S 26 RJ 80/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
26
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 26 RJ 80/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 (18 ) R 72/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung einer Altersrente unter Berücksichtigung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG).

Die am 00.00.1933 geborene Klägerin ist Jüdin und lebt seit 1967 in Israel mit der israelischen Staatsangehörigkeit.

Am 28.10.2002 beantragte sie die Gewährung einer Rente aus der deutschen Rentenversicherung nach dem ZRBG. Sie gab dabei an, nach ihrer Zeit auf der jüdischen Volksschule (bis 19.03.1944) im Ghetto Budapest gearbeitet zu haben; von Juni 1944 bis zum 18.01.1945 habe sie dort in einer Schneider- bzw. Nähwerkstatt gebügelt und Knöpfe angenäht, fünf bis sechs Stunden täglich. Dafür habe sie Lebensmittel und pro Woche 10 Pengö als Taschengeld erhalten. Die Arbeit seit durch Vermittlung des Judenrates zustandegekommen. Auf dem Weg von und zur Arbeit sei sie von Polizisten begleitet worden. Am 18.01.1945 sei sie dann von den Russen befreit worden.

Die Beklagte zog die Akten der Claims Conference bei. Dort gab die Klägerin im Jahr 1993 unter anderem an, 1944 habe sie wegen der Nazis in ein Judenhaus ziehen müssen. Dort habe sie mit ihrer Familie und noch einer weiteren Familie in einer Kammer zusammen wohnen müssen. Im Ghetto habe sie ständig unter Hunger gelitten und sich sehr unglücklich gefühlt. Sie hätte ein Stück Brot von 20 Gramm für den ganzen Tag bekommen und sie sei sehr unterernährt gewesen und bei der Befreiung sehr schwach gewesen.

Mit Bescheid vom 14.01.2004 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente ab. Zur Begründung führte sie aus, es sei schon nach den bisherigen Angaben der Klägerin nicht glaubhaft, dass sie eine aus eigenem Willensentschluss zustandegekommene Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt habe, wie es § 1 ZRBG verlange.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 20.01.2004 Widerspruch ein. Sie fügte eine eigene schriftliche Erklärung zum Sachverhalt bei und bezog sich ferner auf Entscheidungen des Landessozialgerichts NRW zur Frage der Entgeltlichkeit und der Arbeitsaufnahme vor dem 14. Lebensjahr. In der Erklärung heißt es, sie habe trotz ihrer schlechten Gesundheitslage als schwaches Kind Verantwortung übernehmen müssen und alles machen müssen um ihrer Familie zu helfen, weil der zuckerkranke Vater kaum arbeiten konnte. Da sie einen kleinen Bruder gehabt habe, habe sie eine Beschäftigung vom Judenrat zugewiesen bekommen als Helferin in einer Nähwerkstatt, um leichte Arbeiten zu verrichten wie Knöpfe annähen und bügeln. Sie habe bis sechs Stunden täglich gearbeitet und zehn Pengö pro Woche an Taschengeld erhalten als Zusatz zu ihren geringen Einkünften.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.09.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und blieb bei ihrer Ablehnung. Ergänzend führte sie aus, nicht aufzulösende Widersprüche von Angaben im ZRBG-Verfahren zu früheren Aussagen im Entschädigungsverfahren müsse sich die Klägerin zurechnen lassen. Im Verfahren der Claims Conference habe sie noch angegeben, dass ihre Mutter sie und ihren kleinen Bruder immer mit zur Arbeit genommen habe und dass die Mutter als Putzfrau gearbeitet habe. Eine Beschäftigung der Klägerin sei im Verfahren damals nicht geschildert worden und vielmehr auf die damaligen schlimmen Umstände wie Hunger hingewiesen worden. Da die Mutter der Klägerin sie immer mit zur Arbeit genommen habe, sei eine Beschäftigung in einer Nähwerkstatt auch deshalb nicht glaubhaft. Nach Beweislastgrundsätzen seien deshalb für die Klägerin keine Ansprüche in Betracht gekommen.

Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 00.00.0000 Klage zum Sozialgericht Düsseldorf erhoben.

Zur Begründung nimmt sie Bezug auf ihr bisheriges Vorbringen und vertieft dieses. Ergänzend trägt sie vor: Im früheren Entschädigungsverfahren seien Angaben über eine freiwillige Arbeit ohne Bedeutung gewesen und seien daher oft nicht abgefragt worden. Sie habe sich im Ghetto Budapest im November 1944 zur Verbesserung ihrer Lage eine Arbeit gesucht und dafür auch einen Lohn in Form von Bargeld zu freien Verfügung erhalten, der nicht im strengen arbeitsrechtlichen Sinne äquivalent, also wirtschaftlich der Arbeit gleichwertig , gewesen sein müsse. Sie nahm Bezug auf die Ghetto-Rechtsprechung von 1997/98. Hinzugekommen seien Sachbezüge wie Lebensmittel. Daher hätte sie nicht nur allein geringfügige Leistungen außerhalb jeden Verhältnisses erhalten und erfülle deshalb die gesetzlichen Voraussetzungen des ZRBG.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14.01.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.09.2004 zu verurteilen, ihr unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem ZRBG – für die von ihr im Ghetto Budapest von November 1944 bis Januar 1945 zurückgelegten Zeiten einer Beschäftigung – und unter Berücksichtigung von wegen Verfolgung anzuerkennenden Ersatzzeiten nach Entrichtung gegebenenfalls noch erforderlicher freiwilliger Beiträge eine Regelaltersrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte nimmt Bezug auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden. Ergänzend macht sie geltend, die jetzigen Angaben wichen zu sehr ab von den früheren Angaben im Entschädigungsverfahren. Schließlich habe sie früher angegeben, täglich nur ein Stück Brot von 20 Gramm erhalten zu haben und zum Zeitpunkt der Befreiung deshalb sehr unterernährt und sehr schwach gewesen zu sein. Die erwähnte Lebensmittelzuteilung sei so gering gewesen, dass dem Grunde nach Versicherungspflicht nicht hätte entstehen können. Sogar in der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 07.10.2004 (zu strengen Anforderungen an die Entgeltlichkeit -B 13 RJ 59/03 R) hätte selbst eine große Menge an Proviant nicht ausgereicht, um von einem entgeltlichen Beschäftigungsverhältnis zu sprechen. Dass die Klägerin jetzt zu 20 Gramm Brot pro Tag noch zusätzlich 10 Pengö erhalten habe, sei widersprüchlich und nicht glaubhaft. Außerdem sei die Klägerin zum fraglichen Zeitpunkt der Arbeitstätigkeit erst knappe elf Jahre alt gewesen, so dass auch deshalb eine Arbeitstätigkeit nicht ausreichend glaubhaft erscheine.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte in Abwesenheit des Bevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung entscheiden, weil der Bevollmächtigte in der Terminsmitteilung, die durch Zustellung ordnungsgemäß am 27.07.2005 bewirkt wurde, auf diese Verfahrensmöglichkeit hingewiesen worden ist, die sich aus §§ 24 Abs. 1, 126 und 127 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ergibt. Das Vorliegen des Empfangsbekenntnisses wurde auch in der mündlichen Verhandlung festgestellt.

Die Klage ist zwar zulässig. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht und auch mit Vollmacht der Klägerin erhoben.

Die Klage ist jedoch unbegründet. Denn die angefochtenen Verwaltungsakte der Beklagten, nämlich der Bescheid vom 14.01.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.09.2004, sind nicht rechtswidrig und beschweren die Klägerin nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG, weil die Beklagte mit diesen Bescheiden zu Recht die Gewährung einer Altersrente abgelehnt hat. Der dahingehenden begehrten Verpflichtung der Beklagten (§ 54 Abs. 4 SGG) war somit nicht zu entsprechen, weil Beitragszeiten nach dem ZRBG hier nicht vorliegen bzw. nicht ausreichend glaubhaft gemacht sind und allein Ersatzzeiten wegen Verfolgung nicht ausreichen, einen Rentenanspruch zu begründen. Zur Meidung unnötiger Wiederholungen nimmt das Sozialgericht Düsseldorf gemäß § 136 Abs. 3 SGG Bezug auf die Ausführungen der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden, erklärt sie für richtig und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Inbesondere hat die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid vom 14.01.2004 auch bereits die entscheidende Vorschrift des § 1 Abs. 1 ZRBG mit den dortigen Voraussetzungen wiedergegeben.

Ergänzend führt das Gericht noch folgendes aus: Voraussetzung für die Gewährung einer Regelaltersrente ist nach § 35 des Sozialgesetzbuches (SGB) VI neben der Vollendung des 65. Lebensjahres die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit. Darauf anrechenbare Zeiten im Sinne von §§ 50 ff SGB VI hat die Klägerin aber nicht; die Anwendbarkeit des ZRBG, also des "Ghetto-Gesetzes" zu ihren Gunsten zur Begründung von Beitragszeiten in der deutschen Rentenversicherung scheitert hier schon daran, dass sie keine Beschäftigung in einem Ghetto im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZRBG nachgewiesen bzw. glaubhaft gemacht hat, die auch eine "entgeltliche" Beschäftgung aus eigenem Willensentschluss darzustellen geeignet wäre. Denn zu groß sind die Widersprüche zwischen den Angaben im Entschädigungsverfahren bei der Claims Conference einerseits und im Rentenverfahren andererseits. Dabei kann dahinstehen, ob eine Beschäftigung im Ghetto Budapest nur im Entschädigungsverfahren nicht angegeben wurde, obwohl sie möglicherweise tatsächlich ausgeübt wurde. Denn die ansonsten vorgetragenen Umstände zum Aufenthalt im Ghetto Budapest wie die Zuteilung von täglich nur 20 Gramm Brot und dass die Klägerin ständig an Hunger gelitten habe, sprechen entscheidend gegen die Annahme, dass die Klägerin irgendeine Zuwendung in Form eines "Entgeltes" erhalten hätte. Es ist angesichts der geschilderten Umstände im Entschädigungsverfahren nicht glaubhaft, dass die Klägerin zusätzlich noch 10 Pengö erhalten hätte. Weitere Beweismittel als die eigenen Angaben hat die Klägerin nicht und es können für das Ghetto Budapest auch nicht die besonderen Verhältnisse im "Arbeitsghetto" Lodz herangezogen werden, somit auch nicht die Ghetto-Rechtsprechung von 1997 zum Ghetto Lodz.

Es wird verkannt: Das "ZRBG"/oder auch "Ghetto-Gesetz"/ ist in der vorliegenden, so von der Bundesregierung 2002 initiierten und vom Bundestag verabschiedeten Form, von vornherein nicht geeignet, Ansprüche für einen wirklich größeren Personenkreis zu begründen und die von heute noch lebenden Ghetto-Insassen und Ghetto-Arbeitern gehegten Erwartungen zu erfüllen. Denn nach dem Wortlaut des Gesetzes reicht nicht jede Art von Tätigkeit im Ghetto – sei sie mehr oder weder freiwillig erfolgt und sei sie auch keine Zwangsarbeit im eigentlichen Sinne gewesen – aus, um Rentenansprüche nach dem ZRBG zu begründen; vielmehr muß nach aktueller Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, die die Beklagte auch in der Klageerwiderung erwähnt hat, bei einem Beschäftigungsverhältnis im Ghetto neben der freiwilligen Eingehung als weitere Voraussetzung auch vorliegen eine Entgeltzahlung als unverzichtbare Voraussetzung für die Qualifizierung des Beschäftigungsverhältnisses als "versicherungspflichtig". Wie das Bundessozialgericht dazu noch näher ausgeführt hat, - so auch in der entsprechenden Pressemitteilung Nr. 55/04 - , kann dieses Merkmal weder wegen der damaligen Lebensumstände in den Ghettos vernachlässigt werden noch nach den Voraussetzungen des Fremdrentenrechts unberücksichtigt bleiben; es wird jedenfalls nicht allein dadurch erfüllt, dass der Betreffende (unabhängig von jeder Angemessenheit) überhaupt eine Gegenleistung – z. B. Verpflegung – erhalten hat. Es reichen also nicht einmal geringe Entlohnungen oder im Einzelfall sogar "gute Verpflegung", die nur zu minimaler Überlebenssicherung geeignet waren. Wie das Bundessozialgericht im erwähnten Urteil ausgeführt hat, hat der Gesetzgeber mit dem Wortlaut des Gesetzes davon abgesehen, jegliche durch in Ghettos verrichtete Arbeit erlittenen Schäden auch in der Rentenversicherung zu kompensieren; den Entgeltbegriff im Sinne des § 1 Abs. 1 ZRBG könne man nicht völlig von der Angemessenheit des für geleistete Arbeit Erlangten lösen. Auch das LSG NRW hat so erst kürzlich mit Urteil vom 03.06.2005 (L 4 R 3/05) bekräftigt, dass z. B. Arbeit von acht bis neun Stunden täglich für Essen und Lebensmittel in Form von Brot, Margarine, Zucker und Kartoffeln noch nicht für die Annahme eines freien Beschäftigungsverhältnisses spreche; das Vorliegen eines "freien" Beschäftigungsverhältnisses im Sinne des § 1 Abs. 1 ZRBG erfordere vielmehr, dass auch unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse in Ghettos ein "wirtschaftliches Austauschverhältnis zwischen geleisteter Arbeit und gezahltem Entgelt" vorliege. Durch das eigene Vorbringen der Klägerin im Entschädigungsverfahren ist es so, dass hier keine "entgeltliche" Beschäftigung im Sinne eines solchen Austauschverhältnisses zwischen Arbeite und Entgelt im eigentlichen Sinne vorgelegen haben kann, bei Zuwendung von täglich nur 20 Gramm Brot als Hungerration. Der Gesetzgeber hat nun einmal – wie das Bundessozialgericht und das Landessozialgericht NRW in den oben angegebenen Entscheidungen klargestellt haben – strengere Voraussetzungen aufgestellt, als die meisten Ghetto-Insassen und Ghetto-Arbeiter nach Verkündung des ZRBG angenommen haben. Eine Abgeltung bzw. eine Entschädigung in Form einer Rente für die von der Klägerin im Ghetto verrichteten Arbeiten wäre nur durch eine Abänderung bzw. Korrektur der gesetzlichen Vorschriften des ZRBG möglich, nicht aber im Klagewege mit dem derzeitigen Wortlaut des ZRBG. Denn nach den vom Bundessozialgericht und dem Landessozialgericht NRW oben genannten Entscheidungen und dem dort abgesteckten Rahmen können Ansprüche nach dem ZRBG praktisch gar nicht erst entstehen, wenn – wie hier - allenfalls eine Ghetto-Beschäftigung bei Hungerrationen vorlag ohne nennenswertes tatsächlich angemessenes Entgelt für geleistete Arbeit, das über die Lebenssicherung auch hinausging.

Die Kammer verkennt nicht das Verfolgungsschicksal der Klägerin, sieht aber nach Lage der gesetzlichen Vorschriften und der zuletzt vom Bundessozialgericht und dem Landessozialgericht NRW aufgestellten Voraussetzungen keine Möglichkeit, dem geltend gemachten Anspruch der Klägerin zu entsprechen. Das ZRBG gibt das nicht her.

Die Kostenentscheidung erfolgt aus § 193 Abs. 1, 4 SGG.
Rechtskraft
Aus
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