L 3 AL 1948/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 8 AL 1899/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AL 1948/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Sofern der Leistungsempfänger selbst wahrheitsgemäße und vollständige Angaben gemacht hat, darf er im Regelfall darauf vertrauen, dass eine Fachbehörde diese Angaben zutreffend umsetzt, weshalb der Vorwurf grober Fahrlässigkeit eine für ihn nach der Fassung des Bescheids augenfällige Rechtswidrigkeit der Regelung voraussetzt (Anschluss an BSG, Urteil vom 08.02.2001 - B 11 AL 21/00 R -, SozR 3-1300 § 45 Nr 45 = FEVS 52, 494-499).
2. In diesen Fällen darf der Leistungsempfänger regelmäßig davon ausgehen, dass jedenfalls ein solcher "ins Auge springender" Fehler - bei erneuter Prüfung durch die Fachbehörde nicht unentdeckt bleibt und diese einen solchen Fehler zumindest nicht wiederholt.
3.Bei einer wiederum mit demselben Fehler behafteten erneuten Leistungsbewilligung durch die Fachbehörde lässt sich daher der Vorwurf einer grob fahrlässigen Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes in der Regel für die Zukunft nicht mehr begründen.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 07. April 2005 abgeändert. Der Bescheid der Beklagten vom 27. November 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 2004 wird aufgehoben, soweit damit die Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 25. August 2003 bis zum 23. September 2003 teilweise zurückgenommen sowie die Erstattung eines Betrages von mehr als EUR 4121,06 gefordert worden ist.

Die Beklagte hat dem Kläger die bis zur Teilrücknahme der Berufung angefallenen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu 1/10 und die hernach angefallenen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zur Gänze zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen einen Rücknahme- und Erstattungsbescheid der Beklagten.

Der im Jahre 1952 geborene Kläger stand bei der Beklagten ab den achtziger Jahren wiederholt im Leistungsbezug. Nach mehreren aufeinander folgenden Beschäftigungen als Gebäudereiniger erhielt er in der Zeit vom 15.01.2001 bis zum 30.06.2001 Arbeitslosengeld in Höhe von wöchentlich DM 379,05 nach einem gerundeten wöchentlichen Bemessungsentgelt von DM 810,00. Vom 01.07.2001 bis zum 02.11.2001 übte der Kläger gegen ein monatliches Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von DM 3.200,00 eine Vollzeittätigkeit als Hausmeister/Gebäudereiniger bei der Klinik Rosengarten aus. Daneben war er im Juli 2001 stundenweise als Reinigungsaushilfe in der Klinik G. tätig. Vom 05.11.2001 bis zum 30.09.2002 war der Kläger in Vollzeit als Hausmeister/Gebäudereiniger bei der Firma Kunststoff X GmbH & Co. beschäftigt. Dort bezog er ein monatliches Bruttoarbeitsentgelt von durchschnittlich rund EUR 1.700,00. Während der Zeit vom 22.11.2001 bis zum 30.04.2002 übte er wiederum in der Klinik G. eine zusätzliche Teilzeittätigkeit als Reinigungskraft gegen ein monatliches Bruttoarbeitsentgelt von zuletzt rund EUR 120,00 aus.

Am 01.10.2002 meldete sich der Kläger bei Beklagten arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld. Hierzu legte er Arbeitgeberbescheinigungen vor, aus denen sich unter anderem das von ihm jeweils bezogene Bruttoarbeitsentgelt ergab.

Mit Bescheid vom 18.12.2002 wurde dem Kläger unter Berücksichtigung einer Urlaubsabgeltung ab dem 19.10.2002 Arbeitslosengeld in Höhe von wöchentlich EUR 260,54 nach einem gerundeten wöchentlichen Bemessungsentgelt von EUR 810,00 bewilligt. Durch Änderungsbescheid vom 10.01.2003 wurde der wöchentliche Leistungssatz unter Beibehaltung des Bemessungsentgelts und der sonstigen Leistungsmerkmale für die Zeit ab dem 01.01.2003 an die Leistungsentgeltverordnung 2003 angepasst und auf EUR 257,81 festgesetzt. Die bewilligten Leistungen bezog der ab dem 30.06.2003 arbeitsunfähig erkrankte Kläger bis zum Ablauf der Leistungsfortzahlung am 10.08.2003. Hernach erhielt er bis zum 24.08.2003 Krankengeld unter Zugrundelegung eines ungekürzten Regelentgelts von kalendertäglich EUR 92,00.

Am 18.08.2003 meldete sich der Kläger erneut arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe. Dabei gab er unter Vorlage entsprechender Bankbescheinigungen an, er verfüge über Bankguthaben von insgesamt rund EUR 1.600. Nach Beendigung der Arbeitsunfähigkeit am 24.08.2003 wurde dem Kläger mit Bescheid vom 29.08.2003 ab dem 25.08.2003 wiederum Arbeitslosengeld in Höhe von wöchentlich EUR 257,81 nach einem gerundeten wöchentlichen Bemessungsentgelt von EUR 810,00 bewilligt. Diese Leistung bezog er bis zur Erschöpfung des Anspruchs am 23.09.2003.

Im Zuge des nachfolgenden Verfahrens zur Bewilligung von Arbeitslosenhilfe ermittelte die Beklagte für den Kläger ein Bemessungsentgelt von wöchentlich EUR 414,09 auch bezogen auf die vorangegangenen Leistungszeiträume vom 19.10.2002 bis zum 23.09.2003 und gewährte demgemäß ab dem 24.09.2003 Arbeitslosenhilfe nach einem verringerten Bemessungsentgelt.

Nach erfolgter Anhörung des Klägers nahm die Beklagte mit Bescheid vom 27.11.2003 die Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 19.10.2002 bis zum 10.08.2003 sowie für die Zeit vom 25.08.2003 bis zum 23.09.2003 teilweise zurück und forderte den Kläger zur Erstattung zu Unrecht gezahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von EUR 4536,86 auf. Zur Begründung wurde ausgeführt, durch einen Berechnungsfehler seien die der Leistung zu Grunde liegenden Berechnungsdaten nicht von DM-Beträgen in Euro-Beträge umgerechnet worden, so dass dem Kläger eine zu hohe Leistung bewilligt worden sei. Er habe auf Grund der Höhe der bewilligten Leistung mit einfachsten und ganz nahe liegenden Überlegungen erkennen können, dass ihm Arbeitslosengeld in dieser Höhe nicht zugestanden habe. Denn die bewilligte Leistung nach der Euro-Umstellung könne nicht höher sein, als die zuletzt gezahlte Leistung. Sofern er den Fehler nicht erkannt habe, weil er das ihm ausgehändigte Merkblatt für Arbeitslose nicht gelesen habe, sei dies als grobe Fahrlässigkeit zu bewerten.

Der Kläger erhob Widerspruch, zu dessen Begründung er vortrug, er sei von der Richtigkeit der Bewilligungsbescheide ausgegangen, nachdem er selbst zutreffende Angaben gemacht habe. Angesichts der von ihm im Jahre 2001 parallel und mit zwei verschiedenen Steuerklassen ausgeübten Beschäftigungen habe er auch nicht abschätzen können, in welcher Höhe ein Anspruch auf Arbeitslosengeld bestanden habe. Schließlich sei auch der Unterschied zwischen den ihm bewilligten und den ihm zustehenden Leistungen nicht so groß, dass ihm dies hätte auffallen müssen. Eine grob fahrlässige Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit der Bewilligungsentscheidungen liege daher nicht vor.

Unter dem 19.03.2004 wies die Beklagte den Kläger auf seinen früheren Arbeitslosengeldbezug nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von DM 810,00 sowie sein nachfolgendes Bruttogehalt in Höhe von EUR 1700,00 hin und teilte mit, es sei nicht nachvollziehbar, dass dem Kläger das in Ansatz gebrachte, von ihm in der Vergangenheit nie auch nur annähernd erzielte wöchentliche Bemessungsentgelt von EUR 810,00 (EUR 3500,00 im Monat) nicht aufgefallen sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.05.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Diese Entscheidung wurde am 12.05.2004 zur Post gegeben und ging am 17.05.2004 in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten des Klägers ein.

Am 17.06.2004 hat der Kläger beim Sozialgericht Reutlingen Klage erhoben und die Aufhebung der Rücknahme- und Erstattungsentscheidungen der Beklagten begehrt.

Mit Urteil vom 07.04.2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe die Rechtswidrigkeit der zu hohen Bewilligung des Arbeitslosengeldes infolge grober Fahrlässigkeit nicht erkannt. Ihm habe auffallen müssen, dass er bis zum 30.06.2001 Arbeitslosengeld nach einem Bemessungsentgelt von DM 810,00 und ausweislich der Bescheide vom 18.12.2002, vom 10.01.2003 sowie vom 29.08.2003 nach einem Bemessungsentgelt in Höhe desselben Betrages, nunmehr aber in Euro, erhalten habe, zumal der Zahlbetrag im Bereich seines bis zum 01.10.2002 erzielten Nettogehalts gelegen habe. Dass ihm Arbeitslosengeld nur in Höhe von etwa 60 Prozent des letzten Nettoarbeitsentgelt zugestanden habe, sei dem Kläger bekannt gewesen. Demgemäß habe er in der mündlichen Verhandlung auch eingeräumt, dass ihm bei Erhalt des Änderungsbescheides vom Januar 2003 die Bewilligung einer demgegenüber deutlich erhöhten Leistung aufgefallen sei. Soweit er angenommen habe, dies beruhe auf seiner Nebenbeschäftigung und sich mit dieser Erklärung zufrieden gegeben habe, liege ein besonders schwerwiegender Sorgfaltsverstoß vor.

Gegen die am 14.04.2005 zugestellte Entscheidung hat der Kläger am 12.05.2005 Berufung eingelegt und im wesentlichen sein bisheriges Vorbringen wiederholt.

Mit Beschluss vom 24.01.2006 - L 3 AL 1946/05 PKH-A - hat der Senat dem Kläger wegen Bestehens einer hinreichenden Erfolgsaussicht seines gegen die Teilrücknahme der Leistungsbewilligung für den Zeitraum vom 25.08.2003 bis zum 23.09.2003 sowie das dementsprechende Erstattungsverlangen der Beklagten gerichteten Anfechtungsbegehrens anteilig Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren bewilligt.

Daraufhin hat der Kläger sein Berufungsbegehren beschränkt. Er beantragt nunmehr sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 07. April 2005 abzuändern und den Bescheid der Beklagten vom 27. November 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 2004 aufzuheben, soweit damit die Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 25. August 2003 bis zum 23. September 2003 teilweise zurückgenommen sowie die Erstattung eines Betrages von mehr als EUR 4121,06 gefordert worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, durch den Krankengeldbezug des Klägers sei keine leistungsrelevante Änderung eingetreten. Unter Berücksichtigung der vorangegangenen Bewilligungsbescheide habe der Kläger, der durch seinen wiederholten Leistungsbezug über entsprechende Kenntnisse verfüge, daher ohne weiteres erkennen können, dass der Bewilligungsbescheid vom 29.08.2003 fehlerhaft sein müsse. Die Höhe des Bemessungsentgelts habe ihm Anlass geben müssen, Richtigkeitsüberlegungen anzustellen und entsprechende Nachfragen bei der Arbeitsverwaltung zu tätigen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten, die beigezogenen Leistungsakten der Beklagten sowie die gleichfalls beigezogenen Akten des Sozialgerichts Reutlingen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet im erklärten Einverständnis der Beteiligten sowie in Anwendung des ihm danach gesetzlich eingeräumten Ermessens ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Der Kläger erstrebt nach zulässiger Beschränkung seines Berufungsbegehrens (vgl. § 153 Abs. 1, § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG) und damit einhergehender Teilrücknahme des Rechtsmittels (§ 156 Abs. 1 Satz 1 SGG; vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005 Rdnr. 2 zu § 156) die Abänderung des i. Ü. in Rechtskraft erwachsenden klagabweisenden Urteils des Sozialgerichts sowie die Aufhebung der angegriffenen Bescheide allein noch insoweit, als diese die Teilrücknahme der Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 25.08.2003 bis zum 23.09.2003 und das den Betrag von EUR 4121,06 überschreitende Erstattungsverlangen der Beklagten betreffen.

Die danach vom Kläger allein weiter verfolgte Berufung ist auch in Ansehung des § 144 SGG zulässig. Denn das mit der Beschränkung der ursprünglich zulassungsfreien Berufung einhergehende Sinken des Beschwerdewerts zieht keinen - gleichsam nachträglichen - Zulassungsbedarf nach sich (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a. a. O., Rdnr. 19 zu § 144).

Das Berufungsbegehren des Klägers hat auch in der Sache Erfolg. Der Rücknahme- und Erstattungsbescheid der Beklagten vom 27.11.2003 und deren Widerspruchsbescheid vom 12.05.2004 sind im zur Entscheidung des Gerichts gestellten Umfang rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Sie sind damit insoweit aufzuheben; das dem entgegenstehende Urteil des Sozialgerichts vom 07.04.2005 ist entsprechend abzuändern.

Rechtsgrundlage der angefochtenen Behördenentscheidungen ist § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X -. Nach dieser Vorschrift darf ein begünstigender Verwaltungsakt, soweit er rechtswidrig ist, auch nach Unanfechtbarkeit, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X schließt die Rücknahme aus, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Letzteres ist nach § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X in der Regel der Fall, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte gem. § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X hingegen nicht berufen, soweit er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat (Nr. 1), der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (Nr. 2), oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (Nr. 3). Nur in diesen Fällen, sowie bei Vorliegen von Wiederaufnahmegründen entsprechend § 580 Zivilprozessordnung - ZPO - wird der Verwaltungsakt gemäß § 45 Abs. 4 SGB X mit Wirkung (auch) für die Vergangenheit zurückgenommen, wobei diese Entscheidung im Ermessen der Behörde steht. Allerdings bestimmt § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - SGB III -, dass ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt in den Fällen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X zwingend mit Wirkung auch für die Vergangenheit zurückzunehmen ist. Bei der Rücknahme eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung und im Falle der Rücknahme eines Verwaltungsakts für die Vergangenheit sind dabei die Fristen des § 45 Abs. 3 und Abs. 4 SGB X zu beachten.

In Anwendung dieser Grundsätze ist die Beklagte zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die zu Gunsten des Klägers erfolgte Bewilligung von Arbeitslosengeld im von ihr geltend gemachten Umfang (auch) bezogen auf den allein noch entscheidungserheblichen Zeitraum von Beginn an teilweise rechtswidrig war. Darüber hinaus ist die dementsprechende Rücknahmeentscheidung auch fristgerecht erfolgt. Dies hat das Sozialgericht im Urteil vom 07.04.2005 ausführlich und fehlerfrei dargelegt; hierauf wird verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG).

Indes steht der noch streitigen Teilrücknahme der Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 25.08.2003 bis zum 23.09.2003 ein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers in den Bestand des Bewilligungsbescheides entgegen (§ 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X). Zum einen besteht angesichts der Vermögensverhältnisse des Klägers kein Zweifel an einem Verbrauch der erbrachten Leistungen (45 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Zum anderen vermag sich der Kläger auch in Ansehung des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X auf den von ihm geltend gemachten Vertrauensschutz zu berufen. Denn eine hier allein in Betracht kommende grob fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides vom 29.08.2003 (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X) liegt nicht vor:

Grobe Fahrlässigkeit i. S. des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X setzt nach der in dieser Vorschrift enthaltenen Legaldefinition voraus, dass der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Dies ist dann der Fall, wenn die in der fraglichen Personengruppe herrschende Sorgfaltspflicht in ungewöhnlich hohem Maße verletzt worden ist, wenn schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt worden sind und daher nicht beachtet worden ist, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff). Dabei ist auch in subjektiver Hinsicht ein gegenüber einfacher Fahrlässigkeit gesteigertes Verschulden nötig. Der Versicherte muss danach unter Berücksichtigung seiner individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit seine Sorgfaltspflichten in außergewöhnlich hohem Maße verletzt haben. Bezugspunkt für das grob fahrlässige Nichtwissen ist schon nach dem Wortlaut des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, also das Ergebnis der Tatsachenfeststellung und Rechtsanwendung durch die Behörde. Allerdings können "Fehler im Bereich der Tatsachenermittlung oder im Bereich der Rechtsanwendung", auch wenn sie nicht Bezugspunkt des grob fahrlässigen Nichtwissens sind, Anhaltspunkt für den Begünstigten sein, die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes selbst zu erkennen. Voraussetzung dafür ist aber, dass sich die tatsächlichen oder rechtlichen Mängel aus dem Bewilligungsbescheid oder anderen Umständen ergeben und für das Einsichtsvermögen des Betroffenen ohne weiteres erkennbar sind. Dabei besteht zu Lasten des durch einen Verwaltungsakt Begünstigten die aus dem Sozialrechtsverhältnis herzuleitende Obliegenheit, den erteilten Bewilligungsbescheid zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen (vgl. zu alledem BSG, Urteil vom 08.02.2001 - B 11 AL 21/00 R -, SozR 3-1300 § 45 Nr 45 = FEVS 52, 494-499 m. w. N.; von Wulffen, SGB X, 5. Aufl. 2005, RdNr. 24 zu § 45).

In Ansehung dessen beruhte zwar die Unkenntnis des Klägers von der teilweisen Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Bewilligung von Arbeitslosengeld im Anschluss an seine am 01.10.2002 eingetretene Arbeitslosigkeit auf einem besonders schwerwiegenden Sorgfaltspflichtverletzung. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass ein Antragsteller, der - wie hier - zutreffende und vollständige Angaben gemacht hat, davon ausgehen darf, dass eine Fachbehörde nach den für die Leistung erheblichen Tatsachen fragt und seine wahrheitsgemäßen Angaben zutreffend umsetzt, so dass er im allgemeinen selbst dann nicht gehalten ist, Bewilligungsbescheide des Näheren auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, wenn er durch abstrakte Erläuterungen in Merkblättern über seine Rechte und Pflichten aufgeklärt worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 08.02.2001, a. a. O.). Denn dem Kläger als erfahrenem Leistungsempfänger musste sich bei Erhalt des Bewilligungsbescheides vom 18.12.2002 schon angesichts des überhöhten wöchentlichen Bemessungsentgelts aufdrängen, dass die bewilligten Leistungen fehlerhaft zu hoch berechnet waren. Zutreffend hat das Sozialgericht insoweit auch darauf abgehoben, dass sich der Kläger nicht ohne grob fahrlässigen Sorgfaltspflichtverstoß mit der Erklärung zufrieden geben durfte, die Höhe des Bemessungsentgelts beruhe auf seiner – eher geringfügigen - Nebenbeschäftigung. Vielmehr war er gehalten, sich über die Rechtmäßigkeit der Zahlung durch Rückfrage bei der Beklagten Gewissheit zu verschaffen (vgl. von Wulffen, a. a. O., RdNr. 24 zu § 45).

Anders verhält es sich jedoch - zum Teil - hinsichtlich der nachfolgenden Leistungsbescheide der Beklagten.

Soweit nämlich die zuständige Behörde die getroffene Entscheidung und damit ein - durch zutreffende Angaben begründetes - Vertrauen des Leistungsempfängers in die Richtigkeit derselben von sich aus bestätigt (vgl. zur behördlicherseits erfolgten Vertrauensbestätigung BSG, Urteil vom 14.06.1984 - 10 RKg 5/83 -, SozR 1300 § 45 Nr. 9; Sächsisches LSG, Urteil vom 02.09.2003 - L 6 V 7/03 -, zit. nach juris) lässt sich der Vorwurf einer grob fahrlässigen Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes in der Regel für die Zukunft nicht mehr begründen. Sofern nämlich der Leistungsempfänger selbst wahrheitsgemäße und vollständige Angaben gemacht hat, darf er nicht nur im Regelfall darauf vertrauen, dass eine Fachbehörde diese Angaben zutreffend umsetzt, weshalb der Vorwurf grober Fahrlässigkeit eine für ihn nach der Fassung des Bescheids augenfällige Rechtswidrigkeit der Regelung voraussetzt (vgl. BSG, Urteil vom 08.02.2001, a. a. O.). Vielmehr darf er regelmäßig davon ausgehen, dass jedenfalls ein solcher "ins Auge springender" Fehler - bei erneuter Prüfung durch die zur Entscheidung über seinen Leistungsanspruch berufene fachkundige Behörde nicht unentdeckt bleibt und die Fachbehörde daher einen solchen Fehler zumindest nicht wiederholt. Insbesondere bei einer wiederum mit demselben Fehler behafteten erneuten Bewilligung ist mithin außer in Sonderfällen - wie beispielsweise im Falle eines überlegenen Wissens des Leistungsempfängers - auch das Unterlassen eines Hinweises gegenüber der Behörde bzw. einer Rückfrage bei derselben grundsätzlich nicht (mehr) in besonders schweren Maße pflichtwidrig. Vielmehr trifft den Leistungsempfänger insoweit eine nur noch verminderte Sorgfaltsobliegenheit, so dass er für die Zukunft regelmäßig jedenfalls ohne besonders schwerwiegenden Sorgfaltsverstoß davon ausgehen darf, dass die behördlicherseits bestätigte Entscheidung rechtmäßig ist.

Danach war das Verschulden des Klägers allerdings nicht schon dadurch - für die Zukunft - rechtserheblich gemindert, dass die Beklagte das genannte wöchentliche Bemessungsentgelt im Änderungsbescheid vom 10.01.2003 erneut aufgeführt hat. Denn dieser Bescheid betraf allein die Anpassung der Leistungen an die Leistungsentgeltverordnung 2003; eine erneute Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen und der Leistungsmerkmale lag ihm demgegenüber - ohne weiteres ersichtlich - nicht zu Grunde (vgl. zum begrenzten Regelungsgehalt von Anpassungsbescheiden BSG, Urteile vom 27.07.2000 - B 7 AL 88/99 R -, SozR 3-1300 § 45 Nr. 42 und vom 04.02.1998 - B 9 V 24/96 R -, SozR 3-1300 § 45 Nr. 39).

Abweichendes gilt hingegen mit Blick auf den Bescheid vom 29.08.2003. Hierbei handelte es sich nämlich nicht um eine bloße Anpassung einer bereits erfolgten Leistungsbewilligung sondern um eine im Anschluss an eine längerfristige Arbeitsunfähigkeit des Klägers und ein Auslaufen der Leistungsfortzahlung erfolgte Wiederbewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 25.08.2003 bis zum 23.09.2003. Angesichts der Gesetzesbindung der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz -GG-) war die Beklagte daher gehalten, die Rechtmäßigkeit der Bewilligung vor Erlass dieser Entscheidung neu zu prüfen. Nachdem der Wiederbewilligungsbescheid vom 29.08.2003 das in den vorangegangenen Verwaltungsentscheidungen angeführte Bemessungsentgelt bestätigt hatte, lässt sich dem Kläger, der - wie oben angeführt - wahrheitsgemäße und vollständige Angaben gemacht hatte, daher eine grob fahrlässige Unkenntnis der Teilrechtswidrigkeit der ihm für die Zeit vom 25.08.2003 bis zum 23.09.2003 bewilligten Leistung nicht vorwerfen. Denn für das Vorliegen eines sein (grob fahrlässiges) Verschulden gleichwohl begründenden Sonderfalls bestehen keine Anhaltspunkte. Derartiges ergibt sich insbesondere nicht aus der langjährigen Erfahrung des Klägers im Leistungsbezug der Beklagten. Auch unter Berücksichtigung seiner daraus erwachsenen Kenntnisse musste sich dem Kläger nämlich nicht aufdrängen, dass der von ihm - nach den zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts - nicht positiv erkannte Fehler bei Erlass der erneuten Bewilligungsentscheidung nicht nur unentdeckt bleiben konnte sondern darüber hinaus tatsächlich unentdeckt geblieben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Revision ist zuzulassen, da der Frage des regelmäßigen Ausschlusses der grob fahrlässigen Unkenntnis des Leistungsempfängers von der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts bei nach erneuter Prüfung erfolgter Bestätigung desselben durch die zuständige Fachbehörde grundsätzliche Bedeutung zukommt (§ 160 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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