Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 9 AS 204/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 B 6/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 02.01.2006 geändert. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, der Antragstellerin Leistungen in Höhe von 345,- EUR monatlich für den Zeitraum von November 2005 bis Februar 2006 vorläufig zu erbringen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt 3/5 der erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde, der das Gericht nicht abgeholfen hat (Beschluss vom 20.03.2006), ist im tenorierten Umfang begründet, im Übrigen unbegründet.
Die Beschwerde richtet sich zulässigerweise gegen den Kreis, da dieser als Prozessstandschafter richtiger Antragsgegner ist (Beschluss des Senats vom 20.02.2006 - L 19 B 118/05 AS ER).
Die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - sind nur hinsichtlich eines Anspruches der Antragstellerin auf die Regelleistungen nach § 20 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende, SGB II -, nicht jedoch hinsichtlich des Anspruches auf Übernahme ihrer Unterkunftskosten aus § 22 SGB II nach dem sich aus § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Zivilprozessordnung - ZPO - ergebenden Maßstab glaubhaft gemacht.
Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf einstweilige Zuerkennung von Regelleistungen nach § 20 SGB II. Denn insoweit sind sowohl Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit einer Regelung) als auch Anordnungsanspruch (materiellrechtlicher Anspruch auf die begehrte Leistung) glaubhaft gemacht.
Eilbedürftigkeit ergibt sich aus der Mittellosigkeit der Antragstellerin, die über keine laufenden Einkünfte verfügt und deren Barmittel nach den vorgelegten Kontoauszügen weitgehend erschöpft sind, sowie aus dem drohenden Verlust ihres Krankenversicherungsschutzes.
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts im angefochtenen Beschluss steht der Annahme eines Anordnungsgrundes nicht der Umstand entgegen, dass die Antragstellerin Leistungen in Form von Lebensmitteln von ihrer Mutter und ihrer Schwester erhält. Dies folgt bereits aus der gesetzlichen Zielbestimmung, wonach die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Bedarfe des täglichen Lebens sowie in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben umfasst (§ 20 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende dienen der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens. Diese Sicherstellung ist eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, die aus dem Gebot zum Schutze der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot folgt (vgl. Bundesverfassungsgerichtsentscheidung - BverfGE 82,60, 80). Die grundrechtlichen Anforderungen an den effektiven Rechtsschutz bedingen, dass auch bei komplexem Sachverhalt und bestehendem weiteren Aufklärungsbedarf ein Eilantrag nicht ohne umfassende Güter- und Folgenabwägung abgelehnt werden darf (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05).
Zur Überzeugung des Senats kann nach vorstehenden Maßstäben die Antragstellerin vorläufig nicht auf die Inanspruchnahme von Unterstützungsleistungen ihrer Mutter verwiesen werden. Zwar stellt § 9 Abs. 5 SGB II die gesetzliche Vermutung auf, dass Hilfebedürftige von Verwandten in einem nach deren Verhältnissen zumutbaren Umfang mit unterhalten werden, wenn sie in einem gemeinsamen Haushalt leben. Vorliegend besteht aber schon die Besonderheit, dass die Antragstellerin grundsätzlich über eine eigene abgeschlossene Wohnung im Hause ihrer Mutter verfügt und nur während der - wenngleich schon längere Zeit andauernden - Phase der Sanierung ihrer eigenen Wohnung in der Wohnung ihrer Mutter schläft und sich dort wohl auch überwiegend aufhält. Vor allem fehlt es aber bisher an ausreichenden tatsächlichen Feststellungen für die Annahme der Antragsgegnerin, die Antragstellerin und ihre Mutter führten einen gemeinsamen Haushalt im Sinne einer Wirtschaftsgemeinschaft. Vielmehr berichtete der Soziale Dienst nach einem von der Antragsgegnerin veranlassten Hausbesuch (vgl. Bericht vom 09.11.2005 - Bl. 70 VA), die Antragstellerin, ihre Schwester und deren Sohn sowie ihre Mutter wirtschafteten jeweils für sich alleine und bildeten keine Haushaltsgemeinschaft. Da somit nicht festgestellt werden kann, dass mit der Mutter eine Haushaltsgemeinschaft besteht, greift die Vermutung des § 9 Abs. 5 SGB II nicht ein. Der Senat kann es deshalb auch dahingestellt sein lassen, in welchem Umfang Leistungen nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Mutter erwartet werden könnten (§ 1 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II / Sozialgeld - Alg II - Verordnung - vom 20.10.2004 in der Fassung der Änderung durch Verordnung vom 22.08.2005 [BGBl. I Seite 2499]).
Hinweise auf eine tatsächliche Erbringung von Unterhaltsleistungen in der Zeit ab November 2005 finden sich nicht. Im Gegenteil hat die Mutter der Antragstellerin mit Erklärung vom 27.11.2005 "an Eides statt" versichert, ihre Tochter nicht finanziell zu unterstützen.
Ein Anspruch der Antragstellerin auf einstweilige Zuerkennung von Unterkunftskosten nach § 22 SGB II ist dagegen nicht glaubhaft gemacht. Die Antragstellerin gibt insoweit einen Bedarf von 249,- EUR für Grundmiete und 215,- EUR für Nebenkosten inclusive Heizung an. Hinsichtlich der Grundmiete fehlt es bereits an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes, da bislang keine Belege über Mietzahlungen der Antragstellerin an ihre Mutter vorliegen. Zweifel bestehen aber auch bezüglich der angegebenen Höhe der Nebenkosten, deren Zahlung durch Vorlage von Kontoauszügen nachgewiesen ist. Denn die Höhe des monatlichen Überweisungsbetrages wäre erst dann plausibel, wenn sie in einen nachvollziehbaren Zusammenhang mit den gesamten Fixkosten des Hauses E-straße 0 gebracht würden, d.h. der Aufteilungsschlüssel für die drei Wohnungen (der Schwester der Antragstellerin, ihrer Mutter und ihrer eigenen Wohnung) offen gelegt wäre. Hieran fehlt es bislang gänzlich.
Auf jeden Fall ist auch nach Auffassung des Senats ein Anordnungsgrund hinsichtlich der Kosten der Unterkunft nicht glaubhaft gemacht. Denn die Unterkunft der Antragstellerin - insoweit folgt der Senat dem angefochtenen Beschluss - erscheint durch ihre Aufnahme in die Wohnung der Mutter gesichert.
Der Senat hat den Zeitraum dieser Anordnung begrenzt auf die Zeit vom Monat der Antragstellung beim Sozialgericht bis zum Monat der Senatsentscheidung. Dies entspricht dem Grundgedanken des einstweiligen Rechtsschutzes, einer gegenwärtigen Notlage abzuhelfen. Hierbei geht der Senat davon aus, dass die Antragsgegnerin die diesem Beschluss zu entnehmenden Überlegungen auch bis zur Entscheidung in der Hauptsache zugrunde legen wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG in entsprechender Anwendung.
Die vorgenommene Kostenquotelung entspricht in etwa dem Maß des anteiligen Obsiegens, weil der Antrag nur hinsichtlich der Regelleistungen, nicht hinsichtlich der Unterkunftskosten Erfolg gehabt hat.
Dieser Beschluss ist endgültig, § 177 SGG.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde, der das Gericht nicht abgeholfen hat (Beschluss vom 20.03.2006), ist im tenorierten Umfang begründet, im Übrigen unbegründet.
Die Beschwerde richtet sich zulässigerweise gegen den Kreis, da dieser als Prozessstandschafter richtiger Antragsgegner ist (Beschluss des Senats vom 20.02.2006 - L 19 B 118/05 AS ER).
Die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - sind nur hinsichtlich eines Anspruches der Antragstellerin auf die Regelleistungen nach § 20 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende, SGB II -, nicht jedoch hinsichtlich des Anspruches auf Übernahme ihrer Unterkunftskosten aus § 22 SGB II nach dem sich aus § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Zivilprozessordnung - ZPO - ergebenden Maßstab glaubhaft gemacht.
Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf einstweilige Zuerkennung von Regelleistungen nach § 20 SGB II. Denn insoweit sind sowohl Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit einer Regelung) als auch Anordnungsanspruch (materiellrechtlicher Anspruch auf die begehrte Leistung) glaubhaft gemacht.
Eilbedürftigkeit ergibt sich aus der Mittellosigkeit der Antragstellerin, die über keine laufenden Einkünfte verfügt und deren Barmittel nach den vorgelegten Kontoauszügen weitgehend erschöpft sind, sowie aus dem drohenden Verlust ihres Krankenversicherungsschutzes.
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts im angefochtenen Beschluss steht der Annahme eines Anordnungsgrundes nicht der Umstand entgegen, dass die Antragstellerin Leistungen in Form von Lebensmitteln von ihrer Mutter und ihrer Schwester erhält. Dies folgt bereits aus der gesetzlichen Zielbestimmung, wonach die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Bedarfe des täglichen Lebens sowie in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben umfasst (§ 20 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende dienen der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens. Diese Sicherstellung ist eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, die aus dem Gebot zum Schutze der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot folgt (vgl. Bundesverfassungsgerichtsentscheidung - BverfGE 82,60, 80). Die grundrechtlichen Anforderungen an den effektiven Rechtsschutz bedingen, dass auch bei komplexem Sachverhalt und bestehendem weiteren Aufklärungsbedarf ein Eilantrag nicht ohne umfassende Güter- und Folgenabwägung abgelehnt werden darf (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05).
Zur Überzeugung des Senats kann nach vorstehenden Maßstäben die Antragstellerin vorläufig nicht auf die Inanspruchnahme von Unterstützungsleistungen ihrer Mutter verwiesen werden. Zwar stellt § 9 Abs. 5 SGB II die gesetzliche Vermutung auf, dass Hilfebedürftige von Verwandten in einem nach deren Verhältnissen zumutbaren Umfang mit unterhalten werden, wenn sie in einem gemeinsamen Haushalt leben. Vorliegend besteht aber schon die Besonderheit, dass die Antragstellerin grundsätzlich über eine eigene abgeschlossene Wohnung im Hause ihrer Mutter verfügt und nur während der - wenngleich schon längere Zeit andauernden - Phase der Sanierung ihrer eigenen Wohnung in der Wohnung ihrer Mutter schläft und sich dort wohl auch überwiegend aufhält. Vor allem fehlt es aber bisher an ausreichenden tatsächlichen Feststellungen für die Annahme der Antragsgegnerin, die Antragstellerin und ihre Mutter führten einen gemeinsamen Haushalt im Sinne einer Wirtschaftsgemeinschaft. Vielmehr berichtete der Soziale Dienst nach einem von der Antragsgegnerin veranlassten Hausbesuch (vgl. Bericht vom 09.11.2005 - Bl. 70 VA), die Antragstellerin, ihre Schwester und deren Sohn sowie ihre Mutter wirtschafteten jeweils für sich alleine und bildeten keine Haushaltsgemeinschaft. Da somit nicht festgestellt werden kann, dass mit der Mutter eine Haushaltsgemeinschaft besteht, greift die Vermutung des § 9 Abs. 5 SGB II nicht ein. Der Senat kann es deshalb auch dahingestellt sein lassen, in welchem Umfang Leistungen nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Mutter erwartet werden könnten (§ 1 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II / Sozialgeld - Alg II - Verordnung - vom 20.10.2004 in der Fassung der Änderung durch Verordnung vom 22.08.2005 [BGBl. I Seite 2499]).
Hinweise auf eine tatsächliche Erbringung von Unterhaltsleistungen in der Zeit ab November 2005 finden sich nicht. Im Gegenteil hat die Mutter der Antragstellerin mit Erklärung vom 27.11.2005 "an Eides statt" versichert, ihre Tochter nicht finanziell zu unterstützen.
Ein Anspruch der Antragstellerin auf einstweilige Zuerkennung von Unterkunftskosten nach § 22 SGB II ist dagegen nicht glaubhaft gemacht. Die Antragstellerin gibt insoweit einen Bedarf von 249,- EUR für Grundmiete und 215,- EUR für Nebenkosten inclusive Heizung an. Hinsichtlich der Grundmiete fehlt es bereits an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes, da bislang keine Belege über Mietzahlungen der Antragstellerin an ihre Mutter vorliegen. Zweifel bestehen aber auch bezüglich der angegebenen Höhe der Nebenkosten, deren Zahlung durch Vorlage von Kontoauszügen nachgewiesen ist. Denn die Höhe des monatlichen Überweisungsbetrages wäre erst dann plausibel, wenn sie in einen nachvollziehbaren Zusammenhang mit den gesamten Fixkosten des Hauses E-straße 0 gebracht würden, d.h. der Aufteilungsschlüssel für die drei Wohnungen (der Schwester der Antragstellerin, ihrer Mutter und ihrer eigenen Wohnung) offen gelegt wäre. Hieran fehlt es bislang gänzlich.
Auf jeden Fall ist auch nach Auffassung des Senats ein Anordnungsgrund hinsichtlich der Kosten der Unterkunft nicht glaubhaft gemacht. Denn die Unterkunft der Antragstellerin - insoweit folgt der Senat dem angefochtenen Beschluss - erscheint durch ihre Aufnahme in die Wohnung der Mutter gesichert.
Der Senat hat den Zeitraum dieser Anordnung begrenzt auf die Zeit vom Monat der Antragstellung beim Sozialgericht bis zum Monat der Senatsentscheidung. Dies entspricht dem Grundgedanken des einstweiligen Rechtsschutzes, einer gegenwärtigen Notlage abzuhelfen. Hierbei geht der Senat davon aus, dass die Antragsgegnerin die diesem Beschluss zu entnehmenden Überlegungen auch bis zur Entscheidung in der Hauptsache zugrunde legen wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG in entsprechender Anwendung.
Die vorgenommene Kostenquotelung entspricht in etwa dem Maß des anteiligen Obsiegens, weil der Antrag nur hinsichtlich der Regelleistungen, nicht hinsichtlich der Unterkunftskosten Erfolg gehabt hat.
Dieser Beschluss ist endgültig, § 177 SGG.
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