S 10 AS 13/06 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 10 AS 13/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen beginnend ab dem 18.01.2006 (Antragseingang) bis einschließlich zum 17.06.2006 zu gewähren.

Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller.

Gründe:

Das Begehren der Antragsteller zielt auf die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen. Der Antrag ist zulässig und begründet.

Die Stadt H. ist die richtige Antragsgegnerin. In Eilverfahren spielen die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens und damit die Rechtmäßigkeit des Ausgangsbescheides in aller Regel eine wesentliche Rolle. Für die Frage des richtigen Antragsgegners kommt es daher darauf an, gegen welchen Rechtsträger die Klage in der Hauptsache zu richten wäre. Für das sozialgerichtliche Verfahren gilt insoweit ebenso wie nach § 78 VwGO für das verwaltungsgerichtliche Verfahren das Rechtsträgerprinzip, wonach Beteiligter die juristische Person ist, deren Behörde sachlich zuständig ist (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 8. Auflage, § 70 Rn 4). Passiv legitimiert ist daher derjenige Rechtsträger, der auch materiell verpflichtet ist (Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer a.a.O. § 69 Rn 4). Sachlich zuständig und materiell verpflichtet zur Erbringung der mit dem Antrag begehrten Leistung ist hier die Stadt H. Der Kreis M. ist zwar gemäß § 6a SGB II zugelassener Träger für die Grundsicherung für Arbeitssuchende, er hat diese Aufgaben jedoch entsprechend § 5 Abs. 2 AG-SGB II NRW vom 16.12.2004 durch Satzung an die Stadt H. delegiert. Nach § 1 der Satzung vom 16.12.2004 überträgt der Kreis M. den kreisangehörigen Städten und Gemeinden die in § 4 und 5 der Satzung näher bezeichneten Aufgaben zur Entscheidung im eigenen Namen. Zu diesen Aufgaben gehört gemäß § 4 Nr. 3 und Nr. 4 der Satzung u. a. die Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes und der Erlass von entsprechenden Verwaltungsakten. § 1 der Satzung des Kreises M. vom 16.12.2004 enthält damit eine delegationsähnliche Aufgabenübertragung und nicht nur die Übertragung eines Mandats. Unter Delegation ist ein Rechtsakt zu verstehen, durch den ein Hoheitsträger seine ihm durch das Recht eingeräumte Befugnis zum Erlass von Hoheitsakten auf ein anderes Subjekt überträgt, auch wenn er selbst weisungsbefugt bleibt. Von einem Mandat spricht man dagegen, wenn der Inhaber einer Zuständigkeit in einem oder mehreren Einzelfällen oder auch abstrakt ein anderes öffentlich-rechtliches Subjekt beauftragt, die Kompetenz des Mandanten in dessen Namen auszuüben (vgl. Schenke, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, Verwaltungsarchivband 68,118, 120, 148). Da hier der Stadt H. entsprechend der gesetzlichen Ermächtigung die Aufgaben zur Entscheidung im eigenen Namen übertragen wurden, handelt es sich um eine Delegation im weiteren Sinne. Dementsprechend werden die kreisangehörigen Gemeinden in § 8 der Satzung auch als "Delegationsnehmer" bezeichnet. Diese Unterscheidung hat entscheidende Auswirkungen auf die Frage der Beteiligung im Prozess, weil der im eigenen Namen entscheidende Delegationsnehmer auch Beklagter ist (vgl. OVG Münster, Urteil vom 17.05.1988 – 8 A8 125/86; Schmidt – Jortzig, Strukturen einer Einbeziehung kreisangehöriger Gemeinden in den Vollzug von Kreiszuständigkeiten, Verwaltungsarchiv 75. Band, 1984, 104, 118). Nur wenn die herangezogene Kommune im Namen des zuständigen Trägers entscheiden würde, würde gegenüber dem leistungsberechtigten Bürger klargestellt, dass dieser gegenüber dem Bürger verantwortlich bleibt und auch als Beklagter in einem gerichtlichen Verfahren anzugreifen ist (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 11.09.1991 – 4 AL 148/90).

Soweit in § 8 der Satzung vom 16.12.2004 dem Kreis die Durchführung der Rechtsstreitverfahren obliegt, handelt es sich lediglich um eine Befugnis der Prozessvertretung in gerichtlichen Streitigkeiten. Die oben dargelegte Stellung der kommunalen Delegationsnehmer als Beklagte bzw. Antragsgegner wird im Wesentlichen durch die Verfahrensgrundsätze des Sozialgerichtsgesetzes und damit durch ein Bundesgesetz bestimmt, welches durch eine untergesetzliche Satzungsbestimmung nicht modifiziert werden kann. Dem Kreis M. bleibt es unbenommen, das Rechtsstreitverfahren sowohl schriftlich als auch durch Entsendung eines Beamten des Kreises als Prozessvertreter der Gemeinde durchzuführen. Ein Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz wird nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte in einem solchen Vorgehen nicht gesehen. Die Beteiligtenrolle der Gemeinde als Beklagte bzw. Antragsgegnerin wird allerdings hierdurch nicht berührt (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 29.07.1979 – VIII B 295/78). Das Gericht vermag der neueren Rechtsprechung des LSG NRW (Beschluss vom 22.11.2005 – L 12 B 38/05 AS ER und vom 24.11.2005 – L 9 B 87/05 AS ER) daher nicht zu folgen. Zutreffend wird in diesen Entscheidungen zwar darauf hingewiesen, dass sich der Kreis M. in § 8 der Satzung die Durchführung von Rechtsbehelfs- und Rechtsstreitverfahren vorbehalten hat und diese Satzungsregelung nicht gegen höherrangiges Recht verstößt. Dies ändert jedoch nichts an der sachlichen Zuständigkeit und materiellen Verpflichtung zur Erbringung der Leistung auf Seiten der herangezogenen Kommune als Delegationsnehmerin. Ausschlaggebend ist nicht die selbstverständlich weiterhin bestehende Leistungsträgerschaft des Kreises nach § 6a SGB II, sondern die Frage, welcher Rechtsträger leistungsverpflichtet ist. Diese Frage kann im Sozialhilferecht und im Recht der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II nur einheitlich beantwortet werden, zumal nach dem AG-SGB XII NRW vom 16.12.2004 (GVBL NRW Seite 816) in § 3 der örtliche Träger der Sozialhilfe die kreisangehörigen Gemeinden zur Durchführung der ihnen als Träger der Sozialhilfe obliegenden Aufgaben ebenfalls durch Satzung heranziehen kann. Auch in diesem Bereich entscheiden die Kommunen dann im eigenen Namen. Diese Regelung gibt insoweit nur den bereits vor dem 01.01.2005 geltenden Rechtsstand wieder. Insoweit war – und soweit ersichtlich – ist unumstritten, dass die Rücknahme der Delegation bezüglich des Widerspruchsverfahrens nicht dazu führt, dass der Landkreis nunmehr als Beklagter zu führen ist. Diese Regelung entspricht § 90 SGB X und § 6 Abs. 2 SGB II. Es handelt sich hierbei um eine Ausnahme von der allgemeinen Delegation und diese Sonderregelung erfasst, jedenfalls im Bereich der Sozialhilfe, lediglich die Zuständigkeit im Vorverfahren. Für das Klageverfahren bleibt weiterhin Beklagte die kreisangehörige Gemeinde, es sei denn, der Widerspruchsbescheid hat den Kläger erstmals im Sinne des § 78 Abs. 2 VwGO beschwert (Schellhorn, Kommentar zum BSHG, 16. Auflage, § 96, Rn 20). Entsprechend diesen weiterhin im Bereich der Sozialhilfe geltenden Rechtsgrundsätzen kann auch bei den aufgrund einer Delegation von den kreisangehörigen Gemeinden zu erbringenden Leistungen nach dem SGB II wegen der Durchführung des Widerspruchsverfahrens durch den Kreis nicht die Passivlegitimation der materiell verpflichteten Kommunen entfallen.

Gemäß § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweiligen Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung), § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG.

Erforderlich ist in beiden Fällen, dass dem Antragsteller ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund zustehen (Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 7. Auflage, § 86 b Rdnr. 27 ff). Ein Anordnungsanspruch setzt die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruches voraus, vgl. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO). Zu berücksichtigen ist dabei, dass wegen des summarischen Charakters des Eilverfahrens die endgültige Entscheidung in der Hauptsache grundsätzlich nicht vorweg genommen werden darf. Das Gericht hat bei seiner Entscheidung die Interessen des Antragstellers an einer vorläufigen Verpflichtung des Antragsgegners zum begehrten Verwaltungsakt oder zur Feststellung eines Anspruches abzuwägen mit denen des Antragsgegners, ein möglicherweise unberechtigtes Verwaltungshandeln zu verweigern. Daher ist vorläufiger Rechtsschutz nur dann zu gewähren, wenn dem Antragsteller anderenfalls schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren nachträglicher Beseitigung auch die Entscheidung in der Hauptsache nicht in der Lage ist.

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben sind die Antragsteller hilfebedürftig. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ergibt sich insoweit nichts anderes aus dem Umstand, dass die Antragsteller sich zwischenzeitlich einen Betrag von 4.000 EUR aus ihrer Lebensversicherung haben auszahlen lassen. Dieser Betrag war und bleibt Vermögen der Antragsteller. Insofern hat sich nichts geändert zu dem vorangegangenen Eilverfahren mit dem Aktenzeichen S 10 AS 188/05 ER. Dort hat sich die Antragsgegnerin jedoch bereit erklärt, Leistungen nach dem SGB II zumindest darlehensweise zu gewähren.

Die für die Antragsteller geltenden Vermögensfreibeträge gem. § 12 Abs. 2 SGB II berechnen sich unstreitig wie folgt:

Antragsteller 52 Jahre x 200,- EUR 10.400,00 EUR Antragstellerin 43 Jahre x 200,- EUR 8.600,00 EUR sonstiger Freibetrag 750,- EUR x 2 Personen 1.500,00 EUR Gesamtfreibetrag 20.500,00 EUR Diesen Freibeträgen stehen folgende unstreitigen Vermögenswerte gegenüber: Lebensversicherung 10.297,40 EUR Ackerland 1.600,00 EUR Wohnanhänger mit Erstzulassung 29.01.1970 300,00 EUR.

gesamt 12.197,40 EUR.

Streitig sind hingegen folgende Beträge:

Auszahlung aus der Lebensversicherung 4.000,00 EUR Bewertung des Hauses nach Auffassung der Antragsgegnerin 8.566,82 EUR.

Nur wenn man beide Beträge so, wie von der Antragsgegnerin vorgenommen, berücksichtigen würde, stände das vorhandene Vermögen wegen Überschreitung der Vermögensfreibeträge der Gewährung der beantragten Leistung entgegen. Das ist jedoch nicht der Fall.

Zum einen hält das Gericht die Verwertbarkeit des Hausgrundstücks für ausgeschlossen im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB II. Es ist dinglich mit einem Wohnrecht der (Schwieger-) Eltern der Antragsteller an der im Erdgeschoss des Hauses befindlichen Wohnung, der Nutzung des gesamten Kellers, des Dachbodens sowie des gesamten Hofes und Gartens und weiterhin der Verpflichtung zur Pflege der 70 bzw. 65 Jahre alten (Schwieger-) Eltern inklusive der Instandhaltung der Kleidung und Wäsche, des Bügelns etc. belastet. Solch ein Grundstück kauft niemand ganz oder auch nur teilweise. Das Grundstück kann auch nicht beliehen werden, da die Antragsteller ohne Einkünfte sind und daher ein Darlehen nicht zurückzahlen könnten. Die Sparkasse M. hat entsprechend die Beleihung abgelehnt. Andere Verwertungsformen scheinen ebenfalls nicht möglich. Selbst wenn man insoweit jedoch anderer Auffassung wäre, stände das Vermögen der Antragsteller der Gewährung der beantragten Leistungen nicht entgegen. In diesem Fall muss der Wert des Hausgrundstück ermittelt werden. Nimmt man diese Berechnung des (Rest-) Wertes des Hauses vor, wie durch die Antragsgegnerin geschehen, ergibt sich kein positiver Restwert des Hausgrundstücks. Der Wert des unbelasteten Hausgrundstücks beläuft sich nämlich unstreitig entsprechend den Feststellungen des Gutachterausschusses des Kreises M. auf allenfalls 100.000,- EUR. Hiervon sind 24.000,- EUR an Verbindlichkeiten abzuziehen, die auf dem Hausgrundstück liegen. Hinzu kommt das ebenfalls auf dem Grundstück liegende Altenteil. Das Altenteil berechnet die Antragsgegnerin selbst mit einem jährlichen Wert von 6.552,- EUR. Multipliziert man diesen Betrag mit der statistischen Lebenserwartung der (Schwieger-) Mutter der Antragsteller, nämlich mit über 19 Jahren gem. der Sterbetafel 2001/2003 des statistischen Bundesamtes, so ergibt sich ein Betrag von über 124.000,- EUR. Das Hausgrundstück ist damit wirtschaftlich (derzeit) nichts wert.

Der geltend gemachte Anspruch und damit auch der Anordnungsanspruch ist gegeben.

Ohne entsprechende Leistungen der Antragsgegnerin besteht kein Krankenversicherungsschutz der Antragsteller. Den Krankenversicherungsschutz und die laufenden Kosten des Lebensunterhaltes können sie ohne die begehrten Leistungen nicht aufbringen. Ein Anordnungsgrund ist gegeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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