L 1 AL 38/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 33 AL 195/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 1 AL 38/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11a AL 7/06 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 10.03.2003 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen, im Berufungsverfahren hinsichtlich der Gerichtskosten nach einem Streitwert von 14.401,83 EUR. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte von der Klägerin die Erstattung des an ihren ehemaligen Arbeitnehmer, den Zeugen X H, gezahlten Arbeitslosengeldes (Alg) samt der darauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge verlangen darf.

Der am 00.00.1940 geborene Zeuge H war seit dem 01.04.1964 bei der Beklagten beschäftigt. Die Klägerin kündigte das Arbeitsverhältnis ordentlich aus betriebsbedingten Gründen mit Schreiben vom 30.05.1997. Hiergegen erhob der Zeuge Kündigungsschutzklage und trug unter anderem vor, das Kündigungsschreiben sei ihm am Montag, dem 02.06.1997, zugestellt worden. An diesem Tag habe seine Ehefrau es dem Briefkasten entnommen. Im Kündigungsschutzverfahren wurde rechtskräftig festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 30.05.1997 nicht beendet worden sei (Arbeitsgericht [ArbG] Hamm, Urteil v. 14.01.1998, 3 Ca 1321/97; Landesarbeitsgericht [LAG] Hamm, Urteil v. 08.09.1998, 13 Sa 637/98; Bundesarbeitsgericht [BAG], Beschluss v. 26.05.1999, 10 AZN 120/99). Mit Schreiben vom 26.01.1998 kündigte die Klägerin das Arbeitsverhältnis fristlos mit der Begründung, der Zeuge H habe zu ihren Lasten im vorangegangen Kündigungsschutzverfahren vorsätzlich falsch vorgetragen und damit einen versuchten Prozessbetrug begangen. Daher sei die Vertrauensgrundlage für eine weitere Zusammenarbeit entfallen. Tatsächlich habe ihr Prokurist, der Zeuge Q, das Kündigungsschreiben vom 30.05.1997 nebst Vollmacht nämlich schon am 29.05.1997 in den Briefkasten des Zeugen H eingeworfen. Die hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage hatte in erster Instanz Erfolg (ArbG Hamm, Urteil v. 03.11.1999, 3 Ca 221/98). Die Berufung der Klägerin wurde zurückgewiesen, das Arbeitsverhältnis auf ihren Hilfsantrag hin jedoch gemäß § 13 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) zum 26.01.1998 gegen Zahlung einer Abfindung von 115.000 DM aufgelöst (LAG Hamm, Urteil v. 09.06.2000, 15 Sa 2285/99).

Die Beklagte forderte von der Klägerin das an den Zeugen H auf seinen Antrag hin ab dem 01.01.1998 gezahlte Arbeitslosengeld nebst darauf entfallender Sozialversicherungsbeiträge für die Zeit vom 27.09.1998 bis zum 31.03.1999 in Höhe von 26.317,46 DM (Bescheid vom 22.08.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.06.2001), für die Zeit vom 01.04.1999 bis zum 15.01.2000 in Höhe von 42.484,60 DM (Bescheid vom 13.07.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.11.2001) sowie für die Zeit vom 17.03.2000 bis zum 20.09.2000 (Bescheid vom 24.10.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2002) zurück.

Mit den hiergegen erhobenen Klagen, die das Sozialgericht (SG) Dortmund zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hat, hat die Klägerin sich auf den Ausnahmetatbestand des § 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) berufen - keine Erstattungspflicht bei Berechtigung des Arbeitgebers zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund - und vorgetragen, dieser Ausnahmetatbestand müsse bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 13 KSchG entsprechend angewandt werden.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid vom 22.03.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.06.2001, den Bescheid vom 13.07.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.11.2001 und den Bescheid vom 24.10.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2002 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Voraussetzungen des § 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AFG für nicht erwiesen gehalten und einer entsprechenden Anwendung der Vorschrift auf den Fall der Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung widersprochen.

Das SG hat die Klage nach Vernehmung der Zeug(inn)en H1 und X H sowie H2 und X Q abgewiesen (Urteil vom 10.03.2003). Die Voraussetzungen eines arbeitgeberseitigen Kündigungsrechts aus wichtigem Grund hätten sich nicht feststellen lassen. Es sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht erwiesen, dass der Zeuge H im Vorprozess zu Lasten der Klägerin vorsätzlich falsche Angaben gemacht habe. Demgegenüber könne die Auflösung eines Arbeitsverhältnisses im arbeitsgerichtlichen Verfahren auf Antrag des Arbeitgebers dem Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund nicht gleich gestellt werden.

Mit der Berufung rügt die Klägerin die Beweiswürdigung des SG. Ihren Standpunkt, die Erstattungspflicht des Arbeitgebers scheide auch dann aus, wenn das Arbeitsverhältnis durch das Arbeitsgericht aufgelöst worden sei, erhält sie aufrecht. Dem stehe im konkreten Fall nicht entgegen, dass die Auflösung des Arbeitsverhältnisses entgegen dem Wortlaut des § 13 Abs. 1 Satz 3 KSchG auf ihren Antrag hin in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeberin des Zeugen H erfolgt sei. Denn das BAG habe entschieden, dass in derartigen Fällen auch der Arbeitgeber die Auflösung beantragen könne, weil in der außerordentlichen Kündigung zugleich eine (hilfsweise) ordentliche Kündigung liege.

Die Beklagte hat im laufenden Berufungsverfahren den Zeugen H zu der Frage angehört, ob während des Erstattungszeitraums die Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine anderweitige Sozialleistung oder eine Rente wegen Berufsunfähigkeit vorgelegen haben (§ 128 Abs. 1 Satz 2 AFG). Nach erneuter Anhörung der Klägerin hat sie die Erstattungsforderung auf insgesamt 49.574,76 EUR festgesetzt (Bescheid vom 03.09.2003).

Die Klägerin beantragt nunmehr,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 10.03.2003 zu ändern und den Bescheid vom 22.08.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.06.2001, den Bescheid vom 13.07.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.11.2001, den Bescheid vom 24.10.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2002 sowie den Bescheid vom 03.09.2003 aufzuheben, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des SG für richtig und weist ergänzend darauf hin, dass das Auflösungsurteil des Arbeitsverhältnisses im Streitfall gegen § 13 Abs. 1 Satz 3 KSchG verstoße und sie schon aus diesem Grund nicht binden könne.

Die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Akten der Vorprozesse 3 Ca 1321/97 und 3 Ca 221/98 ArbG Hamm sind beigezogen worden und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Die angegriffenen Bescheide einschließlich des Ersetzungsbescheides vom 03.09.2003, der gemäß §§ 153 Abs. 1, 96 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Verfahrens geworden sind, sind nicht rechtswidrig und beschweren die Klägerin daher nicht (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Rechtsgrundlage für die Erstattungsforderung der Beklagten ist § 128 AFG in der bis zum 31.03.1997 geltenden Fassung, nachdem der Zeuge H innerhalb der Rahmenfrist (01.01.1995 bis 31.12.1997) vor dem 01.04.1997 mehr als 360 Tage bei der Klägerin in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden hat (§ 242x Abs. 6 i.V.m. Abs. 3 AFG sowie § 431 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch [SGB III]. Wie das SG unter Bezugnahme auf den Widerspruchsbescheid der Beklagten (§ 136 Abs. 3 SGG) zutreffend ausgeführt hat, sind die Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs erfüllt. Hierüber wird im Berufungsverfahren auch nicht mehr gestritten.

Einer der in § 128 Abs. 1 Satz 2 AFG geregelten Ausnahmefälle greift nicht ein.

Der Zeuge H hat im Erstattungszeitraum die Voraussetzungen für eine der in § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 4 AFG genannten Leistungen oder für eine Rente wegen Berufsunfähigkeit nicht erfüllt. Nach den von der Beklagten im Berufungsverfahren in zulässiger Weise (vgl. § 41 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]) nachgeholten Feststellungen hat er lediglich vom 26.01.2000 bis zum 16.03.2000 wegen Arbeitsunfähigkeit Krankengeld bezogen. Diesen Zeitraum hat die Beklagte zu Recht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 2 AFG i.V.m. § 118 Abs. 1 Nr. 2 AFG von der Erstattungsforderung ausgenommen. Nachdem der Erstattungszeitraum vor Vollendung des 60. Lebensjahres des Zeugen H geendet hat, ist auch ausgeschlossen, dass in diesem Zeitraum die Voraussetzungen einer Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllt waren (vgl. § 118 Abs. 1 Nr. 4 AFG). Für eine Berufsunfähigkeit des Zeugen H bestehen ebenfalls keine Anhaltspunkte. Er hat während des gesamten Leistungsverfahrens mit Ausnahme der vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit keine wesentlichen Leistungseinschränkungen angegeben. Dem hat die Klägerin nicht widersprochen. Schon im Hinblick auf die Kürze Arbeitsunfähigkeit ergeben sich auch Hinweise für einen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit.

Die Klägerin hat die Voraussetzungen des § 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 oder 5 AFG nicht bewiesen.

Nach dem rechtskräftigen Urteil des LAG Hamm vom 08.09.1998 steht fest, dass das Arbeitsverhältnis zwischen dem Zeugen H und der Klägerin nicht durch deren Kündigung vom 30.05.1997 beendet worden ist, weil diese nicht sozial gerechtfertigt war (vgl. § 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AFG). Diese Entscheidung bindet auch den Senat (vgl Brand in Niesel, SGB III, 3. Aufl. [2005], § 147a Rn. 48).

Ebensowenig war die Klägerin berechtigt, zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 26.01.1998 dieses aus wichtigem Grund zu kündigen (§ 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AFG).

Die Klägerin hat nicht bewiesen, dass der Zeuge H im arbeitsgerichtlichen Verfahren zu ihren Lasten einen versuchten Prozessbetrug begangen hat. Der Senat weist die Berufung der Klägerin insoweit aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück und nimmt daher auf die eingehende und zutreffende Beweiswürdigung des SG Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Die hiergegen von der Klägerin im Berufungsverfahren erhobenen Einwände rechtfertigen weder eine abweichende Beurteilung noch eine erneute Einvernahme der Zeugen. Zwar hat der Zeuge H bekundet, er habe den Umschlag mit dem Kündigungsschreiben der Beklagten "auf dem Stuhl mit der Zeitung" liegen sehen. Rückschlüsse auf den Zugangszeitpunkt lassen sich daraus jedoch nicht ziehen. Vielmehr ergibt sich aus der Aussage des Zeugen H, dass das Ehepaar täglich, also auch montags, eine Zeitung bezogen hat. Die Glaubhaftigkeit dieser Aussage steht dabei nicht deshalb in Zweifel, weil der Zeuge sich an die Farbe seines Briefkastens zum Zeitpunkt des Zugangs des Kündigungsschreibens nicht erinnern konnte. Er hat vielmehr auf weiteres Befragen eingeräumt, der ursprünglich schwarze Briefkasten sei später durch einen weißen ersetzt worden. Dass er nach über fünf Jahren den genauen Zeitpunkt des Austausches nicht mehr kannte, erscheint dabei nachvollziehbar.

Die Klägerin durfte das Arbeitsverhältnis mit dem Zeugen H zum Zeitpunkt seiner Beendigung auch nicht wegen des Verdachtes eines versuchten Prozessbetrugs kündigen. Zwar kann auch ohne den Nachweis einer strafbaren Handlung eine Verdachtskündigung gerechtfertigt sein, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhaltes unternommen hat (std. Rspr.; zuletzt BAG, Urteil v. 10.02.2005, 2 AZR 189/04, NZA 2005, 1056 ff.). Diese Voraussetzungen sind hier jedoch nicht erfüllt. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses hatte die Klägerin lediglich Kenntnis von der Angabe des Zeugen Q, er habe das Kündigungsschreiben am 29.05.1997 in den Briefkasten des Zeugen H geworfen, sowie von dessen Behauptung, seine Ehefrau habe den Briefumschlag am 02.06.1997 aus dem Kasten genommen und ihm überreicht. Hinreichend starke Verdachtsmomente für einen vorsätzlich unwahren Prozessvortrag seitens des Zeugen H ergaben sich hieraus noch nicht. Zum Einen widersprachen sich die beiden Darstellungen nicht zwingend. Zum Anderen hatte der Zeuge H in erster Linie das Wissen einer Dritten, nämlich seiner Ehefrau, zum Gegenstand seines Vortrags gemacht. Im Hinblick darauf hätte die Klägerin ihm zur Rechtfertigung einer Verdachtskündigung im Rahmen ihrer Aufklärungspflicht Gelegenheit geben müssen darzulegen, welche der von ihm behaupteten Tatsachen eigener Anschauung entsprangen, welche auf der Wiedergabe fremder Wahrnehmung beruhten und welche Umstände für bzw. gegen eine verzögerte Kenntnisnahme von dem angeblich am 29.05.1997 eingeworfenen Schreiben sprachen. Derartige Anstrengungen sind seitens der Klägerin jedoch weder dargelegt noch bewiesen worden.

Entgegen der Auffassung der Klägerin kann zumindest im vorliegenden Fall die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch das LAG auch nicht dem in § 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AFG geregelten Ausnahmetatbestand gleich gestellt werden.

Das BSG hat eine solche Gleichstellung für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitgebers nach § 9 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 14 Abs. 2 Satz 2 KSchG ausgeschlossen (Urteil v. 16.10.2003, B 11 AL 1/03 R, SozR 4-4300 § 147a Nr. 1). Zur Begründung hat es ausgeführt, eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach Maßgabe der genannten Vorschriften könnten nur solche Arbeitgeber erreichen, denen kein Recht zur ordentlichen, also erst recht keine Berechtigung zur außerordentlichen Kündigung zustehe. Demgegenüber erfordere § 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AFG ein Recht zur außerordentlichen Kündigung, regele also gerade den entgegenstehenden Fall. Dieser Argumentation schließt sich der erkennende Senat an. Sie gilt in gleichem Maße für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 13 Abs. 1 Satz 3 KSchG. Auch hier ist nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift Voraussetzung der Auflösung, dass die Kündigung unbegründet ist.

Eine abweichende Beurteilung lässt sich nicht mit dem Argument der Klägerin rechtfertigen, die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch die Arbeitsgerichte schließe die besondere Verantwortung des Arbeitgebers für den Eintritt der Arbeitslosigkeit des älteren Arbeitnehmers aus, die wiederum tragender Grund für den Anspruch der Beklagten auf Erstattung der gewährten Leistungen sei (vgl. hierzu BVerfG, Urteil v. 23.01.1990, 1 BvL 44/86 u.a., BVerfGE 81, 156, 197). Vielmehr rührt die gesteigerte Verantwortung des Arbeitgebers für die Arbeitslosigkeit des Arbeitnehmers in den Fällen der Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach §§ 9, 13 KSchG aus dem Ausspruch einer rechtswidrigen Kündigung. Nur wenn der Arbeitgeber sich derart in Widerspruch zur Rechtsordnung setzt, kann sich das Risiko einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit anschließender Arbeitslosigkeit des Arbeitnehmers verwirklichen.

Abgesehen davon kann die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag der Klägerin ihrem - nicht bestehenden - Recht zur fristlosen Kündigung schon deshalb nicht gleich gestellt werden, weil ihr ein derartiges Antragsrecht nicht zugestanden hat. Nach § 13 Abs. 1 Satz 3 KSchG hat bei einer unwirksamen außerordentlichen Kündigung nämlich nur der Arbeitnehmer, hier der Zeuge H, nicht jedoch der Arbeitgeber das Recht zum Auflösungsantrag. Der Zeuge H hat jedoch nicht nur keinen entsprechenden Antrag gestellt, sondern im Gegenteil ausweislich des Protokolls sogar dessen Abweisung verlangt.

Ohne Erfolg hält die Klägerin dem entgegen, die außerordentliche Kündigung sei hilfsweise in eine ordentliche Kündigung umzudeuten bzw. dahingehend auszulegen mit der Folge, dass sie ihren Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG habe stützen können. Abgesehen davon, dass auch in diesem Fall die grundsätzlichen Bedenken gegen eine analoge Anwendung des § 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AFG bestünden, scheitert eine entsprechende Umdeutung bzw. Auslegung schon daran, dass sich eine ordentliche Kündigung wegen fehlender Anhörung des Betriebsrates nach § 102 Abs. 1 Satz 3 Betriebsverfassungsgesetz als unwirksam erwiesen hätte. Ausweislich des im Berufungsverfahren 15 Sa 2285/99 LAG Hamm überreichten Anhörungsschreibens ist der Betriebsrat nämlich ausschließlich zu der beabsichtigten außerordentlichen, nicht jedoch auch zu einer hilfsweise ordentlichen Kündigung angehört worden. Dieses Versäumnis, das auf der Verletzung einer Schutznorm zugunsten des Arbeitnehmers beruht, schließt das Auflösungsrecht der Klägerin nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG aus (vgl. BAG, Urteil v. 10.11.1994, 2 AZR 207/94, AP Nr. 24 zu § 9 KSchG 1969; Beschluss v. 21.09.2000, 2 AZN 576/00, BAGE 95, 348, 349). Eine Bindung des Senates bzw. der Beklagten an die gegenteilige Beurteilung des LAG Hamm besteht dabei nicht. Im Rahmen von § 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AFG binden arbeitsgerichtliche Entscheidungen die sozialrechtliche Verwaltungs- und Entscheidungspraxis schon deshalb nicht, weil es nur auf das hypothetische Kündigungsrecht ankommt (Rolfs in Gagel, SGB III [Stand Juli 2004], § 147a Rdnr. 180). Für die Frage der entsprechenden Anwendung von § 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AFG kann nichts Anderes gelten. Jedenfalls scheidet eine Bindung an arbeitsgerichtliche Entscheidungen jedoch dann aus, wenn sie - wie hier - auf einem gesetzlich nicht vorgesehen Weg zustande gekommen sind.

Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich der bis zum 01.01.2002 erhobenen Klagen auf §§ 183, 193 SGG in der bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung, für die danach erhobene Klage auf § 197a SGG (vgl. BSG, Urteil v. 30.01.2002, B 6 KA 12/01 R, SozR 3-2500 § 116 Nr. 24). Die Verbindung führt nicht zur Änderung des jeweils anwendbaren Kostenrechts.

Der Senat hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der angesprochenen Rechtsfragen zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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