L 3 U 841/99

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 13 U 173/95
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 841/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 13/05 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 22. April 1999 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung einer bandscheibenbedingten Lendenwirbelsäulen(LWS)-Erkrankung des Klägers als Berufskrankheit (BK) nach Ziffer 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) und deren Entschädigung durch Gewährung einer Verletztenrente.

Der mittlerweile 71-jährige Kläger war ab März 1947 für ein knappes Jahr in der Landwirtschaft beschäftigt und absolvierte ab Februar 1948 eine Lehre als Stellmacher. Anschließend war er Bau- und Möbelschreiner, mit Zimmerarbeiten sowie mit Arbeiten an einer Gattersäge beschäftigt. Ab 1956 bis zum Ausscheiden aus dem Berufsleben im Jahr 1990 übte er die Tätigkeit eines Offsetdruckers aus. Er gab der Beklagten gegenüber an, sowohl in der Landwirtschaft als auch in der Folgezeit bis 1956 täglich schwer gehoben und getragen zu haben und zwar in Tagesschichten von acht, neun und zehn Stunden. Als Offsetdrucker habe er Papierpakete abladen und tragen müssen, habe das Papier in die Druckmaschine stapeln und anschließend bedrucktes Papier in den Aufzug setzen müssen. Dabei habe er Gewichte bis 40 kg 40mal vor dem Körper, 20mal seitwärts des Körpers heben und tragen müssen sowie bis zu 30 kg 15mal auf der Schulter. Vom 19. Februar bis 28. März 1990 absolvierte er ein Heilverfahren auf Kosten der LVA Hessen in B., aus dem er arbeitsunfähig entlassen wurde. Die LVA Hessen gewährte ihm sodann ab 29. März 1990 die Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit.

Die Firma K. in F-Stadt, bei der der Kläger als Offsetdrucker von August 1960 bis zu seinem Ausscheiden gearbeitet hatte, erstellte die BK-Anzeige vom 18. Januar 1994 und gab darin an, der Kläger habe einer Hebe- und Tragebelastung unterlegen beim Einrichten der Druckmaschinen und beim Stapeln von Papier, wofür technische Hilfsmittel vorhanden gewesen seien. Eine Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung habe er nicht längerfristig ausüben müssen. Der Kläger gab ergänzend an, er habe erste Beschwerden an der gesamten Wirbelsäule ab 1956 gehabt - hauptsächlich sei die LWS betroffen gewesen. Die Beklagte zog die medizinischen Unterlagen der LVA Hessen sowie das Vorerkrankungsverzeichnis des Klägers von der AOK F-Stadt für die Zeit ab August 1960 bei, in dem eine erste und sodann wiederholte Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen Lumbalgien und sonstigen Wirbelsäulenerkrankungen ab 1962 verzeichnet sind. Beim Versorgungsamt A-Stadt ist der Kläger als Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 anerkannt und als Behinderung zu 1 enthält der Bescheid vom 14. März 1989 degenerative Wirbelsäulenveränderungen mit neurologischen Ausfällen. Die Beklagte holte des Weiteren Befundberichte des Hausarztes Dr. R. vom 6. Februar 1994, des Orthopäden Dr. B. sowie des Dr. I. ein und ließ sodann den ehemaligen Arbeitsplatz des Klägers vom Technischen Aufsichtsdienst (TAD) beschreiben. Dazu äußerte der Technische Aufsichtsbeamte (TAB) und Dipl.-Ing. D. am 26. April 1994, der Kläger sei als Offsetdrucker beim Bedienen von drei Druckmaschinen belastet gewesen und zwar etwa eine Stunde pro Schicht. Die Einzellastgewichte hätten dabei durchschnittlich 5 kg gewogen, evtl. etwas mehr. 600 bis 1200 kg seien auf diese Weise umgesetzt worden, wobei ein Rumpfbeugewinkel über 90° in der Regel nicht eingenommen worden sei. Hierzu äußerte der mit Stellungnahme vom 11. August 1994, nach den vom TAD ermittelten Belastungen erfülle der Kläger die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK nach Ziffer 2108 nicht. Die Beklagte lehnte daraufhin die Entschädigung einer bandscheibenbedingten LWS-Erkrankung beim Kläger als BK nach Ziffer 2108 ab, da er die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht erfülle, und verblieb mit Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 1995 bei dieser Entscheidung.

Mit Klage vom 22. März 1995 trug der Kläger vor, er habe täglich etwa eine Papierlast von 1 Tonne bewältigt und vier Stunden Stapelarbeiten verrichten müssen, wodurch er die arbeitstechnischen Voraussetzungen sehr wohl erfüllt habe. Zunächst habe er Papier vom Lastenaufzug auf die Transportwagen ziehen müssen, wobei die einzelnen Packs zwischen 50 und 80 kg gewogen hätten. Die Höhe des Wagens habe etwa 10 cm betragen. Nach dem Transport des Papiers zu den Druckmaschinen sei das Papier aufzuheben, zu fächern, aufzulockern und sodann in die Maschine zu stapeln gewesen. Beim Bedrucken der Rückseite und beim Vierfarbendruck sei das Einlegen erneut bzw. wiederholt notwenig geworden. Nach dem Ende des Druckvorganges habe er den Wagen wieder beladen und in die Buchbinderei transportieren müssen. Großformatige Bögen seien in Stapeln von über 20 kg bewegt worden. Zudem habe er die Feuchtwalzen mit Gewichten von 5 kg entnehmen müssen und beim Plattenwechsel der Druckmaschine "Heidelberger GTO" in ungünstiger Körperhaltung arbeiten müssen. Auch in der Zeit von 1948 bis 1951 habe er als Stellmacherlehrling schwer heben müssen – beispielsweise Baumstämme. Die Beklagte führte ergänzende Ermittlungen zur beruflichen Hebe- und Tragebelastung des Klägers in der Beschäftigungsfirma H. durch, worüber der TAB Dipl.-Ing. D. den Bericht vom 27. September 1995 nach erneutem Betriebsbesuch und Rücksprache mit dem Betriebsleiter G. fertigte, auf den wegen weiterer Einzelheiten verwiesen wird. Der Kläger monierte, die darin niedergelegten Ermittlungen halte er nicht für korrekt. An der Druckmaschine "Roland Favorit" und der "Heidelberger KOR" habe er größere Papierformate verarbeitet und höhere Gewichte bewegt. Die im Bericht beschriebenen Rolltische hätten erst seit 1970 zur Verfügung gestanden, vorher habe er die Papierstapel vier bis acht Meter tragen müssen und habe dabei zur Beschleunigung durchaus 20 kg und mehr getragen. Ein Ries DIN A2 Papier = 500 Blatt wiege 13 kg und oft habe er zwei Ries getragen. Der Kläger hat Fragebogen mit Einzelangaben zur Hebe- und Tragebelastung überreicht, hat ergänzende Angaben vor dem Sozialgericht A-Stadt (SG) im Erörterungstermin vom 5. August 1996 sowie im Kammertermin vom 22. April 1999 gemacht. Sodann hat das SG das fachorthopädische Gutachten des Dr. K. vom 1. Oktober 1996 eingeholt. Als Ergebnis der Röntgenuntersuchung teilte Dr. K. degenerative Veränderungen, lokalisiert an den beiden unteren Lendensegmente, an sechs Segmenten der Brustwirbelsäule (BWS) und zwei Segmente der Halswirbelsäule (HWS) mit. In Höhe des Brustwirbelkörpers (BWK) 10 bestehe der Verdacht auf eine Deckplattenimpression auf traumatischer Grundlage. Danach seien die Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule nicht gleichmäßig verteilt, sondern fänden ihr Maximum in zwei Segmenten der HWS, sechs Segmenten der BWS und zwei Segmenten der LWS unter weitgehender Schonung aller übrigen Segmente. Als Diagnosen enthält das Gutachten eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS in den Segmenten L4/5 im Sinne eines lokalen Lumbalsyndroms mit monoradikulärer sensibler Nervenwurzelreizung in Höhe L5/S1 bei computertomographisch nachgewiesenem Bandscheibenvorfall L4/5; eine Versteifung der BWS infolge einer segment-übergreifenden Spondylosis deformans im Bereich der mittleren BWS; eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Halssegmente L4/6 im Sinne eines lokalen Zervikalsyndroms ohne Wurzelreizsymptomatik; ein weichteilbedingtes Schulter-Arm-Syndrom beidseits; eine idiopathische Coxarthrose rechts sowie eine posttraumatische Coxarthrose links und eine beginnende Retropatellararthrose beidseits. Der Bandscheibenvorfall bei L4/5 sei erst 1994 und damit vier Jahre nach Tätigkeitsaufgabe beim Kläger festgestellt worden. Prädiktive Veränderungen zeige die Wirbelsäule nicht. Der Bandscheibenvorfall stelle eine bandscheibenbedingte LWS-Erkrankung dar verbunden mit chronisch rezidivierenden schweren Funktionseinbußen und dabei handele es sich um eine BK. Krankhafte Veränderungen, die nicht auf die BK zurückzuführen seien, bestünden nicht. Insbesondere seien Hinweise für eine generelle Bereitschaft zu degenerativen Erkrankungen auszuschließen, da im Bereich der HWS und BWS sowie an beiden Hüftgelenken nahezu unauffällige, eher altersunterdurchschnittliche Verhältnisse vorlägen. Ausweislich des Heilverfahrensentlassungsberichtes vom März 1990 sei der Kläger gezwungen gewesen, wegen der LWS-Erkrankung den Beruf als Drucker aufzugeben. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) für die BK bemesse er seit dem Eintritt der Erwerbsunfähigkeit mit 25 v.H. Die Beklagte legte hierzu die Stellungnahme des Arbeitsmediziners Dr. H. vom 19. Januar 1997 vor, der die arbeitstechnischen Voraussetzungen verneinte und davon ausging, dass beim Kläger ein degeneratives Wirbelsäulensydrom mit ausgeprägten Veränderungen in allen drei Abschnitten der Wirbelsäule sowie seit Jahren wechselnden intensiven Beschwerden insbesondere im Bereich von BWS und LWS bestünden. Lumbale Funktionsstörungen lägen in Form von Schmerzen paralumbal und Sensibilitätsstörungen im Dermatom L5/S1 rechts bei Bandscheibenvorfall L4/5 vor. In Anbetracht des gleichmäßigen Befalles von BWS, LWS und HWS sei ein beruflicher Zusammenhang gerade der LWS-Beschwerden nicht zu begründen. So wie beim Kläger sehe eine gleichmäßig degenerativ veränderte Wirbelsäule aus.

Am 22. April 1999 hat das SG die Beklagte verurteilt, dem Kläger unter Anerkennung einer BK nach Ziffer 2108 Verletztenrente nach einer MdE von 25 v.H. – wie von Dr. K. geschätzt – ab 30. März 1999 zu gewähren. Der Kläger habe die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK-Ziffer 2108 erfüllt bei überwiegender Tätigkeit an der Druckmaschine "Roland Favorit" mit DIN A2-formatigem Papier, wobei 1000 Blatt 21 kg gewogen hätten, und er habe dabei eine Tagesdosis von bis zu 40.000 Blatt verarbeiten müssen. Jeden Papierstapel habe er drei- bis viermal bewegen müssen, sodass die vom Verordnungsgeber geforderten mindestens 40 Hübe pro Schicht überschritten seien. In Übereinstimmung mit Dr. K. bestehe beim Kläger eine bandscheibenbedingte LWS-Erkrankung in den Segmenten L4 und 5 im Sinne eines lokalen Lumbalsyndroms mit monoradikulärer sensibler Nervenwurzelreizung rechts in Höhe L5/S1 bei durch CT nachgewiesenem Bandscheibenvorfall L4/5. Der berufliche Zusammenhang dieser LWS-Befunde sei wahrscheinlich, trotz erheblicher Befunde auch an HWS und BWS. Denn eine gleichmäßige Verteilung degenerativer Veränderungen über die gesamte Wirbelsäule liege nach den Ausführungen des Dr. K. nicht vor. Der Kläger sei deswegen gezwungen gewesen, am 30. März 1990 seinen Beruf als Offsetdrucker aufzugeben.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 6. Juli 1999 zugestellte Urteil am 14. Juli 1999 Berufung eingelegt und hält die arbeitstechnischen Voraussetzungen weiterhin vom Kläger nicht für erfüllt. Nach den TAD-Feststellungen habe er im Wesentlichen Gewichte zwischen 5 und 10 kg bewegt, wobei ein Ries 500 Bogen DIN A4 Blatt enthalte und 10,5 kg wiege, in der Größe DIN A3 5,25 kg. Größere Gewichte seien gar nicht zu greifen. Das Schadensbild an der Wirbelsäule und den großen Gelenken des Klägers sowie der Verlauf seiner Erkrankung stünden der Annahme einer wahrscheinlich beruflichen Verursachung entgegen. Denn die stärksten Veränderungen bestünden im Bereich von Halswirbelkörper (HWK) 4 bis 7. Zudem leide er an einer verstärken Kyphosierung der BWS und einer reaktiven Spondylosis deformans im Bereich der stärksten Kyphosierung. Hinzu komme eine stark vermehrte Kippung des Kreuzbeins nach vorne. Zudem habe der Kläger schon im Alter von 24 Jahren ab 1956 und damit bereits ab Arbeitsaufnahme als Offsetdrucker Wirbelsäulenbeschwerden gehabt. Der einzige Bandscheibenvorfall sei dann erst 1994 und damit vier Jahre nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben bei L4/5 festgestellt worden. Der geforderte Unterlassungszwang dürfe zudem ebenso wenig bejaht werden wie eine rentenberechtigende MdE.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts A-Stadt vom 22. April 1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise, eine weiteres Sachverständigengutachten von Amts wegen einzuholen, welches unter Berücksichtigung der zeitlichen Entwicklung der Erkrankung des Klägers die unterschiedliche Gewichtung der Wirbelsäulenerkrankung gegeneinander abwägt zum Beweise der Behauptung, dass eine berufsbedingte bandscheibenbedingte Erkrankung im Bereich der LWS vorliegt.

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung unter Berufung auf das Gutachten des Dr. K. für zutreffend und hat Fotos vorgelegt, die ihn am Arbeitsplatz zeigen, sowie einen Bericht des behandelnden Orthopäden K. vom 2. Mai 2002.

Das Berufungsgericht hat im Erörterungstermin vom 15. Februar 2001 den Kläger persönlich angehört sowie als Zeugen den Arbeitskollegen K., den Geschäftsführer der Firma H., F., den dortigen Schriftsetzer und späteren Angestellten G. sowie den TAB der Beklagten Dipl.-Ing. D ... Die Zeugen haben bestätigt, dass der Bericht des TAB Dipl.-Ing. D. vom 27. Mai 1995 die beruflichen Belastungen des Klägers im Wesentlichen zutreffend widergebe. Der Zeuge Dipl.-Ing. D. hat dies ebenfalls geäußert und hat ergänzend ausgeführt, er habe in seinem Bericht nicht beachtet, dass die Rolltische dem Kläger nicht immer zur Verfügung gestanden hätten, so dass für die betreffenden Zeiträume die dadurch erforderlichen weiteren Hebe- und Tragevorgänge zusätzlich berücksichtig werden müssten. Sodann hat das Berufungsgericht von Amts wegen das Gutachten des Prof. H., Orthopädische Universitätsklinik F./F., vom 25. Juli 2001 eingeholt. Prof. H. ist davon ausgegangen, dass die geschilderten Arbeitsvorgänge eine Hebe- und Tragebelastung ergäben, die geeignet sei, eine BK nach Ziffer 2108 ursächlich zu begründen. Als Erkrankungsbeginn würde er den Beginn der medizinischen Behandlung im Jahr 1960 annehmen, womit der Kläger die geforderte mindestens 10-jährige Expositionsdauer erfülle. Folgende Diagnosen hat er gestellt: Degeneratives Verschleißleiden der HWS mit Osteochondrose, Spondylose und Unkarthrose der Segmente C4 bis C7 bei rezidivierender Cervikalgien ohne neurologische Defizite; degenerative Veränderungen der BWS mit segmentübergreifender Spondylosis deformans im Bereich der mittleren BWS ohne neurologische Ausfallerscheinungen; degeneratives Verschleißleiden der LWS mit Osteochondrose und Spondylarthrose der Segmente L4 bis S1 bei Sakralisation des 5. Lendenwirbelkörpers (LWK) und rezidivierenden lumbalgieformen und lumboischialgieformen Beschwerden, Nucleus-pulposus-prolaps im Segment L4/5 mediolateral links; posttraumatische Coxarthrose links, initiale Coxarthrose rechts; Spreizfuß beidseits; Zustand nach subacromialem Impingement und Rotatorenmanschettenruptur rechte Schulter sowie operativer Sanierung mittels subacromialer Dekompression und Rotatorenmanschettennaht (1999). Das degenerative Verschleißleiden der LWS, die Osteochondrose und Spondylarthrose der Segmente L4 bis S1 sowie der Bandscheibenvorfall bei L4/5 stellten eine bandscheibenbedingte LWS-Erkrankung dar, die als Folge einer berufsbedingten Belastung zu sehen sei, sofern die zwischen den Beteiligten strittigen arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK-Ziffer 2108 zu bejahen seien. Der Kläger zeige einen polysegmentalen Befall der LWS in den Segmenten L4 bis S1. Auch wenn der Bandscheibenvorfall erst 1994 dokumentiert worden sei, müsse unterstellt werden, dass der vorausgehende Verschleiß des Bandscheibenfaches bereits wesentlich früher und vermutlich noch während der beruflichen Exposition eingesetzt habe. Es verwundere nicht, dass neben den LWS-Veränderungen auch degenerative Veränderungen im Bereich der HWS und BWS nachweisbar seien, nämlich in den Bereichen der größten Belastung. Beim Kläger sei dies die mittlere BWS, da bereits 1981 eine vermehrte Kyphosierung (Rundrückenbildung) der BWS nachgewiesen sei. Der Verschleiß zeige sich dann folglich auch im Bereich des Überganges der HWS zur BWS und an der unteren HWS und damit an der Stelle, die durch die vermehrte Rundrückenbildung im BWS-Bereich eine verstärkte Gegenhohlschwingung der unteren HWS hervorgerufen habe. Es bestehe danach ein plausibler pathogenetischer Zusammenhang mit den LWS-Veränderungen. Man könne nicht von einer allgemein verstärkten Verschleißneigung des Klägers im Bereich der Wirbelsäule sprechen. Die Degenerationsbefunde an Gelenken und Kniegelenk seien altersgemäß. Eine hypersegmentale LWS sei auszuschließen, da die Sakralisation symmetrisch verlaufen sei. Im Hinblick auf die MdE-Bewertung sei zu beachten, dass der Kläger ständig an leichteren bzw. mittelschweren Beschwerden im LWS-Bereich leide, die unter Medikation ausreichend kontrolliert würden und neurologisch bislang zu keiner Beeinträchtigung motorischer Funktionen geführt hätten. Es zeige sich nur eine diskrete Abschwächung des linksseitigen Achillessehnenreflexes sowie eine pseudoradikuläre Hypästhesie im Bereich der Außenseite des rechten Unterschenkels. Dies rechtfertige eine MdE von 10 v.H. ab dem Zeitpunkt des beruflichen Ausscheidens.

Die Beklagte legte hierzu die Stellungnahme des Orthopäden P. vom 22. Oktober 2001 vor, der sich der Beurteilung des Prof. H. nicht anzuschließen vermochte. Er wies darauf hin, dass der Bandscheibenvorfall erst weit nach Aufgabe des Berufes eingetreten sei und dass die Wirbelsäule des Klägers ein belastungskonformes Schadensbild nicht aufweise. Insbesondere zeigten L1/2 und L2/3 keine Hinweise auf Bandscheibenveränderungen. Der Bandscheibenvorfall sei in einem dafür besonders exponierten Scharniersegment aufgetreten. Dieser sei letztlich das Ergebnis prädiskotischer Veränderungen. Hier sei auf die Hyperlordose als prädiskotische Deformität hinzuweisen sowie auf die Anpassungsstörung am lumbosakralen Übergang. Des Weiteren habe sich eine Spondylosis hyperostotica ab Mitte der 80er Jahre in massiver Weise vor allem an mittlerer und oberer BWS, aber auch an unterer HWS und LWS gezeigt. Diese führe im Zusammenhang mit dem ohnehin vorhandenen Hohl- und Rundrücken zu einer weitgehenden Einsteifung der BWS und damit zu einer vermehrten Fehlbelastung der LWS. Betroffen seien naturgemäß insbesondere die beiden unteren LWS-Segmente. Da das Segment L5/S1 sich auf dem Kreuzbein abstützen könne auf Grund der beim Kläger bestehenden Anpassungsstörung, sei in besonderer Weise das Segment L4/5 belastet gewesen, das letztlich auch bandscheibengeschädigt sei. Der zu diesen Einwänden gehörte Prof. H. verblieb mit Stellungnahme vom 31. Oktober 2002 bei seiner Beurteilung. Bei den sog. belastungsadaptiven Reaktionen an Grund- und Deckplatten sowie in Form spondylotischer Randwülste handele es sich um Veränderungen i.S. einer beginnenden Erkrankung wegen Nachlassens der Elastizität der Bandscheiben. Bestehe ein mehr- oder vielsegmentaler Befall der LWS mit derartigen Erscheinungen, werde die Beurteilung erleichtert. Solche belastungsadaptiven Phänomene könnten aber nicht als KO-Kriterien gelten. Beim Kläger lägen bandscheibenbedingte Veränderungen der Segmente L4 bis S1 und angedeutet bei L3/4 vor. Die Hyperlordose beim Kläger sei ohne Relevanz und ein Morbus Forestier nicht zu bestätigen. Der Kläger zeige allerdings eine ausgeprägte BWS-Spondylose an der typischen Stelle. Es gebe keinen Zweifel an der Krankheitsentstehung durch Diskusdegeneration mit Rissen im vorderen Anteil des Anulus fibrosus. Diese Erkrankung sei bei Männern und Frauen häufig zu beobachten, sei beim Kläger aber fraglos sehr ausgeprägt und könne nicht gegen die Annahme einer BK 2108 sprechen. Der Kläger zeige eine Übergangsstörung zwischen LWS und Kreuzbein in Form eines asymmetrischen Aufbaus der Gelenkfacetten. Der LWK 5 habe beidseits vergrößerte Querfortsätze, eine krankhafte Artikulation und eine darauf aufbauende Arthrose seien nicht feststellbar. Die Degenerationsbefunde lägen am Ort der Übergangsstörung und besäßen in diesem Segment auch eine entsprechende Bedeutung. Beim Kläger liege der Schaden nicht nur bei L5/S1 sondern auch bei L4/5. Auch das Vorliegen der Facettenasymmetrie spreche nicht gegen die Annahme einer BK.

Auf Antrag des Klägers wurde abschließend das Gutachten des Dr. I. nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vom 14. August 2003 eingeholt. Dem Gutachten des Dr. I. waren das orthopädische Zusatzgutachten des Dr. L. vom 23. Mai 2003, das neurologische Zusatzgutachten des Dr. K. vom 28. Mai 2003 sowie zwei CT-Untersuchungen durch den Radiologen Dr. M. die HWS betreffend vom 3. Juni 2003 und die LWS betreffend vom 15. Mai 2003 beigefügt. Dr. L. bestätigte beim Kläger weder einen Beckenschiefstand noch eine Skoliose und zeigte schwerste degenerative Veränderungen im BWS-Bereich auf. Die MdE für die Wirbelsäulenveränderungen insgesamt bewertet er mit 20 v.H. Der Neurologe Dr. K. bestätigte im LWS-Bereich ein Wurzelkompressionssyndrom L5 rechts sowie S1 links. Er fand Zeichen einer neurogenen Schädigung bei L4 rechts und L5 links. Für die danach bestehenden pluriradikulären Schädigungen ging er von degenerativen LWS-Veränderungen aus. An neurologischen Ausfällen bestehe eine Sensibilitätsstörung im Dermatom L5 links sowie eine Abschwächung des Achillessehnenreflexes rechts. Die MdE infolge dieser Erkrankungen schätzte er auf 30 v.H. Der Sachverständige Dr. I. erhob die Arbeitsanamnese des Klägers von März 1947 bis März 1990 eigenständig unter Aufzeichnung der jeweiligen Hebe- und Tragebelastungen. Er führte eine Belastungsabschätzung nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) für die vom Kläger von 1956 bis 1990 ausgeführte Tätigkeit als Drucker durch und verneinte im Ergebnis, dass der Kläger durch die dabei aufgetretene Hebe- und Tragebelastung die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Annahme einer BK nach Ziffer 2108 erfülle. Er habe zwar hinreichend schwere Lasten bei der Firma H. gehoben und getragen, wobei die Anzahl der belastenden Vorgänge jedoch so niedrig gewesen sei, dass die Beurteilungsdosis Dr mit 3261 bis 3901 Nh jeweils deutlich unter dem Richtwert des MDD von 5500 Nh gelegen habe. Dr. I. bejahte eine bandscheibenbedingte LWS-Erkrankung beim Kläger in Form einer geringgradigen Osteochondrose L5/S1 mit mäßiggradiger Höhenminderung der Bandscheibe, einer Osteochondrose L4/5 mit breitbasigem Bandscheibenvorfall sowie einer geringgradigen Osteochondrose L3/4 mit deutlicher Bandscheibenvorwölbung. Daneben zeige die HWS eine bandscheibenbedingte Erkrankung in Gestalt einer mäßigen Osteochondrose C6/7 mit mäßiggradiger Höhenminderung der Bandscheibe, einer fortgeschrittenen Osteochondrose C5/6 mit hochgradiger Höhenminderung sowie einer medio-linkslateralen Bandscheibenvorwölbung in diesem Segment mit Einengung des Spinalkanals und des linken Recessus lateralis sowie einer geringgradigen Osteochondrose C4/5 mit flacher Bandscheibenvorwölbung. Dies sei der CT-Untersuchung durch Dr. M. vom 3. Juni 2003 zu entnehmen. Die BWS zeige eine ausgeprägte, überbrückende Spondylose der BWK 6 bis 11. Hinzu komme im Bereich des lumbosakralen Überganges eine Hyperlordose. Der berufliche Zusammenhang der Erkrankung könne nicht wahrscheinlich gemacht werden. Es fehle an den arbeitstechnischen Voraussetzungen und auch die medizinischen Anerkennungsvoraussetzungen für die BK-Ziffer 2108 seien nicht zu bejahen. Die degenerativen Veränderungen im Bereich von BWS und HWS seien stärker ausgeprägt als im LWS-Bereich. Die stärksten Veränderungen zeige die BWS ausweislich des orthopädischen Zusatzgutachtens des Dr. L. vom 23. Mai 2003. Die stärksten Formabweichungen der Bandscheiben ergäben sich im Bereich der HWS. Es sei überwiegende Meinung der Fachwissenschaftler, dass eine bandscheiben-bedingte BK der LWS nur anerkannt werden könne, wenn sich im Bereich der BWS und/oder HWS keine ähnlich ausgeprägten oder stärker ausgeprägten degenerativen Veränderungen nachweisen ließen als im Bereich der LWS, es sei denn, die beruflichen Voraussetzungen im Sinne der BK-Ziffer 2109 seien erfüllt. Da eine BK nach Ziffer 2109 beim Kläger wegen Fehlens entsprechender Hebe- und Tragebelastungen auf der Schulter nicht diskutabel sei, lehnte Dr. I. in Übereinstimmung mit dieser herrschenden Lehre in der Arbeitsmedizin den beruflichen Zusammenhang ab.

Der Kläger setzte sich mit Schriftsatz vom 20. Oktober 2003 mit dem Gutachten des Dr. I. kritisch auseinander und hielt es für erforderlich, den Sachverständigen sowohl zum Vorliegen der arbeitstechnischen als auch der medizinischen Anerkennungsvoraussetzungen ergänzend zu hören. Unklar bleibe, wie er zu seiner Zusammenstellung der körperlichen Hebe- und Tragebelastung im Rahmen des MDD gelangt sei. Er habe dabei die von ihm – dem Kläger - angenommenen unterschiedlichen Beugewinkel bei der Hebe- und Tragebelastung sowie bei den Drehbewegungen ebenso wenig beachtet wie die Tatsache, dass er oft Lasten nicht direkt am Körper habe tragen können. Insoweit müssten die Arbeitsvorgänge vor Ort unter Hinzuziehung des Zeugen F. in der Firma H. nachgestellt werden. Im Hinblick auf die medizinische Seite hat der Kläger auf die MdE-Bewertungen in den Zusatzgutachten der Dres. L. und K. hingewiesen, die bestätigten, wie schwer die LWS-Erkrankung sei. Die Auffassung des Dr. I., dass die HWS-Erkrankung die schwerwiegendste sei, finde in diesen Gutachten keinen Niederschlag. Zu diesen Widersprüchen müsse der Sachverständige ergänzend gehört werden. Der Senat hat daraufhin Dr. I. ergänzend von Amts wegen gehört, der mit Stellungnahme vom 8. März 2004 am Ergebnis seines Gutachtens festgehalten und den beruflichen Zusammenhang der band-scheibenbedingten LWS-Erkrankung des Klägers nicht für wahrscheinlich angesehen hat. Entgegen der Auffassung des Klägers ergebe sich aus dem radiologischen CT-Befund des Dr. M., dass die HWS deutlich stärker ausgeprägt degenerativ verändert sei als die LWS. Bei C5/6 befinde sich eine fortgeschrittene Osteochondrose mit nahezu vollständig aufgebrauchter Bandscheibe sowie eine mäßiggradige Höhenminderung der Bandscheibe C3/4. Im LWS-Bereich habe sich nur eine Osteochondrose L4/5 ohne Bandscheibenverschmälerung und eine geringgradige Osteochondrose L5/S1 mit mäßiggradiger Höhenminderung der Bandscheibe gezeigt. Zudem habe die röntgenologische Untersuchung im orthopädischen Zusatzgutachten des Dr. L. bestätigt, dass die schwersten degenerativen Veränderungen den BWS-Bereich beträfen. Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene, zulässige (§§ 143, 151 SGG) Berufung der Beklagten, mit der sie sich gegen die erstinstanzliche Verurteilung zur Anerkennung einer BK 2108 unter Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von 25 v.H. wendet, ist begründet. Denn die bandscheibenbedingte LWS-Erkrankung des Klägers konnte der Senat nicht mit überwiegenden medizinischen Gründen auf dessen berufliche Hebe- und Tragebelastung zurückführen und sie ist danach nicht von der Beklagten durch Gewährung einer Verletztenrente zu entschädigen.

Nach den im Falle des Klägers noch anzuwendenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO, § 212 Sozialgesetzbuch 7. Band -SGB 7-, Art. 36 Unfallversicherungseinordnungsgesetz, § 551 Abs. 1 Satz 1 RVO) gilt als Arbeitsunfall auch eine BK. BKen sind nach § 551 Abs. 1 Satz 2 RVO diejenigen Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer versicherten Tätigkeit erleidet. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 551 Abs. 1 Satz 3 RVO). Bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS wurden mit der 2. Verordnung zur Änderung der BKV unter der Ziffer 2108 in die BK-Liste aufgenommen. Danach sind BKen auch bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugung, soweit die jeweiligen Erkrankungen zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Gegen die Aufnahme dieser Erkrankungen in die BK-Liste bestehen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), der der Senat beitritt, keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken (Urteil vom 23. März 1999 - B 2 U 12/98 R ). Voraussetzung für die Feststellung einer BK ist, dass die versicherte Tätigkeit, die schädigenden Einwirkungen sowie die Erkrankung, wegen der Entschädigungsleistungen beansprucht werden, im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen sind. Es muss ein so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit vorliegen, dass alle Umstände des Einzelfalles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon zu begründen (BSGE 45, 285, 287; 61, 127, 128).

Der Kläger leidet an einer bandscheibenbedingten LWS-Erkrankung im Sinne der BK-Ziffer 2108, wie von Dres. K., I. und Prof. H. übereinstimmend festgestellt und vom SG bestätigt worden ist. Bandscheibenbedingte Erkrankungen in diesem Sinne sind zu definieren als Krankheiten, die mit einer Bandscheibenschädigung in ursächlicher Wechselbeziehung stehen. Nach dem "Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zur BK-Ziffer 2108" (veröffentlicht in: Bundesarbeitsblatt 1993, S. 50 ff.) unter III ist die Diagnose einer bandscheibenbedingten LWS-Erkrankung auf der Grundlage der Vorgeschichte sowie der Ergebnisse von klinischer und radiologischer Untersuchung zu stellen. Eingetretene Schäden am Bandscheibengewebe bewirken einen Prozess, in dem Bandscheibendegenerationen, degenerative Veränderungen der Wirbelkörperabschlussplatten, Massenverschiebungen im Bandscheibeninneren, Instabilität im Bewegungssegment, Bandscheibenvorwölbung, Bandscheibenvorfall, knöcherne Ausziehungen an den vorderen und seitlichen Randleisten der Wirbelkörper, degenerative Veränderungen der Wirbelgelenke sowie durch derartige Befunde hervorgerufene Wirbelsäulensyndrome mit Funktionsstörungen in einem entstehungsgeschichtlichen Zusammenhang zu betrachten sind. Die ausgelösten degenerativen Prozesse, zu denen anlagebedingte Wirbelsäulenstörungen und Fehlhaltungen nicht gehören, finden sich in einer röntgenologisch objektivierbaren Form wieder. Neben einem objektivierbaren Bandscheibenschaden muss die klinische Relevanz dieses Schadens in Form eines chronischen oder chronisch-rezidivierenden Beschwerdebildes mit Funktionseinschränkungen gesichert sein, damit der Begriff einer bandscheibenbedingten Erkrankung erfüllt ist (dazu Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung, Anm. 5 zu M 2108; Urteil des Senats in HV-Info 1994, S. 489; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Aufl., S. 530). Die LWK 3/4 zeigen beim Kläger eine geringgradige Osteochondrose bei deutlicher Vorwölbung der Bandscheibe. Bei L4/5 hat die stärkergradig bestehende Osteochondrose zu einem Bandscheibenvorfall geführt und am Übergang der LWS zum Kreuzbein ist wiederum eine eher geringgradige Osteochondrose mit mäßiggradiger Höhenminderung der Bandscheibe von allen mit der Sache befassten Sach-verständigen – so zuletzt von Dr. I. im Gutachten vom 14. August 2003 – beschrieben.

Zwischen den Beteiligten ist bis zum Abschluss des Berufungsverfahrens umstritten geblieben, ob der Kläger die so genannten arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK-Ziffer 2108 erfüllt, ob er also in seinem Berufsleben hinreichend schwer gehoben und getragen bzw. in extremer Rumpfbeugehaltung gearbeitet hat. Zur Feststellung der arbeitstechnischen Voraussetzungen kommt nach der neuesten Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 18. März 2003 – B 2 U 13/02 R - und vom 19. August 2003 – B 2 U 1/02 R -; BSGE 91, 23) dem hierzu entwickelten so genannte Mainz-Dortmunder-Dosismodell aus heutiger Sicht eine besondere Bedeutung zu. Die erste und einzige danach durchgeführte Berechnung der Hebe- und Tragebelastung, der der Kläger von 1956 bis 1990 im Beruf des Offsetdruckers ausgesetzt war, enthält das Gutachten des Dr. I. vom 14. August 2003, das zum Ergebnis gelangt ist, dass der Kläger den Richtwert für die Tagesdosis von 5500 Nh mit maximal 3901 Nh deutlich verfehlt, sodass eine Bewertung der Gesamtdosis nach dem MDD bei 0 Nh verbleibt. Gegen die Berechnung des Dr. I. ist indessen einzuwenden, dass sie die Jahre von 1947 bis 1956, in denen der Kläger in der Landwirtschaft, als Stellmacher und auf dem Bau ebenfalls schwer heben und tragen musste, unberücksichtigt lässt. Der Klägervertreter hat zudem im Schriftsatz vom 20. Oktober 2003 weitere Einwände erhoben, die allerdings einer abschließenden Sachaufklärung nicht bedürfen. Selbst wenn der Senat zugunsten des Klägers unterstellt, dass er über das gesamte Berufsleben hinweg von 1947 bis 1990 hinreichend schwer heben und tragen musste, erlaubt dies nicht, seine bandscheibenbedingte LWS-Erkrankung als BK nach Ziffer 2108 anzuerkennen und zu entschädigen. Denn der Kläger erfüllt die medizinischen Anerkennungsvoraussetzungen zur BK 2108 nicht, wie zuletzt das Gutachten des Dr. I. vom 14. August 2003 ergeben hat und wie bereits die beratenden Ärzte der Beklagten Dres. H. und P. dargelegt hatten.

Die Tatsache, dass sowohl die arbeitstechnischen Voraussetzungen schweren Hebens und Tragens als auch der vom Verordnungsgeber in der BK-Ziffer 2108 geforderte Befund eines bandscheibenbedingten LWS-Leidens zur Überzeugung des Senats nachgewiesen sind, führt nicht zu der im Sinne eines Anscheinsbeweises zu rechtfertigenden Annahme (dazu jetzt § 9 Abs. 3 SGB VII), dass damit auch von einem wahrscheinlichen ursächlichen Zusammenhang der Erkrankung mit der beruflichen Belastung im Rahmen der medizinischen Zusammenhangsbeurteilung auszugehen wäre (ständige Rechtsprechung des Senats - Urteile vom 27. November 2000 - L 3 U 823/97 - sowie vom 24. Oktober 2001 - L 3 U 408/98 -; ebenso Urteil des BSG vom 18. November 1997 - 2 RU 48/96 - sowie Urteil des LSG Niedersachsen vom 6. April 2000 - L 6 U 163/99 ZVW -). Die Pathogenese bandscheibenbedingter LWS-Erkrankung ist vielgestaltig und der berufliche Einfluss ist nur einer unter vielen denkbaren anderen Kausalfaktoren, so dass es immer einer individuellen Abwägung im Einzelfall bedarf, wobei nach der ständigen Rechtsprechung des Senats von folgenden Überlegungen auszugehen ist: Anders als die übrigen tatbestandlichen Voraussetzungen, die im Sinne des Vollbeweises festzustellen sind, muss für die Annahme des ursächlichen Zusammenhangs zwischen einer beruflichen Belastung und dem Eintritt einer Körperschädigung nur eine Wahrscheinlichkeit bestehen. Bei sachgemäßer Abwägung aller für und gegen den Zusammenhang sprechender Umstände müssen nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung die für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen so stark überwiegen, dass die dagegen sprechenden billigerweise für die Bildung und Rechtfertigung der richterlichen Überzeugung außer Betracht bleiben können (BSG in SozR Nr. 20 zu § 542 RVO a.F.). Der ursächliche Zusammenhang ist jedoch nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (BSGE 60, 58, 59). Die für die Beurteilung des Ursachenzusammenhangs im Rahmen der BK-Ziffer 2108 wesentlichen Kriterien sind: Das Krankheitsbild - insbesondere in Form eines die Altersnorm überschreitenden Wirbelsäulenbefundes einerseits und eines belastungskonformen Schadensbildes andererseits, das Bestehen einer konstitutionellen Veranlagung bzw. weitergehender konkurrierender Erkrankungen sowie die Eignung der belastenden Einwirkung zur Verursachung der Krankheit, biomechanische Begleitumstände wie Körperhaltung und zur Verfügung stehende Hilfsmittel, individuelle Konstitution und zeitliche Korrelation zwischen Erkrankungsverlauf und beruflichen Überlastungen (dazu Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung, Kommentar, Anm. 7 zu M 2108; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Auflage, S. 535 bis 539; Becker, Die aktuelle Rechtsprechung zu den Wirbelsäulenberufskrankheiten, in: Die Sozialgerichtsbarkeit 2000, S. 116, 121). Ein als belastungskonform zu bezeichnendes Schadensbild lässt nach älteren und neueren epidemiologischen Untersuchungen ein dem Lebensalter vorauseilendes Auftreten osteochondrotischer und spondylotischer Reaktionen am Achsenorgan bei körperlich überdurchschnittlich belasteten Personen erwarten. Eine vorzeitige Osteochondrose tritt bevorzugt in den unteren LWS-Segmenten und eine vorzeitige Spondylose in den oberen LWS-Segmenten unter evtl. Einbeziehung der unteren BWS-Etagen auf (ständige Rechtsprechung des Senats - beispielsweise Urteile vom 24. Oktober 2001 - L 3 U 408/98 -, vom 24. April 2002 - L 3 U 395/00 -). Die Feststellung einer wesentlich beruflich verursachten Schädigung der LWS ist nur dann möglich, wenn Lokalisation und zu erwartende Überbelastungswirkungen korrespondieren. Liegen hingegen an der gesamten Wirbelsäule gleichmäßig verteilte degenerative Veränderungen vor, so spricht dies gegen einen ursächlichen Zusammenhang zwischen schädigenden Einwirkungen und einer vorhandenen Gesundheitsstörung. Insbesondere weist eine polysegmentale Verteilung der Bandscheibenerkrankung mit Beteiligung der HWS und/oder der BWS auf eine stark konstitutionelle Veranlagung zum Bandscheibenverschleiß hin. Nur ausnahmsweise ist in diesen Fällen eine Anerkennung der beruflichen Einflüsse als wesentliche Teilursache möglich, wenn ausgeprägte arbeitsplatzbezogene Einwirkungen bestanden haben und die Erkrankung im LWS-Bereich erkennbar einen größeren Schweregrad erreicht hat als in den anderen Wirbelsäulenabschnitten.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sprechen unter Würdigung der Befunde des Klägers an allen drei Abschnitten seiner Wirbelsäule sowie der zeitlichen Entwicklung seiner Wirbelsäulenerkrankung überwiegende medizinische Gründe gegen den streitigen beruflichen Zusammenhang seiner bandscheibenbedingten LWS-Erkrankung. Entwicklung und Verlauf seiner LWS-Erkrankung deuten zunächst nicht zwingend auf einen wesentlichen beruflichen Einfluss hin. Der Kläger hatte bereits 1956 im Alter von 24 Jahren erstmals über Rückenbeschwerden geklagt, als er noch nicht zumindest zehn Jahre und damit längerfristig einer hinreichend schweren Hebe- und Tragebelastung ausgesetzt gewesen war. Er musste ab 1960 ständige ärztliche Behandlungen in Anspruch nehmen und war infolge seiner Rückenbeschwerden wiederholt arbeitsunfähig. Das im Rahmen der BK-Ziffer 2108 maßgebliche Schadensbild der Bandscheiben im LWS-Bereich in Form eines Bandscheibenvorfalles bei L4/5 wurde zudem erst mehr als vier Jahre nach dem Ausscheiden des Klägers aus dem Beruf im Jahre 1994 festgestellt. Ob entsprechende Gewebsschädigungen bereits Anfang 1990, als der Kläger letztmals kurzfristig in der Firma H. gearbeitet hatte, gesetzt waren, wird zwar von Prof. H. vermutet, muss aber letztlich offen bleiben.

Maßgeblich gegen die Anerkennung einer beruflich verursachten bandscheibenbedingten LWS-Erkrankung spricht indessen, dass es beim Kläger entgegen Prof. H. und Dr. K. nicht zu einem belastungskonformen Schadensbild an der LWS gekommen ist. Im Hinblick auf das vom Senat im Allgemeinen geforderte Schadensbild an der LWS mit bevorzugtem Auftreten von Osteochondrosen im unteren LWS-Bereich und Spondylosen an den oberen LWS-Elementen fehlen jegliche degenerativen Veränderungen oberhalb L3. Auch L3/4 ist nur ganz leichtgradig degenerativ verändert. Die osteochondrotischen Veränderungen an L5/S1 lassen sich mit Prof. H. und dem Orthopäden P. zwanglos aus dem asymmetrischen Aufbau der Gelenkfacetten bei Sacralisation von L5/S1 erklären. Das damit verbundene verstärkte Einsinken des untersten LWK ins Kreuzbein führte zu einer Mehrbelastung bei L4/5. Gerade dieses Bandscheibenfach erfuhr zudem eine verstärkte Belastung deswegen, weil die BWS des Klägers infolge der dort vorhandenen erheblichen Spondylosis von sechs Segmenten weitgehend versteift war und der Kläger zusätzlich eine Hohl- und Rundrückenbildung aufweist und dadurch insbesondere seine untere LWS erheblich zusätzlich fehlbelastet hat. Mit dem Orthopäden P. lässt sich danach die Ausbildung des Bandscheibenvorfalles bei L4/5 auch ohne die berufliche Belastung aufgrund der BK-unabhängig bestehenden prädiktiven Veränderungen nachvollziehbar erklären.

Hinzu kommt, dass – wie im Gutachten des Dr. I. sowie den hierzu eingeholten Zusatzgutachten auf orthopädischem und radiologischem Gebiet nochmals klar aufgezeigt wird – die eindeutig schwersten degenerativen Veränderungen beim Kläger an insgesamt sechs Segmenten der BWS von BWK 6 bis 11 festzustellen sind, wobei eine berufliche Verursachung degenerativer BWS-Veränderungen vom Verordnungsgeber bisher überhaupt nicht anerkannt ist. Zudem überwiegen auch die belastungsfernen Bandscheibenveränderungen an der HWS, obwohl der Kläger einer relevanten Tragebelastung auf der Schulter nicht ausgesetzt war, jene an der LWS deutlich, wie Dr. I. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 8. März 2004 unter Auswertung der Befunde in den Zusatzgutachten des Radiologen Dr. M. und des Orthopäden Dr. L. nochmals nachdrücklich bestätig hat. Danach zeigen C5/6 eine fortgeschrittene Osteochondrose mit nahezu vollständig aufgebrauchter Bandscheibe und C3/4 eine mäßiggradige Höhenminderung der Bandscheibe. Im LWS-Bereich ist demgegenüber lediglich eine Osteochondrose ohne Bandscheibenverschmälerung bei L4/5 und eine geringgradige Osteochondrose mit mäßiger Höhenminderung der Bandscheibe bei L5/S1 zu erkennen. In Anbetracht dessen konnte der Senat nach dem so genannten "Hamburger Konsens" eine wesentlich berufliche Verursachung gerade und ausschließlich für die degenerativen LWS-Veränderungen an den beiden untersten LWS-Segmenten nicht begründen.

Die gerichtlichen Sachverständigen Dr. K. und Prof. H. orientieren sich in ihren Gutachten nicht an diesen vom Senat in ständiger Rechtsprechung verwandten und mittlerweile als herrschende Lehre anerkannten Abgrenzungskriterien, so dass deren Gutachten letztlich den streitigen beruflichen Zusammenhang der bandscheibenbedingten LWS-Schäden beim Kläger nicht zu begründen vermögen. Einer weiteren Sachaufklärung – wie vom Klägervertreter hilfsweise im Senatstermin vom 31. März 2004 beantragt – bedurfte es nach der umfangreichen Begutachtung durch Dr. I. inklusive mehrerer fachspezifischer Zusatzgutachten auf radiologischem, orthopädischem und neurologischem Gebiet nicht. Denn diese Gutachten haben zu einer umfassenden Klärung unter Würdigung der zeitlichen Entwicklung der Erkrankung und der Ausprägung degenerativer Erscheinungen am gesamten Achsenorgan geführt. Danach war die maßgeblich auf das Gutachten des Dr. K. gestützte erstinstanzliche Entscheidung aufzuheben und der dagegen gerichteten Berufung der Beklagten war stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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