L 9 AL 121/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 30 AL 53/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 AL 121/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Frage der Berücksichtigung von Urlaubsgeld beim Anspruch auf Insolvenzgeld nach § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 11. Mai 2005 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Zahlung eines höheren Insolvenzgeldes (InsG).

Die Klägerin war bis zum 12.08.2003 bei der Firma I GmbH beschäftigt und von diesem Zeitpunkt an freigestellt. Das Arbeitsverhältnis endete durch schriftliche Kündigung des Insolvenzverwalters zum 30.11.2003. Über das Vermögen der Arbeitgeberin wurde das Insolvenzverfahren am 08.08.2003 eröffnet.

Die Klägerin beantragte bereits am 30.06.2003 die Gewährung von InsG, das ihr die Beklagte mit Bescheid vom 09.09.2003 für die Zeit vom 01.07. bis 07.08.2003 in Höhe von insgesamt 2.729,65 EUR bewilligte. Sie errechnete den Betrag aus dem vom Insolvenzverwalter bescheinigten Bruttogehalt, das Urlaubsgeld für 14 Werktage genommenen Urlaubs enthielt. Die Klägerin erhob gegen diesen Bescheid am 15.09.2003 Widerspruch, mit dem sie die Berücksichtigung weiteren Urlaubsgeldes bei der Insolvenzgeldberechnung beantragte. Sie führte zur Begründung aus, entsprechend § 14 Nr. 3 des Manteltarifvertrages für die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie in Nordrhein-Westfalen (MTV) sei von der Möglichkeit Gebrauch gemacht worden, den Auszahlungszeitpunkt des Urlaubsgeldes abweichend vom MTV durch Betriebsvereinbarung mit dem Junigehalt zu vereinbaren. Dieser Zeitpunkt liege innerhalb der letzten drei Monate vor dem Insolvenzereignis, so dass das Urlaubsgeld in voller Höhe bei der Berechnung des InsG zu berücksichtigen sei. Der Differenzbetrag betrage 1.402,39 EUR und beziehe sich auf 16 Urlaubstage, die die Klägerin nicht genommen habe. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 20.01.2004 zurück. Sie führte zur Begründung aus, dass das Urlaubsgeld zwar Arbeitsentgelt darstelle und damit insolvenzgeldfähig sei. Im vorliegenden Fall werde das zusätzliche Urlaubsgeld aber für jeden genommenen Urlaubstag gewährt, so dass es dem einzelnen tatsächlich in Anspruch genommenen Urlaubstag zuzuordnen sei. Es könne daher nur insoweit berücksichtigt werden, als im Insolvenzzeitraum tatsächlich Urlaub genommen worden sei. Im Übrigen werde durch die Betriebsvereinbarung auf der Grundlage des MTV lediglich der Fälligkeitszeitpunkt verschoben, der aber nicht für die Zuordnung des Urlaubsgeldes zu den jeweiligen Urlaubstagen maßgeblich sei. Die Klägerin habe daher keinen weitergehenden Anspruch auf Zahlung von InsG (abgesandt am 21.01.2004).

Hiergegen richtete sich die am 09.02.2004 erhobene Klage. Die Klägerin hat zu deren Begründung weiterhin die Auffassung vertreten, auf Grund des durch Betriebsvereinbarung festgelegten Auszahlungszeitpunkts im Juni des maßgebenden Jahres habe sie einen Anspruch auf Zahlung des vollen Urlaubsgeldes erworben und nicht nur den auf Zahlung eines Anteils von Urlaubstagen, die im Insolvenzgeldzeitraum genommen worden seien.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 10.09.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.01.2004 zu verurteilen, weiteres Insolvenzgeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen entsprechend eines weiteren Bruttobetrages in Höhe von 1.402,39 EUR zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die angefochtenen Bescheide für Rechtens gehalten.

Das Sozialgericht hat der Klage mit Urteil vom 11.05.2005 stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung des beantragten InsG verurteilt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.

Gegen das am 01.06.2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 23.06.2005 eingelegte Berufung der Beklagten. Sie ist zu deren Begründung weiterhin der Auffassung, dass das Urlaubsgeld in Anwendung des § 14 Nr. 1 MTV zwar grundsätzlich insolvenzgeldfähiges Arbeitsentgelt darstelle. Es könne aber nur als Urlaubsentgelt für die Urlaubstage berücksichtigt werden, für die vor Konkurseröffnung vom Arbeitgeber Urlaubsentgelt zu zahlen gewesen wären. Hieran ändere auch die Betriebsvereinbarung vom 17.01.2001 nichts. Hiermit werde lediglich die Auszahlungsmodalität geändert, nicht aber der Anspruch auf Urlaubsgeld geregelt. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass die Betriebsvereinbarung keinerlei Regelung zu Rückzahlungsmodalitäten bei einem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Betrieb beinhalte, so dass sich keine andere Betrachtungsweise für eine abweichende Zuordnung ergebe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 11.05.2005 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt ergänzend vor, dass die Betriebsvereinbarung vom 17.01.2001 im Lichte des § 14 Nr. 3 MTV auszulegen sei. Danach ergebe sich, dass das gesamte zusätzliche Urlaubsgeld mit der Gehaltszahlung für den Monat Juni des jeweiligen Kalenderjahres zur Auszahlung zu bringen sei. Eine Staffelung der Urlaubsvergütung sei grundsätzlich für das Einstellungsjahr vorgesehen, nicht aber für die Folgezeit. Entscheidend sei, dass sie ihren ersten anteiligen Urlaub bereits im Juni genommen habe, so dass ihr deswegen nach § 14 Nr. 2 MTV nunmehr die komplette Urlaubsvergütung zugestanden habe, weil sie in den Insolvenzgeldzeitraum gefallen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze sowie der Verwaltungsakte der Beklagten - Az.: Insg 000 - Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf höheres InsG wegen einer ausstehenden Urlaubsvergütung.

Das Sozialgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die zu zahlende Urlaubsvergütung - nach § 14 Nr. 1, Buchst. b MTV bestehend aus regelmäßigem Arbeitsentgelt (= Urlaubsentgelt) und zusätzlicher Urlaubsvergütung (= Urlaubsgeld) - Arbeitsentgelt im Sinne des § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III darstellt, das grundsätzlich insolvenzgeldfähig ist (vgl. BSG SozR 4100 § 141 b Nr. 2; Urteil des 19. Senats LSG NRW, vom 17.10.2005 - L 19 (12) AL 272/04 m.w.N.). Es handelt sich im begehrten weiteren Umfang aber nicht um Rückstände für die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses vor dem Insolvenzereignis. Denn entsprechend der genannten Entscheidung des BSG besteht ein Anspruch auf dieses Entgelt nur für die Dauer der Urlaubstage, die während des Insolvenzgeldzeitraums genommen und vom Arbeitgeber zu bezahlen gewesen wären, aber wegen der Insolvenz ausgefallen sind. Die Urlaubsvergütung wird nämlich nicht für eine Gegenleistung gewährt, sondern ist für die Urlaubszeit zur Sicherung des Lebensunterhalts bestimmt (vgl. BSG a.a.O.). Da die Klägerin nach ihren eigenen Angaben die restlichen 16 Urlaubstage nicht im Insolvenzgeldzeitraum genommen hat, hat sie somit auch keinen Anspruch auf die ausgefallene Urlaubsvergütung für diese Tage.

Entgegen ihrer Auffassung und derjenigen des Sozialgerichts ändert sich hieran auch nichts durch die am 17.01.2001 zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat geschlossene Betriebsvereinbarung, nach der die Urlaubsvergütung spätestens mit dem Junigehalt eines Jahres für das gesamte Urlaubsjahr zu zahlen ist. Abgesehen davon, dass die Fälligkeit eines Anspruchs auf Urlaubsvergütung unerheblich ist (vgl. BSG a.a.O.), handelt es sich auch nur um eine nach dem MTV zulässige Modifikation des Auszahlungszeitpunkts, nicht aber um eine den Anspruchsinhalt der Urlaubsvergütung ändernde Regelung. Ob, an wen und in welchem Umfang sie zu zahlen ist, regelt sich weiterhin allein nach § 14 MTV, der in seinen drei Ziffern jeweils eigenständige, voneinander nicht in bindender Abhängigkeit stehende Regelungen trifft. So legt Nr. 1 Buchst. b entsprechend dem Charakter der Urlaubsvergütung als Zahlung des Arbeitgebers an Angestellte wie die Klägerin ohne Gegenleistung (Arbeit) fest, welcher Betrag je Urlaubstag zu gewähren ist, also eine tageweise Abrechnungsweise entsprechend dem genommenen Urlaub. Nach Nr. 2 Abs. 1 wird die Möglichkeit für den Arbeitnehmer eröffnet, sich bei einem bevorstehenden Urlaub von mindestens zwei Wochen die Urlaubsvergütung für die jeweiligen Tage vor Urlaubsantritt auszahlen zu lassen oder eine Abschlagszahlung zu begehren. Entgegen der Auffassung der Klägerin führt dieses Vorgehen nicht dazu, dass mit der Geltendmachung dieses Urlaubsteils und der auf ihn entfallenden Urlaubsvergütung gleichzeitig ein Anspruch auf die volle Vergütung unabhängig davon entstanden ist, wann der Resturlaub genommen wird. Denn nach dem Wortlaut ist nur entsprechend der vorgesehenen Urlaubsdauer des Arbeitnehmers eine vorzeitige Auszahlung vorgesehen.

Auch aus Abs. 2 der Nr. 2 ist nicht herzuleiten, dass der Anspruch auf die volle Urlaubsvergütung bereits nach der Inanspruchnahme eines Teils entstanden wäre. Der Arbeitnehmer kann danach zwar vor Beginn des Urlaubs die Auszahlung der Urlaubsvergütung verlangen, wenn der Zahlungstermin in den Urlaub fallen würde. Er kann damit dann im Regelfall im Hinblick auf den mit Betriebsvereinbarung vereinbarten Zahlungstermin Juni den vollen Zahlungsbetrag verlangen. Voraussetzung ist aber, dass der Urlaub tatsächlich genommen ist und der Zahlungstermin in ihn fällt. Dies ist hier gerade nicht der Fall gewesen, weil die Klägerin ihre 16 Resturlaubstage nicht im Insolvenzgeldzeitraum genommen hat. Sie hatte vielmehr tatsächlich nur im Juni - wie von der Beklagten auch berücksichtigt - 14 Tage Urlaub genommen, so dass mithin auch nicht nach § 14 Nr. 2 Abs. 2 MTV ein Anspruch auf die volle Zahlung der Urlaubsvergütung entstanden ist. Die Regelung entspricht dem vom BSG dargelegten Gedanken, dass die Urlaubsvergütung unmittelbar mit den jeweils genommenen Urlaubstagen untrennbar zusammenhängt.

Dieses Verständnis bewirkt entgegen der Meinung der Klägerin auch nicht, dass die Regelung des § 14 Nr. 3 MTV überflüssig wäre, sondern rechtfertigt sie gerade. Sie legt nämlich abschließend und ergänzend zu den vorhergehenden Regelungen den erforderlichen spätesten Anspruchszeitpunkt auf die gesamte Urlaubsvergütung für den Fall fest, dass der Urlaub bisher nicht oder nur teilweise genommen worden ist. Desgleichen macht das oben dargelegte Verständnis der Nr. 2 auch nicht die Rückzahlungsregelung in Nr. 3 Satz 2 überflüssig. Auch bei einem Abstellen auf die Untrennbarkeit von genommenen Tagen und entsprechendem Urlaubsvergütungsanspruch kann eine Überzahlung entstehen, wenn ein Urlaub kürzer ausfällt (z.B. wegen Krankheit) oder die ebenfalls zugelassene Abschlagszahlung, also eine zunächst pauschale Abgeltung, zu hoch erfolgt ist. Außerdem ist eine Überzahlung denkbar, wenn der durch Betriebsvereinbarung festgelegte Zahlungstermin in den Teil der genommenen Urlaubszeit fällt und der Arbeitnehmer nach § 14 Nr. 2. Abs. 2 MTV vor dem Antritt die Auszahlung der gesamten Urlaubsvergütung verlangt, tatsächlich aber später z.B. durch ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Betrieb keinen vollen Urlaubsanspruch erworben hat. Der erkennende Senat ist daher ebenfalls wie der 19. Senat LSG NRW in seinem Urteil vom 17.10.2005 - L 19 (12) AL 272/04 - der Auffassung, dass keine Urlaubsvergütung im Rahmen der Insolvenzgeldzahlung von der Beklagten als ausgefallenes Arbeitsentgelt abzudecken ist, weil die Arbeitnehmerin die Urlaubstage nicht im Insolvenzgeldzeitraum genommen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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