L 4 B 8/99

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
4
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 4 (22) AL 111/97
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 4 B 8/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Kostenbeschluss
Leitsätze
Gerichtsdolmetscher für gängige europäische Sprachen (Türkisch, Spanisch, Serbo-Kroatisch, Polnisch) erhalten regelmäßig einen Stundensatz von 75,00 DM

Bei Tätigkeiten für die Rechtspflege erscheint ein Erwerbsverlust von 20 bis 25 % in aller Regel als hinnehmbar und schließt eine Erhöhung des Stundensatzes nach § 3 Abs. 3 ZSEG aus. Dabei kann für die genannten europäischen Sprachen von einem durchschnittlichen Stundensatz von 95,00 DM in der Privatwirtschaft ausgegangen werden, demgegenüber ein Stundensatz von 75,00 DM noch einen hinnehmbaren Erwerbsverlust darstellt.
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 16.11.1998 geändert. Die Entschädigung des Antragstellers wird auf 174,00 DM festgesetzt.

Gründe:

Die am 03.05.1999 eingelegte - gemäß § 16 Abs. 2 Satz 3 des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (ZSEG) nicht fristgebundene (vgl. auch Meyer/Höver/Bach, Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen, 20. Aufl. 1997, § 16 Rz. 3) - Beschwerde des Bezirksrevisors (Beschwerdeführers) gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Gelsenkirchen vom 16.11.1998, der das SG nicht abgeholfen hat (Nichtabhilfe-Beschluss vom 06.05.1999), ist, weil der Beschwerdewert des § 16 Abs. 2 Satz 1 ZSEG von DM 100 überschritten wird, zulässig und auch begründet. Der antragstellende Dolmetscher für die polnische Sprache (Beschwerdegegner) hat für die viertelstündige Tätigkeit für das SG im Termin vom 07.05.1998 keinen Anspruch auf eine höhere Entschädigung als 174,-- DM.

Dieser Festsetzung noch unterhalb des von der Anweisungsstelle des SG am 30.06.1998 festgesetzten Betrages von 261,-- DM steht nicht das Verbot der reformatio in peius (Verschlechterungsverbot) entgegen, denn dieses Verbot greift bei der gerichtlichen Festsetzung gegenüber der im Verwaltungswege berechneten Entschädigung nicht ein. Die gerichtliche Festsetzung ist keine Abänderung der von der Anweisungsstelle vorgenommenen Berechnung, sondern eine davon unabhängige erstmalige Festsetzung nach § 16 ZSEG, durch die eine vorherige Berechnung der Entschädigung im Verwaltungswege gegenstandslos wird (Meyer/Höver/Bach aaO Rz. 9.2).

Nach § 17 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit § 3 Abs. 2 Satz 1 ZSEG beträgt die dem herangezogenen Dolmetscher zu gewährende Entschädigung für jede Stunde der erforderlichen Zeit 50,-- bis 100,-- DM. Für die Bemessung des Stundensatzes sind nach § 3 Abs. 2 Satz 2 ZSEG der Grad der erforderlichen Fachkenntnisse, die Schwierigkeit der Leistung sowie besondere Umstände, unter denen die Dolmetschertätigkeit zu erbringen war, maßgebend.

Zu Recht hat das SG einen Stundensatz von 75,-- DM als Grundentschädigung festgesetzt, den der Beschwerdegegner in seiner Honorarabrechnung vom 15.06.1998 auch zunächst selbst beantragt hatte. Dieser mittlere Stundensatz ist grundsätzlich zugrunde zu legen. Bei dem Polnischen handelt es sich um eine gängige europäische Sprache. Soweit sich der Beschwerdegegner auf die Erforderlichkeit besonderer Fachkenntnisse beruft, weil eine Sozialgerichtsbarkeit nach deutschem Muster in Polen erst in der Entwicklungsphase begriffen sei, ist dies keine Besonderheit bei der Übersetzung vom Deutschen ins Polnische. Auch andere europäische Länder haben keine Deutschland vergleichbare Sozialgerichtsbarkeit. Insbesondere aber kommt es nur darauf an, daß der jeweilige Kläger der mündlichen Verhandlung in seinem eigenen Verfahren folgen kann, und nicht darauf, daß er zusätzlich Grundzüge der Sozialgerichtsbarkeit versteht. Auch die Anforderungen an die Erfahrung des Dolmetschers, auf die sich der Beschwerdegegner weiter bezieht, sind nicht anders als bei anderen Sprachen. Ob der Dolmetscher schließlich generell in der Lage ist, simultan zu dolmetschen, ist unerheblich. Die Sitzungsniederschrift vom 07.05.1998 enthält jedenfalls keinerlei Hinweise darauf, daß ein echtes Simultandolmetschen gefordet war; der Beschwerdegegner hat das auch nicht behauptet.

Die hier somit zugrunde zu legende Entschädigung von 75,-- DM pro Stunde (so auch Beschlüsse des erkennenden Senates vom 27.08.1997, L 4 S 5/97, und 18.02.1998, L 4 S 8/97; vgl. auch Meyer/Höver/Bach aaO § 17 Rz. 3) kann nach § 3 Abs. 3 Buchst. b ZSEG nach billigem Ermessen um bis zu 50 v.H. überschritten werden, wenn der Dolmetscher durch die Dauer oder die Häufigkeit seiner Heranziehung einen nicht zumutbaren Erwerbsverlust erleiden würde oder wenn er seine Berufseinkünfte zu mindestens 70 v.H. als gerichtlicher oder außergerichtlicher Dolmetscher erzielt. Auf diese Erhöhung hat der Beschwerdegegner, auch wenn davon auszugehen ist, daß er mindestens 70 v.H. seiner Einnahmen aus Dolmetschertätigkeit erzielt, keinen Anspruch. Das nach § 3 Abs. 3 Buchst. b ZSEG eingeräumte billige Ermessen wird nämlich nach der Rechtsprechung des erkennenden Senates (siehe die oben genannten Beschlüsse sowie die vom 07.11.1996, L 4 S 5/96, und 06.10.1998, L 4 B 7/98) dahingehend ausgeübt, daß die Differenz zwischen der nach § 3 Abs. 2 ZSEG zu gewährenden Grundentschädigung und dem Entgelt, das der Dolmetscher für eine entsprechende Leistung in der privaten Wirtschaft oder in sonstigen Bereichen außerhalb der Rechtspflege erzielt hätte, auf ein für ihn annehmbares Maß zu reduzieren ist (vgl. dazu auch Meyer/Höver/Bach aaO § 3 Rn. 45.7). Das bedeutet zugleich, daß der Dolmetscher, der für die Tätigkeit in der Rechtspflege lediglich angemessen entschädigt werden soll, einen gewissen Einkommensverlust hinzunehmen hat, bevor es zu einer Erhöhung des Stundensatzes im Sinne von § 3 Abs. 2 ZSEG kommen kann. Die Erhöhung nach § 3 Abs. 3 ZSEG kommt also erst bei einer unzumutbaren Einbuße in Betracht.

Ob ein Erwerbsverlust unzumutbar ist, ergibt sich zwar aus den Umständen des Einzelfalles. Jedoch hat die Rechtsprechung Richtwerte entwickelt, unterhalb derer grundsätzlich von einem zumutbaren Erwerbsverlust auszugehen ist. Diese Richtwerte der zumutbaren Erwerbseinbußen liegen zwischen 20 und 25 %. Das bedeutet, daß ein Erwerbsverlust von unter 20 % in aller Regel hinzunehmen ist. Ein Erwerbsverlust von 20 bis zu 25 % kann hinnehmbar sein, wenn im Rahmen des nach § 3 Abs. 3 ZSEG eingeräumten Ermessens im konkreten Einzelfalle keine Besonderheiten erkennbar sind. Erwerbseinbußen von über 25 % sind hingegen in der Regel ausgleichsfähig. Dabei ist aber entgegen der Handhabung durch das Vordergericht zu beachten, daß auch über die Höhe des Zuschlages nach § 3 Abs. 3 ZSEG eine Ermessenentscheidung nach den Umständen des Einzelfalles zu treffen ist. Dabei wird es sich anbieten, die Überschreitung nach § 3 Abs. 3 Buchst. b ZSEG daran auszurichten, daß die Erwerbseinbuße des Dolmetschers auf ein zumutbares Maß zurückgeführt wird.

Im vorliegenden Falle ist davon auszugehen, daß der Beschwerdegegner entgegen den Ausführungen des SG keine Erwerbseinbuße von mehr als knapp über 21 % zu erleiden hat. Denn auch für einen Dolmetscher für die polnische Sprache kann realistischerweise unterstellt werden, daß der durchschittliche Stundensatz in der Privatwirtschaft nicht mehr als DM 95 beträgt. Von einem solchen durchschnittlichen Stundensatz außerhalb der Tätigkeit für die Gerichte ist der erkennende Senat nach ausführlichen Tatsachenerhebungen bereits für eine Dolmetschertätigkeit hinsichtlich der serbo-kroatischen Sprache (Beschluss vom 27.08.1997, L 4 S 5/97), der spanischen Sprache (Beschluss vom 29.04.1998, L 4 B 9/97) und der türkischen Sprache (Beschlüsse vom 18.02.1998, L 4 S 8/97, und 06.10.1998, L 4 B 7/98) ausgegangen. Schon aus Gleichbehandlungsgründen besteht kein Anlaß, bei Übersetzungen betreffend die polnische Sprache etwas anderes anzunehmen. Hinzu kommt, daß nach der in den Akten befindlichen Auskunft der Industrie- und Handelskammer für Essen, Mülheim a.d. Ruhr und Oberhausen vom 07.08.1996 für eine eintägige Dolmetschertätigkeit 250,-- DM und für eine solche von Mittwochabend bis Freitagmittag 600,-- DM pauschal bezahlt worden sind, woraus sich bei der Annahme einer Tätigkeit von 16 Stunden ein Stundensatz von DM 37,50 ergeben würde. Andere vom SG eingeholte Auskünfte mit erheblich höheren Stunden- und Tagessätzen beziehen sich hingegen auf das weit schwierigere und anstrengendere Simultandolmetschen über einen längeren Zeitraum. Wird aber im Einklang mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats zu Dolmetschertätigkeiten betreffend andere europäische Sprachen auch für Polnisch ein durchschnittlicher Stundensatz von DM 95 in der Privatwirtschaft zugrundegelegt, so hat der Beschwerdegegner eine Erwerbseinbuße von etwa 21 % zu erleiden. Das bewegt sich in dem Rahmen, in dem der Erwerbsverlust noch hinnehmbar sein kann. Anhaltspunkte dafür, daß dies hier im Falle des Beschwerdegegners nicht sachgerecht wäre, sind unter Berücksichtigung der Sitzungsniederschrift des SG vom 07.05.1998 nicht ersichtlich.

Schließlich steht dem Beschwerdegegner, wie der Beschwerdeführer richtig ausgeführt hat, nur die Grundentschädigung für zwei Stunden zu, weil die eigentliche Einsatzzeit lediglich eine Viertelstunde betragen und der Beschwerdegegner nach seinen eigenen Angaben vom 15.06.1998 seine Anreise um 10.45 Uhr angetreten und um 12.00 Uhr beendet hat, also nicht einmal zwei volle Stunden unterwegs war. Der Zeitaufwand von 1 1/4 Stunden ist aber gemäß § 3 Abs. 2 Satz 3 ZSEG auf zwei Stunden aufzurunden.

Daraus ergibt sich folgende Dolmetscherentschädigung:

150,- DM

Grundentschädigung (2 Std. à 75,- DM)

24,- DM

MWSt. (16 v.H.)

Summe 174,- DM

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Diese Entscheidung ergeht nach § 16 Abs. 5 ZSEG kostenfrei und ist gemäß § 16 Abs. 2 Satz 4 ZSEG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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