L 17 U 505/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 U 348/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 505/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 26.10.2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund der Folgen des Arbeitsunfalles vom 17.05.1993 streitig.

Die 1954 geborene Klägerin erlitt am 17.05.1993 einen Arbeitsunfall (Wegeunfall). In einem Stau mit ihrem PKW stehend, fuhr ihr als angeschnallter Fahrerin ein anderer PKW hinten auf das Fahrzeug auf. An beiden Fahrzeugen entstand Totalschaden. Der Durchgangsarzt Prof.Dr.G. führte in seinem Bericht vom 17.05.1993 als Unfallfolgen Schädelprellung, Distorsion der Halswirbelsäule (HWS), Prellung und Schürfung rechter distaler Unterschenkel an. Vom 17.05. bis 28.05.1993 befand sich die Klägerin in stationärer Behandlung im J.spital W. , anschließend vom 10.08. bis 07.09.1993 im Reha-Zentrum R. B. und vom 09.11. bis 12.11.1993 im Klinikum der Universität R ... Arbeitsunfähig krank war sie vom 17.05.1993 bis 14.03.1995 (Anerkenntnis der Beklagten vom 31.03.1995). Seit Juli 1995 arbeitet sie wieder voll in ihrem Beruf als Verwaltungsangestellte.

Bereits seit den 80er Jahren hatte sie anfallsartige Ängste mit begleitenden körperlichen Beschwerden (Panikerkrankung mit begleitender Agoraphobie). Sie war deswegen in der Psychiatrischen Klinik und Poliklinik der Universität W. in Behandlung und wies zwischen Juli 1988 und Juli 1991 häufiger Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen (Erschöpfungs-)Depression auf.

Die Beklagte zog die ärztlichen Unterlagen des J.spitals W. - Abt. für Neurologie -, des Reha-Zentrums R. B. , der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie des Klinikums der Universität R. sowie einen Befundbericht des Chirurgen Prof. Dr.G. vom 29.11.1993 bei. In einer unfallchirurgischen Stellungnahme vom 14.02.1994 sah Dr.S. als Unfallfolgen im chirurgischen Bereich eine Distorsion der kleinen Wirbelbogengelenke im Halsabschnitt der Wirbelsäule sowie eine Prellung und Schürfung an der rechten unteren Gliedmaße an. Die Diagnose einer Schädelprellung sei nicht begründet. Unfallfolgen von Krankheitswert seien nicht zu erwarten. Anschließend erstellte Dr.M. ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten. In dem Gutachten vom 21.04.1994 führte er die geklagten Nacken- und Kopfschmerzen im Rahmen eines HWS-Schleudertraumas Grad II nach Erdmann auf den Unfall zurück. In Anbetracht des Verlaufes und der prämorbiden Persönlichkeit der Klägerin lägen aber Hinweise auf eine mittlerweile eingetretene Somatisierung der Beschwerden vor. Ein erheblicher Anteil der Beschwerden sei im Rahmen der Fehlverarbeitung zu sehen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) schätzte er im neurologischen Bereich für ein Jahr nach dem Arbeitsunfall mit 10 vH ein.

Nach Beiziehung von Arztberichten des Dr.M. vom 04.10.1994, des Neurochirurgen Dr.P. vom 27.10.1994/ 23.11.1994 und der Psychiatrischen Klinik und Poliklinik der Universität W. vom 05.12.1994 (seit Beginn der 80er Jahre Panikerkrankung mit begleitender Agoraphobie) holte die Beklagte weitere Gutachten des Nervenarztes Dr.F. vom 27.12.1994 und des Chirurgen Dr.B. vom 22.12.1994/16.01.1995/ 08.02.1995 ein. Dr.F. konnte objektivierbare Ausfallserscheinungen auf neurologisch-psychiatrischen Gebiet, die auf das Unfallereignis zu beziehen wären, nicht finden. Eine erhebliche depressive Überlagerung mit somatisierter Depression führte er auf eine zunehmende Fehlverarbeitung der subjektiven Beschwerden zurück, die aber nicht als Unfallfolge anzuerkennen seien. Dr.B. ging unfallbedingt von einer deutlichen Einschränkung der Gesamtbeweglichkeit der HWS mit Verdacht auf teilweiser Einsteifung im Bereich der Kopfgelenke, schmerzbedingter Funktionseinschränkung im Bereich der rechten Schulter sowie Kraftminderung des rechten Armes aus. Die nachweisbare erhebliche Funktionsbeeinträchtigung sei auf eine zu lange Ruhigstellung der HWS zurückzuführen. Die MdE schätzte er ab April 1994 mit 30 vH ein.

Nach Beiziehung eines Arztberichtes des Nervenarztes Dr.O. vom 15.03.1995 holte die Beklagte ein nervenärztliches Gutachten von Dr.S. am 31.07.1995 ein. Dieser konnte eine unfallbedingte MdE auf nervenärztlichem Gebiet nicht begründen. In einem weiteren Gutachten des Chirurgen Prof. Dr.W. vom 18.09.1995 konnten keine krankhaften Veränderungen von unfallchirurgischer Seite festgestellt werden. Abschließend führte Dr.S. in seinem nervenärztlichen Gutachten vom 25.10.1995 aus, dass die nach dem Unfall bei der Klägerin vorliegende reaktive depressive Verstimmtheit, insbesondere der sekundäre Krankheitsgewinn, nicht als Unfallfolge in der Gesetzlichen Unfallversicherung anzusehen sei.

Mit Bescheid vom 06.12.1995 erkannte die Beklagte als Folge des Arbeitsunfalles an: Vorübergehende Verschlimmerung einer vorbestehenden reaktiven, depressiven Erkrankung nach inzwischen ohne wesentliche Folgen verheilter Zerrung der HWS. Die depressive Veranlagung mit Panikerkrankung und begleitender Platzangst, Migräne-Erkrankung mit attackenartig auftretenden Kopfschmerzen, Osteochondrose der HWK 5/6 und 6/7, das Flachrückensyndrom mit Verstreichen der physiologischen Wirbelsäulenkrümmungen und Entwicklung einer inversen kyphotischen Grundschwingung der HWS sah sie nicht als Folgen dieses Arbeitsunfalles an. Eine MdE im rentenberechtigendem Grade habe nicht vorgelegen.

Im anschließenden Widerspruchsverfahren legte die Klägerin ein Gutachten des Neurologen Prof. Dr.T. vom 11.12.1995 für eine Privatversicherung vor. Dieser ging von einer HWS-Distorsion nach Schweregrad III (Erdmann) aus. Im neurologischen Schädigungsbild seien eine leichte zervikale Rückenmarkschädigung sowie suprasegmentale Blasenstörungen auffällig. Die MdE schätzte er mit 25 vH ein.

Die Beklagte veranlasste zwei weitere Gutachten des Neurologen Prof. Dr.M. vom 03.04.1997 und des Chirurgen Prof. Dr.W. vom 17.04.1997/21.05.1997. Nach der Auffassung von Prof. Dr.M. habe die Klägerin bei dem Unfall eine Distorsion der HWS und eine Schädelprellung erlitten, jedoch ohne Verletzung zentral-neuronaler oder peripher-neuronaler Strukturen, also ohne Verletzung des Gehirnes, des Halsmarkes und der Halsmarknervenwurzeln. Unfallfolgen auf neurologischem Fachgebiet lägen nicht vor. Prof. Dr.W. bestätigte eine HWS-Distorsionsverletzung. Bis auf osteochondrotische Veränderungen seien auf unfallchirurgischem Gebiet aber keine wesentlichen Änderungen im Bereich der HWS festzustellen. Die MdE sei unter Einschluss des neurologischen Gutachtens mit unter 10 vH zu bewerten.

Mit Bescheid vom 18.09.1997 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Gegen diese Bescheide hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben und beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die Folgen des Unfalls vom 17.05.1993 mit einer Verletztenrente ab Wegfall der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit zu entschädigen. Sie hat hierzu ein urologisches Gutachten des Prof. Dr.F. vom 16.11.1995 und ein unfallchirurgisches Gutachten des Prof. Dr.W. vom 14.06.1995 (jeweils für die Privatversicherung der Klägerin) vorgelegt. Anschließend hat Dr.H. auf Ersuchen des SG am 21.12.1998 ein chirurgisches Gutachten erstellt, in dem er ausgeführt hat, es sei aufgrund des Unfalls zu einer HWS-Distorsion II.Grades, Prellungen und Schürfungen des rechten Unterschenkels, des linken unteren Brustkorbes sowie des Bauches gekommen. Weder aus unfallchirurgischer, nervenärztlicher noch aus urologischer Sicht seien Folgen dieses Unfalls vorhanden. Die MdE sei mit unter 10 vH einzuschätzen. In einem nervenärztlichen Zusatzgutachten vom 11.12.1998 hat Prof. Dr.N. keine nachweisbaren, nervenärztlich relevanten knöchernen oder sonstigen gewebestrukturellen Veränderungen aufgrund des Unfalles gesehen. Insbesondere sei keine nachweisbare Verletzung des Rückenmarkes durch den Unfall aufgetreten. Nicht in Zusammenhang mit dem Unfall stehe eine komplexe und anhaltende psychische Fehlverarbeitung des Unfalltraumas mit im Laufe der Zeit ausgeweiteter, komplexer körperlicher Beschwerdebildung ohne adäquate organ-neurologische Korrelation bei erheblicher und andauernder Beschwerdefixiertheit im Rahmen einer hypochondrisch gefärbten Selbstbeobachtung und Überbewertung iS der Befriedigung eines vordergründigen, menschlich durchaus verständlichen und nachvollziehbaren Kausalitätsbedürfnisses. Das Unfallereignis sei höchstens als Auslöser iS einer Gelegenheitsursache für die nachfolgende reaktive Fehlentwicklung anzusehen. Eine unfallbedingte Verschlimmerung eines definierten vorbestehenden Leidens sei nicht ersichtlich. Aus nervenärztlicher Sicht sei die Klägerin in ihrer Erwerbsfähigkeit ab Wegfall der Arbeitsunfähigkeit nicht erkennbar eingeschränkt.

Mit Schreiben vom 21.02.2000 hat der Neurochirurg Dr.P. der Klägerin mitgeteilt, dass in den Gutachten der Dres. H. und N. keine neuen medizinischen Aspekte angeführt werden, die ein Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sinnvoll erscheinen ließen.

Mit Urteil vom 26.10.2000 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat sich dabei im Wesentlichen auf die Gutachten der Dres. H. und Prof. N. gestützt.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt und vorgetragen, dass die Folgen des Unfalles mit einer MdE um mindestens 20 vH zu bewerten seien. Sie hat hierzu auf ein Gutachten des Chirurgen Dr.G. vom 16.05.1997/08.07.1997 für eine Privatversicherung Bezug genommen, der eine Distorsion der HWS mit leichter Schädigung des Rückenmarks, eine Bewegungsstörung der HWS sowie eine leichte Blasenfunktionsstörung als Unfallfolgen annahm und von einer MdE von 25 vH ausging.

Nach Beiziehung der einschlägigen Röntgen- und CT-Aufnahmen hat der Senat Gutachten des Chirurgen Dr.K. vom 16.11.2001 und des Nervenarztes Prof. Dr.K. vom 06.11.2002 eingeholt. Dr.K. hat die Unfallfolge als HWS-Verletzung Schweregrad II bewertet. Ein Jahr nach dem Unfall habe eine MdE nicht mehr gemessen werden können. Prof. Dr.K. hat keine nachweisbaren neurologisch-relevanten knöchernen oder sonstigen gewebestrukturellen Veränderungen, insbesondere eine Myelonverletzung oder eine periphere Nerven- oder Nervenplexusläsion mehr feststellen können. Der Unfall sei für die depresssive Anpassungsstörung bei zumindest vorbestehender geringer psychischer Belastbarkeit als wesentliche Teilursache anzusehen. Auch für die somatoforme Schmerzstörung, die immer noch anhalte, könne der Unfall als wesentliche Teilursache gelten. Die MdE betrage angesichts der erheblichen chronifizierten funktionellen Einschränkungen der Klägerin ab Wegfall der Arbeitsunfähigkeit 30 vH. Die Beklagte hat diesem Gutachten mit Stellungnahme vom 03.02.2003 widersprochen.

Der Senat hat die Unterlagen der H. Versicherung (insb. Gutachten des TÜV vom 19.05.1993), der G. Versicherung K. , einen Befundbericht des Allgemeinarztes Dr.B. vom 25.02.2003 (für die Zeit vor dem Arbeitsunfall), eine Auskunft der DAK W. vom 21.03.2003 über Erkrankungen der Klägerin sowie die Unfallakte der Beklagten über den Arbeitsunfall vom 17.12.1981 (linkes Sprunggelenk; Verletztenrente nach einer MdE von 20 vH) zum Verfahren beigezogen. Sodann hat der Nervenarzt Dr.V. am 20.04.2004 ein Gutachten erstellt, indem er auf neuro-psychiatrischem Fachgebiet eine chronifizierte ängstliche depressive Entwicklung mit Erschöpfungszuständen und zwanghafter Abwehr, am ehesten iS einer Dysthymie als Gesundheitsstörung annahm. Diese Gesundheitsstörung sei nicht durch den Unfall vom 17.05.1993 verursacht worben. Eine durch den Unfall bedingte MdE auf psychiatrischem Fachgebiet bestehe nicht.

Abschließend hat der Senat ein nervenärztliches Gutachten von Dr.P. vom 03.03.2005 eingeholt. Diese hat die glaubhaft anhaltende somatoforme Schmerzstörung der Klägerin nicht als allein oder wesentlich mitverursacht durch den Arbeitsunfall angesehen.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des SG Würzburg vom 26.10.2000 sowie unter Abänderung des Bescheides vom 06.12.1995 idF des Widerspruchsbescheides vom 18.09.1997 zu verurteilen, ab Wegfall der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit unter Berücksichtigung der schmerzhaften Funktionseinschränkung der HWS, der Schwindelerscheinungen, der Kopfschmerzen sowie der depressiven Begleiterscheinungen und der Blasenfunktionsstörungen Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 vH, hilfsweise Stützrente nach einer MdE von 10 vH zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Würzburg vom 26.10.2000 zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einem Urteil des Senats ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs 2 SGG einverstanden erklärt.

Ergänzend wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakte der Beklagten zum Arbeitsunfall vom 17.12.1981 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente, da die Voraussetzungen nicht erfüllt sind (§§ 539, 548 Abs 1, 581 Abs 1 Nr 2 Reichsversicherungsordnung - RVO -).

Anzuwenden sind im vorliegenden Fall noch die Vorschriften der RVO, da sich der zu beurteilende Arbeitsunfall vor dem 01.01.1997 ereignet hat (Art 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, § 212 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VII -).

Verletztenrente gemäß § 581 Abs 1 Nr 2 RVO ist nur dann zu gewähren, wenn die Erwerbsfähigkeit des Verletzten infolge des Arbeitsunfalles um wenigstens 20 vH gemindert ist. Eine Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalles ist u.a. dann anzuerkennen, wenn zwischen dem Unfall und der Gesundheitsstörung ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Ein solcher liegt nach dem in der Gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätsbegriff dann vor, wenn das Unfallereignis mit Wahrscheinlichkeit wesentlich die Entstehung oder Verschlimmerung eines Gesundheitsschadens bewirkt hat (BSGE 1, 72, 76; 12, 242, 245; 38, 127, 129; Bereiter-Hahn/Schiecke/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, 4.Aufl, Anm 3, 3.4 zu § 548 RVO).

Die Entscheidung der Frage, in welchem Umfang die Erwerbsfähigkeit eines Verletzten gemindert ist, ist eine tatsächliche Feststellung, die das Gericht gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (BSGE 4, 147, 149; 6, 267, 268; BSG 23.04.1987 - 2 RU 242/86 -). Die Bemessung des Grades der unfallbedingten MdE richtet sich nach dem Umfang der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens des Verletzten durch die Unfallfolgen und nach dem Umfang der dem Verletzten dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind, betrifft in erster Linie das ärztlich-wissenschaftliche Gebiet. Doch ist die Frage, welche MdE vorliegt, eine Rechtsfrage. Sie ist ohne Bindung an ärztliche Gutachten unter Berücksichtigung der Einzelumstände nach der Lebenserfahrung zu entscheiden. Ärztliche Meinungsäußerungen hinsichtlich der Bewertung der MdE sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Einschätzung des Grades der MdE, vor allem soweit sich diese darauf bezieht, in welchem Umfang körperliche und geistige Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind (BSG in SozR 2200 § 581 Nrn 23, 27).

Aufgrund der Ausführungen der Sachverständigen Dres. P. , V. , K. , Prof. N. , H. , Prof. W. , Prof. M. , S. , Prof.W. , F. und Prof. M. steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Erwerbsfähigkeit der Klägerin durch die Folgen des Arbeitsunfalles vom 17.05.1993 nicht im rentenberechtigendem Grade gemindert ist.

Der Senat geht davon aus, dass die Klägerin bei dem Verkehrsunfall eine HWS-Zerrverletzung nach Schweregrad II (Erdmann) sowie Prellungen bzw Schürfungen am Brustkorb und am rechten Unterschenkel erlitten hat. Im chirurgischen Bereich ist von dieser höhergradigen HWS-Distorsion auszugehen, denn im Unfallbericht wird bereits eine Stunde nach dem Unfall eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung der HWS beschrieben. Außer der aufgehobenen HWS-Lordose und degenerativen Veränderungen an der HWS findet man aber heute keinen Hinweis mehr auf eine unfallbedingte Verletzung. Bereits eine Woche nach dem Unfall ließ sich bei den Funktionsaufnahmen eine Instabilität in den einzelnen Segmenten der HWS nicht belegen. Die im Bogen harmonisch liegenden Vorderkanten zeigen keine wesentliche Verkippung der Wirbelkörper. Die bei den Röntgenaufnahmen vom 16.08.1993 im Reha-Zentrum R. diskutierte Instabilität im Segment C 3/4 kann jetzt nur noch teilweise nachvollzogen werden. Jedenfalls hat eine derartige Instabilität der Neurochirurg Dr.B. bei exakten Kontrolluntersuchungen im November 1993 ausgeschlossen. Weder im CT der HWS konnte der Nachweis einer Fraktur oder Luxation oder Bandscheibenschädigung geführt, noch im Kernspin der HWS ein Hinweis auf eine Schädigung des Rückenmarks gesehen werden. Dasselbe gilt für die Angaben des Prof. Dr.W. in seinem Gutachten zum Segment C 4/5. Auf dem von Dr.H. gefertigten Röntgenaufnahmen ist auch die von Prof. Dr.W. als minimal eingestufte Verschiebung des Rückens zum 5.Halswirbelkörper nicht erkennbar. Aus unfallchirurgischer Sicht sind daher keine Folgen des Arbeitsunfalles mehr vorhanden.

Auch im nervenärztlichen Bereich findet sich keine neurologisch-relevante Substanzschädigung, die auf den Unfall vom 17.05.1993 zurückgehen könnte. Insbesondere Prof. N. hat ausgeführt, dass in Übereinstimmung mit sämtlichen Befunden der Vorgutachter ein objektiv regelrechter organ-neurologischer Untersuchungsbefund ohne Hinweis auf irgendwelche relevanten Ausfalls- und Reizerscheinungen zu erheben ist. Auch Nachweise einer Rückenmarksschädigung ließen sich nicht finden. Für die Beurteilung der Unfallfolgen erscheinen die praetraumatischen Beeinträchtigungen und die von der Klägerin diesbezüglich selbstgemachten Angaben von wesentlicher Bedeutung. Hier ist zum einen die vorbestehende Migräne, zum anderen die insgesamt psycho-physisch als vermindert belastbar beschriebene Konstitution relevant. Es liegen eindeutige Hinweise für bereits vor dem Unfallereignis vorhandene psychopathologische Auffälligkeiten vor. Diese werden vor allem von dem behandelnden Allgemeinarzt Dr.B. für den Zeitraum 1989 bis 1992 beschrieben. Aus dem Befundbericht der Psychiatrischen Klinik der Universität W. geht bereits die Diagnose einer Angsterkrankung mit erstmaliger Manifestation zu Beginn der 80er Jahre hervor. Die von der gerichtsärztlichen Sachverständigen Dr.P. diagnostizierte anhaltende somatoforme Schmerzstörung ist nicht mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen, da die Kriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht vorliegen. Auch eine Anpassungsstörung ist auszuschließen, da depressive Reaktionen iS einer Anpassungsstörung in der Regel zeitlich auf maximal 2 Jahre begrenzt sind (vgl. Schönberger, Mehrtens, Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7.Aufl, S 228 mwN). Vielmehr spricht der gesamte Verlauf der Symptomatik dafür, dass es sich bei der Klägerin um eine normabweichende psychische Verarbeitung eines Unfallereignisses handelt, bei prämorbid bereits angelegten neurotischen Konfliktverarbeitungsstrategien. Die erkennbare Psychodynamik des gesamten Verhaltens spricht für ähnliche zwanghafte Abwehrmechanismen, wie sie auch bei Angsterkrankungen beobachtet werden können. Völlig unspezifisch ist inzwischen die Symptomatik der Erschöpfungszustände bzw der Erschöpfungsdepression. Sie können durch verschiedene Ursachen ausgelöst werden und lassen sich nicht iS einer konkreten Kausalkette auf das Unfallereignis zurückführen. Sowohl Prof. Dr.N. als auch Dr.P. schließen auch eine Unfallbedingtheit iS einer Verschlimmerung eines vorbestehenden Leidens aus.

Nicht nachvollziehbar ist die Einschätzung des Prof. Dr.K. , dass die Klägerin aufgrund des Unfalles an einer ängstlich-depressiven Anpassungsstörung bei überwiegend zwanghaft depressiv strukturierter Primärpersönlichkeit leide und der Unfall auch für die anhaltende somatoforme Schmerzstörung eine wesentliche Teilursache darstelle. Er begründet dies damit, dass der Unfall der Klägerin ein beeindruckendes Erlebnis mit in den ersten Tagen und wenigen Wochen nachvollziehbar organisch bedingten Zervikobrachialgien gewesen sei. Auch könne nach seiner Auffassung nicht davon ausgegangen werden, dass die Schmerzstörung in vorliegendem Ausmaß von jedem beliebigen anderen Ereignis hervorgerufen worden wäre, sie insbesondere bei einer Schmerzstörung im Vorfeld des Unfalles nie aufgetreten sei. Allein die Annahme, dass eine Schmerzstörung vor dem Unfall nicht aufgetreten ist, genügt nicht für die Annahme einer unfallbedingten somatoformen Schmerzstörung, da die Symptomatik nicht aus einer Schmerzstörung, sondern einem multiformen psychopathologischen Bild besteht, wie Prof.Dr.N. und Dr.P. überzeugend ausführen. Bereits vor dem Unfall war die Klägerin aufgrund anfallsartiger Ängste mit körperlicher Missempfindung in psychiatrischer Behandlung gewesen. Ihre Beschwerden sind so erheblich gewesen, dass eine mehrjährige ambulante psychiatrische Behandlung erforderlich gewesen ist. Auch Prof. Dr.K. hat darauf hingewiesen, dass bei der Klägerin ausgeprägte Verdrängungsstrategien im Hinblick auf psychische Probleme vorliegen. Der Senat hält daher die Auffassung von Prof. Dr.N. für überzeugend, dass bei der Klägerin eine Fixierung ihrer Beschwerden auf den Unfall zwar vorliegt, diese der Klägerin aber lediglich zur Begründung ihrer Beschwerden dienen. Ein ursächlicher Zusammenhang der somatoformen Beschwerden mit dem Unfall vom 17.05.1993 besteht nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit.

Eine Abknickung der HWS, die in verschiedenen Arztberichten als unfallbedingt angesprochen wird, konnte nicht bestätigt werden. Spondylotische Anzeichen an den Hinterkanten zeigten sich schon in den Erstaufnahmen nach dem Arbeitsunfall. Knöcherne HWS-Abstützreaktionen haben sich nach dem Unfall vom 17.05.1993 bis zum Kernspin vom Dezember 1999 nicht eingestellt.

Unfallbedingte Gesundheitsstörungen im urologischen Bereich ließen sich nicht finden. Im Rahmen eines Privatgutachtens beschreibt Prof. Dr.F. einerseits zwar einen im Wesentlichen normal-urologischen Befund für die erstmals in neurologischem Befund vom 18.05.1993 vorgebrachten Blasenbeschwerden, andererseits diskutiert er, dass Auslöser für die Beschwerden eine Überempfindlichkeit der Blase sei. Grund hierfür sei eine "mögliche" Schädigung des Rückenmarks im Bereich unterhalb des Blasenzentrums. Die Schädigung des Rückenmarks kann aber im Hinblick auf den NMR-Befund vom November 1993, der explizit eine Substanzschädigung ausschließt, nicht angenommen werden.

Die Ausführungen für die im Rahmen der Privaten Unfallversicherung bzw Kfz-Haftpflicht eingeholten Gutachten sind nicht auf die gutachtlichen Anforderungen der Gesetzlichen Unfallversicherung, insbesondere hinsichtlich der Regeln der Kausalitätsprüfung und der MdE-Zuordnung übertragbar. Im vorliegenden Rechtsstreit ist ausschließlich auf die Begutachtungsregeln iS der Gesetzlichen Unfallversicherung abzustellen. Dies kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass die Gutachten, die im chirurgisch-orthopädischen Bereich zT zu einem MdE-Vorschlag zwischen 10 und 30 vH kommen, die schmerzhaft verzögerte und reduzierte HWS-Schulterbeweglichkeit einbezogen. In fast allen Gutachten ist aber der Hinweis auf Gegenspannung, Somatisierung und Chronifizierung von Beschwerden gegeben, die insoweit für eine MdE-Bewertung nicht tragfähig sind.

Die Gesamtwürdigung der eingeholten Gutachten und der Vorbefunde ergibt, dass eine rentenberechtigende MdE, auch für eine Stützrente, nicht vorliegt. Damit hat die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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