S 9 KR 59/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 9 KR 59/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 05.07.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.07.2005 wird aufgehoben und die Beklagte wird verurteilt, die Kosten für die Behandlung von I unter Bezugnahme auf die eingereichten Rechnungen für den Behandlungszeitraum vom August 2002 bis Dezember 2004 in Höhe von 15.712,87 Euro zu übernehmen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers dem Grunde nach.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Kostenübernahme für privatärztliche Behandlungen des Klägers, die im Zeitraum vom 21.8.2002 bis zum 31.12.2004 durch I durchgeführt worden sind. Die Gesamtsumme der vom Kläger bei der Beklagten eingereichten Rechnungen beträgt 15.712,87 Euro.

Der 1950 geborene Kläger leidet an einer chronischen Immundysfunktion bei multipler Schadstoffbelastung; Chronisch zellgebundenem Immundefekt Rheumatoide Arthritis und dem chronischen Müdigkeitssyndrom (sog. Chronic Fatigue Syndrome).

Seit dem 1.4.2002 ist der Kläger Pflichtmitglied in der Krankenversicherung der Rentner.

Bereits seit 1992 befindet sich der Kläger bei I in ärztlicher Behandlung. Zum 31.12.2000 hat I auf die kassenärztliche Zulassung verzichtet. Im Rahmen einer Einzelfallentscheidung hat die Beklagte die Kosten für die Rechnung von I bis August 2002 übernommen. Sodann hat die Beklagte die Kostenübernahme für Behandlungen von I eingestellt.

Hiergegen gab es vor dem Sozialgericht Düsseldorf bereits das Verfahren mit dem Az. S 0 KR 00/00, welches durch Vergleich beendet worden ist.

In diesem Verfahren sind intensive Ermittlungen zu der Frage durchgeführt worden, ob und in welchem Umfang schulmedizinische Verfahren und Therapieangebote beim chronischen Müdigkeitssyndrom existieren.

Nachdem die Kammervorsitzende im Termin zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, dass die Kammer unter Auswertung der eingeholten Auskünfte der Ansicht sei, dass hinsichtlich der von I praktizierten Behandlung wegen des beim Kläger vorliegenden chronischen Müdigkeitssyndroms eine Versorgungslücke bestehe, da die befragten Ärzte die Behandlung des Klägers abgelehnt hätten und es nach der BSG Rechtsprechung sodann darauf ankomme, dass die von I praktizierte Behandlung eine vertretbare Therapie sei, schlossen die Beteiligten den Vergleich, dass die Beklagte gegenüber dem Kläger auf den Einwand verzichten wolle, dass I die notwendige kassenärztliche Zulassung fehle.

Als der Kläger sodann die Rechnungen von I bei der Beklagten einreichte, lehnte diese die Kostenerstattung ab.

Daraufhin beantragte der Kläger die Kostenerstattung in einem Verfahren zum Einstweiligen Rechtsschutz, nahm diesen aber zurück als die Beklagte erklärte sie werde zeitnah über den Widerspruchsbescheid entscheiden.

Mit dem Widerspruchsbescheid vom 25.7.2005 blieb die Beklagte bei ihrer bereits mitgeteilten Auffassung, dass sie eine Kostenerstattung ablehne. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass die von I durchgeführte ärztliche Behandlung die Eigenblutbehandlung und die Bolusinfusionen aus medizinischer Sicht nicht nachvollzogen werden können. Insoweit beruft sich die Beklagte auf Angaben des MDK, den die Beklagte um Stellungnahme gebeten hat.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Klage und trägt vor, dass er die Entscheidung der Beklagten auch unter Berücksichtigung des bereits in der 8. Kammer geführten Rechtsstreits nicht nachvollziehen könne. Auch habe er sich dafür eingesetzt, dass I die durchgeführte Behandlung nach kassenärztlichen Sätzen abgerechnet habe. Er ist daher der Ansicht, dass die Beklagte verpflichtet ist, diese Rechnungen zu bezahlen. Der Kläger teilte ferner mit, dass I bereit sei, ihm die Behandlungskosten bis zum Abschluss des Verfahrens zu stunden.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 5.7.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.7.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die Behandlung von I unter Bezugnahme auf die eingereichten Rechnungen für den Behandlungszeitraum August 2002 bis Dezember 2004 in Höhe von 15.712,87 Euro zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf ihre im Widerspruchsbescheid vom 25.7.2005 mitgeteilte Auffassung.

Das Gericht hat den Sachverhalt von Amts wegen weiter aufgeklärt durch eine Befragung des sachverständigen Zeugen I.

Im Termin vom 5.9.2005 hat I erklärt, dass der Kläger an einer immunologischen Störung leide. So habe er beim Kläger den Herpes 6 Virus festgestellt. In der Regel handele es sich hierbei um einen Virus, der zum Beispiel bei kleineren Kindern das sog. 3 Tages fieber auslösen könne. Der Herpes 6 Virus lebe von den weißen Blutkörperchen und könne gefährliche Organerkrankungen auslösen. Bei dem Kläger liege ein Defekt des Immunsystems vor, der bewirke, dass der Körper ständig Alarmsignale aussende, um auf die Entzündung im Körper hinzuweisen. Diese ständige Alarmsituation ohne, dass die Entzündung im Körper beseitigt würde, führe zur Müdigkeit, zu Muskelschmerzen und zu Depressionen. Man müsse sich das so vorstellen, dass das Immunsystem durch die Alarmsignale ständig Vollgas fahre. Hierdurch würden auch die im Körper angelegten Rohstoffdepots geleert.

Dieser Immundefekt könne angeboren sein oder auch durch in der Umwelt befindliche Erreger ausgelöst werden. Dies sei noch nicht abschließend wissenschaftlich erforscht.

Mit Hilfe einer Blutuntersuchung werde sodann festgestellt, in welchem Bereich der Rohstoffe eine Unterversorgung bestehe. Der Körper benötige sodann Hilfe, um diese Rohstoffe aufzufüllen z.B. könne Gammainterferon fehlen. Stelle der Körper Gammainterferon nicht selber her, werde dies zugegeben. Die von ihm durchgeführte Eigenblutbehandlung bereite die Bolusinfusion vor. Durch die Eigenblutbehandlung öffneten sich die Zellen, so dass hierdurch schon einige infizierte Zellen getötet werden könnten. Die Rohstoffverstärkung Bolusinfusion werde hierdurch vorbereitet.

Die Behandlung des Klägers sei immer dann notwendig, wenn der Herpes 6 Virus beim Kläger wieder aktiv werde.

Die Behandlung sei in der Vergangenheit erfolgreich gewesen, da der Kläger bisher noch nicht an einer Autoimmunerkrankung erkrankt sei. Im Rahmen einer Autoimmunerkrankung würde sich der Gesundheitszustand des Klägers weiter verschlechtern, da er bsp. zusätzlich an einer Herzmuskelentzündung oder ähnlichem erkranken könne. Nach Kenntnisnahme dieser Ausführungen blieb die Beklagte auch unter Würdigung der aktuellen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6.12.2005 bei der ablehnenden Entscheidung und berief sich zudem auf die Entscheidung des BSG vom 22.3.2005 wonach der vom Bundesausschuss beschlossene Ausschluss der Eigenblutbehandlungen rechtmäßig sei.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte und den Kopien der Beiakte S 0 KR 00/00 verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger ist durch den Bescheid der Beklagten vom 5.7.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.7.2005 in seinen Rechten im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert.

Denn der Kläger hat im Rahmen der Krankenbehandlung gemäß § 27 Abs. 1 Nr. 1 SGB V Anspruch auf ärztliche Behandlung der bei ihm vorliegenden Erkrankungen – im besonderen des chronischen Müdigkeitssyndroms – durch I. Bereits in dem Verfahren mit dem Az. S 0 KR 00/00 hatte die Beklagte auf den Einwand verzichtet eine Erstattung der Arztrechnungen von I scheitere bereits an dem Umstand, dass dieser seine kassenärztliche Zulassung zurück gegeben habe.

Da die Beklagte diese Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, hat der Kläger einen Anspruch auf Erstattung der Kosten in Höhe von 15.712,87 Euro gemäß § 13 Abs. 3 SGB V. Ferner hat der Kläger auch insoweit einen Anspruch auf Kostenerstattung als I Laboruntersuchungen im streitigen Zeitraum für notwendig und erforderlich gehalten hat.

Dieser Anspruch ergibt sich im Besonderen aus der Entscheidung des BSG vom 25.9.2000 mit dem Az.: B 1 KR 24/99 R und dem Beschluss des BverfG vom 6.12.2005 mit dem Az.: 1 BvR 347/98.

Denn der Kläger leidet an dem sog. Chronic Fatigue Syndrome, welches ein wissenschaftlich umstrittenes Krankheitsbild darstellt und für welches kontrollierte medizinische Studien zur Behandlung noch nicht vorliegen. Grundsätzlich gilt, eine Behandlungsmethode gehört erst dann zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn der Bundesausschuss hierzu eine Empfehlung ausgesprochen hat (§§ 91, 92, 135 SGB V). Das gilt aber nicht bei neuartigen Erkrankungen und somit nicht ohne weiteres für sämtliche Maßnahmen, die zur Erkennung oder Bekämpfung einer neuartigen Krankheit eingesetzt werden (zum Chronic Fatigue Syndrom BSG 25.9.2000 SozR 3-2500 § 13 Nr. 22=NZS 2001,319). Allerdings lässt sich bei umstrittenen Krankheitsbildern die Zweckmäßigkeit einer Therapieentscheidung oft auch nur dann beurteilen, wenn die Krankheit hinreichend erforscht ist und eine zuverlässige Diagnosestellung möglich ist. Für die Anwendung der Methode muss dann, soweit der Verlauf einer Erkrankung erklärt oder zumindest durch Verhalten gesteuert werden kann, dh die Krankheit konventionell behandelbar ist, der Nachweis der Wirksamkeit in einer statistisch relevanten Zahl von Fällen sprechen und gegen deren Qualität –auch unter Berücksichtigung der damit verbundenen eventuellen Nebenwirkungen – im Hinblick auf die damit erreichbaren Behandlungserfolge keine durchgreifenden Bedenken bestehen (BSG vom 5.7.1995; BSGE 76, 194= SozR 3-2500 § 27 Rn. 5 m Anm. Schroeder-Printzen MedR 1996, 376, Windeler MedR 1997, 265). Der Erfolg der Behandlungsmethode muss sich also aus wissenschaftlich einwandfrei geführten Statistiken über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der neuen Methode ablesen lassen (LSG Berlin 21.6.1995 – L 15 KR 21/94 ). Denn der Kontrolle der Qualitätssicherung sind statistische Verfahren immanent, die den möglichen Behandlungserfolg mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit prognostizieren und wissenschaftlich beweisen können und somit die Unterscheidung von einem bloßen Therapieversuch ermöglichen (LSG Berlin 9.10.1996 SGb 1997, 119).

Dieser strenge Wirksamkeitsnachweis kann bei nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft unbehandelbaren Erkrankungen, deren Entstehung und Verlauf weitgehend unerforscht ist und die auch mit herkömmlichen Behandlungsmethoden nicht nachhaltig wirksam zu beeinflussen sind, nicht gefordert werden. Für die Anerkennung der therapeutischen Zweckmäßigkeit ist in diesen Fällen eine Feststellung der Sozialgerichte im Einzelfall notwendig.

Ein solcher Fall liegt zur Überzeugung der Kammer hier vor. Denn es handelt sich vorliegend bei der von I im Zeitraum vom 21.8.2002 bis zum 31.12.2004 durchgeführten Behandlung um eine vertretbare Therapie. Zu dieser Überzeugung ist die Kammer unter Beachtung der von dem sachverständigen Zeugen I im Erörterungstermin vom 5.9.2005 gemachten Angaben gekommen. I hat nachvollziehbar dargelegt, wie es ihm immer wieder gelungen ist, den beim Kläger vorliegenden Herpes 6 Virus in seinen Krankheitsauswirkungen des chronischen Müdigkeitssyndroms zu behandeln. Hierbei setzt I auf eine immunologische Behandlung. Zwar ist die Kammer insoweit auch der Ansicht, dass die Beklagte nicht verpflichtet ist, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist (vgl. auch BverfG, 5.März 1997, 1 BvR 1071/95, NJW 1997, 3085). Aber die Beklagte ist solange zur Sicherstellung einer ärztlichen Behandlung des Klägers verpflichtet, wie die von ihm – wie hier – ausgewählte ärztliche Behandlung eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf hat (vgl. hierzu auch BverfG vom 6.12.2005, Az. 1 BvR 347/98).

Insoweit berücksichtigt die Kammer auch die Ermittlungen, die in dem Verfahren mit dem Az. S 0 KR 00/00 durchgeführt worden sind. Denn die in diesem Verfahren befragten Ärzte haben mitgeteilt, dass sie eine alternative Behandlungsmethode des beim Kläger vorliegenden sog. Chronic Fatigue Syndrome nicht anbieten können. Handelt es sich bei der beim Kläger vorliegenden Erkrankung des chronischen Müdigkeitssyndroms daher zum einen um eine unerforschte Krankheit, für die es eine konventionelle Behandlung nicht gibt und zeigen die Behandlungserfolge von I, dass die Erkrankung des Klägers hierdurch in ihrer Verschlimmerung aufgehalten wird, stellt die Kammer fest, dass es sich bei der durchgeführten Therapie um eine vertretbare Therapie handelt, die wegen des im Übrigen vorliegenden Systemversagens im konkreten Fall zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgerechnet werden kann. Die Kammer sah sich zudem unter Berücksichtigung der in sich schlüssigen Behandlung von I nicht in der Lage, einzelne Bestandteile der Behandlung z.B. die Eigenblutbehandlung von dem Kostenerstattungsanspruch auszunehmen, da insoweit seitens der Kammer die Gefahr gesehen wird, dass die gesamte Behandlung ansonsten an Wirksamkeit verliert.

Solange die Beklagte ihm keine alternative Behandlungsmethode anbieten kann, die zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehört, hat der Kläger Anspruch auf die ärztliche Behandlung, die ihm hilft, mit seiner Erkrankung zu leben, die Beschwerden zu lindern und einer Verschlimmerung der Erkrankung entgegenzuwirken. Die Kammer weist darauf hin, dass dieses Urteil die Entscheidung des BSG vom 25.9.2000 mit dem Az.: B 1 KR 24/99 R und den Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 mit dem Az.: 1 BvR 347/98 berücksichtigt und den hier streitigen Behandlungszeitraum 21.8.2002 bis zum 31.12.2004 erfasst. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse der Krankheit Chronic Fatigue Syndrome und neue Behandlungsmöglichkeiten können jederzeit eine andere Beurteilung für die Zukunft rechtfertigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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