L 11 KR 3876/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 12 KR 3693/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3876/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Krankenkasse kann bei freiwillig versicherten selbständig Erwerbstätigen den Krankengeldanspruch durch Satzungsänderung dahingehend einschränken, dass zukünftig erst ab dem 22. Tag und nicht wie bisher ab dem 8. Tag der Arbeitsunfähigkeit Krankengeld gezahlt wird.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. Juni 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger zwischen dem 8. und 21. Tag der Arbeitsunfähigkeit (AU) Krankengeld (Krg) zu gewähren hat. Im Einzelnen handelt es sich um die Zeit vom 20.08. bis 27.08.2002, 08.09. bis 19.09.2002, 07.10. bis 21.10.2002 und vom 17.03. bis 30.03.2003.

Der Kläger war zwischen dem 01.06.1995 und 15.03.2005 bei der Beklagten als Selbständiger freiwillig krankenversichert. Er war zunächst in die Beitragsklasse 671 mit Anspruch auf Krg ab dem 8. Tag der AU eingestuft. Mit dem siebten Nachtrag zur Satzung der Beklagten vom 01.01.2000 wurde mit Wirkung ab 01.01.2002 § 21 Abs. 3 der Satzung dahingehend geändert, dass der Anspruch auf Krg für Selbständige unter anderem der Beitragsklasse 671 erst am 22. Tag der AU beginnt. Die Satzungsbestimmung wurde vom Bundesversicherungsamt genehmigt. Mit Schreiben, datiert "im Dezember 2001", teilte die Beklagte dem Kläger diese Änderung mit. Ergänzend wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass er auch eine Beitragsklasse ohne Krg-Anspruch oder mit einem Krg-Anspruch ab dem 43. Tag der AU wählen könne. Der Kläger hat hierauf nicht reagiert. Auf die Änderung wurde auch in der Zeitschrift TK aktuell 1/2002 hingewiesen. Außerdem wurde die Satzung ausgehängt.

Zwischen dem 13.08.2002 und 27.08.2002 war der Kläger wegen Rückenbeschwerden, vom 30.08.2002 bis 23.09.2002 wegen eines chronischen Hautdefekts, ab 30.09.2002 bis 24.02.2003 wegen akuter Bronchitis und Entzündung der Nasennebenhöhlen und ab 10.03.2003 wegen Bronchitis und einer depressiven Episode arbeitsunfähig krank. Für die jeweiligen Zeiträume bezahlte die Beklagte dem Kläger Krg jeweils ab dem 22. Tag der AU.

Mit Schreiben vom 19.11.2002 beantragte der Kläger Krg für die Zeit zwischen dem 8. und 21. Tag der AU. Er wies darauf hin, dass er nach dem von ihm abgeschlossenen Versicherungsvertrag einen Anspruch auf Krg ab dem 8. Tag der AU habe.

Mit Bescheid vom 28.11.2002 lehnte die Beklagte einen entsprechenden Anspruch des Klägers unter Hinweis auf die Verlegung des Krg-Anspruchs vom 8. auf den 22. Tag ab. Die Änderung sei durch den siebten Satzungsnachtrag erfolgt. Eine derartige Satzungsänderung sei nach § 44 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zulässig. Dies habe das Bundessozialgericht (BSG) bereits in seinem Urteil vom 28.09.1993 - 1 RK 34/92 - entschieden.

Seinen dagegen erhobenen Widerspruch begründete der Kläger damit, dass er freiwilliges Mitglied der Beklagten sei und mit ihr letztendlich einen zivilrechtlichen Vertrag abgeschlossen habe. Eine Änderung dieses Vertragsverhältnisses könne nicht allein durch Änderung der Satzung bewirkt werden. Hierfür hätte es einer Vertragsaufhebung oder Vertragsänderung bedurft. Dies sei jeweils nicht erfolgt. Dass Vertragsänderungen durch Krankenkassen nicht einseitig vorgenommen werden dürften, habe das Sozialgericht Stuttgart (SG) in Rechtsstreitigkeiten unter anderem gegen die AOK B.W. bereits entschieden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.06.2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Mit dem siebten Nachtrag zur Satzung der Beklagten vom 01.01.2000 sei mit Wirkung zum 01.01.2002 § 21 Abs. 3 der Satzung geändert worden. Danach entstehe für Selbständige der Beitragsklassen 671 und 676 der Krg-Anspruch nunmehr erst am 22. Tag der AU. Aus diesem Grund werde erst ab dem 22. Tag der AU Krg bezahlt. Das BSG habe in seinem Urteil vom 28.09.1993 - 1 RK 34/92 - festgestellt, dass Satzungsvorschriften, die für freiwillige Mitglieder den Anspruch auf Krg erst zu einem späteren Zeitpunkt nach Eintritt der AU entstehen lassen würden, zulässig seien und nicht gegen das Grundgesetz verstoßen würden. Aufgrund der gesetzlichen Ermächtigung müssten freiwillig Versicherte davon ausgehen, dass die Krankenkasse gegebenenfalls in ein bestehendes Versicherungsverhältnis - auch nachteilig - eingreife. Durch die Einschränkung der Krg-Anspruchsberechtigung würden die sozialen Belange der freiwillig Versicherten gewahrt. Mit Beschluss vom 27.06.2000 - B 1 KR 64/99 B - habe das BSG seine Rechtsprechung bestätigt.

Deswegen erhob der Kläger Klage zum SG, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Er hält daran fest, dass die Beklagte auch kraft Satzungsrecht keineswegs das Recht habe, nach ihrem Belieben über Ansprüche ihrer Mitglieder zu befinden und einseitig aufgrund Beschluss und Satzungsänderung bestehende Rechtsverhältnisse zu ändern. Eine einseitige und rechtswidrige, vollzogene Änderung auf einen späteren Beginn des Krg sei nicht zulässig und müsse rückgängig gemacht werden. Es müsse grundsätzlich auch nach der Satzung der Beklagten davon ausgegangen werden, dass es bei so genannten "Altversicherten" beim Anspruch auf Krg ab dem jeweiligen 8. Tag der AU für die Dauer der Mitgliedschaft verbleibe. Die Beklagte vermöge nicht aufzuzeigen und plausibel zu begründen, weshalb ein Anspruch auf Krg erst von einem späteren Zeitpunkt an gezahlt werden soll. Im übrigen erscheine es zweifelhaft, ob die Verhältnismäßigkeit gewahrt sei. In seine schutzwürdige Position und das entgegengebrachte Vertrauen dürfe nicht ohne weiteres zu seinen Lasten eingegriffen werden.

Auf Nachfrage des SG teilte der Kläger mit, dass es zutreffe, dass das SG entsprechende Rechtsstreitigkeiten bisher nicht entschieden habe. Die von seinem Klägerbevollmächtigten geführten Verfahren seien ohne Urteil beendet worden.

Die Beklagte legte auf Anforderung des SG das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 04.12.2003 - S 3 KR 223/02 - und ihre Satzung vom 01.01.2002 einschließlich des 1. bis 7. Nachtrags zur Satzung vom 01.01.2000 vor. Ergänzend führte die Beklagte aus, dass ein Verfahren gleich gelagerten Inhalts vor dem Sozialgericht Düsseldorf mit einer Klagerücknahme geendet habe (S 34 KR 111/02). Außerdem legte sie ein Textmuster des Rundschreibens vom Dezember 2001 vor.

Das Sozialgericht Speyer gab bekannt, dass das Urteil S 3 KR 223/02 rechtskräftig sei.

Der Kläger führte hierzu aus, dass die beiden erstinstanzlichen sozialgerichtlichen Urteile nicht einschlägig seien. Es gehe in seinem Fall nicht um die Berechtigung zur Satzungsgebung oder Änderung, sondern darum, ob ein Vertrag einseitig geändert werden dürfe.

Mit Urteil vom 21.06.2005, den Bevollmächtigten des Klägers zugestellt am 25.08.2005, wies das SG die Klage ab. Die Beklagte sei nicht verpflichtet, den Kläger über den 31.12.2001 hinaus mit einem Krg-Anspruch ab dem 8. Tag der AU zu versichern. Dies ergebe sich aus der grundlegenden Entscheidung des BSG vom 28.09.1993 (- 1 RK 34/02 -). Die geänderte Satzung sei durch § 44 Abs. 2 SGB V gedeckt. Weder die Satzungsbestimmung noch die Ermächtigungsnorm des § 44 Abs. 2 SGB V stünden im Widerspruch zu höherrangigem Recht. Ein Verstoß gegen Artikel 3 Abs. 1, 14 Abs. 1 Satz 1 und 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) liege nicht vor.

Hiergegen richtet sich die am 19.09.2005 eingelegte Berufung des Klägers. Zur Begründung beruft er sich im wesentlichen auf sein bisheriges Vorbringen. Er hat ein aufklärendes Schreiben des SG im Verfahren S 8 KR 1885/00 und eine Entscheidung des Sozialgerichts Aachen vom 20.05.2005 - S 6 KR 57/04 - vorgelegt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. Juni 2005 und die Bescheide der Beklagten "im Dezember 2001" und vom 28. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Juni 2003 aufzuheben und ihm über den 1. Januar 2002 hinaus Krg zwischen dem 8. und 21. Tag der Arbeitsunfähigkeit, im Einzelnen vom 20.08. bis 27.08.2002, 08.09. bis 19.09.2002, 07.10. bis 21.10.2002 und vom 17.03. bis 30.03.2003 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig.

Der Senat hat die Akten des SG S 8 KR 1885/00 beigezogen und auf die weitere Entscheidung des BSG vom 14.06.2004 - B 1 KR 68/02 B und die Entscheidungen des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13.06.2002 - L 16 KR 90/01 - und Rheinland-Pfalz vom 09.11.2000 - L 5 KR 39/99 - und vom 22.09.1999 - L 5 K 47/98 - hingewiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz, die Akten des SG S 8 KR 1885/00 und die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und insbesondere nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG statthaft, da die geltend gemachten Krg-Forderungen die erforderliche Berufungssumme von 500,- EUR übersteigen und wiederkehrende Leistungen im Streit sind.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Urteil des SG ist nicht zu beanstanden. Die angefochtenen Bescheide sind nicht rechtswidrig, der Kläger hat ab 01.01.2002 Anspruch auf Krg erst ab dem 22. Tag der AU. In den im Einzelnen beantragten Zeiträumen ist ihm kein Krg zu gewähren.

Die an die Zulässigkeit der Klage zu stellenden Anforderungen und die Voraussetzungen der §§ 44 Abs. 2 und 194 Abs. 2 SGB V sowie der Artikel 3, 14 und 20 GG sind im Urteil ebenso wie § 21 Abs. 3 der ab 01.01.2002 geltenden Satzung der Beklagten zutreffend dargestellt. Darauf wird verwiesen.

In Ansehung dieser rechtlichen Gegebenheiten hat der Kläger wie vom SG im Urteil ausführlich und zutreffend begründet, keinen Anspruch auf Gewährung von Krg ab 01.01.2002 in den von ihm begehrten Zeiträumen zwischen dem achten und 21. Tag der AU. Der Senat schließt sich den überzeugenden Ausführungen des SG, die im Einklang mit der Entscheidung des BSG vom 28.09.1993 - 1 RK 34/92 - stehen und vom BSG in den Beschlüssen vom 27.06.2000 - B 1 KR 64/99 B - und vom 14.06.2004 - B 1 KR 68/02 B - bestätigt wurden, in vollem Umfang an und sieht deswegen insoweit von einer weiteren Darstellung seiner Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass vorliegend auch das Schreiben der Beklagten "im Dezember 2001", in dem das geänderte Satzungsrecht konkretisiert wurde, einen Verwaltungsakt darstellt. Dieser Verwaltungsakt ist nicht bestandskräftig geworden. Er wurde zwar nicht innerhalb der Monatsfrist des § 84 Abs. 1 SGG mit Rechtsmitteln angegriffen. Er ist aber gleichwohl nicht bindend geworden, weil ihm die nach § 66 Abs. 1 SGG erforderliche Rechtsmittelbelehrung fehlt und damit nur die Jahresfrist des § 66 Abs. 2 SGG in Gang gesetzt worden ist. Innerhalb dieser Frist, die, nachdem das Schreiben "im Dezember 2001" zugunsten des Klägers unterstellt spätestens am 31.12.2001 abgesandt wurde und damit dem Kläger am 04.01.2002 zuging, frühestens zum 04.01.2003 abgelaufen wäre, hat sich der Kläger gegen die Satzungsänderung gewehrt. Der Widerspruch vom 09.12.2002 gegen den Bescheid vom 28.11.2002, der die Satzungsänderung ausführte, richtete sich auch gegen das Schreiben "im Dezember 2001". Der Kläger hat damit rechtzeitig zu erkennen gegeben, dass er die Satzungsänderung nicht gegen sich gelten lassen will und insoweit eine Überprüfung begehrt. Gegenstand des Verfahrens ist damit auch der Bescheid der Beklagten "im Dezember 2001".

Eine solche Satzungsänderung ist der Beklagten bezugnehmend auf die erwähnten Entscheidungen des BSG und die Urteile der Landessozialgerichte für das Land Nordrhein-Westfalen vom 13.06.2002 -L 16 KR 90/01- und des Landes Rheinland-Pfalz vom 22.09.1999 -L 5 K 47/98- nicht verwehrt. Hiergegen kann insbesondere nicht eingewandt werden, dass eine freiwillige Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung durch zivilrechtlichen zweiseitigen Vertrag, der nicht einseitig geändert werden könne, zustande komme. Die Mitgliedschaft Versicherungsberechtigter ist öffentlich-rechtlich geregelt. Sie wird nicht durch Vertrag begründet (vgl. BSG Urteil vom 04.11.1992 -1 RK 5/92- in SozR 3-2500 § 47 Nr. 3). Vielmehr kommt sie nach Abgabe einer Beitrittserklärung nach § 188 SGB V durch einen diese Mitgliedschaft feststellenden Verwaltungsakt mit Dauerwirkung zustande. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine solche Änderung stellt der siebte Nachtrag zur Satzung der Beklagten vom 01.01.2000 dar. Die Änderung der Kassensatzung ist - wie das SG ausführlich begründet hat - durch § 44 Abs. 2 SGB V gedeckt und verstößt nicht gegen das Verfassungsrecht. Insbesondere erfolgte auch keine rückwirkende Änderung des Krg-Anspruchs des Klägers. Vielmehr verbleibt es bei der bis 31.12.2001 erfolgten Krg-Zahlung ab dem achten Tag der AU, erst ab 01.01.2002 und damit zukünftig beginnt die Zahlung von Krg erst ab dem 22. Tag der AU. Auf diese Änderung seines Anspruchs kann sich der Kläger einstellen.

Soweit sich der Kläger auf gleichgelagerte vor dem SG geführte Verfahren beruft, ist festzustellen, dass es sich insoweit nicht um vergleichbare Konstellationen handelte. Im Streit war im Verfahren S 8 KR 1885/00 die Satzung der AOK Baden-Württemberg vom 01.04.1994. Diese Satzung unterschied sich von der Satzung der Beklagten in wesentlichen Punkten. Im übrigen stand damals im Vordergrund des Streits, ob der Kasse per Satzung ein Widerrufsrecht eingeräumt war und sie dieses ausüben durfte. Im zu entscheidenden Rechtsstreit ist nicht darüber zu entscheiden, ob die Beklagte widerrufen darf. Hier erfolgte die Änderung durch die Satzung und nicht durch Widerruf.

Die Berufung des Klägers ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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