L 9 EG 58/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
9
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 EG 310/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 EG 58/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 17. Mai 2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf Lan- deserziehungsgeld (LErzg) für ihr Kind B. streitig.

Die 1965 geborene Klägerin, eine verheiratete türkische Staatsangehörige, welche seit 16.08.1988 im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung war, ist die Mutter des 1990 geborenen Kindes B. sowie des 1993 geborenen Kindes B ... Sie lebte seit Geburt mit dem Kind B. , für das ihr die Personensorge zustand, und ihrem Ehemann in einem gemeinsamen Haushalt, betreute und erzog das Kind und übte daneben keine Erwerbstätigkeit aus. Sie war bei der AOK Bayern krankenversichert. Sie bezog vom 26.03.1993 bis 25.03.1995 für B. Bundeserziehungsgeld (BErzg).

Am 01.02.2002 beantragte sie beim Amt für Versorgung und Familienförderung (AVF) A. die Bewilligung von LErzg. Dieser Antrag wurde durch Bescheid vom 02.05.2002 im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, aufgrund der Rechtsprechung des EuGH, Urteil vom 04.05.1999, C-262/96, "Sürül"-Urteil könnten Ansprüche auf Leistungen für Zeiträume vor dem Erlass dieses Urteils nicht geltend gemacht werden. Der Leistungszeitraum für das 1993 geborene Kind hätte spätestens am 25.09.1995 geendet, so dass LErzg nicht gewährt werden könne.

Mit dem hiergegen erhobenen Rechtsbehelf wurde geltend gemacht, der Anspruch der Klägerin ergebe sich unmittelbar aus Art. 3 des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrats vom 19.09.1980 (ARB). Das Urteil des EuGH vom 04.05.1999 stehe nicht entgegen, da das Recht auf Antragstellung durch mündlichen Verwaltungsakt vereitelt worden sei. Die Klägerin habe keinen Antrag stellen können. Als sie die Formulare entgegengenommen habe, sei mitgeteilt worden, dass Anträge ab Geburtsjahr 1989 gestellt werden dürften. Es könne nicht zu Lasten der Klägerin gehen, dass die Entscheidung des EuGH erst am 04.05.1999 ergangen sei. Der Widerspruch wurde mit Bescheid vom 29.08.2002 zurückgewiesen.

Die Klägerin verfolgte mit der beim Sozialgericht (SG) Augsburg erhobenen Klage ihr Begehren weiter und begründete dies erneut mit der unmittelbaren Wirkung des Art. 3 ARB. Außerdem führte sie aus, sie habe einen Antrag auf LErzg stellen wollen, sei aber über die Schriftform nicht belehrt worden. Zur weiteren Begründung verwies sie auf das Urteil des BSG vom 29.01.2002 (Az.: B 10 EG 2/01 R). Weiter trug sie vor, sie habe den ausgefüllten Antrag abgeben wollen, ihr sei aber erklärt worden, sie habe keinen Anspruch. Der Antrag sei nicht angenommen worden. Als Beweismittel wurden die Zeuginnen A. und A. angeboten.

Das angerufene SG Augsburg wies die Klage durch Gerichtsbescheid vom 17.05.2004 im Wesentlichen mit der Begründung ab, zwar könnten nach dem Urteil des EuGH vom 04.05.1999 neben Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union auch türkische Staatsangehörige LErzg erhalten, wenn sie in den persönlichen Anwendungsbereich des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrates vom 19.09.1980 fallen. Jedoch könne die Klägerin daraus keine Rechte herleiten. Denn der EuGH habe aus Gründen der Rechtssicherheit Ansprüche auf Leistungen auf die Zeit nach dem Erlass seiner Entscheidung vom 04.05.1999 beschränkt und eine Ausnahme hierfür nur zugelassen, wenn vor diesem Zeitpunkt bereits eine Klage erhoben oder ein gleichwertiger Rechtsbehelf eingelegt worden sei. Diese Voraussetzungen lägen bei der Klägerin anders als in dem vom BSG am 29.01.2002 entschiedenen Fall nicht vor. Zur weiteren Begründung bezog sich das SG auf die Urteile des BSG vom 18.02.2004 und 27.05.2004 (Az.: B 10 EG 10/03, 11/03) und verneinte die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in der vorigen Stand nach § 27 Sozialgesetzbuch, 10. Buch (SGB X). Auch auf Grund eines sog. Herstellungsanspruchs konnte nach Ansicht des SG ein Recht der Klägerin auf LErzg für die Zeit vor 04.05.1999 nicht begründet werden, da, die Angaben der Klägerin als zutreffend unterstellt, die vom Beklagten erteilte Auskunft der damaligen Rechtsansicht entsprochen habe.

Mit der am 23.06.2004 beim Landessozialgericht eingelegten Be- rufung trägt die Klägerin vor, es sei von Bedeutung, dass der Antrag nicht angenommen worden sei. Denn wenn sie eine negative Entscheidung erhalten hätte, hätte sie den Rechtsweg beschreiten können. Der Antrag sei auf dem Tisch liegen gelassen worden und hätte bearbeitet werden müssen.

In der mündlichen Verhandlung erklärt die Klägerin nach Hinweis auf die unterschiedlichen Angaben, sie habe sich beim AVF einen Antrag auf LErzg geholt, ausgefüllt und unterschrieben. Sie habe die Auskunft erhalten, sie habe keinen Anspruch und solle den Antrag wieder mitnehmen. Sie habe ihn aber dort gelassen. Sie habe gedacht, er würde bearbeitet und es ergehe eine Ablehnung vielleicht. Auf Vorhalt der Widerspruchsbegründung gab die Klägerin an, sie habe das nicht gesagt bzw. sie habe sich falsch ausgedrückt. Zu ihrem Vorbringen, sie sei über die Schriftform nicht belehrt worden, äußerte sie, ihr Bevollmächtigter habe sie wohl missverstanden.

Die Bevollmächtigte der Klägerin stellt den Antrag, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 17.05.2004 sowie den Bescheid vom 02.05.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.09.2002 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, Landeserziehungsgeld für das 1993 geborene Kind B. zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er nimmt zur näheren Begründung auf den Gerichtsbescheid des SG Augsburg vom 17.05.2004 Bezug.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin anstelle des Senats erklärt.

Der Senat hat neben der Erziehungsgeldakte des Beklagten die Streitakte des ersten Rechtszuges beigezogen, auf die verwiesen wird.

Entscheidungsgründe:

Die mangels des Vorliegens einer Beschränkung gemäß § 144 Sozi- algerichtsgesetz (SGG) grundsätzlich statthafte, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte, und insgesamt zulässige Berufung der Klägerin, §§ 143 ff. SGG, erweist sich als in der Sache nicht begründet. Zu Recht hat das Erstgericht die zu- lässig erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ab- gewiesen.

Rechtsgrundlage für die Gewährung bayer. LErzg ist das Gesetz zur Gewährung eines LErzg und zur Ausführung des BErzGG (BayLErzGG) in der Fassung vom 12.06.1989 (GVBl. 1989 S. 206), da das Kind vor dem 01.07.1993 geboren ist.

Anspruch auf LErzg hatte gemäß Art. 1 Abs. 1 BayLErzGG, wer seine Hauptwohnung oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt seit der Geburt des Kindes, mindestens jedoch 15 Monate in Bayern hatte (Nr. 1), mit einem nach dem 30.06.1989 geborenen Kind, für das ihm die Personensorge zustand, in einem Haushalt lebte (Nr. 2), dieses Kind selbst betreute und erzog (Nr. 3), keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübte (Nr. 4) und schließlich die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Uni- on oder des EWR besaß (Nr. 5).

In der vorliegenden Streitsache erfüllte die Klägerin im Bewil- ligungszeitraum unstreitig die Anspruchsvoraussetzungen des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 mit 4 BayLErzGG, denn sie wohnte seit 16.08.1988 mit Aufenthaltsberechtigung in Bayern, lebte im Anspruchszeitraum mit ihrem Kind, für das ihr die Personen- sorge zustand, und mit ihrem Mann in einem Haushalt, betreute das Kind selbst und übte daneben keine Erwerbstätigkeit aus.

Nicht erfüllt hatte die Klägerin aber die Voraussetzungen der Nr. 5 des Art. 1 LErzGG, worin der Anspruch auf LErzg von der Staatsangehörigkeit zu einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des EWR abhängig gemacht wurde. Diese Bestimmung verstößt jedoch gegen übergeordnetes europäisches Gemeinschaftsrecht. Nach der Sürül-Entscheidung des EuGH vom 04.05. 1999, Az.: C-262/96 (SozR 3-6935 Allg Nr. 4) verbietet es Art. 3 Abs. 1 ARB einem Mitgliedstaat, den Anspruch eines türkischen Staatsangehörigen u.a. auf Familienleistungen nach Art. 4 Abs. 1 des Beschlusses von anderen Voraussetzungen abhängig zu machen als für Staatsangehörige des Mitgliedstaates. Das Bundessozialgericht hat mit Urteil vom 10.07.1997 das Bundeserziehungsgeld in Anwendung des Urteils des EuGH vom 10.10.1996 (Az.: C-245/94 und C-312/94) zur Familienleistung erklärt. Dem hat sich das BSG mit Urteil vom 29.01.2002 (Az.: B 10 EG 2/01 R) für das Bayerische Landeserziehungsgeld angeschlossen.

Der Klägerin steht aber das beanspruchte Landeserziehungsgeld dennoch nicht zu, weil sie sich insoweit nicht auf das Diskriminierungsverbot nach Art. 3 Abs. 1 ARB berufen kann. Nach der Sürül-Entscheidung des EuGH kann die unmittelbare Wirkung des Art. 3 Abs. 1 ARB nämlich nicht zur Begründung von Ansprüchen auf Leistungen für Zeiten vor Erlass dieses Urteils am 04.05. 1999 geltend gemacht werden, soweit die Betroffenen nicht vor diesem Zeitpunkt gerichtlich Klage erhoben oder einen gleichwertigen Rechtsbehelf eingelegt haben. Wie das Bundessozialgericht (u.a. Urteil vom 27.05.2004, Az.: B 10 EG 11/03 R) darlegt, bezieht sich die im Urteil vom EuGH ausgesprochene zeitliche Beschränkung nicht nur auf Verfahren über Kindergeld, sondern auf alle Verfahren, in denen es, wie auch beim Landeserziehungsgeld, um die Geltendmachung von Sozialleistungsansprüchen geht, die auf eine unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 3 Abs. 1 ARB gestützt werden.

Ebenso wie die Hauptaussage des EuGH zur unmittelbaren Anwend- barkeit des assoziationsrechtlichen Diskriminierungsverbots ist auch die von ihm verfügte zeitliche Beschränkung, wie das Bun- dessozialgericht darlegt, verbindlich. An der Rechtmäßigkeit dieser "Neben"-Entscheidung bestehen laut BSG (a.a.O.) keine Zweifel. Voraussetzung für eine wie vom EuGH angenommene zeit- liche Beschränkung ist es laut BSG (a.a.O.), dass Unklarheiten des anzuwendenden Rechts oder das Verhalten der Gemeinschaftsorgane einen Zustand der Rechtsunsicherheit geschaffen haben, der es nicht angemessen erscheinen lässt, in gutem Glauben begründete Rechtsverhältnisse rückwirkend in Frage zu stellen (Vorliegen eines Vertrauenstatbestandes). Darüber hinaus muss die Gefahr unerwarteter und erheblicher finanzieller Auswirkungen bestehen. Es ist nicht ersichtlich laut BSG, dass der EuGH in der Rechtssache Sürül diese Voraussetzungen zu Unrecht bejaht hat. Der EuGH hat dargelegt, dass sich aus seinem Urteil vom 10.09.1996, Az.: C-277/94, Ungewissheit über eine unmittel- bare Anwendbarkeit des Art. 3 Abs. 1 ARB ergeben konnte. Unter diesen Umständen durften die Mitgliedstaaten davon ausgehen, sie könnten die Anpasssung ihres innerstaatlichen Rechts bis zum Erlass entsprechender Umsetzungsakte zurückstellen. Daraus hat der EuGH den Schluss gezogen, dass abschließend geregelte Rechtsverhältnisse durch sein Urteil vom 04.05.1999 nicht wie- der in Frage gestellt werden sollten. Überdies war zu berück- sichtigen, dass die Frage, ob Erziehungsgeld eine Familienleis- tung im Sinne des Europarechts ist, erst durch das Urteil des EuGH vom 10.10.1996 geklärt wurde. Bei der Einschätzung der fi- nanziellen Auswirkungen musste der EuGH schon aus Gründen der Gleichbehandlung alle Sozialleistungen in Betracht ziehen, die europaweit vom ARB erfasst werden.

Die vom EuGH angeordnete zeitliche Beschränkung hindert die Klägerin, ihre Ansprüche auf Landeserziehungsgeld für Zeiten vor dem Erlass des Urteils geltend zu machen. Die vom EuGH vor- gesehene Ausnahme für Betroffene, die "vor diesem Zeitpunkt ge- richtlich Klage erhoben oder einen gleichwertigen Rechtsbehelf eingelegt haben", kommt ihr nicht zugute. Nach der Begründung der Entscheidung des EuGH vom 04.05.1999 soll diese Ausnahmeregelung verhindern, dass der Schutz der Rechte, die die Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht herleiten, durch die verfügte zeitliche Beschränkung in nicht gerechtfertigter Weise eingeschränkt wird. Aus der Bezugnahme auf einen effektiven Rechtsschutz ergibt sich, dass mit den vom EuGH angesprochenen "Rechtsbehelfen" nur solche gemeint sind, die bei Erlass des Urteils vom 04.05.1999 noch rechtshängig, also offen waren. Denn bei abgeschlossenen Verfahren stellt sich die Frage nach der Wirksamkeit des Rechtsschutzes von vornherein nicht. Als Rechtsbehelf sind in diesem Zusammenhang auch erstmalige Leistungsanträge zu verstehen, denn auch sie dienen der Geltend- machung von Rechten und unterbrechen z.B. die Verjährung von Ansprüchen (§ 45 Abs. 3 SGB I). Dabei stellt der EuGH nicht darauf ab, aus welchen Gründen entsprechende Anträge nicht ge- stellt oder nach abschlägigen Entscheidungen nicht weiterver- folgt worden sind.

Zur Begründung des Anspruchs hätte die Klägerin laut BSG zwei Fristen einhalten müssen: Zum einen könnte sie sich auf das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 1 ARB nur dann berufen, wenn sie bereits vor dem Erlass des Sürül-Urteils vom 04.05. 1999 einen auf Landeserziehungsgeld gerichteten Rechtsbehelf eingelegt hätte. Zum anderen ist zu beachten, dass LErzg gemäß Art. 3 Abs. 2 Bayerisches LErzGG in der Fassung vom 12.06.1989 rückwirkend höchstens für zwei Monate vor der schriftlichen Antragstellung zu gewähren ist (Art. 9a Abs. 1 Buchst. a Landeserziehungsgeldgesetz 1995 i.V.m. Art. 3 Abs. 2 LErzGG vom 12.06.1989).

Die Klägerin hat erst im Februar 2002 einen Antrag auf LErzG für ihre Kinder gestellt und demnach die beiden genannten Fris- ten nicht eingehalten. Ein früherer Antrag ist nicht nachgewiesen. Die Angabe der Klägerin, sie habe das ausgefüllte Antragsformular nach der Vorsprache im AVF liegen gelassen, ist zum einen nicht glaubhaft und reicht zum anderen nicht aus, um einen verbindlichen Antrag zu bejahen. Der Nachweis erfordert, dass die behauptete Tatsache mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht. Im Falle der Klägerin bestehen aber erhebliche Zweifel an der behaupteten Antragstellung. Diese sind darin begründet, dass die Klägerin zunächst vorgetragen hatte, sie habe keinen Antrag stellen können und sei durch mündlichen Verwaltungsakt daran gehindert worden. Auch wenn dieses Vorbringen dahin ausgelegt werden kann, dass sie auf die Aussichtslosigkeit des Antrags hingewiesen worden sei, so widerspricht dies doch dem späteren Vorbringen im Berufungsverfahren, wonach sie den Antrag gestellt habe, dieser aber nie verbeschieden worden sei. Widersprüchlich ist auch das weitere Vorbringen, sie sei auf die Notwendigkeit der Schriftform nicht hingewiesen worden, während sie andererseits vorträgt, ein förmliches Antragsformular ausgefüllt ins AVF mitgenommen zu haben.

Hinzukommt, dass von einem wirksamen Antrag selbst dann nicht ausgegangen werden kann, wenn man das letzte Vorbringen im Berufungsverfahren als zutreffend unterstellt, wonach die Klägerin den Antrag nach der Auskunft, sie habe keinen Anspruch auf die Leistung, liegen gelassen hat. Im Zusammenhang mit dem späteren Verhalten lässt sich diesem Vorgang nicht mit genügender Sicherheit entnehmen, dass die Klägerin ihr Begehren auf LErzg aufrecht erhalten hat. Denn wäre dies der Fall gewesen, so wäre es nahe liegend gewesen, nach der Entscheidung nachzufragen; dies um so mehr als die Klägerin angegeben hat, sie habe gedacht, der Antrag würde, nachdem sie ihn liegen gelassen hatte, bearbeitet und er werde vielleicht abgelehnt. Außerdem war, ausgehend von den Angaben der Klägerin, zu dieser Zeit auch noch der angebliche Antrag betreffend das Kind Burcin offen, was eine Nachfrage noch dringlicher erscheinen ließ. Jedenfalls bei der Antragstellung im Februar 2002 wäre ein Hinweis auf den noch offenen Antrag angebracht gewesen, dies um so mehr, als die Bedeutung der früheren Antragstellung zu dieser Zeit bereits bekannt war. Die Klägerin hat aber im Gegenteil im Widerspruchsverfahren nicht auf den früheren nicht verbeschiedenen Antrag verwiesen, sondern behauptet, an der Antragstellung gehindert worden zu sein. Bei diesem Sachverhalt, bestehen erhebliche Zweifel daran, dass die Klägerin Antrag gestellt hat und dass, was entscheidend hinzukommt, dieser Antrag am 04.05.1999 noch offen war. Der Nachweis ist jedenfalls nicht erbracht.

Auch die Regelung des § 27 SGB X hilft der Klägerin nicht weiter. Nach dessen Abs. 1 gilt: War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Eine derartige Wiedereinsetzung ist zwar nicht nach § 27 Abs. 5 SGB X unzulässig, da sich aus Art. 3 Abs. 2 BayLErzGG nicht ergibt, dass sie ausgeschlossen ist. Sie ist jedoch gemäß § 27 Abs. 3 SGB X nur unter erschwerten Bedingungen möglich. Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt oder die versäumte Handlung nicht mehr nachgeholt werden, außer, wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war. Da die Klägerin den Antrag erst im Februar 2002 gestellt hat, kommt es darauf an, ob ihr die Antragstellung vor der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war.

Der Begriff der höheren Gewalt hat eine subjektive Komponente und ist nicht auf von außen kommende nicht beeinflussbare Er- eignisse beschränkt (vgl. BSG a.a.O.). Höhere Gewalt ist jedes Geschehen, das auch durch die größtmögliche, von dem Betroffenen unter Berücksichtigung seiner Lage, Bildung und Erfahrung vernünftigerweise zu erwartende und zumutbare Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte. Als unabwendbar in diesem Sinn ist eine Fristversäumnis grundsätzlich auch dann anzusehen, wenn sie durch eine falsche oder irreführende Auskunft oder Beleh- rung oder sonst durch ein rechts- oder treuwidriges Verhalten der Verwaltungsbehörde verursacht wird (BSG, a.a.O., m.w.N.).

Selbst wenn die Klägerin durch eine irrige Auskunft von der Antragstellung bzw Weiterverfolgung des Antrags abgehalten worden ist, hilft ihr das nicht weiter. Das Bundessozialgericht hat in der zitierten Entscheidung dazu festgehalten, dass ein Hinweis der Behörde, ein entsprechender Antrag brauche nicht gestellt zu werden, weil kein Anspruch auf LErzg bestehe, die Annahme von höherer Gewalt nicht rechtfertige. Diese Information sei zwar im Licht der Entscheidung des BSG vom 29.01.2002 (BSGE 89, 129) objektiv falsch gewesen, auch wenn sie der damaligen Rechtsprechung entsprochen habe. Denn eine unrichtige Rechtsauskunft liege auch dann vor, wenn der Versicherungsträger ohne Verschulden von der Richtigkeit seiner Rechtsansicht ausgehen durfte. Entscheidend sei insoweit die damalige Sach- und Rechtslage aus heutiger Sicht. Das BSG weist aber ausdrücklich auf Folgendes hin: Zur Begründung der Fehlerhaftigkeit der Information bedarf es jedoch der Berufung auf die unmittelbare Wirkung des Art. 3 Abs. 1 ARB für einen Zeitraum vor Erlass der Sürül-Entscheidung des EuGH. Es greift hier somit die in diesem Urteil ausgesprochene zeitliche Beschränkung ein. Da die Klägerin am 04.05.1999 kein offenes Verfahren über die Gewährung des Landeserziehungsgelds hatte, kann sie die objektive Unrichtigkeit der ihr zuteil gewordenen Beratung nicht zur Begründung eines Wiedereinsetzungsantrags geltend machen.

Andere Umstände, die unter dem Gesichtspunkt einer höheren Gewalt eine Wiedereinsetzung ohne Rückgriff auf die unmittelbare Anwendung des Art. 3 Abs. 1 ARB begründen würden, liegen bei der Klägerin nicht vor.

Auch aufgund des richterrechtlich entwickelten Rechtsinstituts eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs steht der Klägerin kein Landeserziehungsgeld für ihre Kinder zu. Auch wenn nach dem Urteil des BSG vom 02.02.2006 (Az.: B 10 EG 9/05) neben dem Institut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ein Herstellungsanspruch zur Anwendung kommen kann, stützt er den Anspruch der Klägerin nicht. Dessen Tatbestand fordert das Vorliegen einer Pflichtverletzung, die dem zuständigen Leistungsträger zuzurechnen ist, dadurch muss beim Berechtigten ein sozialrechtlicher Nachteil oder Schaden eingetreten sein, schließlich muss durch Vornahme einer Amtshandlung des Trägers ein Zustand hergestellt werden können, der bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung nicht erfolgt wäre.

Wie das Bundessozialgericht darlegt (a.a.O.), kann wegen des Ausspruchs der zeitlichen Beschränkung in der Sürül-Entscheidung der Herstellungsanspruch wie auch der Wiedereinsetzungsantrag auf die objektiv fehlerhafte Beratung durch den Beklagten nicht gestützt werden. Die Berufung hat demnach keinen Erfolg.

Die Entscheidung über die Kosten, § 193 SGG, ist darin begrün- det, dass die Klägerin mit ihrem Begehren nicht durchdringen konnte.

Die Revision wird nicht zugelassen, da im Hinblick auf die Urteile des BSG vom 18.02.2004 und 27.05.2004 (Az.: B 10 EG 10/03 R und 11/03 R )die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.

Die Entscheidung konnte nach § 155 Abs. 3 und 4 SGG durch die Berichterstatterin anstelle des Senats ergehen, da die Beteiligten eingewilligt hatten.
Rechtskraft
Aus
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