L 2 U 378/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 24 U 69/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 378/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 160/06 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 26.08.2004 wird zurückgewiesen.
II. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin sind zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen.

Der 1934 geborene Versicherte, der Ehemann der Klägerin, fuhr nach den Ermittlungen der Polizeiinspektion O. am 16.04.1999 mit seinem Pkw am Anfang einer langgezogenen Rechtskurve als erstes Fahrzeug einer kleineren Fahrzeugkolonne plötzlich ohne ersichtlichen Grund nach links auf die Gegenfahrbahn. Die entgegenkommende Fahrerin, Frau S. , habe keine Möglichkeit mehr gehabt, auszuweichen und sei mit ihrem Pkw frontal mit dem des Versicherten zusammengestoßen. Frau S. sei schwer verletzt worden. Der zur Unfallstelle gerufene Notarzt habe nur noch den Tod des Ehemannes der Klägerin feststellen können. Warum der Versicherte plötzlich ausgeschert sei, lasse sich nicht klären. Es sei nicht ausgeschlossen, dass er durch eine plötzliche gesundheitliche Beeinträchtigung fahruntüchtig gewesen sei. Die Untersuchung habe bei beiden Unfallbeteiligten keinerlei Hinweis auf Alkohol erbracht.

In einem technischen und unfallanalytischen Gutachten führte Diplom-Ingenieurin K. am 22.07.1999 aus, der Versicherte könne die Absicht gehabt haben, einen vorausfahrenden Klein-Lkw zu überholen. Zu diesem Zeitpunkt habe seine Sicht auf den Gegenverkehr 72 bis 125 m betragen. Für ein gefahrloses Überholen wäre eine Sichtweite von 150 bis 265 m erforderlich gewesen. Die von der Polizei vernommenen Zeugen bestätigten im Wesentlichen den Unfallhergang und gaben an, wenn es zu keinem Zusammenstoß gekommen wäre, hätte der PKW des Versicherten wohl die Gegenfahrbahn überquert und wäre dort die Böschung hinuntergefahren.

Der Notarzt Dr. W. erklärte am 08.11.1999, bei seinem Eintreffen an der Unfallstelle seien keine Vitalfunktionen mehr nachweisbar gewesen. Es hätten sich Prellmarken im Thoraxbereich, ein instabiles Sternum sowie der Verdacht auf Rippenserienfraktur gezeigt. Die genaue Todesursache sei für ihn nicht zu klären gewesen. Als Ursache komme ein akuter Myokardinfarkt oder eine Hirnblutung mit Bewusstlosigkeit oder ein primär traumatologisches Ereignis wie zum Beispiel ein stumpfes Thoraxtrauma mit Contusio Cordis beziehungsweise mit traumatischer Aortenruptur in Betracht. Die Beklagte hielt weitere Ermittlungen für erforderlich und bat die Klägerin, hierzu ihr Einverständnis zu erteilen.

Ohne hierauf zu reagieren, erhob die Klägerin am 19.01.2000 Untätigkeitsklage und legte eine Bescheinigung des Internisten Dr. R. vom 01.03.2000 vor, nach der der Versicherte an einer arteriellen Hypertonie gelitten habe, die optimal medikamentös eingestellt gewesen sei. Der zuletzt gemessene Blutdruck habe mit 130/80 im Normbereich gelegen. Neurologische Ausfallerscheinungen seien nicht festgestellt worden.

Mit Urteil vom 03.05.2000 verpflichtete das Sozialgericht die Beklagte, der Klägerin wegen des Unfalls vom 16.04.1999 Witwenrente sowie Sterbegeld zu bewilligen.

Dagegen legte die Beklagte Berufung ein mit der Begründung, es habe keine Untätigkeit vorgelegen; vielmehr seien weitere Ermittlungen notwendig. Der vom Senat zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Prof. Dr. E. führte im Gutachten vom 12.07.2001 aus, da keine Obduktion erfolgt sei, könne die Todesursache nicht festgestellt werden. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 11.09.2001 schlossen die Beteiligten einen Vergleich, in dem sich die Beklagte verpflichtete, durch rechtsbehelfsfähigen Bescheid über den Anspruch der Klägerin zu entscheiden, nachdem die erforderlichen Ermittlungen überprüft worden seien.

Der Notarzt Dr. E. berichtete auf Anfrage im Schreiben vom 06.10.2001, Dr. W. sei als erster Notarzt vor Ort gewesen und habe ihn über den Tod des Versicherten informiert. Der Versicherte habe sicherlich ein Schädelhirntrauma erlitten und einen instabilen Thorax gehabt. Beide Verletzungen könnten allein tödlich sein, weitere Verletzungen hätten vermutlich zusätzlich vorgelegen. Einen Hinweis auf eine nicht traumatische Todesursache habe er nicht erkennen können.

Der Internist Dr. R. erklärte am 13.10.2001, er habe den Versicherten von 1991 bis 1999 häufig wegen Adipositas, arterieller Hypertonie, rezidivierenden Wirbelsäulenbeschwerden, Coxarthrose und banalen Erkrankungen behandelt.

Prof. Dr. E. führte in der Stellungnahme vom 13.05.2002 aus, bei Bluthochdruck in der hier vorliegenden Form sei die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Herzinfarktes oder eines Schlaganfalles deutlich erhöht. Anlässlich einer Kur vom 12.08. bis 09.09.1998 seien krankhafte Veränderungen am Herzen diagnostiziert worden. Im Arztbericht vom 26.10.1998 sei eine beginnende kardiale Dekompensation erwähnt. Dies bedeute, dass klinische Anhaltspunkte für eine unzureichende Herzfunktion vorgelegen haben müssten. Die Ursache des Todes sei auch nach dem jetzt vorliegenden Akteninhalt nicht festzustellen. Eine nochmalige Rückfrage an die behandelnden Ärzte hielt er für geboten.

Dr. R. berichtete am 21.07.2002, die Untersuchung am 20.10.1998 habe eine hypertensive Herzerkrankung gezeigt, jedoch keine Störungen, die auf eine koronare Herzkrankheit hätten schließen lassen.

Der Arbeitgeber des Versicherten teilte mit, die Mitarbeiter hätten nicht den Eindruck gehabt, dass sich der Versicherte am Unfalltag nicht wohl gefühlt habe.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 25.09.2002 die Gewährung von Leistungen ab, da nicht nachweisbar sei, dass der Tod infolge eines Versicherungsfalles eingetreten sei.

Den Widerspruch der Klägerin vom 11.10.2002 wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 22.01.2003 zurück.

Zur Begründung der hiergegen gerichteten Klage hat die Klägerin ausgeführt, es hätten sich keinerlei Hinweise auf eine nicht traumatische Todesursache ergeben.

Mit Urteil vom 26.08.2004 hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, der Klägerin aus Anlass des Todes ihres Ehemanns Hinterbliebenenleistungen zu gewähren. Im technischen Gutachten habe die Sachverständige überzeugend angenommen, dass der Versicherte einen Lkw habe überholen wollen. Fahrfehler, also Überholen trotz einer zu geringen überschaubaren Wegstrecke, seien gerade die typische Ursache für viele Frontalzusammenstöße. Selbst wenn man es als möglich bezeichne, dass der PKW aufgrund einer körpereigenen inneren Ursache ungesteuert auf die Gegenfahrbahn geraten sei, reiche diese nur mögliche Ursache nicht aus, um die haftungsbegründende Kausalität zu verneinen. Es sei wahrscheinlicher, dass der Tod durch die nachgewiesenen schweren Verletzungen herbeigeführt worden sei.

Zur Begründung der Berufung hat die Beklagte ausgeführt, es seien nicht so schwerwiegende Verletzungen festgestellt worden, dass sie den Tod hätten bedingen müssen. Der Unfallhergang und insbesondere ein gewollter Überholvorgang seien nicht nachgewiesen. Dies gelte auch gerade im Hinblick darauf, dass der Versicherte als umsichtig bezeichnet worden sei.

Die Beklagte stellt den Antrag,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 26.08.2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten, der Akten der Staatsanwaltschaft München sowie der Klage- und Berufungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht München im Urteil vom 26.08.2004 die Beklagte verurteilt, der Klägerin aus Anlass des Todes ihres Ehemanns Hinterbliebenenleistungen zu gewähren. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird abgesehen, da der Senat die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend ist noch darauf hinzuweisen, dass sich der Versicherte unstreitig am Unfalltag auf einem versicherten Weg befand. Zu Recht hat das Sozialgericht die haftungsbegründende Kausalität zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Verkehrsunfall bejaht. Die Schwierigkeit im hier zu entscheidenden Fall liegt darin, dass die exakte Todesursache - mangels rechtzeitig durchgeführter Obduktion - nicht mehr feststellbar ist und aufgrund der bekannten Vorerkrankung ein Ableben ohne Einfluss des Verkehrsunfalls miteinzubeziehen ist. Bei den "Unfällen aus innerer Ursache" ist die ursächliche Verknüpfung zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfallgeschehen nicht gegeben, wenn die körpereigene Ursache zwangsläufig zu dem eingetretenen Unfallverlauf (Art und Schwere des Unfalls) geführt hat (vgl. BSG SozR 2200 § 548 Nrn. 75 und 81). Entscheidend hierfür ist allerdings, dass die innere Ursache nachweisbar ist und wahrscheinlich die allein wesentliche Bedingung des Unfalls gewesen ist (vgl. BSG Urteil vom 24.02.1988, 2 RU 30/87). Dies konnte nicht festgestellt werden. Zwar kann nicht verlangt werden, dass eine innere Ursache und die daraus folgende Todesursache exakt im naturwissenschaftlich-medizinischen Sinn bewiesen wird. Denn ein solcher Nachweis ist auch für eine unfallbedingte Ursache nicht zu führen. Vielmehr können nur aus den bekannten Umständen Rückschlüsse gewonnen und zu einer Indizienkette verdichtet werden. In Betracht kommen eine Reihe von Unfall- bzw. Todesursachen: ein Herztod aus innerer Ursache, ein gewollter und missglückter Überholvorgang, Sekundenschlaf infolge berufsbedingter Übermüdung oder Bewußtsteinsstörung aus innerer Ursache und dadurch bedingtes Fahren auf die Gegenfahrbahn. Es ist jedoch nur als möglich anzusehen, dass auf die Lenkung des Pkw durch einen nicht zur versicherten Tätigkeit zählenden Umstand, nämlich eine körpereigene innere Ursache, eingewirkt worden wäre.

Hingegen gibt es hinreichende Indizien, die einen Zusammenhang zwischen Unfallverletzungen und einem dadurch bedingten Tod nahelegen. Nach den Feststellungen des Notarztes Dr.W. , der Prellmarken im Thoraxbereich, ein instabiles Sternum sowie eine Rippenserienfraktur diagnostiziert und erläutert hat, dass diese Verletzungen geeignet waren, den Tod zu verursachen, ist von einer wahrscheinlichen Todesursache durch die Unfallfolgen auszugehen. Prof. E. hat betont, es komme darauf an, ob der PKW bis zur Kollision bewusst und willentlich gesteuert worden sei. Dann sei es wahrscheinlich, dass Verletzungen im Bereich der Brustorgane und damit Unfallverletzungen den Tod verursacht hätten. Dafür, dass der Versicherte den Pkw bis zur Kollision bewusst und willentlich gesteuert hat, spricht die Beurteilung seines Fahrverhaltens durch die technische Sachverständige. Wie die Sachverständige erklärte, entspricht die zum Kollisionszeitpunkt in etwa fahrbahnparallele Position des Pkw des Versicherten fahrtechnisch dem Bewegungsverhalten am Beginn eines Überholmanövers, bei dem ein Fahrzeug zunächst nach links in die Gegenfahrbahn gelenkt und zum Überholen durch eine anschließende Rechtslenkung in gerade Ausrichtung gebracht wird. Aus technischer Sicht ist, so Dipl.-Ingenieurin K. , davon auszugehen, dass der Versicherte einen Überholvorgang durchführen wollte. Dies läßt auf eine bewußte und willentlich gesteuerte Reaktion des Versicherten schließen.

Im vorliegenden Fall ist, anders als in der Entscheidung des BSG vom 12.05.1992 - 2 RU 26/91 (SozR 3-2200, § 548 Nr.14), die versicherte Ursache - der tödliche Unfall auf dem Heimweg - erwiesen, während die Vorschädigung als innere Ursache nicht in ihrem genauen Ausmaß und schon gar nicht in einem Ausmaß festgestellt ist, das den Schluss aufdrängen würde, der Versicherte habe einen Sekundenschlaf oder eine herz-kreislaufbedingte Bewußtseinsstörung erlitten, die ihm ein willentliches Fahrzeuglenken nicht mehr erlaubt hätten. Die Möglichkeit, dass der Versicherte aus innerer Ursache verstorben ist, reicht für die Verneinung des Anspruchs auf Witwenrente nicht aus. Durch das Bluthochdruckleiden war zwar, wie der Sachverständige Prof. Dr. E. ausgeführt hat, das Risiko des Eintritts eines Herzinfarktes oder eines Schlaganfalles deutlich erhöht, andererseits sind keine weiteren Anhaltspunkte dafür gegeben, dass sich dieses Risiko am 16.04.1999 tatsächlich verwirklicht hätte.

Die Berufung der Beklagten war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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