Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 7 SO 1655/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 3949/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 6. Oktober 2017 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) für die Jahre 2013 und 2014 im sogenannten Zugunstenverfahren nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).
Die Klägerin ist 1976 geboren. Nach den Feststellungen der Deutschen Rentenversicherung Bund ist sie voll erwerbsgemindert. Sie bezieht seit dem 1. Februar 2013 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer (Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 14. Juni 2013). Am 27. Juni 2013 beantragte sie erstmals beim Beklagten die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 11. Juli 2013 wegen übersteigenden Einkommens ab. Hiergegen erhob die Klägerin keinen Widerspruch.
Mit Schreiben vom 22. Dezember 2015 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass bei der Berechnung ihres Grundsicherungsanspruches, die zum Bescheid vom 11. Juli 2013 geführt habe, die Regelbedarfsstufe 3 zu Grunde gelegt worden sei. Auf Grund einer bundesaufsichtlichen Weisung vom 31. März 2015 werde ab dem 1. Januar 2013 vorübergehend bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuermittlung der Regelbedarfe eine abweichende Regelsatzfestsetzung vorgenommen. Damit trete an die Stelle des sich nach der Regelbedarfsstufe 3 ergebenen Betrages der sich nach der Regelbedarfsstufe 1 ergebende Betrag. Die Überprüfung habe ergeben, dass sich im Fall der Klägerin hierdurch voraussichtlich ein Grundsicherungsanspruch ab 1. Juni 2013 (wegen Antragstellung am 27. Juni 2013) ergebe. Um dies prüfen zu können, würden verschiedene Unterlagen benötigt. Sollte die Klägerin eine Neuüberprüfung ihres Grundsicherungsanspruches ab dem 1. Juni 2013 wünschen, werde sie gebeten, den beigefügten Antrag vollständig ausgefüllt und unterschrieben sowie mit den erforderlichen Nachweisen versehen bis spätestens 28. Januar 2016 zurückzusenden. Sollte der Antrag bis zu diesem Datum nicht eingehen, gehe er – der Beklagte – davon aus, dass die Klägerin eine Neuüberprüfung ihres Grundsicherungsanspruches nicht wünsche und sich die Angelegenheit erledigt habe. Die Klägerin reagierte auf dieses Schreiben nicht.
Am 7. Oktober 2016 sprach die Klägerin bei dem Beklagten vor und bezog sich auf dessen Schreiben vom 22. Dezember 2015. Sie wolle grundsätzlich ihren eventuellen Anspruch auf Grundsicherung rückwirkend auf ihren Erstantrag vom 27. Juni 2013 geltend machen. Mit undatierten Schreiben, bei der Beklagten eingegangen am 11. Oktober 2016, bat die Klägerin unter Hinweis auf das Schreiben vom 22. Dezember 2015 um Überprüfung.
Mit Bescheid vom 9. Januar 2017 bewilligte der Beklagte der Klägerin Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für das Jahr 2015 in Höhe von monatlich zwischen 28,70 EUR und 40,99 EUR. Das am 11. Oktober 2016 eingegangene Schreiben sei als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X zu werten. Auf diesen Überprüfungsantrag hin erfolge die Bewilligung rückwirkend ab 1. Januar 2015 (unter Hinweis auf § 44 Abs. 4 SGB X i.V.m. § 116a SGB XII). Der Beklagte bewilligte der Klägerin ferner mit Bescheid vom 10. Januar 2017 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für das Jahr 2016 (monatlich zwischen 22,98 EUR und 41,22 EUR) sowie mit Bescheid vom 11. Januar 2017 für das Jahr 2017 (monatlich 28,99 EUR).
Gegen diese Bescheide erhob die Klägerin am 16. Januar 2017 Widerspruch, mit dem sie sinngemäß geltend machte, dass ihr die Leistungen bereits ab 2013 zustünden.
Der Beklagte wies diesen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 2017 zurück. Der Überprüfungsantrag sei erst im Oktober 2016 gestellt worden. Ein Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X erfordere, dass der Antrag konkretisierbar sei und entweder aus dem Antrag selbst – gegebenenfalls nach Auslegung – oder aus einer Antwort des Antragstellers auf eine Nachfrage des Leistungsträgers der Umfang der Prüfpflicht für die Verwaltung erkennbar sei. Gemäß § 116a SGB XII komme daher eine Rücknahme des Bescheides vom 11. Juli 2013 und eine Leistungsgewährung erst ab dem 1. Januar 2015 in Betracht.
Hiergegen hat die Klägerin am 3. März 2017 beim Verwaltungsgericht Freiburg im Breisgau (VG) Klage erhoben (5 K 1294/17). Das VG hat mit Beschluss vom 29. März 2017 den Verwaltungsrechtsweg für nicht zulässig erklärt und das Verfahren an das Sozialgericht Freiburg (SG) verwiesen.
Die Klägerin hat geltend gemacht, einen Anspruch gegen den Beklagten auf Leistungen der Grundsicherung bereits ab dem Jahr 2013 zu haben. Sie habe auch einen Anspruch nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG); dieses Verfahren sei separat zu führen.
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Leistungen nach dem OEG seien nicht Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens bzw. des angefochtenen Widerspruchsbescheides.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 6. Oktober 2017 abgewiesen. Für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Mai 2013 komme eine Leistungsgewährung nach dem SGB XII schon deswegen nicht in Betracht, weil die Klägerin für diesen Zeitraum solche Leistungen nie beantragt habe. Der erste aktenkundige Grundsicherungsantrag stamme vom 27. Juni 2013. Die Klägerin hätte, da Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nur auf Antrag erbracht würden und der Antrag nur bis zum Beginn des Antragsmonats zurückwirke, überhaupt erst ab dem 1. Juni 2013 Leistungen erhalten können. Für die Zeit davor existiere mangels Antrags kein Ablehnungsbescheid, der einer Überprüfung nach § 44 SGB X zugänglich sei. Einer Leistungsbewilligung für Juni 2013 bis Dezember 2014 stehe § 116a SGB XII i.V.m. § 44 Abs. 4 SGB X entgegen. Leistungen nach dem OEG seien nicht Gegenstand des hier anhängigen Verfahrens.
Gegen den ihr am 7. Oktober 2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 12. Oktober 2017 Berufung eingelegt. Sie habe rechtzeitig Grundsicherung ab dem Jahr 2013 beantragt. Das SG habe ihre Ansprüche zu Unrecht abgelehnt.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 6. Oktober 2017 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung seines Bescheides vom 9. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 2017 zu verpflichten, den Bescheid vom 11. Juli 2013 zurückzunehmen und ihr auch für die Zeit vom 1. Januar 2013 bis 31. Dezember 2014 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte verweist auf den Gerichtsbescheid des SG.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogene Akte des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist auch im Übrigen zulässig. Sie bedurfte insbesondere nicht der Zulassung nach § 144 Abs. 1 SGG, da die Klägerin Leistungen für die Zeit vom 1. Januar 2013 bis zum 31. Dezember 2014 und damit für mehr als ein Jahr begehrt (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
2. Unmittelbar Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 9. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 2017. Mit diesem Bescheid hat der Beklagte der Klägerin Leistungen für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 2015 bewilligt. Er hat damit zugleich den Überprüfungsantrag der Klägerin hinsichtlich des Zeitraumes vom 1. Januar 2013 bis 31. Dezember 2014 abgelehnt; dies wird nicht zuletzt durch den Hinweis auf § 44 Abs. 4 SGB X i.V.m. § 116a SGB XII und damit auf die Jahresfrist in der Bescheidbegründung deutlich. Diese Ablehnung greift die Klägerin mit Klage und Berufung an. Die Bescheide vom 10. und 11. Januar 2017, mit denen Leistungen für spätere Zeiträume (die Jahre 2016 und 2017) bewilligt wurden, enthalten keine erneuten Entscheidungen über die Gewährung von Leistungen für Zeiträume vor dem 1. Januar 2015. Sie sind daher bei sachgerechter Auslegung des Begehrens der Klägerin nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits. Dem hat die Klägerin durch ihre Antragstellung in der mündlichen Verhandlung des Senats Rechnung getragen.
Nicht Gegenstand des Verfahrens sind Ansprüche nach dem OEG; hiervon gehen auch die Beteiligten zu Recht aus. Zwar lässt sich zwischenzeitlichen Äußerungen der Klägerin entnehmen, dass es ihr auch um Opferentschädigung gehe (Schreiben vom 9. März 2017 und vom 30. März 2017). In ihrem Schreiben vom 10. Juni 2017 hat sie aber zu Recht darauf hingewiesen, dass das Verfahren hinsichtlich Leistungen nach dem OEG separat zu führen sei. Der Beklagte hat in den hier streitgegenständlichen Bescheiden über Ansprüche nach dem OEG nicht entschieden. Solche Ansprüche waren Gegenstand des durch Gerichtsbescheid vom 17. Januar 2018 beim SG abgeschlossenen Verfahrens S 2 VG 3262/17, gegen den die Klägerin am 23. Januar 2018 Berufung eingelegt hat (L 6 VG 389/18).
3. Die Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 9. Januar 2017 ist, soweit die Rücknahme des Bescheides vom 11. Juli 2013 sowie die Gewährung von Leistungen für die Zeit vom 1. Januar 2013 bis 31. Dezember 2014 abgelehnt wurde, rechtmäßig.
a) Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht (§ 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X). Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird (§ 44 Abs. 4 Satz 2 SGB X). Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag (§ 44 Abs. 4 Satz 3 SGB X). Im hier einschlägigen Anwendungsbereich des SGB XII tritt seit dem 1. April 2011 gemäß § 116a SGB XII an die Stelle des Zeitraumes von vier Jahren ein Zeitraum von einem Jahr.
Die Verwaltung hat schon eine Rücknahmeentscheidung nach § 44 Abs. 1 SGB X nicht mehr zu treffen, wenn die rechtsverbindliche, grundsätzlich zurückzunehmende Entscheidung keine Wirkungen mehr entfalten kann, also ausschließlich Leistungen für Zeiten betrifft, die außerhalb der durch den Rücknahmeantrag bestimmten Verfallsfrist liegen (BSG, Urteil vom 23. Februar 2017 – B 4 AS 57/15 R – juris Rdnr. 23). Die Unanwendbarkeit der Vollzugsregelung des § 44 Abs. 4 SGB X, also die nicht mehr vorhandene Möglichkeit einer rückwirkenden Erbringung von Sozialleistungen, steht dann auch einer isolierten Rücknahme eines rechtswidrigen Bescheides nach § 44 Abs. 1 SGB X entgegen (BSG, Urteil vom 23. Februar 2017 – B 4 AS 57/15 R – juris Rdnr. 23 m.w.N.; Urteil des Senats vom 29. Juni 2017 – L 7 SO 4603/16 – n.v.).
b) Nach diesen Maßstäben hat der Beklagte es im streitgegenständlichen Bescheid zu Recht abgelehnt, den Bescheid vom 11. Juli 2013 hinsichtlich der Zeit von dem 1. Januar 2015 zurückzunehmen, da die Klägerin ihren (sinngemäßen) Antrag auf Überprüfung des Bescheides vom 11. Juli 2013 erst am 7. bzw. 11. Oktober 2016 gestellt hat, eine rückwirkende Leistungsgewährung also gemäß § 116a SGB XII i.V.m. § 44 Abs. 4 SGB X erst ab dem 1. Januar 2015 möglich ist.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG
5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) für die Jahre 2013 und 2014 im sogenannten Zugunstenverfahren nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).
Die Klägerin ist 1976 geboren. Nach den Feststellungen der Deutschen Rentenversicherung Bund ist sie voll erwerbsgemindert. Sie bezieht seit dem 1. Februar 2013 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer (Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 14. Juni 2013). Am 27. Juni 2013 beantragte sie erstmals beim Beklagten die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 11. Juli 2013 wegen übersteigenden Einkommens ab. Hiergegen erhob die Klägerin keinen Widerspruch.
Mit Schreiben vom 22. Dezember 2015 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass bei der Berechnung ihres Grundsicherungsanspruches, die zum Bescheid vom 11. Juli 2013 geführt habe, die Regelbedarfsstufe 3 zu Grunde gelegt worden sei. Auf Grund einer bundesaufsichtlichen Weisung vom 31. März 2015 werde ab dem 1. Januar 2013 vorübergehend bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuermittlung der Regelbedarfe eine abweichende Regelsatzfestsetzung vorgenommen. Damit trete an die Stelle des sich nach der Regelbedarfsstufe 3 ergebenen Betrages der sich nach der Regelbedarfsstufe 1 ergebende Betrag. Die Überprüfung habe ergeben, dass sich im Fall der Klägerin hierdurch voraussichtlich ein Grundsicherungsanspruch ab 1. Juni 2013 (wegen Antragstellung am 27. Juni 2013) ergebe. Um dies prüfen zu können, würden verschiedene Unterlagen benötigt. Sollte die Klägerin eine Neuüberprüfung ihres Grundsicherungsanspruches ab dem 1. Juni 2013 wünschen, werde sie gebeten, den beigefügten Antrag vollständig ausgefüllt und unterschrieben sowie mit den erforderlichen Nachweisen versehen bis spätestens 28. Januar 2016 zurückzusenden. Sollte der Antrag bis zu diesem Datum nicht eingehen, gehe er – der Beklagte – davon aus, dass die Klägerin eine Neuüberprüfung ihres Grundsicherungsanspruches nicht wünsche und sich die Angelegenheit erledigt habe. Die Klägerin reagierte auf dieses Schreiben nicht.
Am 7. Oktober 2016 sprach die Klägerin bei dem Beklagten vor und bezog sich auf dessen Schreiben vom 22. Dezember 2015. Sie wolle grundsätzlich ihren eventuellen Anspruch auf Grundsicherung rückwirkend auf ihren Erstantrag vom 27. Juni 2013 geltend machen. Mit undatierten Schreiben, bei der Beklagten eingegangen am 11. Oktober 2016, bat die Klägerin unter Hinweis auf das Schreiben vom 22. Dezember 2015 um Überprüfung.
Mit Bescheid vom 9. Januar 2017 bewilligte der Beklagte der Klägerin Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für das Jahr 2015 in Höhe von monatlich zwischen 28,70 EUR und 40,99 EUR. Das am 11. Oktober 2016 eingegangene Schreiben sei als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X zu werten. Auf diesen Überprüfungsantrag hin erfolge die Bewilligung rückwirkend ab 1. Januar 2015 (unter Hinweis auf § 44 Abs. 4 SGB X i.V.m. § 116a SGB XII). Der Beklagte bewilligte der Klägerin ferner mit Bescheid vom 10. Januar 2017 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für das Jahr 2016 (monatlich zwischen 22,98 EUR und 41,22 EUR) sowie mit Bescheid vom 11. Januar 2017 für das Jahr 2017 (monatlich 28,99 EUR).
Gegen diese Bescheide erhob die Klägerin am 16. Januar 2017 Widerspruch, mit dem sie sinngemäß geltend machte, dass ihr die Leistungen bereits ab 2013 zustünden.
Der Beklagte wies diesen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 2017 zurück. Der Überprüfungsantrag sei erst im Oktober 2016 gestellt worden. Ein Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X erfordere, dass der Antrag konkretisierbar sei und entweder aus dem Antrag selbst – gegebenenfalls nach Auslegung – oder aus einer Antwort des Antragstellers auf eine Nachfrage des Leistungsträgers der Umfang der Prüfpflicht für die Verwaltung erkennbar sei. Gemäß § 116a SGB XII komme daher eine Rücknahme des Bescheides vom 11. Juli 2013 und eine Leistungsgewährung erst ab dem 1. Januar 2015 in Betracht.
Hiergegen hat die Klägerin am 3. März 2017 beim Verwaltungsgericht Freiburg im Breisgau (VG) Klage erhoben (5 K 1294/17). Das VG hat mit Beschluss vom 29. März 2017 den Verwaltungsrechtsweg für nicht zulässig erklärt und das Verfahren an das Sozialgericht Freiburg (SG) verwiesen.
Die Klägerin hat geltend gemacht, einen Anspruch gegen den Beklagten auf Leistungen der Grundsicherung bereits ab dem Jahr 2013 zu haben. Sie habe auch einen Anspruch nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG); dieses Verfahren sei separat zu führen.
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Leistungen nach dem OEG seien nicht Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens bzw. des angefochtenen Widerspruchsbescheides.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 6. Oktober 2017 abgewiesen. Für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Mai 2013 komme eine Leistungsgewährung nach dem SGB XII schon deswegen nicht in Betracht, weil die Klägerin für diesen Zeitraum solche Leistungen nie beantragt habe. Der erste aktenkundige Grundsicherungsantrag stamme vom 27. Juni 2013. Die Klägerin hätte, da Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nur auf Antrag erbracht würden und der Antrag nur bis zum Beginn des Antragsmonats zurückwirke, überhaupt erst ab dem 1. Juni 2013 Leistungen erhalten können. Für die Zeit davor existiere mangels Antrags kein Ablehnungsbescheid, der einer Überprüfung nach § 44 SGB X zugänglich sei. Einer Leistungsbewilligung für Juni 2013 bis Dezember 2014 stehe § 116a SGB XII i.V.m. § 44 Abs. 4 SGB X entgegen. Leistungen nach dem OEG seien nicht Gegenstand des hier anhängigen Verfahrens.
Gegen den ihr am 7. Oktober 2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 12. Oktober 2017 Berufung eingelegt. Sie habe rechtzeitig Grundsicherung ab dem Jahr 2013 beantragt. Das SG habe ihre Ansprüche zu Unrecht abgelehnt.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 6. Oktober 2017 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung seines Bescheides vom 9. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 2017 zu verpflichten, den Bescheid vom 11. Juli 2013 zurückzunehmen und ihr auch für die Zeit vom 1. Januar 2013 bis 31. Dezember 2014 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte verweist auf den Gerichtsbescheid des SG.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogene Akte des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist auch im Übrigen zulässig. Sie bedurfte insbesondere nicht der Zulassung nach § 144 Abs. 1 SGG, da die Klägerin Leistungen für die Zeit vom 1. Januar 2013 bis zum 31. Dezember 2014 und damit für mehr als ein Jahr begehrt (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
2. Unmittelbar Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 9. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 2017. Mit diesem Bescheid hat der Beklagte der Klägerin Leistungen für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 2015 bewilligt. Er hat damit zugleich den Überprüfungsantrag der Klägerin hinsichtlich des Zeitraumes vom 1. Januar 2013 bis 31. Dezember 2014 abgelehnt; dies wird nicht zuletzt durch den Hinweis auf § 44 Abs. 4 SGB X i.V.m. § 116a SGB XII und damit auf die Jahresfrist in der Bescheidbegründung deutlich. Diese Ablehnung greift die Klägerin mit Klage und Berufung an. Die Bescheide vom 10. und 11. Januar 2017, mit denen Leistungen für spätere Zeiträume (die Jahre 2016 und 2017) bewilligt wurden, enthalten keine erneuten Entscheidungen über die Gewährung von Leistungen für Zeiträume vor dem 1. Januar 2015. Sie sind daher bei sachgerechter Auslegung des Begehrens der Klägerin nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits. Dem hat die Klägerin durch ihre Antragstellung in der mündlichen Verhandlung des Senats Rechnung getragen.
Nicht Gegenstand des Verfahrens sind Ansprüche nach dem OEG; hiervon gehen auch die Beteiligten zu Recht aus. Zwar lässt sich zwischenzeitlichen Äußerungen der Klägerin entnehmen, dass es ihr auch um Opferentschädigung gehe (Schreiben vom 9. März 2017 und vom 30. März 2017). In ihrem Schreiben vom 10. Juni 2017 hat sie aber zu Recht darauf hingewiesen, dass das Verfahren hinsichtlich Leistungen nach dem OEG separat zu führen sei. Der Beklagte hat in den hier streitgegenständlichen Bescheiden über Ansprüche nach dem OEG nicht entschieden. Solche Ansprüche waren Gegenstand des durch Gerichtsbescheid vom 17. Januar 2018 beim SG abgeschlossenen Verfahrens S 2 VG 3262/17, gegen den die Klägerin am 23. Januar 2018 Berufung eingelegt hat (L 6 VG 389/18).
3. Die Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 9. Januar 2017 ist, soweit die Rücknahme des Bescheides vom 11. Juli 2013 sowie die Gewährung von Leistungen für die Zeit vom 1. Januar 2013 bis 31. Dezember 2014 abgelehnt wurde, rechtmäßig.
a) Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht (§ 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X). Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird (§ 44 Abs. 4 Satz 2 SGB X). Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag (§ 44 Abs. 4 Satz 3 SGB X). Im hier einschlägigen Anwendungsbereich des SGB XII tritt seit dem 1. April 2011 gemäß § 116a SGB XII an die Stelle des Zeitraumes von vier Jahren ein Zeitraum von einem Jahr.
Die Verwaltung hat schon eine Rücknahmeentscheidung nach § 44 Abs. 1 SGB X nicht mehr zu treffen, wenn die rechtsverbindliche, grundsätzlich zurückzunehmende Entscheidung keine Wirkungen mehr entfalten kann, also ausschließlich Leistungen für Zeiten betrifft, die außerhalb der durch den Rücknahmeantrag bestimmten Verfallsfrist liegen (BSG, Urteil vom 23. Februar 2017 – B 4 AS 57/15 R – juris Rdnr. 23). Die Unanwendbarkeit der Vollzugsregelung des § 44 Abs. 4 SGB X, also die nicht mehr vorhandene Möglichkeit einer rückwirkenden Erbringung von Sozialleistungen, steht dann auch einer isolierten Rücknahme eines rechtswidrigen Bescheides nach § 44 Abs. 1 SGB X entgegen (BSG, Urteil vom 23. Februar 2017 – B 4 AS 57/15 R – juris Rdnr. 23 m.w.N.; Urteil des Senats vom 29. Juni 2017 – L 7 SO 4603/16 – n.v.).
b) Nach diesen Maßstäben hat der Beklagte es im streitgegenständlichen Bescheid zu Recht abgelehnt, den Bescheid vom 11. Juli 2013 hinsichtlich der Zeit von dem 1. Januar 2015 zurückzunehmen, da die Klägerin ihren (sinngemäßen) Antrag auf Überprüfung des Bescheides vom 11. Juli 2013 erst am 7. bzw. 11. Oktober 2016 gestellt hat, eine rückwirkende Leistungsgewährung also gemäß § 116a SGB XII i.V.m. § 44 Abs. 4 SGB X erst ab dem 1. Januar 2015 möglich ist.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG
5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
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