L 6 R 36/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 12 RJ 957/03 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 R 36/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 30. Juli 2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist Erwerbsminderungsrente.

Der 1950 geborene Kläger wohnt in Bosnien-Herzegowina und hat auch die dortige Staatsangehörigkeit.

Er war in Deutschland von März 1970 bis April 1974 versicherungspflichtig beschäftigt. In Bosnien-Herzegowina hat er Versicherungszeiten von 1975 bis März 1992, von Januar bis Dezember 1994 und von Oktober 1996 bis Juni 2001.

Am 26.07.2001 stellte der Kläger beim Versicherungsträger in M. Rentenantrag nach dem deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommen. Dieser gewährt daraufhin seit Juni 2001 Invalidenrente. Er übersandte den Antrag der Beklagten zusammen mit dem Gutachten der Invalidenkommission in M. vom 08.01.2003. Die Invalidenkommission sieht noch ein vollschichtiges Leistungsvermögen des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für mittelschwere Arbeiten zu ebener Erde und nicht an gefährdenden Maschinen. Als Hauptgesundheitsstörung stellt sie den chronischen Alkoholismus und dessen Folgeerscheinungen (Polyneuropathie, beginnendes psychoorganisches Syndrom) fest. Der Kläger sei gegenüber dem Alkoholkosum unkritisch, auf psychischer Ebene ausgesprochen verlangsamt.

Die Beklagte lehnte den Antrag zunächst mit Bescheid vom 18.03.2003 aus versicherungsrechtlichen Gründen ab, wogegen der Kläger Widerspruch erhob. Nunmehr führte die Beklagte medizinische Ermittlungen durch. Auf der Grundlage des Gutachtens der Invalidenkommission sowie der prüfärztlichen Stellungnahme Dr.D. vom 13.05.2003 lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 20.05.2003 ab.

Mit Widerspruchsbescheid vom 09.07.2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger verfüge über ein mindestens 6-stündiges tägliches Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für mittelschwere Arbeiten zu ebener Erde ohne Publikumsverkehr und ohne erhöhte Verletzungsgefahr. Er sei auch nicht berufsunfähig, da er als Bauarbeiter auf alle ungelernten Tätigkeiten verwiesen werden könne, ohne dass eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen sei.

Hiergegen hat der Kläger am 12.08.2003 Klage zum Sozialgericht Landshut erhoben. Dieses veranlasste eine Begutachtung durch den Nervenarzt P. R. , den Orthopäden Dr.S. und den Internisten Dr.P. zum Gesundheitszustand des Klägers seit Juli 2001.

Dr.S. kommt in seinem Gutachten vom 10.05.2004 zur Feststellung eines Rundrückens, wahrscheinlich auf dem Boden einer Scheuermann schen Erkrankung, bei im Übrigen überraschender guter Beweglichkeit der Wirbelsäule. Orthopädischerseits bestehe weder eine qualitative noch eine quantitative Leistungsminderung.

In seinem Gutachten vom gleichen Tag stellt der Sachverständige R. beim Kläger insbesondere eine chronische Alkoholerkrankung sowie ein leichtes bis mittelgradiges hirnorganisches Psychosyndrom, eine leichte Polyneuropathie der Beine und eine leichte organisch gefärbte Depression fest. Im psychischen Befund schildert er leichte bis mittelgradige Einschränkungen der Aufmerksamkeit und Auffassungsgabe sowie der affektiven Schwingungsfähigkeit. Denken und Intellekt seien regelrecht bzw. ausreichend. Das Gedächtnis sei leicht beeinträchtigt. Eine eigentliche Persönlichkeitsstörung liege nicht vor. Der Kläger biete das typische Bild eines leichten hirnorganischen Psychosyndroms. Nervenärztlicherseits bestehe noch ein bis zu 5-stündiges tägliches Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Mangels entsprechender Unterlagen könne der jetzt festgestellte Gesundheitszustand für den Zeitraum seit Februar 2004 angenommen werden. Das Absinken unter die Vollschichtgrenze wird vom Sachverständigen R. für den Dezember 2003 angesetzt.

Dr.P. übernimmt in seinem Gutachten vom 11.05.2004, diese Leistungsbeurteilung ab dem Tag der Untersuchung. Ein früherer Zeitpunkt für das Vorliegen quantitativer Einschränkungen könnte nur durch Befunde aus dem Jahr 2003, die noch anzufordern wären, belegt werden. Internistischerseits sei dagegen das Leistungsvermögen des Klägers keinesfalls quantitativ, allenfalls qualitativ beeinträchtigt.

Zum Nachweis eines früheren Eintritts der Erwerbsminderung übersandte der Kläger eine Bescheinigung des Gesundheitshauses L. , wonach er dort am 14.12.2003, am 17.01.2004 und am 27.03.2004 untersucht worden sei wegen Schmerzen im Brustkorb, im Bauch, Übelkeit und allgemeiner Schwäche. Als Diagnosen werden u.a. angegeben: "Sinus tahicardia" und chronische Gastritis.

Mit Urteil vom 30.07.2004 wies das Sozialgericht die Klage im Wesentlichen aus versicherungsrechtlichen Gründen ab. Der Kläger habe Lücken in seinem Versicherungsverlauf von April 1992 bis Dezember 1993, von Januar 1995 bis September 1996, sowie ab Juli 2001. Ein Rentenanspruch bestehe demgemäß nur, wenn vor dem 01.08.2003 Erwerbsminderung eingetreten wäre. Hiervon könne die Kammer aber nicht ausgehen, nachdem der Nervenarzt P. R. ein vollschichtiges Leistungsvermögen des Klägers noch bis Dezember 2003 annehme und der Sachverständige Dr.P. sogar bis Mai 2004. Aussagekräftige medizinische Unterlagen, aus welchen sich ein früherer Zeitpunkt der Leistungseinschränkung herleiten lasse, habe der Kläger trotz entsprechenden Hinweises durch das Gericht nicht vorgelegt.

Am 12.01.2005 legte der Kläger gegen dieses Urteil Berufung ein.

Der Kläger legte einen Arztbericht vom 24.08.2005 der Ambulanz V. vor, wonach er "schon seit längerer Zeit in dieser Ambulanz behandelt" worden ist, und zwar auch schon vor dem Jahr 2003. Weiterhin werden ein Reihe von Diagnosen aufgeführt, wie chronischer Äthylismus, Depression, psychoorganisches Syndrom, Polyneuropathie, seelische Störung etc.: nähere Einzelheiten zum Ausmaß dieser Gesundheitsstörungen oder Befunddaten werden nicht angegeben.

Der Kläger erklärte sich zu der vom Senat vorgesehenen Untersuchung nicht bereit. Er legte einen Befundbericht des Gesundheitshauses L. vom 04.11.2005 vor, der neben den einschlägigen Diagnosen die Aussage enthält, der Kläger sei auf fremde Hilfe und Pflege angewiesen und ohne Begleitung medizinischen Personals nicht reisefähig.

Der Senat veranlasste ein Gutachten nach Aktenlage der Ärztin für Psychiatrie Dr.M ... Diese bestätigt im Gutachten vom 23.01.2006 die Leistungsbeurteilung durch den Vorgutachter, den Nervenarzt P. R ...

Das Gericht wies den Kläger auf die Sach- und Rechtslage hin, insbesondere auf die Folgen der Lücken im Versicherungsverlauf. Hierzu führte der Kläger zunächst aus, dass er in den Jahren 1992 bis 1996 wegen des Kriegs unbeschäftigt gewesen sei.

Er legte dann aber eine Bescheinigung der "Förderalanstalt für Renten- und Invalidenversicherung", Dienststelle L. , vor, wonach die bisherigen Lücken teilweise mit Beiträgen belegt sind, nicht allerdings nach wie vor das gesamten Kalenderjahr 1995.

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 18.03.2003 in Gestalt des Bescheids vom 20.05.2003 sowie des Widerspruchsbescheids vom 09.07.2003 auf Grund des Antrags vom 26.07.2001 zur Zahlung von Rente wegen Erwerbsminderung zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten und des Sozialgerichts hingewiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Rentenanspruch, wie das Sozialgericht im angefochtenen Urteil zu Recht erkannt hat.

Der Anspruch des Klägers scheitert zwar nicht an den medizinischen (1), wohl aber an den besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (2) des § 43 des Sechsten Sozialgesetzbuches in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung (SGB VI n.F.).

1.1. Der Kläger erfüllt die medizinischen Voraussetzungen gemäß § 43 SGB VI n.F., da er nicht mehr in der Lage ist, mindestens sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig zu sein (vgl. Abs.3 der Vorschrift). Dies ist das übereinstimmende Ergebnis der in der erster Instanz gehörten medizinischen Sachverständigen Dr.P. und R ... Die vom Senat gehörte nervenärztliche Sachverständige Dr.M. hat sich dieser Meinung angeschlossen. Auch der Senat folgt den übereinstimmenden medizinischen Aussagen. Hiernach leidet der Kläger an einer chronischen Alkoholerkrankung, einem leichten mittelgradigen hirnorganischen Psychosyndrom, einer leichten Polyneuropathie der Beine und einer leichten organisch gefärbten Depression. Diese Diagnosestellung wird gestützt durch den vom Sachverständigen R. erhobenen psychischen Befund mit allenfalls leichten bis mittelgradigen Einschränkungen auf den Ebenen "Aufmerksamkeit", "Gedächtnis" und "affektive Schwingungsfähigkeit". Die Beschränkung der zumutbaren Arbeitszeit auf täglich maximal fünf Stunden erscheint dem Senat daher überzeugend. Mit diesem Leistungsvermögen besteht beim Kläger unbefristete teilweise Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs.1 SGB VI n.F., weiterhin, da der Kläger als Rentner keinen Arbeitsplatz inne hat, auch befristete volle Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs.2 SGB VI n.F ...

1.2. Nach den übereinstimmenden gutachterlichen Aussagen besteht dieser Zustand frühestens seit Dezember 2003. Für die Zeit zuvor ist noch von einem mehr als 6-stündigen Leistungsvermögen pro Arbeitstag auszugehen.

Die erstinstanzlichen Sachverständigen haben den Kläger im Mai 2004 untersucht. Während Dr.P. die gefundene Leistungseinschränkung erst ab Mai 2004 gelten lassen will, sieht der Sachverständige R. offenbar eher einen fließenden Übergang des Absinkens unter die Grenze einer Vollschichttätigkeit und datiert dieses daher bereits auf Dezember 2003 zurück; das (maximal) 5-stündige Leistungsvermögen bestehe dann seit Februar 2004. Diese geringfügig unterschiedliche Sicht der zeitlichen Entwicklung erweist sich vorliegend nicht als entscheidungserheblich. Selbst wenn man schon für Dezember 2003 von einen maximal 5-stündigen, jedenfalls aber unter 6-stündigen Leistungsvermögen ausgeht - wie es auch die Sachverständige Dr.M. nachfolgend getan hat -, so hilft dies dem Kläger nicht, da jedenfalls ein früherer Leistungsfall nicht festgestellt werden kann.

Der Kläger macht zwar einen früheren Leistungsfall geltend und hat auch mit dieser Zielsetzung weitere medizinische Befunde vorgelegt. Diese waren jedoch schon wegen der darin erst ab Dezember 2003 dokumentierten Behandlungen, im Übrigen aber wegen ihrer geringen Aussagekraft nicht in der Lage, das Ergebnis der gerichtlichen Sachverständigen zu modifizieren, wie auch vom Sozialgericht in seiner Entscheidung ausgeführt.

Auch die Sachverständige Dr.M. hat die Vorbegutachtungen in vollem Umfang bestätigt. Sie hat überzeugend darauf hingewiesen, dass durch die neu vorgelegten medizinischen Unterlagen des Klägers keine neuen medizinischen Aspekte zu Tage getreten sind. Sie hat, für den Senat überzeugend, die zeitliche Entwicklung der Gesundheitsstörungen nochmals geschildert und aufgrund dessen die bekannte Einschätzung bestätigt: In der Tat wurde noch im Jahr 2001 das organische Psychosyndrom beim Kläger als "beginnend" angegeben, dies sogar noch im Jahr 2003 seitens der Invalidenkommission. Somit kann die maßgebliche Verschlechterung erst nach Januar 2003 eingetreten sein. Ohnehin hat der Sachverständige R. das Absinkenn des Leistungsvermögens auf unter acht Stunden um fünf Monate auf Dezember 2003 rückdatiert. Eine weitere Rückdatierung auf Juli 2003 ist ohne aussagekräftige medizinische Befunde jedoch nicht möglich. Im Ergebnis kam somit der Leistungsfall der Erwerbsminderung beim Kläger jedenfalls nicht vor Dezember 2003 als nachgewiesen angesehen werden; dies geht nach dem im Sozialgerichtsverfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (siehe Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, § 103 Anm.19a) zu Lasten des Klägers.

2. Bei Eintritt des Leistungsfalls im Dezember 2003 sind jedoch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen gemäß § 43 Abs.1, 2 jeweils Nr.2 i.V.m. Abs.4 (2.1) sowie § 241 Abs.2 SGB VI n.F. (2.2) nicht mehr erfüllt: 2.1. Die Voraussetzungen von § 43 Abs.1, 2 Nr.2 sind letztmals für Juli 2003 erfüllt: nur wenn Erwerbsminderung spätestens in diesem Zeitpunkt eingetreten wäre, hätte der Kläger entsprechenden Rentenanspruch. Denn die Vorschrift fordert in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung mindestens drei Jahre Pflichtbeiträge. Beim Kläger liegt jedoch im Monat Juni 2001 nicht nur die letzte Pflichtbeitragszeit, sondern die letzte rentenrechtliche Zeit insgesamt, so dass nach zwei Jahren, nämlich im Juli 2003, der Versicherungsschutz insoweit sein Ende findet.

Die Tatsache, dass der Kläger seit Juni 2001 in Bosnien-Herzegowina Invalidenrente bezieht, ist ohne Belang. Nur deutsche Rentenbezugszeiten sind gemäß §§ 43 Abs.4 Nr.1, 58 Abs.1 Nr.5 SGB VI Anwartschaftserhaltungszeiten. Dagegen werden ausländische Rentenbezugszeiten quasi als "Lücke" gewertet und wirken daher "anspruchsschädlich".

2.2. Der Kläger erfüllt die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen auch nicht über die alternative Voraussetzung des § 241 Abs.2 SGB VI. Ihm fehlt es an einer lückenlosen Belegung mit Anwartschaftserhaltungszeiten im Zeitraum ab Januar 1984 bis zum Rentenantrag. Auch wenn die neuerlich dokumentierten Beitragszeiten für die Jahre 1992, 1993 und 1996 noch in die Betrachtung mit einbezogen werden, so bleibt doch das Jahr 1995 nach wie vor unbelegt, so dass es an einer lückenlosen Belegung fehlt. Der Kläger kann für diesen unbelegten Zeitraum keine deutschen rentenrechtlichen Zeiten mehr erwerben. Insbesondere eine freiwillige Beitragszahlung scheitert an der Fristbestimmung des § 197 Abs.2 SGB VI. Hiernach hätten Beiträge für das Jahr 1995 nur bis spätestens 31.03.1996 gezahlt werden können. Diese Frist wurde auch nicht durch die in § 198 genannten Verfahren unterbrochen. Der Kläger muss sich auch am Fristablauf festhalten lassen, weil insbesondere kein Anhaltspunkt für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch besteht.

Einen Rentenanspruch könnte der Kläger allenfalls dann noch erwerben, wenn er auch das Jahr 1995 nachträglich noch mit jugoslawischen Versicherungszeiten belegen könnte und dies auch sofort - solange die Fristunterbrechung durch das hiesige Verfahren noch andauert - geltend machen würde.

Bei der derzeitigen Sach- und Rechtslage konnte die Berufung jedenfalls keinen Erfolg haben.

Dem entspricht auch die Kostenentscheidung (§ 193 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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