urteil vom 19.12.2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es sich den vorliegenden Gutachten angeschlossen und die Auffassung vertreten, dass der Kläger in der Lage sei, leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten in freiem Positionswechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen, unter Vermeidung von wirbelsäulenbelastenden Zwangshaltungen und Tätigkeiten mit häufigem Bücken, in Rumpfrotation und Überkopfarbeiten, von Hebe- und Tragebelastung über 10 kg sowie Gefährdungs- und Belastungsfaktoren in Form von Nässe, Zugluft und stark schwankenden Temperaturen, Tätigkeiten auf Leitern oder Gerüsten, Akkord- und Fließbandtätigkeiten sowie ohne Notwendigkeit der Übernahme besonders hoher Verantwortung und ohne Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge mindestens sechs Stunden und mehr täglich verrichten zu können. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Gegen das seiner Bevollmächtigten am 02.01.2017 zugestellte Urteil hat der Kläger am 31.01.2017 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg einlegen lassen.

Der Kläger kritisiert die Verwertung des Gutachtens des Dr. B., nachdem bei dessen Exploration und Untersuchung kein Dolmetscher für die von ihm gesprochene türkische Sprache anwesend gewesen sei und dies obwohl er nur über unzureichende Deutschkenntnisse verfüge. Er setzt sich kritisch mit dem Gutachten von Dr. E. auseinander und verweist darauf, dass er gegen die Einschätzung im vorläufigen Entlassungsbericht der R.-Klinik Widerspruch eingelegt habe, nachdem er den Abschlusstermin in der Klinik als unangenehm und psychisch belastend empfunden habe. Schließlich kritisiert er die Bewertung des SG, dem gerichtlichen Sachverständigen Dr. R. gefolgt zu sein, während man der Einschätzung des Neurochirurgen Dr. M. mit der Begründung nicht hätte nähertreten können, dieser habe aufgrund des Patientenverhältnisses keine neutrale Position einnehmen können.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 19. Dezember 2016 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. September 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Mai 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält nach erneuter Überprüfung der Sach- und Rechtslage an der bislang vertretenen Rechtsauffassung fest.

Der Senat hat Beweis erhoben durch das Einholen eines psychiatrischen Fachgutachtens bei Prof. Dr. S., W. In diesem, unter Berücksichtigung von zwei ausführlichen fachpsychiatrischen Explorationen und Untersuchungen des Klägers unter Hinzuziehung eines Dolmetschers für die türkische Sprache erstellten Gutachten vom 11.01.2018 hat Prof. Dr. S. die Diagnosen einer Entwicklung körperlicher Symptome aus psychischen Gründen, den Verdacht auf eine Dysthymia sowie auf dem orientierend mitbeurteilten neurologischen Fachgebiet ein residuales S1-Syndrom mit aufgehobenem Achillessehnenreflex rechts festgestellt. Er hat ausgeführt, dass keine Gesundheitsstörungen auf psychiatrisch-psychotherapeutischem Fachgebiet mit der erforderlichen Gewissheit hätten festgestellt werden können, die die Leistungsfähigkeit des Klägers relevant beeinträchtigen würden. Das S1-Residualsyndrom mit aufgehobenem Achillessehnenreflex rechts sei leistungsphysiologisch irrelevant. Aus seiner Sicht liege weiterhin vollschichtige Leistungsfähigkeit vor und damit auch die Fähigkeit, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr an fünf Tagen pro Woche abzuleisten.

Die Beteiligten wurden mit gerichtlicher Verfügung vom 05.02.2018 darauf hingewiesen, dass der Senat erwägt, gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt der Senat auf die beigezogenen Akten der Beklagten und die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug.

II.

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann das LSG – nach vorheriger Anhörung der Beteiligten – die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zum Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Mit Schreiben vom 05.02.2018 hat der Senat die Beteiligten auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Eine Zustimmung der Beteiligten ist nicht erforderlich.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier vom Kläger beanspruchte Rente wegen voller und teilweiser Erwerbsminderung – § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) – dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung oder teilweiser Erwerbsminderung nicht besteht, weil der Kläger noch wenigstens sechs Stunden täglich leistungsfähig ist. Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung und unter Berücksichtigung des Vorbringens im Berufungsverfahren sowie der im Berufungsverfahren durchgeführten Ermittlungen uneingeschränkt an, sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils zurück.

Ergänzend ist auszuführen, dass auch der Senat ein Absinken der körperlichen Leistungsfähigkeit des Klägers auf ein Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von weniger als sechs Stunden täglich (was zu einer zu befristenden Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit wegen Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes führen würde) nicht festzustellen vermag. Dies ergibt sich unabhängig von der Würdigung der im erstinstanzlichen Verfahren vorliegenden ärztlichen Äußerungen und Gutachten letztlich gerade auch aus dem vom Senat eingeholten Gutachten von Prof. Dr. S., wonach keine Gesundheitsstörungen mit der erforderlichen Gewissheit nachweisbar waren, die die Leistungsfähigkeit des Klägers relevant beeinträchtigen könnten.

Das vom Senat eingeholte Gutachten von Prof. Dr. S., welches unter Hinzuziehung eines Dolmetschers auf zwei ausführlichen fachpsychiatrischen Explorationen und Untersuchungen des Klägers beruht, hat schlüssig und überzeugend nach eingehender Auseinandersetzung mit den sich nach Aktenlage ergebenden Befunden und Diagnosen sowie nach umfangreicher und ausführlicher Erhebung des psychischen Befundes ergeben, dass eine Erkrankung oder Behinderung im Sinne von § 43 Abs. 1 Satz 2 bzw. § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI nicht mit der erforderlichen Gewissheit feststellbar gewesen ist.

So waren nach den schlüssigen und überzeugenden Ausführungen des vom Senat bestellten Sachverständigen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet neben einer allerdings nur als Verdachtsdiagnose zu stellenden Dysthymia (ICD-10:F34.1) lediglich eine Entwicklung körperlicher Symptome aus psychischen Gründen (ICD-10:F68.0) und ein residuales S1-Syndrom mit aufgehobenem Achillessehnenreflex rechts festzustellen, welche nach der Einschätzung des Sachverständigen, der der Senat folgt, keine Gesundheitsstörungen darstellen, die die Leistungsfähigkeit des Klägers relevant beeinträchtigen.

So hat Prof. Dr. S. unter Berücksichtigung der von ihm durchgeführten Testverfahren und der wiedergegebenen Verhaltensbeobachtung deutlich gemacht, dass sich verschiedene Hinweise auf inkonsistente, unscharfe und unplausible Beschwerdeangaben ergaben (Seite 33 ff. des Gutachtens) und damit das auch von Dr. E. in deren Gutachten beschriebene Aggravationsverhalten bestätigt. Zusammenfassend kam er zu dem Ergebnis, dass bei kritischer Analyse der erhobenen Befunde, der eruierten eigenanamnestischen Angaben sowie der aktenkundigen Vorbefunde ein sehr breites Spektrum von Hinweisen für mangelhafte Authentizität und Plausibilität von vielfältigen Angaben des Klägers zu Beschwerden und Funktionsbeeinträchtigung vorliegt. Diese hat der Sachverständige ausführlich dargestellt, weshalb der Senat keinen Zweifel an dieser Würdigung hat. Bezeichnend ist allein schon, dass der Kläger in einem sprachunabhängigen testpsychologischen Beschwerdevalidierungsverfahren (TOMM) Wiedererkennungsergebnisse zeigte, die niedriger lagen, als die 95%ige Wiedererkennungswahrscheinlichkeit bei bloßem Raten. Angesichts der ausführlichen Darlegungen im Gutachten ist die Einschätzung des Sachverständigen, der insoweit nur von einer zumindest ausgeprägten Aggravation von Gesundheitsstörungen ausging und simulative Tendenzen als nur nicht auszuschließen bewertete, nach Auffassung des Senats eher wohlwollend einzustufen. Neben den vordergründig präsentierten nicht authentischen kognitiven Dysfunktionen kommen – wie der Sachverständige ebenfalls nachvollziehbar und schlüssig erläuterte – affektive Auffälligkeiten hinzu, weswegen die Diagnose einer einfachen (ICD-10:F32.0) oder einer rezidivierenden leichten depressiven Episode (ICD-10:F33.0) nicht mit der erforderlichen Sicherheit gestellt werden konnte. Denn schon die notwendige depressive Kernsymptomatik (situationsunabhängige Depressivität, Interessenverlust, Antriebsminderung/Ermüdbarkeit) war nach dem Untersuchungsverlauf nicht zu belegen. So ist auch unter Berücksichtigung der Aktenlage, wie Prof. Dr. S. ausführte, zwar nicht auszuschließen, dass eine depressiv-dysthyme Verstimmung als krankheitswerte Gesundheitsstörung vorliegt, aufgrund der ausgeprägten Aggravation des Klägers konnte eine solche Diagnose aber nicht mit der hierfür erforderlichen Gewissheit positiv gestellt werden. Aber selbst das Vorliegen einer Dysthymia ließe angesichts der Untersuchungsergebnisse keinen Rückschluss auf die tatsächlich hierdurch bedingten Einschränkungen zu.

Der Sachverständige hat sich zudem ausführlich mit der vom Kläger beschriebenen Schmerzsymptomatik auseinandergesetzt und hat für den Senat schlüssig und überzeugend darzulegen vermocht, dass eine psychosomatische Schmerzstörung wie etwa eine anhaltende psychosomatische Schmerzstörung (ICD-10:F45.4) nicht vorliegt. Eine solche setzt voraus, dass tatsächlich und mehr als sechs Monate anhaltend eine schwere, die Aufmerksamkeit zentral in Anspruch nehmende und körperlich nicht bzw. nicht hinreichend erklärbare Schmerzsymptomatik vorliegt. Diese Voraussetzungen waren aber zum Zeitpunkt der Untersuchung nicht nachzuvollziehen und dies obwohl bzw. gerade weil der Kläger bei der Begutachtung eine hohe Schmerzintensität behauptete (Schmerzintensität auf Stufe 8 einer bis 10 reichenden Skala). Denn eine tatsächliche, anhaltende und schwere bzw. quälende Schmerzsymptomatik führt zwangsläufig, so Prof. Dr. S., zu schmerztypischen Verhaltensweisen, etwa auch zu typischen Bewegungsbeeinträchtigungen, die im Rahmen der körperlich-neurologischen Untersuchung hätten auffallen müssen, aber gerade nicht festzustellen waren. Dabei macht der Sachverständige hinreichend deutlich, dass belastungsabhängige Schmerzen im Bereich der voroperierten Wirbelsäule nicht in Zweifel gezogen werden. Das Vorliegen einer darüber hinausgehenden eigenständigen psychosomatischen Schmerzerkrankung ließ sich allerdings nicht begründen. Mit Prof. Dr. S. und in Übereinstimmung mit Dr. E. in deren Gutachten ist daher von der Entwicklung körperlicher Symptome aus psychischen Gründen (ICD-10:F68.0) auszugehen, wonach eine ursprünglich gesicherte körperlich begründete Schmerzsymptomatik als fortbestehend und ausgeprägt angegeben wird, insbesondere vor dem Hintergrund der Enttäuschung über bislang nicht erlangte Kompensationen und finanzielle Entschädigung.

Der Kläger kann sich zur Begründung einer eingetretenen Erwerbsminderung schließlich auch nicht mit Erfolg auf das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung berufen. Denn auch insoweit lassen sich die hierfür erforderlichen Kriterien nicht mit der hierfür erforderlichen Sicherheit nachweisen. So hat der Sachverständige schon mit Blick auf das nach ICD-10:F43.1 erforderliche B-Kriterium (Wiedererlebenskriterium) ausgeführt, dass er dieses nicht mit Sicherheit feststellen konnte. Es fehlt darüber hinaus am C-Kriterium (Vermeidungsverhalten), denn auch das Vermeiden, tatsächlich oder möglichst, von Umständen, die der Belastung ähneln oder mit ihr in Zusammenhang stehen, gehört zu den diagnostischen Kriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung nach ICD-10:F.43.1. Ein solches Vermeidungsverhalten war in Bezug auf die vom Kläger geschilderten Foltererfahrungen in seiner türkischen Heimatprovinz, wo er in Polizeirevieren über mehrere Tage hinweg extrem belastenden Foltern unter Anwendung von Wasser und Strom ausgesetzt gewesen war und sich auch mehrmonatige bis 1½ Jahre andauernde Haftstrafen angeschlossen haben, nicht feststellbar. Denn der Kläger hat auch angegeben, dass er, sobald es ihm nach einer Amnestie möglich gewesen ist, wieder regelmäßig in seine Heimat gereist ist, und er beim Grenzübertritt mit türkischer Polizei konfrontiert war, 2007 oder 2008 von der Grenzpolizei wieder drei Stunden in Haft genommen worden war, bis ihn ein Anwalt herausgeholt habe. Auch dieses Erlebnis hat ihn in den Folgejahren nicht abgehalten, regelmäßig wieder die Türkei aufzusuchen (zuletzt 2016). Die Angabe des Klägers, bei Konfrontation mit Militär und Polizei schon eine "gewisse Angst" verspürt zu haben, diese aber "überwinden" zu können, erfüllt – wie der Sachverständige nachvollziehbar ausführte – aber gerade nicht das im Rahmen der posttraumatischen Belastungsstörung erforderliche psychopathologische Vermeiden von traumaassozierten Reizen. Darüber hinaus konnte der Sachverständige auch nicht feststellen, dass die für das D- und E-Kriterium erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Schließlich weist Prof. Dr. S. zutreffend darauf hin, dass sich die für die Diagnosestellung erforderlichen Kriterien auch weder dem Entlassungsbericht der psychosomatischen Reha-Klinik Bad D. entnehmen lassen noch der sachverständigen Zeugenaussage des behandelnden Psychiaters G. Gleiches gilt für die von diesem beschriebene Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung nach ICD-10:F62.1. Soweit Dr. E. von einer posttraumatischen Belastungsstörung ausgeht, allerdings in einer nur subsyndromalen Ausprägung, vermag dies angesichts der dort fehlenden Subsumption unter die Kriterien des ICD-10:F43.1 nicht zu überzeugen. Dies kann aber im Ergebnis dahingestellt bleiben, weil auch Dr. E. weder aufgrund dieser Diagnose noch in der Zusammenschau der von ihr gestellten Diagnosen die vom Kläger beanspruchte Erwerbsminderung festzustellen vermochte.

Steht damit fest, dass aufgrund der von Prof. Dr. S. erhobenen Befunde und Diagnosen weder auf neurologischem Fachgebiet (der aufgehobene Achillessehnenreflex rechts als Folge eines residualen S1-Syndroms rechts wird zutreffend von den Sachverständigen nicht als leistungsrechtlich relevant bewertet) noch aufgrund einer psychiatrischen (Schmerz-)Erkrankung ein Minderung der Leistungsfähigkeit für zumindest leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt begründet werden kann, kommt es auch nicht mehr streitentscheidend darauf an, ob die Gutachten von Dr. B. und Dr. E. vom SG verwertet werden durften. Es fehlte schließlich auch dann jedenfalls am Nachweis von gemäß § 43 SGB VI erforderlichen Erkrankungen/Behinderungen, die in ihrer tatsächlichen Ausprägung eine quantitative Leistungsminderung begründen könnten.

Keine andere Wertung ergibt sich unter (Mit-)Berücksichtigung der durch das Gutachten von Dr. R. festgestellten Einschränkungen auf orthopädischem Fachgebiet. Auch hier teilt der Senat die Auffassung des SG und sieht die von Dr. M. vertretene Leistungseinschätzung durch das Gutachten von Dr. R. als widerlegt an. Dies insbesondere deshalb, weil die sachverständige Zeugenaussage mangels eines Belegs neurologischer Ausfallerscheinungen oder anderer auf orthopädischem Fachgebiet bestehender Gesundheitsstörungen nicht schlüssig darlegen kann, weshalb eine eingeschränkte zeitliche Leistungsfähigkeit bestehen soll. Soweit Dr. M. diese (auch) mit einer psychosomatischen Erkrankung/Depression begründet, gibt er diese Einschätzung fachfremd ab, ohne anzugeben, dass er für die Beurteilung dieser Erkrankungen über die notwendige Sachkunde verfügt. Insoweit liegen mit den Gutachten von Dr. B., Dr. E. und Prof. Dr. S. aussagekräftige anderweitige Expertisen vor, die diese Auffassung nicht stützen.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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