L 8 AL 74/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 1 AL 654/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AL 74/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 15. Februar 2005 und der Bescheid vom 9. Oktober 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. August 2004 aufgehoben und die Beklagte dem Grunde nach verurteilt, der Klägerin Insolvenzgeld für das für die Zeit vom 22. Mai bis 21. August 2003 entgangene Arbeitsentgelt abzüglich des durch die Arbeitslosengeldbewilligung auf die Beklagte übergegangene Arbeitsentgelts zu zahlen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch auf Insolvenzgeld (Insg) dem Grunde nach streitig.

Die 1959 geborene Klägerin war ab 01.07.1995 als Druckereihelferin in einer Firma beschäftigt, die ab 18.02.2002 durch die Firma P. GmbH, vertreten durch den alleinigen Gesellschafter und Geschäftsführer G., übernommen wurde. Mit Schreiben vom 29.11.2002 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis zum 31.01.2003 und gab als Begründung an, der drastische Umsatzrückgang und die damit verbundene negative Ertragslage zwinge zu Kostenanpassungen. Die Klägerin erhob zum Arbeitsgericht A. Kündigungsschutzklage (10 Ca 5368/02). In dem Termin am 19.05.2004 schloss sie schließlich mit dem für die Arbeitgeberin erschienen Geschäftsführer G. einen Vergleich, in dem sich die Parteien einig waren, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher betriebsbedingter Arbeitgeberkündigung mit Ablauf des 31.08.2003 geendet hat.

Die Klägerin hatte ab 01.02.2003 Arbeitslosengeld (Alg) bezogen und am 02.05.2003 die Bewilligung von Insg beantragt. Mit Beschluss des Amtsgerichts A. - Insolvenzgericht - vom 22.08.2003 wurde ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit der Begründung zurückgewiesen, eine die Kosten des Involvenzverfahrens deckende Masse sei nicht vorhanden.

Mit Bescheid vom 09.10.2003 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Insg mit der Begründung ab, das Arbeitsverhältnis der Klägerin sei zum 31.01.2003 beendet worden, bis zu diesem Zeitpunkt bestünden keine offenen Arbeitsentgeltansprüche.

Gegen den Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein und berief sich auf den arbeitgerichtlichen Vergleich vom 19.05.2004.

Mit Widerspruchsbescheid vom 02.08.2004 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Bei dem arbeitsgerichtlichen Vergleich handle es sich um eine privatrechtliche Vereinbarung, an die die Beklagte nicht gebunden sei. Es ergäben sich keine Anhaltspunkte für die Rechtswidrigkeit der Arbeitgeberkündigung zum 31.01.2003.

Mit ihrer zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, durch den arbeitsgerichtlichen Vergleich sei auch von der Arbeitgeberin zugestanden worden, dass die Kündigung zum 31.01.2003 keine Wirksamkeit entfaltet habe. Die Wirksamkeit der Kündigung sei zum 31.08.2003 vereinbart worden, weil das Insolvenzverfahren mangels Masse abgewiesen worden sei und die Arbeitgeberin den Betrieb eingestellt habe, weshalb es nicht sinnvoll gewesen sei, das Arbeitsverhältnis ad infinitum aufrecht zu erhalten. Die übrigen Arbeitnehmer seien ebenfalls gekündigt worden und hätten alle Insg erhalten. Die Arbeitgeberin habe im Arbeitsgerichtsprozess darlegen und beweisen müssen, dass sie aus betriebsbedingten Gründen berechtigt gewesen sei, unter Beachtung der Sozialauswahl zu kündigen. Eine Klärung dieser Fragen ist im Hinblick auf die Schließung des Betriebes nicht mehr notwendig gewesen.

Mit Urteil vom 15.02.2005 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Beklagte sei an die Regelung des arbeitsgerichtlichen Vergleichs nicht gebunden. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren sei nicht bindend geklärt worden, ob überhaupt die Voraussetzungen für eine Kündigungsschutzklage erfüllt gewesen seien. Es sei von einer zum 31.01.2003 wirksamen betriebsbedingten Kündigung auszugehen. Der Arbeitgeber habe den erheblichen Umsatzrückgang und die Notwendigkeit einer drastischen Kosteneinsparung dargelegt. Die existenzbedrohende Situation sei im anschließenden Insolvenzverfahren erwiesen worden. Freie Arbeitsplätze hätten nicht bestanden. Nach Darlegung des Arbeitgebers habe die Helfertätigkeit der Klägerin von vorhandenen Fachkräften mit übernommen werden können.

Zur Begründung ihrer Berufung macht die Klägerin geltend, das SG habe nicht beachtet, dass alle Behauptungen des Arbeitgebers im arbeitsgerichtlichen Verfahren bestritten worden seien und damit die Rechtswirksamkeit der Kündigung nicht bestätigt worden sei. Das SG habe keine Beweisaufnahme durchgeführt und den Arbeitgeber nicht angehört. Vor dem Arbeitsgericht hätte, wäre es nicht zum Vergleichsabschluss gekommen, geklärt werden müssen, wie viele Mitarbeiter im Zeitpunkt der Kündigung im Betrieb vorhanden gewesen seien. Die Arbeitgeberin habe nicht bestritten, dass noch ein Arbeitnehmer L., ein Arbeitnehmer M. und ein Arbeitnehmer H. beschäftigt gewesen seien. Auch die Behauptung der Arbeitgeberin zu den betriebsbedingten Gründen sei bestritten und von der Richterin des Arbeitsgerichtsverfahrens bezweifelt worden, wie das Protokoll zeige. Schließlich hätte die Sozialauswahl geprüft werden müssen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 15.02.2005 und den Bescheid der Beklagten vom 09.10.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.08.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Insolvenzgeld für das für die Zeit vom 22.05.2003 bis 21.08.2003 entgangene Arbeitsentgelt abzüglich des durch die Arbeitslosengeldbewilligung auf die Beklagte übergegangenen Arbeitsentgelts zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie sei an den arbeitsgerichtlichen Vergleich nicht gebunden, zum anderen seien im Arbeitsgerichtsverfahren die Voraussetzungen für eine Kündigungsschutzklage nicht geklärt worden. Deshalb sei von einer zum 31.01.2003 wirksamen Kündigung auszugehen. Die Rechtskraftwirkung des Vergleiches sei auf die Parteien des Rechtsstreits beschränkt.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wurde im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten, der Verfahrensakten beider Rechtszüge und der Arbeitsgerichtsakte 10 Ca 5368/02 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor, da der Beschwerdewert von 500,00 EUR überschritten wird. Die Klägerin hatte entsprechend der Januarabrechnung 2003 Anspruch auf ein Entgelt von 776,48 EUR brutto bzw. 466,55 EUR netto; auch nach Abzug eines bezogenen Alg in Höhe von 279,93 EUR verbliebe ein monatliches Insg von 186,62 EUR, für drei Monate somit ein Betrag von 559,86 EUR.

Das Rechtsmittel erweist sich auch in der Sache als begründet.

Die Klägerin hat, wie sich aus ihrer Arbeitsgerichtsklage ergibt, ihre Arbeitskraft angeboten und dadurch die Arbeitgeberin in Annahmezug versetzt, weshalb der Arbeitsentgeltanspruch erhalten geblieben ist. Das Arbeitsverhältnis hat erst zum 31.08.2003 geendet, so dass für den Zeitraum 22.05. bis 21.08.2003 Anspruch auf Insg gemäß § 183 Abs.1 Satz 1 Nr.2 SGB III besteht. Die Klägerin und die frühere Arbeitgeberin haben durch den vor dem Arbeitsgericht geschlossenen Vergleich das Arbeitsverhältnis wirksam zum 31.08.2003 beendet. Da sie allein die Parteien des Arbeitsverhältnisses waren und dieses ihrer Disposition unterlag, lag es auch in ihrer Rechtsmacht, den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses festzulegen. Dies ist unabhängig davon, dass die Beklagte nicht Beteiligte des Arbeitsgerichtsprozesses war, denn auch eine außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens geschlossene Vereinbarung wäre der Beklagten gegenüber wirksam gewesen. Grundsätzlich gilt die Dispositionsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien über das Ende des Arbeitsverhältnisses auch gegenüber dem Sozialleistungsträger (vgl. Gagel/Vogt, Beendigung von Arbeitsverhältnissen, Sozial- und steuerrechtliche Konsequenzen, 5. Auflage, Luchterhand-Verlag, Rz.86). Dies gilt auch für die Insg-Versicherung, soweit der Zeitpunkt des Endes des Arbeitsverhältnisses relevant ist (Rz.91, a.a.O.).

Jedenfalls haben es die Arbeitsvertragsparteien ungeachtet eines Anspruchsübergangs nach § 115 SGB X in der Hand, das Arbeitsverhältnis und seine Beendigung für einen beliebigen Zeitpunkt nach dem durch einen Kündigungstermin fixierten Zeitpunkt oder eben zu diesem zu beenden (Peters-Lange in Spellbrink/ Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, Rz.23 zu § 41). Eine Unwirksamkeit einer vereinbarten Beendigung wegen Rechtsmissbrauchs ist lediglich dann nicht ausgeschlossen, wenn das Ende des Arbeitsverhältnisses schon auf einen vor dem durch die Kündigung fixierten Termin liegenden Zeitpunkt gelegt wird (vgl. BSG SozR 3-4100 § 117 Nr.11). Der alleinige Gesellschafter und Geschäftsführer G. konnte unabhängig von der Frage, ob die Liquidation der GmbH schon abgeschlossen und diese schon gelöscht war, die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in dem arbeitsgerichtlichen Termin wirksam vereinbaren. Denn für Passivprozesse ist die Wahrnehmung der Rechtsstellung eines Verfahrensbeteiligten eine sonstige Abwicklungsmaßnahme, deren Erfordernis die Löschung ausschließt; wird die Gesellschaft dennoch gelöscht, ist der Prozess Anlass für eine Nachtragsliquidation (vgl. Schulze-Osterloh in Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, 17. Auflage, Rdnr.19 zu § 74).

Die Bindungswirkung der Arbeitsvertragsparteien könnte allenfalls entfallen, wenn die Festlegung des Beendigungszeitpunktes offensichtlich rechtsmissbräuchlich erfolgt ist, um Ansprüche gegen Dritte, hier die Beklagte, zu begründen. Dies wäre anzunehmen, wenn für den gewählten Beendigungszeitpunkt kein sachlicher Grund vorhanden wäre. Dies ist aber im vorliegenden Fall nicht gegeben.

Zu Recht hat die Klägerin dargelegt, dass jedenfalls nicht nachgewiesen ist, dass die Kündigung zum 31.01.2003 wirksam war. Zu prüfen war, ob bei der Arbeitgeberin im Durchschnitt wenigstens 5,25 Arbeitnehmer in Vollzeit beschäftigt waren, wobei Teilzeitarbeitsverhältnisse zusammenzuzählen sind, und deshalb das Kündigungsschutzgesetz nach § 23 dieses Gesetzes anzuwenden und zu prüfen war, ob die Kündigung sozial gerechtfertigt war. Die Klägerin hat jedenfalls dargelegt, dass in dem Betrieb der Arbeitgeberin wenigstens 5,25 Arbeitnehmer durchgehend beschäftigt waren. Zwar hatte die Arbeitgeberin betriebsbedingte Gründe für die Kündigung vorgetragen, jedoch wäre auf jeden Fall die Sozialauswahl und die Tatsache zu berücksichtigen gewesen, dass die Klägerin bereits ab 01.07.1995 in dem Betrieb beschäftigt war. Die Arbeitgeberin hätte nachweisen müssen, dass sie gerade die Klägerin gegenüber den anderen verbliebenenen Arbeitnehmern kündigen durfte. Insoweit ist zu beachten, dass sie einen zum 31.01.2003 ausgeschiedenen Vollzeitarbeitnehmer durch einen anderen ersetzt hat. Auch wenn es sich hierbei um einen Drucker gehandelt hat und die Klägerin offensichtlich nur als Druckereihelferin beschäftigt war, wäre doch im Einzelnen zu prüfen gewesen, ob der Umsatzrückgang und die dadurch bedingte Verringerung des Arbeitsanfalles nicht dadurch hätte aufgefangen werden können, dass der zum 31.01.2003 Ausgeschiedenen nicht ersetzt worden wäre. Jedenfalls ist nicht offensichtlich, dass die Kündigungsschutzklage nicht erfolgreich gewesen wäre.

Dieser Auffassung steht das von der Beklagten und dem SG zitierte Urteil des BSG vom 09.05.1995, 10 RAr 5/94, SozR 3-4100 § 141b Nr.15, nicht entgegen. Das BSG befasst sich hier mit der Tatbestandswirkung arbeitsgerichtlicher Urteile und führt aus, dass ein klageabweisendes Urteil grundsätzlich in dem Sinne binndend ist, dass im Rahmen des Insg nicht von einem bestehenden Arbeitsentgeltanspruch auszugehen ist. Im Übrigen sind in einem Verfahren über die Höhe des Insg auch solche Umstände zu berücksichtigen, die in dem vorangegangenen arbeitsgerichtlichen Urteil, insbesondere Versäuminsurteil, das einen Arbeitsentgeltanspruch bestätigt hat, keine Rolle gespielt haben. Dieses Urteil betrifft nicht die Frage der Wirksamkeit einer privatrechtlichen Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien über das Ende des Arbeitsverhältnisses. Es führt im Übrigen ausdrücklich aus, dass die zu anderen sozialrechtlichen Ansprüchen als auf Kaug - bzw. hier Insg - zur Bindungswirkung arbeitsgerichtlicher Urteile ergangene Rechtsprechung nicht übertragbar ist, da hier - im Gegensatz den zu den zu anderen sozialrechtlichen Ansprüchen ergangenen Urteilen - der Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis als Streitgegenstand der diskutierten arbeitsgerichtlichen Urteile unmittelbar Tatbestandsvoraussetzung für den Anspruch auf Kaug - hier Insg - ist.

Somit war die Beklagte dem Grund nach zu verpflichten, der Klägerin Insg zu bewilligen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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