L 13 R 4012/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 7 R 806/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 4012/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 21. Oktober 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1965 geborene Kläger hat nach eigenen Angaben von August 1983 bis März 1986 eine Ausbildung zum Zimmerer und von August 1989 bis Mai 1991 eine Umschulung zum Bauzeichner absolviert. Bis Mai 1996 hat er als Bauzeichner gearbeitet, war anschließend als Lager-/Versandarbeiter und zuletzt bis Juli 2015 als Spielhallenaufsicht beschäftigt. Nach eigenen Angaben gründete der Kläger im Jahr 1985 die rockerähnliche Gruppierung "Black Jackets", deren Mitglieder (ca. 500 Jugendliche und Erwachsene in Baden-Württemberg, weltweit ca. 5000) seither wiederholt wegen Gewaltverbrechen, Drogen-, Waffen- und Eigentumsdelikten strafrechtlich belangt wurden.

Am 10. Juli 2015 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Die Beklagte veranlasste eine ärztliche Begutachtung des Klägers. Dr. Me. - Internist, Facharzt für Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie, Sozialmedizin – kam im Gutachten vom 29. September 2015 zum Ergebnis, bei dem Kläger bestehe eine länger dauernde Anpassungsstörung bei Partnerschaftsproblematik, DD: Dysthymie, Persönlichkeitsvariante mit schizoiden und dissozialen Anteilen, degenerative Veränderungen der HWS, Karpaltunnelsyndrom rechts, degenerative Veränderungen der LWS, Schmerzzustand am linken Vorfuß bei Spreizfuß und statischer Belastung, Belastungsbeschwerden am rechten Knie, chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung, anamnestisch Asthma als Kind, Schlafapnoesyndrom, Übergewicht, Hypertonie und Diabetes mellitus, zur Zeit eingestellt. Der Kläger könne leichte, zeitweise mittelschwere Tätigkeiten mehr als 6 Stunden am Tag verrichten, soweit Bücken, Heben und Tragen von Lasten und häufige Überkopfarbeiten vermieden würden. Tätigkeiten, die überwiegend im Stehen oder Gehen zu verrichten sind, seien nicht leidensgerecht.

Die Beklagte lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 6. Oktober 2015 ab.

Auf den hiergegen am 16. Oktober 2015 erhobenen Widerspruch veranlasste die Beklagte eine weitere Begutachtung des Klägers. Dr. Hu. – Facharzt für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie – kam im Gutachten von 8. Dezember 2015 zum Ergebnis, bei dem Kläger bestehe ein Zustand nach Anpassungsstörung, DD: Zustand nach Dysthymie, zum Untersuchungszeitpunkt keine depressive Symptomatik mit Relevanz für das Leistungsvermögen, angegebene Somatisierung mit Kopfschmerzen und Tinnitus ohne Relevanz für das Leistungsvermögen und Angabe von Wirbelsäulenbeschwerden, zum Untersuchungszeitpunkt ohne Reiz- oder Ausfallsymptomatik. Der Kläger könne mittelschwere Arbeiten täglich 6 Stunden und mehr verrichten.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 3. März 2016 zurück.

Mit der am 8. März 2016 beim Sozialgericht Ulm (SG) eingegangenen Klage (S 7 R 806/16) hat der Kläger sein Rentenbegehren weiter verfolgt. Zur Begründung hat er auf das Ausmaß seiner psychischen und orthopädischen Leiden sowie den Diabetes mellitus verwiesen. Er sei außerstande unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes wenigstens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Auf Antrag des Klägers hat das SG gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Sachverständigengutachten bei Dr. Ma. – Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie - eingeholt. Im Gutachten vom 14. Juli 2016 ist Dr. Ma. zum Ergebnis gekommen, auf seinem Fachgebiet bestehe bei dem Kläger eine Anpassungsstörung, Persönlichkeitsvariante mit schizoiden und dissozialen Anteilen. Der Kläger habe ohne den geringsten Versuch einer Simulation oder Aggravation geäußert, dass er nicht mehr arbeiten werde. Aus Sicht des Gutachters handele es sich hierbei nicht nur um eine pauschale Aussage sondern um eine tief greifende innere Überzeugung des Klägers, von welcher er nicht mehr abrücken wolle und könne. Der Kläger sei inzwischen weder sozialisations- noch integrationsfähig in die hiesige Gesellschaft und könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch unter 3 Stunden täglich berufstätig sein. In einer sozialmedizinischen Stellungnahme hat sich der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Bu. vom ärztlichen Dienst der Beklagten am 23. August 2016 der von Dr. Ma. vorgenommenen Einschätzung des Leistungsvermögens des Klägers nicht angeschlossen. Die diagnostizierte depressive Anpassungsstörung wirke sich nicht quantitativ leistungsmindernd aus. Die akzentuierten Persönlichkeitsanteile hätten sich spätestens in der Adoleszenz ausgebildet und der Kläger habe über Jahre hinweg mit dieser Persönlichkeitsstruktur arbeiten können. Die Negierung von Regeln und Vorschriften sowie die innere Überzeugung, nicht arbeiten zu müssen, seien nicht angetan, um eine quantitative Leistungsminderung begründen zu können.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 21. Oktober 2016 abgewiesen. Die zulässige Klage sei unbegründet, da der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung einer vollen oder teilweisen Rente wegen Erwerbsminderung habe. Das SG hat sich in den Entscheidungsgründen insbesondere auf die Feststellungen in den Gutachten der Dres. Me. und Hu. gestützt und die Leistungseinschätzung im Gutachten des Dr. Ma. für nicht überzeugend gehalten.

Gegen den am 26. Oktober 2016 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 31. Oktober 2016 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegte Berufung des Klägers. Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger vor, es sei nicht nachvollziehbar, warum das SG dem Gutachten des Dr. Ma. nicht gefolgt sei.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 21. Oktober 2016 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 6. Oktober 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. März 2016 zu verurteilen, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 1. August 2015 zu gewähren, sowie hilfsweise die aus den Schriftsätzen vom 21. Juli 2017 und 18. Dezember 2017 gestellten Beweisanträge.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Der Senat hat die vom Kläger benannten behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen angehört. Dr. Hü. – Facharzt für Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde, Schlafmedizin, Notfallmedizin – hat am 7. Februar 2017 angegeben, er habe bei dem Kläger eine chronisch-obstruktive Lungenerkrankung mit gleichartiger reversibler Bronchialobstruktion, Nikotinabusus und eine leichte bis mäßiggradige obstruktive Schlafapnoe diagnostiziert. Eine leichte vollschichtige Hilfstätigkeit von 6 Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei aus seiner fachlichen Sicht möglich.

Der Internist Za. hat am 1. März 2017 angegeben, bei dem Kläger bestehe eine Depression, arterieller Hypertonus, Diabetes mellitus Typ II b, obstruktives Schlafapnoesyndrom und COPD. Er stehe unter medikamentöser Behandlung mit Psychopharmaka (Mirtazapin, Citalopram, Risperidol). Insgesamt lägen sehr starke Einschränkungen in Bezug auf das berufliche Leistungsvermögen vor. Eine vollschichtige Tätigkeit sei nicht durchführbar, leichte Tätigkeiten schienen in geringem Stundenumfang jedoch machbar zu sein.

Der Facharzt für Allgemeinmedizin, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Kö. hat am 12. März 2017 angegeben, bei dem Kläger bestehe eine phasenhaft verlaufende Depression mit mittelschwerer Episode, Anpassungsstörung bei multiplen psychischen Belastungsfaktoren und kombinierte Persönlichkeitsstörung mit schizoiden und dissozialen Anteilen. Wegen der auf psychiatrischem Fachgebiet vorliegenden Gesundheitsstörungen könne der Kläger auch leichte und einfache Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr verrichten.

In einer sozialmedizinischen Stellungnahme hat der Facharzt Bu. am 24. März 2017 die Auskünfte der behandelnden Ärzte ausgewertet und erneut eine quantitative Leistungsminderung ausgeschlossen.

Abschließend hat der Senat von Amts wegen ein Sachverständigengutachten bei Dr. Br. – Arzt für Neurologie und Psychiatrie – eingeholt. Der Sachverständige ist am 11. Juli 2017 zum Ergebnis gekommen, bei dem Kläger bestünden akzentuierte Persönlichkeitszüge bei gleichzeitig nur niedrigem Persönlichkeitsstrukturniveau, inhaltsabhängig dysthyme Verstimmung, aus der Vorgeschichte bekannte Panikstörung (unter psychopharmakologischer Medikation subjektiv und objektiv gut remittiert), mit Tabletten behandelter Diabetes mellitus, Adipositas und angegebene HWS- und LWS-Beschwerden (objektiv ohne neurologisch suspekte Begleitsymptomatik, auch objektiv klinisch wie elektrophysiologisch ohne Anhalt für neurologische, insbesondere etwa radikuläre Komplikationen), angegebene Kniegelenksbeschwerden rechts und ein kompensierter Tinnitus. Der Kläger könne aus psychiatrischer Sicht leichte und auch mittelschwere Tätigkeiten verrichten – dies nur zu ebener Erde, nicht an unmittelbar gefährdenden Maschinen, ohne regelmäßigen Zeitdruck und ohne Nacht- oder Wechselschicht. Bei Beachtung der qualitativen Einschränkungen könne der Kläger aus nervenärztlicher Sicht vollschichtig arbeiten. Die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt.

Unter Hinweis darauf, dass das Gutachten des Dr. Br. das klägerischen Begehren nicht stütze, ist mit Senatsverfügung vom 18. Juli 2017 angefragt worden, ob die Berufung zurückgenommen werde bzw. ob Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bestehe. Mit Schreiben vom 21. Juli 2017 hat der Kläger mitgeteilt, mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung sei er nicht einverstanden. Er beantrage, Dr. Ma. und Dr. Kö. im Rahmen einer mündlichen Verhandlung als sachverständige Zeugen zu vernehmen. Mit Senatsverfügung vom 3. August 2017 ist der Kläger darauf hingewiesen worden, Dr. Kö. sei bereits schriftlich als sachverständiger Zeuge gehört worden, Dr. Ma. habe im erstinstanzlichen Verfahren ein Sachverständigengutachten erstellt und weitere medizinische Ermittlungen seien nicht beabsichtigt. Das Verfahren sei zur mündlichen Verhandlung vorgemerkt. Die Terminsladung zur mündlichen Verhandlung am 27. Februar 2018 ist dem Kläger am 29. November 2017 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2017 hat der Kläger beantragt, gemäß § 109 SGG ein Gutachten bei Dr. Bar., Facharzt für Orthopädie, einzuholen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen, denn der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 6. Oktober 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. März 2016 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung aufgrund des Rentenantrages vom 10. Juli 2015.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die vom Kläger beanspruchte Rente dargelegt und zutreffend ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung hat, weil er in der Lage ist, zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts bei Beachtung qualitativer Einschränkungen wenigstens sechs Stunden arbeitstäglich zu verrichten. Der Senat schließt sich dem nach eigener Überprüfung und unter Berücksichtigung des gesamten Vorbringens des Klägers uneingeschränkt an und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung gemäß § 153 Abs. 2 SGG zurück.

Ergänzend ist auszuführen, dass eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI ausscheidet, da der Kläger nicht vor dem 2. Januar 1961 geboren ist. Zudem ist der Kläger darauf hinzuweisen, dass er die Beweislast für anspruchsbegründende Tatsachen trägt, also dafür, dass sein Restleistungsvermögen auf das gesetzliche Maß herabgesunken ist. Auch aus dem Berufungsverfahren ergibt sich nicht der Nachweis, dass das Leistungsvermögen auf ein rentenrelevantes Leistungsniveau herabgesunken ist. Die Auffassung des Klägers, er könne wegen gesundheitlicher Einschränkungen nur noch unter 3 Stunden täglich berufstätig sein, wird durch das Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme nicht gestützt. Bei dem Kläger bestehen akzentuierte Persönlichkeitszüge, dysthyme Verstimmung, aus der Vorgeschichte bekannte Panikstörung, arterieller Hypertonus, Diabetes mellitus Typ II b, obstruktives Schlafapnoesyndrom und COPD, Adipositas und angegebene HWS- und LWS-Beschwerden, angegebene Kniegelenksbeschwerden rechts und ein kompensierter Tinnitus. Zu dieser Feststellung gelangt der Senat aufgrund der urkundlich verwerteten Sachverständigengutachten der Dres. Me. und Hu., der schriftlichen Auskünfte der sachverständigen Zeugen, der urkundlich verwerteten Stellungnahmen des Facharztes Bu. und insbesondere des von Amts wegen eingeholten Sachverständigengutachtens des Dr. Br ... Nicht festzustellen ist indes das Vorliegen von schizoiden oder dissozialen Persönlichkeitszügen und einer überdauernden depressiven Symptomatik. Diese in den Sachverständigengutachten des Dr. Me. (insoweit fachfremd) und Dr. Ma. sowie in der schriftlichen Zeugenauskunft des Dr. Kö. genannten Diagnosen sind durch das aktuelle fachärztliche Gutachten des Dr. Br. nicht bestätigt worden: Der von Amts wegen beauftragte Sachverständige hat die eigenanamnestischen Schilderungen des Klägers sehr umfangreich und anschaulich wiedergegeben. Beschrieben wird ein unkomplizierter und liebenswürdig zugewandter, humorvoller, recht eloquenter, sich völlig adäquat im Kontakt dem Sachverständigen und dem Praxispersonal gegenüber verhaltender Proband. Auch bei der Schilderung von negativ bewerteten Teilen seiner Biografie war die Auslenkbarkeit des Klägers sowohl affektiv als auch inhaltlich lebendig erhalten. Je nach angesprochenem Inhalt war der Kläger laut Schilderung des Gutachters ausgesprochen lebendig, engagiert, spontan und humorvoll, herzlich lachend, entspannt und gern erzählend erlebt worden. Auch emotional hat der Gutachter einen sehr guten Kontakt zum Probanden herstellen können. Schlüssig und für den Senat überzeugend kommt Dr. Br. dann zum Ergebnis, dass die in den Vorgutachten genannten schizoiden und dissozialen Persönlichkeitszüge und eine überdauernde depressive Symptomatik nicht feststellbar sind.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die bei dem Kläger bestehenden Leiden keine rentenrechtlich relevante Leistungsminderung bedingen.

Dies ergibt sich für die psychiatrischen Befunde in Form akzentuierter Persönlichkeitszüge, dysthymer Verstimmung und aus der Vorgeschichte bekannter Panikstörung, zur Überzeugung des Senats aus dem Sachverständigengutachten des Dr. Br ... Der Gutachter beschreibt ausführlich und anschaulich, dass der Kläger in der mehrstündigen dichten gutachterlichen Untersuchungsprozedur (10:20 Uhr bis 13:45 Uhr laut Attest Dr. Br., Bl. 9 Kostenakte des Senats) keine Pause wegen Erschöpfung oder Ermüdung benötigte, wobei ein Begutachtungstermin zwangsläufig für jeden Probanden eine eher überdurchschnittliche Anstrengung darstelle. Hieraus und auch aus den Angaben des Klägers zu seinem Tagesablauf (regelmäßige Treffen mit Freunden in einer Pizzeria, Interesse am Fernsehprogramm), zum Freizeitverhalten (Flugreisen in die Türkei mehrmals im Jahr, zuletzt im Mai 2017, mit regelmäßigen Moscheebesuchen) und zur aktiven Teilnahme am Alltag seiner Söhne (z.B. Kino-, Restaurant- und Schwimmbadbesuche, Teilnahme an schulischen Veranstaltungen) folgert der Gutachter schlüssig und nachvollziehbar, dass keine psychischen und/oder körperlichen Funktionsstörungen erkennbar sind, die quantitative Leistungseinschränkungen begründen könnten. Bezüglich der in der Vergangenheit beschriebenen Panikattacken schließt der Gutachter ebenfalls rentenrechtlich relevante Leistungseinschränkungen aus, da der Kläger diese nach eigenen Angaben durch Medikation mit Citalopram und Mirtazapin "wirklich in den Griff bekommen" habe (Bl.71 Senatsakte).

Dass dem nach § 109 SGG eingeholten Gutachten des Sachverständigen Dr. Ma. im Ergebnis nicht zu folgen ist, ergibt sich zur Überzeugung des Senats ebenfalls aus dem Sachverständigengutachten des Dr. Br ... Zum einen hat Dr. Br. schlüssig und nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass die von Dr. Ma. angeführte Anpassungsstörung und Persönlichkeitsvariante vom Kläger mit in das Erwerbsleben eingebracht worden ist und ihn in der Vergangenheit über viele Jahre nicht daran gehindert hat, im erlernten Beruf und zuletzt auch im ungelernten Bereich erwerbstätig zu sein. Der Senat schließt sich der überzeugenden Schlussfolgerung des Dr. Br. dahingehend an, dass die Persönlichkeitsvariante auch heute einer vollschichtigen Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht entgegensteht.

Dr. Br. hat auch treffend darauf hingewiesen, dass Dr. Ma. die angenommene quantitative Leistungsminderung nicht auf psychopathologische Befunde sondern letztlich nur auf die pauschale Aussage des Klägers stützt, "dass er nicht mehr arbeiten werde". Der Sachverständige Dr. Br. führt hierzu dann aus: "Wenn damit gemeint ist, dass der 1965 geborene Proband nicht mehr die Absicht hat, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen, so mag dies stimmen. Daraus ist aber nicht auf ein etwa willentlich diesbezügliches unüberwindbares Unvermögen zu schließen." (Bl. 96 Senatsakte). Diesen Ausführungen des Sachverständigen schließt sich der Senat in vollem Umfang an.

Dass rentenrechtlich relevante Leistungseinschränkungen nicht vorliegen, ergibt sich schließlich für die Erkrankungen im internistischen, lungenärztlichen und orthopädischen Fachgebiet aus den aktenkundigen ärztlichen Unterlagen und insbesondere aus dem urkundlich verwerteten Gutachten des Dr. Me. und der schriftlichen Auskunft des Dr. Hü ... Beide Fachärzte kommen übereinstimmend zur Einschätzung, dass zwar schwere Arbeiten auszuschließen, leichte bis mittelschwere Arbeiten jedoch mehr als 6 Stunden möglich sind. Beide Lungenfachärzte haben darauf hingewiesen, dass der Kläger trotz der Atemwegserkrankungen weiterhin raucht – was unverständlich sei. Dies spricht nach Auffassung des Senats gegen einen Leidensdruck infolge der Atemwegserkrankung. Anhaltspunkte dafür, dass der Diabetes mellitus, der Bluthochdruck und die vom Kläger angegebenen HWS-, LWS- und Kniegelenksbeschwerden zu einer rentenrechtlich relevanten Leistungseinschränkung führen würden, sind nach Aktenlage nicht ersichtlich. Die Gutachter Dr. Me. und Dr. Br. haben Bluthochdruck und Diabetes mellitus als angemessen eingestellt bewertet und diesbezüglich keinerlei Leistungseinschränkungen gesehen. Aus den Auskünften der behandelnden Ärzte ergibt sich kein Anhaltspunkt für eine anderweitige Bewertung. Bezüglich der geschilderten Schmerzen am Bewegungsapparat ist darauf hinzuweisen, dass offenbar keine fachorthopädische Behandlung des Klägers stattfindet. Auf Anfrage des Senats hat der Kläger mit Schriftsatz vom 13. Januar 2017 ausschließlich als behandelnde Ärzte Dr. Unger (Internist), Dr. Kö. (Facharzt für Allgemeinmedizin, Psychiatrie und Psychotherapie) und Dr. Hü. (Lungenfacharzt) genannt. In der Berufungsbegründung vom 31. Oktober 2016 schließlich findet sich allein der Satz "Nicht außer Betracht zu lassen sind auch die Einschränkungen im orthopädischen Bereich sowie die Diabetes mellitus." Diesem Vortrag lässt sich weder entnehmen, inwieweit diese Gesundheitsstörungen bislang falsch gewürdigt sein sollen, noch inwieweit hieraus eine quantitative Leistungseinschränkung resultieren sollte. Bei Gesamtwürdigung aller vorliegenden medizinischen Unterlagen besteht keine Veranlassung für weitere Ermittlungen von Amts wegen bezogen auf die genannten internistischen und orthopädischen Befunde.

Im Ergebnis stellt der Senat fest, dass der Kläger unter Beachtung qualitativer Einschränkungen leichte und auch mittelschwere körperliche Tätigkeiten nur zu ebener Erde, nicht an unmittelbar gefährdenden Maschinen, ohne regelmäßigen Zeitdruck und ohne Nacht- oder Wechselschicht im Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen vollschichtig, d.h. sechs Stunden täglich verrichten kann. Eine schwere spezifische Leistungsbeeinträchtigung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen liegt nicht vor.

Dem hilfsweise in der mündlichen Verhandlung gestellten und bereits mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2017 formulierten Antrag, gemäß § 109 SGG ein weiteres Gutachten bei dem Facharzt für Orthopädie Dr. Bar. einzuholen, war nicht zu entsprechen. Gemäß § 109 Abs. 2 SGG kann das Gericht einen Antrag auf Anhörung eines bestimmten Arztes ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist. Im vorliegenden Fall würde die Einholung eines weiteren (orthopädischen) Sachverständigengutachtens die Erledigung des Rechtsstreits verzögern. Der Antrag wurde mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2017 auch aus grober Nachlässigkeit verspätet gestellt. Grobe Nachlässigkeit liegt vor, wenn jede zur sorgfältigen Prozessführung erforderliche Sorgfalt außer acht gelassen ist, d.h. wenn nicht getan wurde, was jedem einleuchten muss. Dies bedeutet, dass der Beteiligte den Antrag spätestens dann innerhalb angemessener Frist stellen muss, wenn er erkennen muss, dass das Gericht keine (weiteren) Erhebungen von Amts wegen durchführt. Dies ist anzunehmen, wenn ihn das Gericht entweder ausdrücklich auf die Möglichkeit eines Antrags nach § 109 SGG hingewiesen hat, bei sachkundig vertretenen Klägern allerdings auch, wenn das Gericht mitgeteilt hat, es seien keine weiteren Ermittlungen vorgesehen bzw. der Rechtsstreit werde als entscheidungsreif angesehen. Als angemessene Frist ist – falls das Gericht keine abweichende Frist setzt – grundsätzlich eine solche von einem Monat ausreichend (vergleiche Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 12. Aufl., § 109 SGG, Rn. 11). Da der anwaltlich vertretene Kläger im vorliegenden Fall mit Senatsverfügungen vom 18. Juli 2017 und 3. August 2017 darauf hingewiesen worden ist, dass weitere medizinische Ermittlungen von Amts wegen nicht vorgesehen sind und das Verfahren für entscheidungsreif gehalten wird, war der erstmals mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2017 formulierte und in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag bereits wegen Verspätung aus grober Nachlässigkeit abzulehnen. Darüber hinaus handelt es sich vorliegend um einen wiederholenden Antrag nach § 109 SGG, da bereits das SG in erster Instanz auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG ein Sachverständigengutachten bei Dr. Maier eingeholt hat. Einem wiederholenden Antrag auf Anhörung eines bestimmten Arztes muss nur bei Vorliegen besonderer Umständen gefolgt werden (Keller a.a.O., § 109 SGG, Rnrn.10b, 11b). Auch wenn das vorliegend in erster Instanz eingeholte Gutachten des Dr. Ma. das neurologisch-psychiatrische Fachgebiet betraf und ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Orthopädie bislang über den Kläger nicht erstellt wurde, sind keine besonderen Gründe für eine gutachtliche Anhörung des Dr. Bar. gegeben. Dies folgt bereits daraus, dass keine fachorthopädische Behandlung des Klägers stattfindet (s.o.) und es abgesehen von dessen eigenen Angaben, er habe Schmerzen am Bewegungsapparat, keinerlei Hinweise auf das Vorliegen orthopädischer Leiden mit rentenrechtlich relevanten Auswirkungen auf das berufliche Leistungsvermögen gibt. Auch aus diesem Grund war dem Antrag auf gutachtliche Anhörung des Dr. Bar. gem. § 109 SGG nicht zu entsprechen.

Auch dem hilfsweise in der mündlichen Verhandlung gestellten und bereits mit Schriftsatz vom 21. Juli 2017 formulierten Antrag auf persönliche Zeugeneinvernahme der Dres. Ma. und Kö. war nicht zu entsprechen. Dr. Ma. (§ 109 SGG) hat in erster Instanz ein fachärztliches Sachverständigengutachten erstellt und Dr. Kö. hat als sachverständiger Zeuge Beweisfragen des Senats schriftlich beantwortet. Der Antrag erfüllt die formellen Anforderungen eines Beweisantrags im Sinne des § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 414, 373 Zivilprozessordnung (ZPO) nicht. Ein Beweisantrag muss grundsätzlich in prozessordnungsgerechter Weise formuliert sein, sich regelmäßig auf ein Beweismittel der ZPO beziehen, das Beweisthema möglichst konkret angeben und insoweit auch wenigstens umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben soll (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 12. Auflage, § 160, Rdnr. 18a m.w.N.). Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 21. Juli 2017 und auch in der mündlichen Verhandlung am 27. Februar 2018 keine objektiv sachdienlichen Fragen formuliert, die von dem Sachverständigen und dem sachverständigen Zeugen nicht bereits schriftlich beantwortet worden wären. Darüber hinaus war die nochmalige Anhörung der Dr. Ma. und des Dr. Kö. auch nicht zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts erforderlich, da sowohl Dr. Kö. im Rahmen seiner Äußerung als sachverständiger Zeuge als auch Dr. Ma. im Rahmen seines Gutachtens als gerichtlicher Sachverständiger in der ersten Instanz bereits ausführlich schriftlich ihre Auffassung bezüglich des Leistungsvermögens des Klägers geäußert haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Im Rahmen des dem Senat nach § 193 SGG eingeräumten Ermessens war für den Senat maßgeblich, dass der Kläger mit der Rechtsverfolgung ohne Erfolg geblieben ist und die Beklagte keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat. Der Senat hält es auch im Falle einer Zurückweisung des Rechtsmittels für erforderlich, nicht nur über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu entscheiden, sondern auch über die Kosten der vorausgehenden Instanz (so Lüdtke, Kommentar zum SGG, 4. Aufl., § 193 SGG Rdnr. 8; erkennender Senat, Urteil vom 19. November 2013, L 13 R 1662/12, veröffentlicht in Juris; a.A. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 12. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 2a; Hintz/Lowe, Kommentar zum SGG, § 193 SGG Rdnr. 11; Jansen, Kommentar zum SGG, 4. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 4).

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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