Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 34 P 16/02
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 P 4/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig sind Leistungen nach Pflegestufe I aus der Sozialen Pflegeversicherung.
Die 1955 geborene, bei der Beklagten pflegeversicherte Klägerin bezieht von der Deutschen Rentenversicherung Bund Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Sie ist schwerbehindert (Grad der Behinderung 100). Festgestellt sind die Merkzeichen B, G, H und RF. Seit Beginn der 90er Jahre leidet sie an Enzephalomyelitis disseminata (Multiple Sklerose ( MS )). Außerdem besteht bei ihr ein Zustand nach Brust erhaltender Mammacarzinomoperation 1998. Bei onkologischen Nachsorgeuntersuchungen (1998, 1999) ergab sich kein Rezidiv. 1998 kam eine Untersuchung zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen für Pflegebedürftigkeit nicht vorliegen (Gutachten G. vom 23. September 1998).
Den mit Schreiben vom 22. Februar 2000 gestellten Antrag auf Gewährung von Leistungen aus der Pflegeversicherung, mit dem die Klägerin auf die MS, die Brustkrebserkrankung und eine Depression hinwies, lehnte die Beklagte, nachdem die Klägerin von dem Arzt B. (Medizinischer Dienst der Krankenversicherung ( MDK ) - Gutachten vom 8. Mai 2000 - ) untersucht und begutachtet worden war, durch Bescheid vom 6. Juli 2000 ab. Zwar lägen eine MS mit diskreten Bewegungs- und auch Sehstörungen, eine Miktionsstörung und eine depressive Störung mit Antriebsminderung vor. Jedoch benötige die Klägerin bei der Körperpflege Unterstützung/Teilunterstützung nur zweimal die Woche im Umfange von 5 Minuten, nämlich beim Baden, und eine Minute pro Tag Unterstützung/Teilunterstützung auf dem Gebiet der Mobilität, nämlich beim Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, ansonsten auf dem Gebiet der Grundpflege aber keine Hilfe. Bei einem Hilfebedarf von nur 6 Minuten im Bereich der Grundpflege seien die Voraussetzungen der Pflegestufe I nicht gegeben. Zur Erläuterung ist in dem Gutachten vom 8. Mai 2000 ausgeführt, dass die Klägerin in Zeiten schlechter Befindlichkeit Hilfe beim Aufstehen aus dem Bett und durchschnittlich einmal wöchentlich Hilfe beim Aufstehen aus dem Sitzen, z. B. von der Toilette, benötige, weil dieses Aufstehen dann nur noch mit großer Mühe selbstständig gelinge.
Im anschließenden Vorverfahren wurde die Klägerin durch den Facharzt für Allgemeinmedizin W. begutachtet (Gutachten vom 21. November 2000), bei dem die Klägerin auf häufigen Schwindel, Inkontinenz und Merkfähigkeitsstörungen hinwies. Der Gutachter diagnostizierte eine MS mit Mobilitätseinschränkung sowie Seh- und Konzentrationsstörungen. Die Klägerin benötige bei der Ganzkörperwäsche (Rücken) täglich 5 Minuten und beim Rasieren täglich eine Minute Hilfe. Die Teilwäsche des Rückens und das Rasieren von Achselhöhlen und Beinen seien notwendig. Außerdem bedürfe die Klägerin beim Ankleiden und Entkleiden (Rückenverschlüsse und Knöpfe) 3 bzw. 2 Minuten, insgesamt bei der Grundpflege 11 Minuten täglich der Hilfe. Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 10. September 2001 zurück.
Gegen den ihr am 28. September 2001 zugestellten Widerspruchsbescheid richtet sich die am 16. Oktober 2001 erhobene Klage, mit der die Klägerin ausführt, dass ihr allgemeiner Gesundheitszustand desolat sei.
Das Sozialgericht hat von der Orthopädin Dr. O. den Befundbericht vom 13. Januar 2003 eingeholt und den Rehabilitationsbericht über die stationäre Behandlung der Klägerin im Nordsee-Reha-Klinikum St. P. vom 6. Juni bis 4. Juli 2003 sowie das internistische Gutachten des Prof. Dr. K. (Dr. von S.) vom 17. März 2003 beigezogen, das im auf eine Nachsorgebehandlung gerichteten - durch Rücknahme der Klage am 22. April 2003 geendeten - Verfahren S 35 RA 279/00 erstattet worden ist. Darin ist von einer deutlichen Minderung der Kraftentfaltung und der Koordination der linksseitigen Extremitäten bei der Klägerin die Rede. Diese Minderung begründe eine Funktionseinschränkung und Behinderung.
Nachdem es zu einer vom Sozialgericht veranlassten Untersuchung der Klägerin durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. nicht gekommen war (Termine von 2. Juli, 28. Juli und 18. August 2003 hat die Klägerin nicht einhalten können), hat das Sozialgericht die Klage nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid vom 10. Februar 2004 abgewiesen. Die Klägerin erfülle nicht die Voraussetzungen der Pflegestufe I. Es bestehe im Bereich der Grundpflege ein Hilfebedarf von maximal 11 Minuten.
Gegen den ihr am 17. Februar 2004 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 15. März 2004 Berufung eingelegt.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 10. Februar 2004 und den Bescheid der Beklagten vom 6. Juli 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Leistungen der Pflegeversicherung nach Pflegestufe I ab 22. März 2000 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Auf Anordnung des Berufungsgerichts ist die Klägerin am 26. April 2005 von der Ärztin Dr. B1 untersucht worden (Gutachten vom 18. September 2005). In ihrem Gutachten hat Dr. B1, die die Atteste des Arztes und Zahnarztes Dr. L. vom 19. Juli 2004, der Lungenärztin Dr. B2 vom 11. April 2005 und des Allgemeinarztes Dr. S1 vom 25. April 2005 sowie den Kernspintomographiebefund des Dr. B3 vom 14. Oktober 2004 in ihre Beurteilung einbezogen hat, ausgeführt, dass sich die Klägerin langsam, aber ohne Hilfe entkleiden, sich ohne Probleme auf ihr Bett legen und von diesem wieder erheben könne. Sie benötige am Morgen 5 Minuten der Hilfe beim Duschen (inklusive Haare waschen), ansonsten bei der Grundpflege keine Hilfe. Die Klägerin werde nach ihren Angaben einmal pro Woche von einem Bekannten zu Arztbesuchen in die Hamburger Innenstadt gefahren. Fahrten zur Lymphdrainagebehandlung erfolgten unregelmäßig (Diagnosen: endogene Psychose, depressive Verstimmungen ( 1984 ), MS ( seit 1991 ), Zustand nach Mammakarzinom links und Brust erhaltender Operation ( 1998 ), Halswirbel- und Brustwirbelsäulensyndrom ( 1998 ), chronische Bronchitis ( 2002 ), chronische Gingivitis ( 2002 )).
Gegen dieses Gutachten hat die Klägerin eingewandt, dass früher bei der Grundpflege bereits ein Hilfebedarf von 11 Minuten festgestellt worden sei. Ihre körperlichen Ausfallserscheinungen, eine Kieferproblematik und die Inkontinenz seien nicht richtig berücksichtigt worden. Außerdem bestünden allergische Reaktionen auf diverse Substanzen. Die Klägerin hat Unterlagen vorgelegt, nach deren Inhalt sie seit Jahren in Behandlung der Dermatologin D. steht (Attest vom 5. Februar 2003) und vom 5. bis 12. September 2005 in der Gynäkologischen Abteilung der Klinik Dr. G1 behandelt worden ist (Bericht vom 12. September 2005; Diagnosen: Lymphödem linker Arm, Lipödem der Arme und Beine, Hypercholesterinämie, somatoforme Störung, Nasenbeinprellung).
Ergänzend wird auf den Inhalt der Prozessakten, der Verwaltungsakten der Beklagten und der Gerichtsakten S 35 RA 279/00 Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist statthaft, form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz ( SGG )). Sie ist aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 6. Juli 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 2001 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen sozialen Pflegeversicherung. Denn sie ist nicht pflegebedürftig.
Pflegebedürftige haben gem. § 36 Abs. 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) bei häuslicher Pflege Anspruch auf Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung als Sachleistung (häusliche Pflegehilfe). Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung umfassen Hilfeleistungen bei den in § 14 SGB XI genannten Verrichtungen. Gem. § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB XI können Pflegebedürftige anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen. Der Anspruch setzt voraus, dass der Pflegebedürftige mit dem Pflegegeld dessen Umfang entsprechend die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung in geeigneter Weise selbst sicherstellt. Das Pflegegeld beträgt je Kalendermonat für Pflegebedürftige der Pflegestufe I 205 EUR (bis Ende 2001 400 DM).
Der Senat kann dahingestellt lassen, welchen Anspruch die Klägerin, die "Leistungen der Pflegeversicherung nach Pflegestufe I ab 22. März 2000" begehrt, im Einzelnen verfolgt. Da sich ein Anspruch auf eine Pflegesachleistung nur auf die Zukunft beziehen kann, weil er für die Vergangenheit nicht mehr zu erfüllen ist, kommt für die Vergangenheit nur der Anspruch auf Pflegegeld in Betracht, während für die Zukunft entweder ein Sachleistungsanspruch oder ein Anspruch auf Pflegegeld in Betracht kommen. Hierzu hat die Klägerin im Verwaltungs- und im Klageverfahren vorgebracht, dass sie einmal täglich Pflegehilfe durch Hilfskräfte bzw. sporadische Hilfe in der Hauswirtschaft durch eine private Pflegeperson erhalte. Bei Dr. B1 hat sie angegeben, zum Zwecke der Vorbereitung des täglichen Essens eine selbst organisierte und bezahlte Haushaltshilfe zu beschäftigen, die hierfür zweimal wöchentlich für 45 Minuten helfe und außerdem zweimal wöchentlich das Wäschewaschen und das Putzen der Wohnung besorge. Außerdem führen Freunde und Bekannte sie zwei bis dreimal in der Woche zum Einkaufen bzw. ein Bekannter sie einmal in der Woche zu Arztbesuchen in die Hamburger Innenstadt. Ob die Klägerin im Bereich der Körperpflege tatsächlich zweimal pro Woche Hilfe beim Haarewaschen (unter der Dusche) und beim Säubern des Rückens erhält, geht aus den Akten nicht klar hervor. Diesen Fragen braucht der Senat – wie ausgeführt – indes nicht näher nachzugehen, weil die Klägerin bereits nicht pflegebedürftig ist.
Nach § 14 SGB XI sind pflegebedürftig Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße (§ 15 SGB XI) der Hilfe bedürfen. Zu den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen gehören die in § 14 Abs. 4 SGB XI genannten Verrichtungen, die sich aus den Bereichen der Körperpflege, der Ernährung, der Mobilität und der hauswirtschaftlichen Versorgung zusammensetzen. Pflegebedürftige der Pflegestufe I sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI). Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens 45 Minuten entfallen (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI). Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht.
Selbst wenn man unterstellt, dass die Klägerin einmal wöchentlich einen Arztbesuch tätigen muss (vgl. die Taxikostenaufstellung von 10/2002 bis 4/2003), käme sie, für die der MDK bei der Grundpflege maximal einen Hilfebedarf von 11 Minuten, die Gerichtsgutachterin sogar nur einen Hilfebedarf von 5 Minuten festgestellt hat, nicht auf einen Hilfebedarf von mehr als 45 Minuten, weil die entsprechende Wartezeit beim Arzt durch 7 zu dividieren und das Ergebnis auf den einzelnen Tag umzulegen wäre, wodurch keinesfalls ein Hilfebedarf hinzuträte, mit dem bei der Grundpflege ein Hilfebedarf von mehr als 45 Minuten erreicht würde. Deshalb kann auch dahinstehen, ob Dr. B1 einen Hilfebedarf beim Mobilitätsmerkmal "Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung" zu Recht verneint hat.
Im Übrigen hat die Klägerin einen weiteren Hilfebedarf bei der Grundpflege weder substantiiert dargelegt noch besteht ein Anhalt für einen weiteren Pflegebedarf, der einen Anspruch auf Leistungen nach Pflegestufe I begründet. Körperliche Ausfallserscheinungen, eine Kieferproblematik, eine Inkontinenz, allergische Reaktionen auf diverse Substanzen und die Verordnung von Lymphdrainagen durch den Gynäkologen Dr. H. (Verordnung vom 22. November 2005) sind hierzu nicht angetan, zumal die Klägerin u. a. beim Aufnehmen der Nahrung und bei der Blasenentleerung, wie Dr. B1 ausgeführt hat, keiner Hilfe bedarf. Aus dem Laborbefund der Praxis Dr. v. F. u. a. vom Januar 2006 und dem Attest des Arztes für Haut- und Geschlechtskrankheiten Dr. R. vom 11. November 2005 ergeben sich keine Hinweise auf einen weiteren Pflegebedarf bei der Grundpflege.
Nach alledem hat die Berufung keinen Erfolg und ist zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen hierfür fehlen.
Tatbestand:
Streitig sind Leistungen nach Pflegestufe I aus der Sozialen Pflegeversicherung.
Die 1955 geborene, bei der Beklagten pflegeversicherte Klägerin bezieht von der Deutschen Rentenversicherung Bund Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Sie ist schwerbehindert (Grad der Behinderung 100). Festgestellt sind die Merkzeichen B, G, H und RF. Seit Beginn der 90er Jahre leidet sie an Enzephalomyelitis disseminata (Multiple Sklerose ( MS )). Außerdem besteht bei ihr ein Zustand nach Brust erhaltender Mammacarzinomoperation 1998. Bei onkologischen Nachsorgeuntersuchungen (1998, 1999) ergab sich kein Rezidiv. 1998 kam eine Untersuchung zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen für Pflegebedürftigkeit nicht vorliegen (Gutachten G. vom 23. September 1998).
Den mit Schreiben vom 22. Februar 2000 gestellten Antrag auf Gewährung von Leistungen aus der Pflegeversicherung, mit dem die Klägerin auf die MS, die Brustkrebserkrankung und eine Depression hinwies, lehnte die Beklagte, nachdem die Klägerin von dem Arzt B. (Medizinischer Dienst der Krankenversicherung ( MDK ) - Gutachten vom 8. Mai 2000 - ) untersucht und begutachtet worden war, durch Bescheid vom 6. Juli 2000 ab. Zwar lägen eine MS mit diskreten Bewegungs- und auch Sehstörungen, eine Miktionsstörung und eine depressive Störung mit Antriebsminderung vor. Jedoch benötige die Klägerin bei der Körperpflege Unterstützung/Teilunterstützung nur zweimal die Woche im Umfange von 5 Minuten, nämlich beim Baden, und eine Minute pro Tag Unterstützung/Teilunterstützung auf dem Gebiet der Mobilität, nämlich beim Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, ansonsten auf dem Gebiet der Grundpflege aber keine Hilfe. Bei einem Hilfebedarf von nur 6 Minuten im Bereich der Grundpflege seien die Voraussetzungen der Pflegestufe I nicht gegeben. Zur Erläuterung ist in dem Gutachten vom 8. Mai 2000 ausgeführt, dass die Klägerin in Zeiten schlechter Befindlichkeit Hilfe beim Aufstehen aus dem Bett und durchschnittlich einmal wöchentlich Hilfe beim Aufstehen aus dem Sitzen, z. B. von der Toilette, benötige, weil dieses Aufstehen dann nur noch mit großer Mühe selbstständig gelinge.
Im anschließenden Vorverfahren wurde die Klägerin durch den Facharzt für Allgemeinmedizin W. begutachtet (Gutachten vom 21. November 2000), bei dem die Klägerin auf häufigen Schwindel, Inkontinenz und Merkfähigkeitsstörungen hinwies. Der Gutachter diagnostizierte eine MS mit Mobilitätseinschränkung sowie Seh- und Konzentrationsstörungen. Die Klägerin benötige bei der Ganzkörperwäsche (Rücken) täglich 5 Minuten und beim Rasieren täglich eine Minute Hilfe. Die Teilwäsche des Rückens und das Rasieren von Achselhöhlen und Beinen seien notwendig. Außerdem bedürfe die Klägerin beim Ankleiden und Entkleiden (Rückenverschlüsse und Knöpfe) 3 bzw. 2 Minuten, insgesamt bei der Grundpflege 11 Minuten täglich der Hilfe. Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 10. September 2001 zurück.
Gegen den ihr am 28. September 2001 zugestellten Widerspruchsbescheid richtet sich die am 16. Oktober 2001 erhobene Klage, mit der die Klägerin ausführt, dass ihr allgemeiner Gesundheitszustand desolat sei.
Das Sozialgericht hat von der Orthopädin Dr. O. den Befundbericht vom 13. Januar 2003 eingeholt und den Rehabilitationsbericht über die stationäre Behandlung der Klägerin im Nordsee-Reha-Klinikum St. P. vom 6. Juni bis 4. Juli 2003 sowie das internistische Gutachten des Prof. Dr. K. (Dr. von S.) vom 17. März 2003 beigezogen, das im auf eine Nachsorgebehandlung gerichteten - durch Rücknahme der Klage am 22. April 2003 geendeten - Verfahren S 35 RA 279/00 erstattet worden ist. Darin ist von einer deutlichen Minderung der Kraftentfaltung und der Koordination der linksseitigen Extremitäten bei der Klägerin die Rede. Diese Minderung begründe eine Funktionseinschränkung und Behinderung.
Nachdem es zu einer vom Sozialgericht veranlassten Untersuchung der Klägerin durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. nicht gekommen war (Termine von 2. Juli, 28. Juli und 18. August 2003 hat die Klägerin nicht einhalten können), hat das Sozialgericht die Klage nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid vom 10. Februar 2004 abgewiesen. Die Klägerin erfülle nicht die Voraussetzungen der Pflegestufe I. Es bestehe im Bereich der Grundpflege ein Hilfebedarf von maximal 11 Minuten.
Gegen den ihr am 17. Februar 2004 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 15. März 2004 Berufung eingelegt.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 10. Februar 2004 und den Bescheid der Beklagten vom 6. Juli 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Leistungen der Pflegeversicherung nach Pflegestufe I ab 22. März 2000 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Auf Anordnung des Berufungsgerichts ist die Klägerin am 26. April 2005 von der Ärztin Dr. B1 untersucht worden (Gutachten vom 18. September 2005). In ihrem Gutachten hat Dr. B1, die die Atteste des Arztes und Zahnarztes Dr. L. vom 19. Juli 2004, der Lungenärztin Dr. B2 vom 11. April 2005 und des Allgemeinarztes Dr. S1 vom 25. April 2005 sowie den Kernspintomographiebefund des Dr. B3 vom 14. Oktober 2004 in ihre Beurteilung einbezogen hat, ausgeführt, dass sich die Klägerin langsam, aber ohne Hilfe entkleiden, sich ohne Probleme auf ihr Bett legen und von diesem wieder erheben könne. Sie benötige am Morgen 5 Minuten der Hilfe beim Duschen (inklusive Haare waschen), ansonsten bei der Grundpflege keine Hilfe. Die Klägerin werde nach ihren Angaben einmal pro Woche von einem Bekannten zu Arztbesuchen in die Hamburger Innenstadt gefahren. Fahrten zur Lymphdrainagebehandlung erfolgten unregelmäßig (Diagnosen: endogene Psychose, depressive Verstimmungen ( 1984 ), MS ( seit 1991 ), Zustand nach Mammakarzinom links und Brust erhaltender Operation ( 1998 ), Halswirbel- und Brustwirbelsäulensyndrom ( 1998 ), chronische Bronchitis ( 2002 ), chronische Gingivitis ( 2002 )).
Gegen dieses Gutachten hat die Klägerin eingewandt, dass früher bei der Grundpflege bereits ein Hilfebedarf von 11 Minuten festgestellt worden sei. Ihre körperlichen Ausfallserscheinungen, eine Kieferproblematik und die Inkontinenz seien nicht richtig berücksichtigt worden. Außerdem bestünden allergische Reaktionen auf diverse Substanzen. Die Klägerin hat Unterlagen vorgelegt, nach deren Inhalt sie seit Jahren in Behandlung der Dermatologin D. steht (Attest vom 5. Februar 2003) und vom 5. bis 12. September 2005 in der Gynäkologischen Abteilung der Klinik Dr. G1 behandelt worden ist (Bericht vom 12. September 2005; Diagnosen: Lymphödem linker Arm, Lipödem der Arme und Beine, Hypercholesterinämie, somatoforme Störung, Nasenbeinprellung).
Ergänzend wird auf den Inhalt der Prozessakten, der Verwaltungsakten der Beklagten und der Gerichtsakten S 35 RA 279/00 Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist statthaft, form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz ( SGG )). Sie ist aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 6. Juli 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 2001 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen sozialen Pflegeversicherung. Denn sie ist nicht pflegebedürftig.
Pflegebedürftige haben gem. § 36 Abs. 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) bei häuslicher Pflege Anspruch auf Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung als Sachleistung (häusliche Pflegehilfe). Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung umfassen Hilfeleistungen bei den in § 14 SGB XI genannten Verrichtungen. Gem. § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB XI können Pflegebedürftige anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen. Der Anspruch setzt voraus, dass der Pflegebedürftige mit dem Pflegegeld dessen Umfang entsprechend die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung in geeigneter Weise selbst sicherstellt. Das Pflegegeld beträgt je Kalendermonat für Pflegebedürftige der Pflegestufe I 205 EUR (bis Ende 2001 400 DM).
Der Senat kann dahingestellt lassen, welchen Anspruch die Klägerin, die "Leistungen der Pflegeversicherung nach Pflegestufe I ab 22. März 2000" begehrt, im Einzelnen verfolgt. Da sich ein Anspruch auf eine Pflegesachleistung nur auf die Zukunft beziehen kann, weil er für die Vergangenheit nicht mehr zu erfüllen ist, kommt für die Vergangenheit nur der Anspruch auf Pflegegeld in Betracht, während für die Zukunft entweder ein Sachleistungsanspruch oder ein Anspruch auf Pflegegeld in Betracht kommen. Hierzu hat die Klägerin im Verwaltungs- und im Klageverfahren vorgebracht, dass sie einmal täglich Pflegehilfe durch Hilfskräfte bzw. sporadische Hilfe in der Hauswirtschaft durch eine private Pflegeperson erhalte. Bei Dr. B1 hat sie angegeben, zum Zwecke der Vorbereitung des täglichen Essens eine selbst organisierte und bezahlte Haushaltshilfe zu beschäftigen, die hierfür zweimal wöchentlich für 45 Minuten helfe und außerdem zweimal wöchentlich das Wäschewaschen und das Putzen der Wohnung besorge. Außerdem führen Freunde und Bekannte sie zwei bis dreimal in der Woche zum Einkaufen bzw. ein Bekannter sie einmal in der Woche zu Arztbesuchen in die Hamburger Innenstadt. Ob die Klägerin im Bereich der Körperpflege tatsächlich zweimal pro Woche Hilfe beim Haarewaschen (unter der Dusche) und beim Säubern des Rückens erhält, geht aus den Akten nicht klar hervor. Diesen Fragen braucht der Senat – wie ausgeführt – indes nicht näher nachzugehen, weil die Klägerin bereits nicht pflegebedürftig ist.
Nach § 14 SGB XI sind pflegebedürftig Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße (§ 15 SGB XI) der Hilfe bedürfen. Zu den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen gehören die in § 14 Abs. 4 SGB XI genannten Verrichtungen, die sich aus den Bereichen der Körperpflege, der Ernährung, der Mobilität und der hauswirtschaftlichen Versorgung zusammensetzen. Pflegebedürftige der Pflegestufe I sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI). Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens 45 Minuten entfallen (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI). Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht.
Selbst wenn man unterstellt, dass die Klägerin einmal wöchentlich einen Arztbesuch tätigen muss (vgl. die Taxikostenaufstellung von 10/2002 bis 4/2003), käme sie, für die der MDK bei der Grundpflege maximal einen Hilfebedarf von 11 Minuten, die Gerichtsgutachterin sogar nur einen Hilfebedarf von 5 Minuten festgestellt hat, nicht auf einen Hilfebedarf von mehr als 45 Minuten, weil die entsprechende Wartezeit beim Arzt durch 7 zu dividieren und das Ergebnis auf den einzelnen Tag umzulegen wäre, wodurch keinesfalls ein Hilfebedarf hinzuträte, mit dem bei der Grundpflege ein Hilfebedarf von mehr als 45 Minuten erreicht würde. Deshalb kann auch dahinstehen, ob Dr. B1 einen Hilfebedarf beim Mobilitätsmerkmal "Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung" zu Recht verneint hat.
Im Übrigen hat die Klägerin einen weiteren Hilfebedarf bei der Grundpflege weder substantiiert dargelegt noch besteht ein Anhalt für einen weiteren Pflegebedarf, der einen Anspruch auf Leistungen nach Pflegestufe I begründet. Körperliche Ausfallserscheinungen, eine Kieferproblematik, eine Inkontinenz, allergische Reaktionen auf diverse Substanzen und die Verordnung von Lymphdrainagen durch den Gynäkologen Dr. H. (Verordnung vom 22. November 2005) sind hierzu nicht angetan, zumal die Klägerin u. a. beim Aufnehmen der Nahrung und bei der Blasenentleerung, wie Dr. B1 ausgeführt hat, keiner Hilfe bedarf. Aus dem Laborbefund der Praxis Dr. v. F. u. a. vom Januar 2006 und dem Attest des Arztes für Haut- und Geschlechtskrankheiten Dr. R. vom 11. November 2005 ergeben sich keine Hinweise auf einen weiteren Pflegebedarf bei der Grundpflege.
Nach alledem hat die Berufung keinen Erfolg und ist zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen hierfür fehlen.
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