L 10 U 4793/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 3 U 1443/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 4793/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein hauptberuflich als Bauarbeiter tätiger Vereinsvorstand steht bei der nach Feierabend durchgeführten Kontrolle von an der vereinseigenen Halle durch Fremdfirmen ausgeführten Arbeiten nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 7. Oktober 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Umstritten ist, ob der Kläger bei einem Unfall vom 17. Mai 2004 unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand.

Der am 1956 geborene Kläger ist seit 1975 bei der Firma O. R., Bauunternehmen tätig und als Maschinist (nach eigenen Angaben gegenüber der Beklagten Vorarbeiter, nach Angaben gemäß dem Reha-Entlassungsbericht als Bagger- und LKW-Fahrer) beschäftigt.

Außerdem ist der Kläger 1. Vorsitzender des Arbeitskreises O. Vereine e.V., der wiederum Eigentümer der Mehrzweckhalle in Ö./O. ist. Diese sollte saniert und insbesondere das Hallendach erneuert werden, womit die Firma Sch. GmbH (Fa. Sch.) beauftragt war. Vereinbarungsgemäß sollten die Vereinsmitglieder und in dieser Eigenschaft auch der Kläger Eigenleistungen für den Verein, vor allem Aufräumarbeiten, erbringen.

Am 17. Mai 2004 gegen 17.00 Uhr wollte der Kläger die Arbeiten der Fa. Sch. überprüfen und die Baustelle aufräumen, nachdem die Zimmerer an diesem Tag den Anbau der Halle mit so genannten Sandwichelementen gedeckt hatten. Er verpackte zunächst Verpackungsabfälle in Säcke und stieg dann ca. 1,5 Meter eine Gerüstleiter hoch, weil auch auf dem Gerüst Abfall lag und er sich die am Dach durchgeführten Arbeiten ansehen wollte. Oben angekommen berührte er die Dachrinne, die unter Strom stand. Dabei erlitt er einen Stromschlag. Er riss sich los und fiel rückwärts vom Gerüst auf den Boden, wobei er sich schwere Verletzungen zuzog. Ein Mitarbeiter der Fa. Sch. hatte bei den Montagearbeiten ein stromführendes Kabel angebohrt.

Auf die (ersten) Angaben, er habe als sich der Unfall ereignete die Arbeiten der Fa. Sch. überprüfen wollen und es habe sich um eine geringfügige Tätigkeit gehandelt, die von jedem Vereinsmitglied erwartet werden konnte, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 1. Dezember 2004 die Gewährung von Entschädigungsleistungen ab. Der Kläger sei bei dem Unfall nicht versichert gewesen, insbesondere nicht als Beschäftigter und nicht als "Wie-Beschäftigter". Es habe sich um eine Tätigkeit im Rahmen seiner Funktion als Vereinsvorsitzender gehandelt, die sich als Ausfluss der Mitgliedschaftspflichten im Verein darstelle.

Der Widerspruch des Klägers, mit dem dieser geltend machte, er habe am Unfalltag einen Pack Papier der Dachpaneele in Säcke entsorgt und, als er noch Abfallgegenstände auf dem Gerüst gesehen habe, diese gleichfalls in den Säcken verstauen sowie auch nachschauen wollen, welche Arbeiten erledigt worden seien, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 17. März 2005).

Deswegen hat der Kläger am 15. April 2005 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe erhoben und geltend gemacht, er sei von Beruf Baufacharbeiter und habe bei den Sanierungsarbeiten über Wochen hinweg mitgeholfen und im Hinblick auf seine Fachkenntnisse die Organisation und Überwachung der Arbeiten übernommen. Die Arbeiter der Fa. Sch. sowie die Vereinsmitglieder hätten am Unfalltag die Baustelle bereits verlassen gehabt. Er habe aufräumen und nachsehen wollen, welche Arbeiten die Fa. Sch. und die Vereinsmitglieder tagsüber erledigt hatten. Deswegen sei er auf das Gerüst hochgestiegen. Bei dieser über seinen Pflichtenkreis hinausgehenden Tätigkeit der Bauleitung sei er dann von der Leiter gefallen. Die Bauleitungstätigkeit habe er weder aufgrund seiner Organ- noch aufgrund seiner Vereinsmitgliedschaft gehabt.

Mit Gerichtsbescheid vom 7. Oktober 2005 hat das SG die Klage abgewiesen.

Gegen das am 12. Oktober 2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 11. November 2005 Berufung eingelegt. Er wiederholt und vertieft im Wesentlichen sein früheres Vorbringen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 7. Oktober 2005 aufzuheben und unter Aufhebung des Bescheides vom 1. Dezember 2004 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 17. März 2005 festzustellen, dass der Unfall vom 17. Mai 2004 ein Arbeitsunfall war.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich im Wesentlichen auf die Ausführungen in den angefochtenen Entscheidungen.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.

Die Beklagte lehnte es zu Recht ab, den Unfall als Arbeitsunfall anzuerkennen und zu entschädigen. Der Unfall stellt keinen Arbeitsunfall dar. Die insoweit neben der Anfechtungsklage zulässige Feststellungsklage (§ 55 Abs. 1 Nr. 3 [SGG], vgl. BSG SozR 4-2700 § 2 Nr. 2) ist unbegründet.

Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Der Kläger war am Unfalltag nicht als Beschäftigter nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII und auch nicht wie ein Beschäftigter im Sinne von § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII tätig.

Der Kläger war bei der Kontrolle der am Unfalltag ausgeführten Arbeiten nicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII als Beschäftigter des Vereins tätig. Nach § 7 Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und er dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt (BSG, Urteil vom 19. August 2003 in SozR 4-2700 § 2 Nr. 1). Ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zum Verein im obigen Sinne hat nicht vorgelegen. Dies behauptet auch der Kläger nicht.

Nach § 2 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 des SGB VII sind Personen versichert, die wie Beschäftigte tätig werden. Ein Versicherungsschutz als "Wie-Beschäftigter" setzt voraus (hierzu und zum Nachfolgenden BSG Urteil vom 12. April 2005, B 2 U 5/04 R m.w.N. und Urteil vom 31. Mai 2005, B 2 U 35/04 R m.w.N.), dass es sich um eine ernstliche Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert handelt, die dem in Betracht kommenden fremden Unternehmen dienen soll (Handlungstendenz), die dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entspricht und ungeachtet des Beweggrundes für den Entschluss, tätig zu werden, unter solchen Umständen tatsächlich geleistet wird, dass sie ihrer Art nach sonst von einer Person verrichtet werden könnte, welche in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis steht und nicht auf einer Sonderbeziehung z.B. als Familienangehöriger oder Vereinsmitglied beruhen. Eine persönliche oder wirtschaftliche Abhängigkeit vom unterstützten Unternehmen ist nicht erforderlich. Ohne Bedeutung für den Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 2 SGB VII ist auch, ob der Verletzte gegen ein Entgelt oder unentgeltlich handelte.

Der Kläger war im Zeitpunkt des Unfalles nicht wie ein Beschäftigter im vorgenannten Sinne tätig.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) schließt zwar die Mitgliedschaft in einem Verein die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses nicht von vornherein und damit auch nicht schlechthin eine versicherte Tätigkeit wie ein Beschäftigter aus (hierzu und zum Nachfolgenden BSG, Urteil vom 13. August 2002, B 2 U 29/01 R). Es ist aber zu unterscheiden zwischen Arbeitsleistungen, die nur auf Mitgliedschaftspflichten beruhen, und Arbeitsleistungen, die außerhalb dieses Rahmens verrichtet werden. Letzteres setzt voraus, dass die Verrichtung über das hinausgeht, was Vereinssatzung, Beschlüsse der Vereinsorgane oder allgemeine Vereinsübung an Arbeitsverpflichtungen der Vereinsmitglieder festlegen. Daran fehlt es bei Tätigkeiten, die z.B. auf gesellschaftlichen oder körperschaftlichen Verpflichtungen beruhen. Folglich ist derjenige, der aufgrund von Mitgliedschaftspflichten für seinen Verein tätig wird, auch nicht wie ein Beschäftigter gegen Arbeitsunfälle versichert.

Zu den auf allgemeiner Vereinsübung beruhenden Mitgliedschaftspflichten zählen nach ständiger Rechtsprechung des BSG im Allgemeinen Tätigkeiten, die ein Verein von jedem seiner Mitglieder erwarten kann und die von den Mitgliedern dieser Erwartung entsprechend auch verrichtet werden, wie z.B. regelmäßige Arbeit zur Herrichtung und Reinigung von Sportplätzen, Verkauf von Eintrittskarten und Ordnungsdienst bei Veranstaltungen. Gekennzeichnet sind diese geringfügigen Tätigkeiten im Allgemeinen dadurch, dass sie nur wenig zeitlichen oder sachlichen Arbeitsaufwand erfordern. Aber auch umfangreichere Arbeitsleistungen können Ausfluss mitgliedschaftsrechtlicher Pflichten sein, wie sie sich aus Vereinssatzung, Beschlüssen oder der entsprechenden Übung ergibt (s. z.B. Errichtung eines Vereinshauses BSG, Urteil vom 24. Januar 1992, 2 RU 3/91). Die Grenze der Geringfügigkeit überschreiten kann eine Tätigkeit sowohl hinsichtlich ihres Umfanges als auch ihrer Art nach. Ferner kann die Geringfügigkeit bei jedem Verein verschieden sein. Wenn die Bereitschaft der Vereinsmitglieder, Arbeiten für den Verein zu verrichten, größer ist, wird auch die Grenze, von der an der Verein diese Arbeiten allgemein aufgrund einer sich so entwickelnden Vereinsübung von seinen Mitgliedern erwarten kann und die von den Mitgliedern entsprechend dieser Erwartung verrichtet werden, höher liegen. Allgemein betrachtet ist die Grenze der Geringfügigkeit dort überschritten, wo sich eine Arbeitsleistung von wirtschaftlichem Wert deutlich erkennbar von dem Maß vergleichbarer Aktivitäten abhebt, das die Vereinsmitglieder üblicherweise aufwenden (BSG, Urteil vom 13. August 2002).

Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob der Kläger bei den Aufräumarbeiten oder im Rahmen von - nach seinen Angaben - ihm vom Verein übertragener Bauleitungsaufgaben unter Unfallversicherungsschutz stand. Denn derartige Arbeiten übte der Kläger im Zeitpunkt des Unfalls nicht aus.

Die zum Unfall führende Tätigkeit war das Hochsteigen der Leiter bis zur Dachrinne, um zu kontrollieren, welche Arbeiten auf bzw. an dem Dach an diesem Tag von der Fa. Sch. ausgeführt worden waren. Hierbei handelte es sich nicht um Aufräumarbeiten, denn auf dem Dach bzw. oberhalb der Dachrinne waren - auch nach der Schilderung des Klägers - keine solchen Arbeiten zu verrichten. Der Kläger hatte sich also im Zeitpunkt des Unfalles bereits einer anderen Tätigkeit als dem Aufräumen, nämlich dem Kontrollieren der erbrachten Arbeiten zugewandt.

Bei dieser Kontrolltätigkeit handelte es sich um eine geringfügige Tätigkeit, die ihm schon als Vorstand wie einem privaten Bauherren oblag und nicht über das übliche Maß dessen, was von ihm in dieser Funktion zu erwarten war, hinausging. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass er Fachmann vom Bau ist. Denn auch ohne diese Fachkenntnisse hätte es zu seinen Aufgaben als Vereinsvorsitzender gehört, die erbrachten Arbeiten nach bestem Wissen zu kontrollieren. Von einer Tätigkeit als Bauleiter kann daher im Zusammenhang mit der zum Unfall führenden konkreten Tätigkeit jedenfalls nicht ausgegangen werden. Es bedarf daher auch keiner weiteren Prüfung, in welchem Umfang der Kläger tatsächlich mit den Aufgaben eines Bauleiters, zu denen nicht nur die Kontrolle der erbrachten Arbeiten nach Feierabend gehört, betraut war. Zweifel gründen sich insoweit auf den Umstand, dass der Kläger wegen seiner hauptberuflichen Tätigkeit bei der Firma R. als Vorarbeiter für auf der Baustelle des Vereins von Fremdfirmen zu erbringenden Tätigkeiten während der Arbeitszeit gar nicht ansprechbar war, Pflichten als Bauleiter also auch nicht erfüllen konnte. Soweit sich seine Angaben als "Bauleiter" auf die Anleitung der übrigen Vereinsmitglieder beschränkten, hatte die unfallbedingte Handlung hiermit nichts zu tun.

Aus den vorstehenden Gründen ist die Berufung zurückzuweisen. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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