L 8 AS 1171/06 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AS 171/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 AS 1171/06 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Die Regelung des § 7 Abs. 4 SGB II ist als gesetzliche Fiktion der Nichterwerbsfähigkeit auszulegen. Wer somit länger als sechs Monate in einer stationären Einrichtung untergebracht ist oder voraussichtlich länger als sechs Monate untergebracht sein wird, ist von vornherein nicht nur nicht leistungsberechtigt nach dem SGB II, sondern auch nicht erwerbsfähig iSd § 8 Abs. 1 SGB II; für ihn greift der Ausschluss des Sozialhilfeanspruchs gemäß § 5 Abs. 2 SGB II i.V.m. § 21 SGB XII damit nicht durch.
2. Als Einrichtung iSd § 7 Abs. 4 Hs. 1 SGB II kann deshalb jede vollstationäre Einrichtung aufgefasst werden, in der der Einrichtungsträger von der Aufnahme bis zur Entlassung des Hilfebedürftigen die Gesamtverantwortung für dessen tägliche Lebensführung übernimmt und Gemeinschaftseinrichtungen vorhanden sind . Diese Voraussetzungen sind auch bei einer Justizvollzugsanstalt, in der der Hilfebedürftige eine Strafhaft verbüßt, erfüllt.
3. Zeiten der Haft und ein sich direkt im Anschluss an die Haft anschließender Aufenthalt in einer Fachklinik zur Drogenentwöhnung sind zusammenzurechnen.
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Konstanz vom 30. Januar 2006 aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in vollem Umfang abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten sind im Antrags- und Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Entscheidung des Sozialgerichts Konstanz (SG), mit der dieses die Antragsgegnerin verpflichtet hat, dem Antragsteller ab 20.01.2006 bis längstens 17.05.2006 Arbeitslosengeld II in Höhe von 20 % der monatlichen Regelleistung zu gewähren.

Am 24.10.2005 ging bei der Agentur für Arbeit Ravensburg der schriftliche Antrag des am ... geborenen Antragstellers auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ein. Ergänzend trug der Antragsteller vor, seit 14.12.2004 befinde er sich in Haft, die bis zum 30.11.2005 dauere. Anschließend komme er in die Fachklinik R. zur Entzugsbehandlung. Bei einer gesetzlichen Krankenversicherung sei er weder pflichtversichert noch familienversichert. Zuletzt sei er privat krankenversichert gewesen.

Mit Bescheid vom 16.12.2005 lehnte die Agentur für Arbeit Ravensburg den Antrag vom 24.10.2005 ab. Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf Leistungen lägen nicht vor, da der Antragsteller mit seiner Haft und der stationären Entwöhnung den Sechs-Monats-Zeitraum überschreite. Die Entscheidung beruhe auf § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II. Des Weiteren wurde darauf hingewiesen, dass in der Zeit, in der der Antragsteller keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beziehe, er durch den zuständigen Leistungsträger für den Fall der Krankheit nicht versichert sei. Um Nachteile zu vermeiden, werde empfohlen, sich bei der Krankenkasse über die Rechte und Möglichkeiten (z. B. auf freiwillige Weiterversicherung) für die betreffende Zeit zu erkundigen.

Dagegen erhob der Antragsteller Widerspruch und trug zur Begründung vor, da er für die Haftzeit keine Leistungen nach dem SGB II beantragt und auch nicht bezogen habe, sei sein Antrag vom 24.10.2005 als Neuantrag zu bewerten. Die Sechs-Monatsfrist überschreite er nicht.

Mit Widerspruchsbescheid vom 07.02.2006 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, § 7 Abs. 4 SGB II bestimme, dass Leistungen nach dem SGB II nicht erhalte, wer für länger als sechs Monate in einer stationären Einrichtung untergebracht sei. Dieser Ablehnungstatbestand sei erfüllt, da auch Zeiten in Einrichtungen zum Vollzug von richterlicher angeordneter Freiheitsentziehung zur stationären Unterbringung im Sinne von § 7 Abs. 4 SGB II zählten. Auch seien Zeiten der Unterbringung in unterschiedlichen Einrichtungen zusammenzurechnen, da der Widerspruchsführer während der gesamten Dauer der Unterbringung nicht erwerbstätig sein könne oder in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden könne.

Mit dem am 20.01.2006 beim SG eingegangenen Schreiben vom 19.01.2006 beantragte der Antragsteller, ihm im Wege des einstweiligen Rechtschutzes Leistungen nach dem SGB II zu gewähren. Zur Begründung machte er ergänzend geltend, aufgrund seiner fehlenden Krankenversicherung könnten für ihn nicht die notwendigen ärztlichen Untersuchungen während der Rehabilitation durchgeführt werden. Auch befürchte er, für die bereits erfolgten Behandlungen mit einer Privatrechnung belastet zu werden. Außerdem verfüge er über kein Bargeld mehr und könne sich seinen persönlichen Bedarf an Hygieneartikel, Bekleidung u.a. Ausgaben zur Teilnahme an der alltäglichen Lebensgestaltung in der Fachklinik nicht finanzieren. Das von der Justizvollzugsanstalt erhaltene Entlassgeld von ca. 600 EUR habe er bereits ausgegeben, u. a. für notwendige Bekleidung und zur Schuldenregulierung. Der Antragsteller fügte den Bescheid der Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg vom 05.09.2005 bei, wonach ihm eine stationäre Leistung zur medizinischen Rehabilitation in der Fachklinik R. bewilligt wurde. Die Leistung dauere voraussichtlich 24 Wochen.

Die Antragsgegnerin trat dem Antrag entgegen und führte zur Begründung aus, die Voraussetzungen zur Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II seien nicht erfüllt, da sich der Antragsteller seit dem 14.12.2004 in Haft befinde. Der Ausschlusstatbestand von § 7 Abs. 4 SGB II sei deshalb erfüllt, da die Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II längstens für einen Zeitraum von sechs Monaten zu erbringen seien, in dem zu erwarten sei, dass jemand wieder fähig sein werde, unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes erwerbsfähig zu sein. Dieser Zeitraum von sechs Monaten werde hier überschritten, denn Zeiten in unterschiedlichen Einrichtungen seien zusammenzuzählen, denn der Antragsteller könne während der gesamten Dauer der Unterbringung nicht erwerbstätig sein oder in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden.

Mit Beschluss vom 30.01.2006 verpflichtete das SG die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung, dem Antragsteller ab 20.01.2006 bis längstens 17.05.2006 Arbeitslosengeld II in Höhe von 20 % der monatlichen Regelleistung zu gewähren; im Übrigen lehnte es den Antrag ab. Zur Begründung ist ausgeführt, eine Verpflichtung der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung komme lediglich für die Zeit ab Eingang des Antrags beim SG (20.01.2006) in Betracht, nicht jedoch für die Zeit vor Eingang des Antrages. Ein - eingeschränkter - Anordnungsanspruch bestehe ab 20.01.2006, da der Antragsteller - allerdings nur eingeschränkt - hilfebedürftig sei. Die Ausschlussvorschrift des § 7 Abs. 4 SGB II, wonach Leistungen nach diesem Buch derjenige nicht erhalte, der für länger als sechs Monate in einer stationären Einrichtung untergebracht sei oder Rente wegen Alters beziehe, sei vorliegend entgegen der Auffassung des Antragsgegnerin nicht anwendbar, da die Haft keine Unterbringung in einer stationären Einrichtung im Sinne von § 7 Abs. 4 SGB II darstelle. Somit beginne die Unterbringung des Antragstellers in einer "stationären Einrichtung" erst am 30.11.2005, so dass der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 4 SGB II noch nicht verwirklich sein dürfte. Der Antragsteller dürfte auch nicht als erwerbsunfähig anzusehen sein. Die Suchtmittelerkrankung des Antragstellers bedeute nicht per se Erwerbsunfähigkeit, vielmehr bedürfe es auch in einem solchen Falle einer Feststellung des Leistungsvermögens im Einzelfall, was jedoch zunächst dem Widerspruchs - und so dann erforderlichenfalls einem gerichtlichen Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben müsse. Solange Erwerbsunfähigkeit nicht zweifelsfrei feststehe, spreche viel für eine Leistungsverpflichtung der Antragsgegnerin. Der Antragsteller sei allerdings wohl nur eingeschränkt hilfebedürftig. Er habe nur einen stark verminderten Bedarf, da der Rehabilitationsträger seinen Lebensunterhalt in der stationären Einrichtung grundsätzlich decke. Darüber hinaus verbleibe nur Anspruch auf einen Barbetrag zur Befriedigung laufender Bedürfnisse, die nicht von der Einrichtung gedeckt würden ("Taschengeld"). Der Höhe nach orientiere sich das SG dabei an § 35 Abs. 2 Satz 2 SGB XII, wobei es aufgrund der Vorläufigkeit der Regelung einen Abschlag auf 20 % für geboten halte. Ein höherer Betrag, etwa für Bekleidung, käme nur dann in Betracht, wenn die Notwendigkeit der Beschaffung glaubhaft gemacht würde. Mit dem Bezug von Arbeitslosengeld II werde der Antragsteller automatisch nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) versicherungspflichtig in der gesetzlichen Krankenversicherung, so dass er ab Antragstellung auch den begehrten Krankenversicherungsschutz erhalte.

Gegen den - der Antragsgegnerin am 03.02.2006 zugestellten - Beschluss hat die Antragsgegnerin am 21.02.2006 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung macht sie geltend, dem geltend gemachten Anspruch stehe die Regelung des § 7 Abs. 4 SGB II entgegen. Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende erhalte daher nicht, wer absehbar für länger als sechs Monate vollstationär in einer Anstalt, einem Heim oder einer ähnlichen Einrichtung untergebracht sei. Einrichtungen zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung seien den vollstationären Einrichtungen gleichgestellt. Die Ausschlussregelung des § 7 Abs. 4 SGB II sei dem Sinn und Zweck der Vorschrift entsprechend so zu verstehen, dass die Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II längstens für einen Zeitraum von sechs Monaten zu erbringen seien, in dem (prognostisch) zu erwarten sei, dass jemand fähig sein werde, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein. Zeiten in unterschiedlichen Einrichtungen seien deshalb zusammenzurechnen, weil der Betroffene während der gesamten Dauer der Unterbringung nicht erwerbstätig sein könne oder in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden könne. Ausgehend von der Antragstellung am 24.10.2005 sei der Antragsteller länger als sechs Monate vollstationär untergebracht, nämlich vom 24.10.2005 bis 30.11.2005 in der Justizvollzugsanstalt Ravensburg und vom 01.12.2005 bis 17.05.2006 in der Fachklinik R ...

Die Beschwerdeführerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Konstanz vom 30. Januar 2006 abzuändern und den Antrag in vollem Umfang abzulehnen.

Der Beschwerdegegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beschwerdeführerin, der Akten des SG Konstanz und der Senatsakten Bezug genommen.

II.

Die gemäß den §§ 172ff Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustands geht, nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung). Besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens ergeben sich aus Art 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG), wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Eine solche Fallgestaltung ist anzunehmen, wenn es - wie hier - im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums während eines gerichtlichen Hauptsacheverfahrens geht. Ist während des Hauptsacheverfahrens das Existenzminimum nicht gedeckt, kann diese Beeinträchtigung nachträglich nicht mehr ausgeglichen werden, selbst wenn die im Rechtsbehelfsverfahren erstrittenen Leistungen rückwirkend gewährt werden (BVerfG 12.05.2005 NVwZ 2005, 927, 928).

Die Gerichte müssen in solchen Fällen, wenn sie sich an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren wollen, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen (vgl. BVerfG NJW 2003, 1236, 1237; BVerfG NVwZ 2004, 95, 96). Dies gilt insbesondere, wenn das einstweilige Rechtsschutzverfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht. Entschließen sich die Gerichte zu einer Entscheidung auf dieser Grundlage, so dürfen sie die Anforderungen an die Glaubhaftmachung durch den Antragsteller eines Eilverfahrens nicht überspannen. Die Anforderungen haben sich vielmehr am Rechtsschutzziel zu orientieren, das der Antragsteller mit seinen Begehren verfolgt (BVerfG NVwZ 2004, 95, 96). Dies gilt insbesondere, wenn der Amtsermittlungsgrundsatz gilt. Außerdem müssen die Gerichte Fragen des Grundrechtsschutzes einbeziehen (BVerfG 12.05.2005 NVwZ 2005, 927, 928).

Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG NJW 2003, 1236, 1237). Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern. Diese besonderen Anforderungen an Eilverfahren schließen andererseits nicht aus, dass die Gerichte den Grundsatz der unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache vermeiden, indem sie zum Beispiel Leistungen nur mit einem Abschlag zusprechen (vgl. BVerfG 12.05.2005 NVwZ 2005, 927, 928; SG Düsseldorf, NJW 2005, 845, 847).

Dem Antragsteller stehen keine Leistungen nach dem SGB II zu, weil er für länger als sechs Monate in einer stationären Einrichtung untergebracht ist (§ 7 Abs. 4 SGB II). Zu den stationären Einrichtungen iSd § 7 Abs. 4 SGB II gehört auch eine Justizvollzugs- oder eine Untersuchungshaftanstalt (SG Würzburg Beschluss vom 29.03.2005 - S 10 AS 27/05 ER -; vgl. auch Spellbrink in: Eicher/Spellbrink, SGB II München 2005, § 7 Rdn. 34; Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB II Loseblattsammlung, § 9 Rdn. 69; wohl auch Brühl in: LPK-SGB II , Baden Baden 2005, § 7 Rdn. 58; aA LSG Schleswig Holstein Beschluss vom 14.11.2005 - L 9 B 260/05 SO ER - ; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 07.03.2006 - L 7 AS 423/05 ER -). Zeiten der Haft und ein sich direkt im Anschluss an die Haft anschließender Aufenthalt in einer Fachklinik zur Drogenentwöhnung sind zusammenzurechnen (aA SG Nürnberg Beschluss vom 09.05.2005 - S 20 SO 106/05 ER -).

Im SGB II findet sich keine Definition, was unter stationären Einrichtungen zu verstehen ist. Bei der Auslegung dieser Bestimmung kann auch nicht auf Vorschriften des SGB XII zurückgegriffen werden, sodass insbesondere unerheblich ist, ob eine Justizvollzugsanstalt eine stationäre Einrichtung iSd § 13 SGB XII ist. Die Regelung in § 7 Abs. 4 SGB II ist vielmehr im Zusammenhang mit § 5 Abs. 2 SGB II und § 21 SGB XII zu interpretieren. Diese Bestimmungen schließen für Personen, die erwerbsfähig sind, Leistungen nach dem SGB XII aus (§ 7 Abs. 1 Nr. 2 SGB II). Da auch in stationären Einrichtungen Untergebrachte erwerbsfähig sein können, weil es nach der Definition der Erwerbsfähigkeit in § 8 Abs. 1 SGB II lediglich darauf ankommt, ob der Hilfesuchende aus gesundheitlichen Gründen auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (LSG Nordrhein-Westfalen aaO), kämen für sie die Leistungen der Sozialhilfe nach § 35 SGB XII wegen § 5 Abs. 2 SGB II nicht in Betracht. Vor diesem Hintergrund ist § 7 Abs. 4 Hs. 1 SGB II als gesetzliche Fiktion der Nichterwerbsfähigkeit auszulegen (Spellbrink in: Eicher/Spellbrink, SGB II München 2005, § 7 Rdnr. 33). Wer somit länger als sechs Monate in einer stationären Einrichtung untergebracht ist oder voraussichtlich länger als sechs Monate untergebracht sein wird, ist von vornherein nicht nur nicht leistungsberechtigt nach dem SGB II, sondern auch nicht erwerbsfähig iSd § 8 Abs. 1 SGB II; für ihn greift der Ausschluss des Sozialhilfeanspruchs gemäß § 5 Abs. 2 SGB II i.V.m. § 21 SGB XII damit nicht durch (Spellbrink aaO). Als Einrichtung iSd § 7 Abs. 4 Hs. 1 SGB II kann jede vollstationäre Einrichtung aufgefasst werden, in der der Einrichtungsträger von der Aufnahme bis zur Entlassung des Hilfebedürftigen die Gesamtverantwortung für dessen tägliche Lebensführung übernimmt und Gemeinschaftseinrichtungen vorhanden sind (Spellbrink aaO Rdnr. 34). Diese Voraussetzungen sind bei einer Justizvollzugsanstalt, in der der Hilfebedürftige eine Strafhaft verbüßt, erfüllt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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