L 4 KR 3847/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 10 KR 2015/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 3847/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 30. Juni 2017 (S 10 KR 2015/16) wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt, die Beklagte zu verurteilen, ihm EUR 149,04 zu erstatten sowie die Kosten zukünftiger medizinischer Leistungen zu übernehmen.

Der Kläger war als Bezieher von Arbeitslosengeld II bis 30. Juni 2017 versicherungspflichtiges Mitglied der beklagten Krankenkasse.

Unter dem 4. Mai 2015 (ohne Rechtsbehelfsbelehrung) lehnte die Beklagte sinngemäß den Antrag des Klägers ab, ihm eine elektronische Gesundheitskarte ohne Lichtbild auszufertigen, weil einer der Ausnahmefälle nicht vorliege. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 4. Mai 2015 wegen der Anforderung des Lichtbilds für die elektronische Gesundheitskarte zurück (Widerspruchsbescheid vom 22. Juni 2015). Hiergegen erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG; S 10 KR 3552/15).

Der Kläger begehrte von der Beklagte (Schreiben vom 7. und 17. März sowie 4. April 2016) deren Äußerung, wie er sich aufgrund der fehlenden Ersatzbescheinigungen in einem Notfall, z.B. wegen einer Notfall-Wurzelbehandlung, verhalten solle. Die Beklagte verwies auf von ihr ausgestellte Ersatzbescheinigungen sowie ferner darauf, dass sie nur in einer speziellen Leistungsfall rechtsverbindliche Auskünfte erteilen könne und erläuterte allgemein die jährliche Belastungsgrenze bei Zuzahlungen (Schreiben vom 10. und 24. März 2016). Sie übersandte dem Kläger eine Bestätigung der Mitgliedschaft für die Zeit bis 30. Juni 2016 (Schreiben vom 4. April 2016).

Der Kläger erhob am 7. April 2016 Klage beim SG wegen der "Kostenübernahme von medizinischen Leistungen". Seine Vorab-Kostenübernahmeanträge habe er detailliert dargelegt und diese seien nicht abstrakt. Die beantragten Leistungen (Zahnwurzelbehandlung, Zahnfüllungen aus Kunststoff, Kronen, professionelle Zahnreinigung etc.) gehörten zum normalen medizinischen Standard der Zahnerhaltung, insbesondere weil bei ihm bis dato keine Zahnlücken vorhanden seien. Der Zahnarzt könne weder bei Notfallbehandlungen (wie vorliegend) Heilkostenpläne erstellen, noch sei es bei Zahnfüllungen oder Zahnreinigungen erforderlich, diese vorab zu erstellen. Der Rechtsanspruch auf Zahnerhaltung (z. B. durch Wurzelbehandlung) und quecksilberfreie Zahnfüllungen ergebe sich aus dem Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit. Im Übrigen solle die Antragsgegnerin unverzüglich einen Härtefallausweis für die Zuzahlungsbefreiung ausstellen und 100 % Zuschuss für die beantragten ärztlichen Leistungen schriftlich bewilligen/bestätigen, da er durch Vorlage des Einkommensbescheides nachgewiesen habe, dass er aufgrund seiner Grundsicherung von ca. EUR 300,00 unter der Härtefallgrenze liege. Die Regelsatzposition "Gesundheitspflege" (ca. EUR 15,00) reiche faktisch nicht einmal für die Körperpflege (normale Drogerieartikel).

Die Beklagte trat der Klage entgegen.

Der Kläger beantragte bei der Beklagten am 2. Mai 2016 unter anderem unter Vorlage einer ihm (nach Unterzeichnung einer Mehrkostenvereinbarung über eine Wurzelkanalbehandlung) von einem Zahnarzt gestellten Rechnung über EUR 149,04, diese Kosten einer Wurzelkanalbehandlung zu erstatten, was die Beklagte unter dem 2. Mai 2016 ablehnte. Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 9. Mai 2016 Widerspruch. Gegenüber dem SG machte er mit dem zum Klageverfahren S 10 KR 3552/15 eingereichten Schreiben vom 11. Mai 2016 als "Klageerweiterung" geltend, die Beklagte weigere sich, eine Rechnung über eine Zahnwurzelbehandlung in Höhe von EUR 149,04 trotz Kenntnis seiner belegten Härtefallsituation zu übernehmen.

Das SG wies die Klage mit Urteil vom 30. Juni 2017 ab. Als sinngemäßen Antrag des Klägers legte es zugrunde, die Beklagte zu verurteilen, ihm EUR 149,04 zu erstatten sowie die Kosten zukünftiger medizinischer Leistungen zu übernehmen. Die Klage sei unzulässig, weil es an einer anfechtbaren Verwaltungsentscheidung der Beklagten fehle. Im Übrigen hätte der Kläger kein Anspruch auf Kostenübernahme für zukünftige medizinische Leistungen, auch nicht auf Erstattung von Kosten der Zahnbehandlung in Höhe von EUR 149,04. Er weigere sich seit geraumer Zeit beharrlich, sich eine elektronische Gesundheitskarte ausstellen zu lassen, weshalb er das Risiko einer eingeschränkten ärztlichen Behandlung selbst trage. Hinsichtlich der Kosten der Zahnbehandlung in Höhe von EUR 149,04 habe er eine Mehrkostenvereinbarung mit seinem Zahnarzt geschlossen, so dass er diese Kosten nicht auf die gesetzliche Krankenversicherung abwälzen könne.

Gegen das ihm am 7. September 2017 zugestellte Urteil hat der Kläger am 2. Oktober 2017 "alle Rechtsmittel" eingelegt. Das Urteil verstoße gegen Rechtsnormen.

Der Kläger beantragt (sachgerecht gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 30. Juni 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm EUR 149,04 zu erstatten sowie die Kosten zukünftiger medizinischer Leistungen zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der Klagegrund sei entfallen, weil die strittige Kartenversorgung Aufgabe der jetzt zuständigen Krankenkasse sei.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des SG sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.

II.

1. Der Senat entscheidet über die Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss, da er die Berufung des Klägers einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Der Rechtsstreit weist nach Einschätzung des Senats keine besonderen Schwierigkeiten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auf, die mit den Beteiligten in einer mündlichen Verhandlung erörtert werden müssten. Zu der beabsichtigten Verfahrensweise hat der Senat die Beteiligten angehört.

2. Der Senat wertet das Schreiben des Klägers vom 2. Oktober 2017 als Berufung gegen das im Klageverfahren S 10 KR 2015/16 ergangene Urteil des SG vom 30. Juni 2017, weil als sachdienliches Rechtsmittel allein die Berufung in Betracht kommt. Soweit der Kläger im Schreiben vom 2. Oktober 2017 als Entscheidungsdatum auch den 5. September 2017 angibt, ist eine Entscheidung in dem oben genannten Klageverfahren unter diesem Datum nicht erkennbar. Der Kläger hat nach Hinweis des Senats auch keine Entscheidung benannt.

3. Die Berufung des Klägers ist unzulässig, soweit er begehrt, die Beklagte zu verurteilen, ihm EUR 149,04 zu erstatten. Insoweit bedürfte die Berufung der Zulassung nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG, weil der Wert des Beschwerdegegenstands von EUR 750,00 nicht überschritten ist. Das Begehren des Klägers betrifft eine auf einen Verwaltungsakt gerichtete Geldleistung, nämlich die unter dem 2. Mai 2016 von der Beklagten verfügte Ablehnung, den Betrag von EUR 149,04 zu erstatten. Dieser Betrag betrifft auch nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen, so dass die Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG nicht gegeben sind.

Die Berufung war nicht deshalb ohne Zulassung statthaft, weil der Kläger zugleich begehrte, die Beklagte zu verurteilen, Kosten zukünftiger medizinischer Leistungen zu übernehmen. Insoweit handelt es sich um einen anderen Streitgegenstand als derjenige, den Betrag von EUR 149,04 zu erstatten. Werden innerhalb eines Klageverfahrens mehrere Streitgegenstände im Wege der objektiven Klagehäufung geltend gemacht, ist die Zulässigkeit von Rechtsmitteln hinsichtlich jedes Streitgegenstandes grundsätzlich eigenständig zu beurteilen (Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 18. April 2016 – B 14 AS 150/15 BH – juris, Rn. 5 f).

Das SG hat die Berufung nicht zugelassen. Eine solche Zulassung ist weder im Tenor noch in den Entscheidungsgründen des Urteils vom 30. Juni 2017 erfolgt. Die beigefügte Rechtsmittelbelehrung, nach der das Urteil mit der Berufung angefochten werden könnte, stellt keine Berufungszulassung dar (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, Beschluss vom 6. Oktober 2011 – B 9 SB 45/11 B – juris, Rn. 12).

4. a) Die Berufung des Klägers ist zulässig, soweit er die Verurteilung der Beklagten begehrt, die Kosten zukünftiger medizinischer Leistungen zu übernehmen. Der Kläger hat die Berufung form- und fristgerecht eingelegt. Insoweit bedurfte die Berufung nicht der Zulassung. Denn der Kläger beschränkte sein beim SG erhobenes und mit der Berufung weiterverfolgtes Begehren nicht auf konkrete medizinische Leistungen mit einem konkreten Enddatum.

b) Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat die Klage insoweit zu Recht abgewiesen. Die Klage ist jedenfalls seit 1. Juli 2017 bereits deshalb unbegründet, weil der Kläger seit diesem Zeitpunkt nicht mehr Mitglied der Beklagten ist und damit nach § 19 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) der Anspruch des Klägers auf Leistungen der Krankenbehandlung gegenüber der Beklagten erloschen ist. Einer der Ausnahmefälle des § 19 Abs. 1a bis 3 SGB V liegt nicht vor. Das Begehren des Klägers betrifft keine Leistungen der Krankenbehandlung, die in der Zeit der Mitgliedschaft bis 30. Juni 2017 erbracht worden sind. Dies ergibt sich daraus, dass der Kläger selbst seine Anträge als "Vorab-Kostenübernahmeanträge" bezeichnet hat.

Die Gründe, die zum Ende der Mitgliedschaft des Klägers bei der Beklagten führten, sind nicht entscheidungserheblich.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

6. Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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