L 12 AL 39/03-14

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 80 AL 1917/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 12 AL 39/03-14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 4. Juli 2003 sowie der Bescheid der Beklagten vom 28. Februar 2002 in der Fas-sung des Bescheides vom 17. April 2002 und in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. April 2002 dahingehend geändert, dass die Forderung, die Beiträge zur Kran-ken- und Pflegeversicherung zu ersetzen, aufgehoben wird. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die (endgültige) Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für die Zeit ab dem 19. Mai 2002.

Der 1944 in J geborene Kläger, der nach seinen Angaben gegenüber der Beklagen die "jugos-lawische" (bzw. jetzt vermutlich serbisch-montenegrinische) Staatsangehörigkeit besitzt, war seit 1969 – mit Unterbrechungen – bei verschiedenen Arbeitgebern in Deutschland hauptsäch-lich als Konstrukteur beschäftigt.

Die Beklagte bewilligte und gewährte dem Kläger zuletzt Arbeitslosengeld ab dem 18. Sep-tember 1996 und – nach Erschöpfung des Anspruchs – anschließend Arbeitslosenhilfe ab dem 19. Mai 1997.

Am 15. März 2000 erhielt die Beklagte Kenntnis von einem Ermittlungsbericht des Finanzamts für Fahndung und Strafsachen, wonach der Kläger am 1. Januar 1995 über ein Vermögen in Höhe von 671.581,92 DM (in Form von bei zwei luxemburgischen Banken verwahrten Wert-papieren) verfügte. Sie stellte daraufhin die Zahlung der Arbeitslosenhilfe ab dem 1. März 2000 zunächst ein und hob mit Bescheid vom 22. Mai 2000 die Bewilligung von Arbeitslosen-hilfe ab dem 1. März 2000 auf. Die dagegen nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobe-ne Klage wies das Sozialgericht Berlin durch Urteil vom 19. Juni 2002 (S 63 AL 1935/00) ab; die Berufung des Klägers verwarf das Landessozialgericht Berlin als unzulässig (Beschluss vom 4. September 2003 – L 10 AL 3/03 –).

Am 2. Mai 2001 beantragte der Kläger schriftlich die Fortzahlung der Arbeitslosenhilfe ab Mai 2001. Dabei verneinte er die Frage, ob er Vermögen besitze.

Mit Bescheid vom (11.?) Juni 2001 bewilligte die Beklagte dem Kläger vorläufig Arbeitslo-senhilfe ab 19. Mai 2001 in Höhe von 421,19 DM wöchentlich nach § 328 des Dritten Buchs des Sozialgesetzbuches (SGB III). Eine endgültige Entscheidung sei noch nicht möglich, da der Sozialgerichtsstreit noch nicht abgeschlossen sei. Nach endgültiger Klärung werde der Kläger einen abschließenden Bewilligungsbescheid erhalten. Überzahlte Beträge seien zu erstatten, soweit mit der abschließenden Entscheidung ein Leistungsanspruch nicht oder nur in geringe-rer Höhe zuerkannt werde. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch nicht ein. Die Beklagte zahlte daraufhin dem Kläger Arbeitslosenhilfe bis einschließlich Februar 2002 in Hö-he von insgesamt 13.658,59 DM sowie 1.819,56 EUR (entspricht insgesamt 8.803,09 EUR).

Mit "Rücknahme- und Erstattungsbescheid" vom 28. Februar 2002 nahm die Beklagte die Ent-scheidung "vom 11.06.01" über die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe ab 19. Mai 2001 ganz zurück, da der Kläger über Vermögenswerte verfüge, die zum Wegfall seines Leistungsanspru-ches geführt hätten. Er habe in der von der Rücknahme betroffenen Zeit 7.939,57 EUR ohne Rechtsanspruch erhalten; diesen Betrag habe er nach § 50 Abs. 1 des Zehnten Buchs des Sozi-algesetzbuches (SGB X) zu erstatten. Ferner habe er nach § 335 Abs. 1 SGB III die von der Beklagten gezahlten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 3.154,39 EUR zu ersetzen.

Dagegen legte der Kläger am 4. März 2002 Widerspruch ein.

Mit weiterem "Rücknahme- und Erstattungsbescheid" vom 17. April 2002 nahm die Beklagte erneut die Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe ab dem 19. Mai 2001 ganz zurück und forderte nunmehr die Erstattung von 8.803,09 EUR, die der Kläger ohne Rechtsan-spruch erhalten habe. Ferner habe er Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 2.577,40 EUR zu ersetzen. Die Erstattungsforderung betrage insgesamt 11.380,49 EUR. Dieser Bescheid werde Gegenstand des Widerspruchsverfahrens.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23. April 2002 wies die Beklagte sodann den Widerspruch des Klägers zurück.

Die am 26. April 2002 erhobene Klage, der das Sozialgericht das Begehren entnommen hat, den Bescheid vom 28. Februar 2002 in der Fassung des Bescheides vom 17. April 2002 in Ge-stalt des Widerspruchsbescheides vom 23. April 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verur-teilen, dem Kläger ab dem 19. Mai 2001 Arbeitslosenhilfe endgültig zu bewilligen, hat es durch Gerichtsbescheid vom 4. Juli 2003 abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, dass die Beklagte mit den angefochtenen Entscheidungen keine Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen zurückgenommen, sondern die von ihr getroffene vorläufige Entscheidung über die Erbringung von Arbeitslosenhilfe ab dem 19. Mai 2001 aufgehoben habe. Trotz der missverständlichen Formulierung "aufzuheben" in § 328 Abs. 2 und 3 SGB III habe es einer gesonderten Rücknahme nach § 45 SGB X nicht bedurft. Durch die endgültige Ablehnung der Gewährung von Arbeitslosenhilfe ab dem 19. Mai 2001 habe der Kläger auch keinen Anspruch auf Weitergewährung über den 28. Februar 2002 hinaus. Die Beklagte habe die Gewährung von Arbeitslosenhilfe zu Recht abgelehnt. Der Kläger habe einen Anspruch auf Arbeitslosen-hilfe nicht glaubhaft gemacht. Da er sich weigere, Angaben zu seinem Vermögen zu machen, könne nicht festgestellt werden, ob er tatsächlich bedürftig sei. Eigene Ermittlungen dazu seien dem Gericht verwehrt, da der Kläger an der Aufklärung des Sachverhalts nicht mitwirke. Er bestreite nicht, Kenntnis von Art und Höhe seines Vermögens zu haben, lehne dessen Offenle-gung jedoch ab. Ungeachtet des zwischen Deutschland und Jugoslawien bestehenden Doppel-besteuerungsabkommens sei er dazu verpflichtet. Anhaltspunkte für die vom Kläger behauptete Unrichtigkeit des Berichtes des Finanzamtes für Fahndung und Strafsachen drängten sich nicht auf. Die Unaufklärbarkeit der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Klägers gehe zu seinen Lasten. Die dem Kläger vorläufig gewährte Arbeitslosenhilfe sei nach § 328 Abs.3 Satz 2 SGB III (der gegenüber § 50 SGB X vorrangig sei) zu erstatten.

Gegen den ihn am 15. Juli 2003 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 21. Juli 2003 eingelegte Berufung des Klägers, mit der er die Aufhebung dieser "exterritorialen Entschei-dung" begehrt.

Dem schriftlichen Vorbringen des Klägers ist zu entnehmen, dass er beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 4. Juli 2003 sowie den Be-scheid der Beklagten vom 28. Februar 2002 in der Fassung des Bescheids vom 17. April 2002 und in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. April 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm endgültig Arbeitslosenhilfe ab dem 19. Mai 2001 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

die sie für unbegründet hält.

Beide Beteiligte haben erklärt, dass sie mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die von der Beklagten vor-gelegte Leistungsakte (4 Bände), die Gegenstand der Beratung des Senats gewesen ist, verwie-sen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem beide Betei-ligte erklärt haben, dass sie damit einverstanden sind (§ 124 Abs. 2 i. V. m. § 153 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).

Die zulässige (§§ 143, 144 Abs. 1, 151 Abs. 1 SGG) Berufung des Klägers erweist sich als (nur) teilweise begründet.

Wie bereits das Sozialgericht erkannt hat, hat die Beklagte zu Recht abschließend entschieden (§ 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III), dass der Kläger die Gewährung von Arbeitslosenhilfe für die Zeit ab 19. Mai 2001 nicht beanspruchen kann, da er nicht bedürftig ist. Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass er jedenfalls zu dieser Zeit über beträchtliche Vermögenswerte verfügte, die seine Bedürftigkeit ausschlossen (§ 193 Abs. 2 SGB III). Der Kläger hat zwar das entspre-chende Ermittlungsergebnis des Finanzamts für Fahndung und Strafsachen als "Fälschungska-talog" bezeichnet, damit aber die entsprechenden Tatsachen nicht hinreichend ("substantiiert") bestritten, was ihm indes ungeachtet des im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Amtser-mittlungsgrundsatzes oblegen hätte. Denn der Amtsermittlungsgrundsatz findet seine Grenze dort, wo die Mitwirkungspflicht der Beteiligten beginnt.

Jedenfalls im Berufungsverfahren bestreitet der Kläger denn auch nicht mehr, dass er – im Ausland – über dieses Vermögen verfügt, meint allerdings, dass es deshalb (wegen der Bele-genheit im Ausland) nicht bei der Bedürftigkeitsprüfung zu berücksichtigen sei. Diese Vorstel-lung ist freilich unzutreffend. Vermögen des Arbeitslosen ist unabhängig davon, wo es sich be-findet, bei der Bedürftigkeitsprüfung zu berücksichtigen. Anhaltspunkte dafür, dass die bei lu-xemburgischen Banken verwahrten Wertpapiere bzw. durch deren Verkauf zu erzielende Erlö-se nicht nach Deutschland transferierbar seien (so dass das Vermögen nicht "verwertbar" [§ 6 Abs. 1 der Arbeitslosenhilfe-Verordnung] wäre), bestehen nicht. Ebenso ist unerheblich, in-wieweit das ausländische Vermögen oder die daraus erzielten Einkünfte unter Berücksichti-gung von Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung in Deutschland der Besteuerung unterliegen. Vorliegend geht es nicht um von ihm zu zahlende Steuern, sondern um von ihm beanspruchte staatliche Fürsorgeleistungen.

Die Beklagte hat danach zutreffend durch ihre abschließende Entscheidung die Gewährung von Arbeitslosenhilfe abgelehnt, so dass der Kläger die ihm auf Grund der (nur) vorläufigen Ent-scheidung erbrachten Leistungen zu erstatten hat (§ 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III), ohne dass es darauf ankommt, ob er auf die Rechtmäßigkeit der vorläufigen Bewilligung vertrauen durfte (BSG, Urteil vom 15. August 2002 – B7 AL 24/01 R –, SozR 3-4100 § 47 Nr. 1).

Zu Unrecht fordert die Beklagte vom Kläger allerdings, ihr auch die von ihr gezahlten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 2.577,40 EUR zu ersetzen. Eine entsprechende Pflicht des Klägers ergibt sich aus § 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III nicht, der nur eine Erstattung der "erbrachten Leistungen" vorsieht (ebenso Eicher, in: Eicher/Schlegel, SGB III, Sozialge-setzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung –, § 328 Rdnr. 67). Die Erstattung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung auf Grund des § 335 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 6 SGB III setzt die rückwirkende Aufhebung der Bewilligung der zugrunde liegenden Leistung voraus. Indes ist nicht anzunehmen, dass die Beklagte berechtigt gewesen sein könnte, die – nur – vorläufige (aber bestandskräftig gewordene) Bewilligung der Arbeitslosenhilfe für die Zeit ab 19. Mai 2001 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies würde nicht nur voraussetzen, dass die vorläufige Bewilligung rechtswidrig war (weil die dafür nach § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III erforderlichen Voraussetzungen nicht vorlagen), sondern auch, dass der Kläger er-kannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht erkannt haben müsste, dass – auch und gerade – die nur vorläufige Bewilligung rechtswidrig gewesen wäre (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X); dies ist aber aufgrund des Hinweises in dem Bewilligungsbescheid vom 11. Juni 2001 auf das anhängige Sozialgerichtsverfahren und des – ihm bekannten – Umstandes, dass der Beklagten zu dieser Zeit das Ermittlungsergebnis des Finanzamts für Fahndung und Strafsachen vorlag, nicht zu unterstellen. Ebenso wenig "beruhte" (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X) die vorläufige Bewilligung von Arbeitslosenhilfe ab dem 19. Mai 2001 auf der – jedenfalls objektiv – unrich-tigen Angabe des Klägers, kein Vermögen zu besitzen, da der Beklagten zu dieser Zeit bekannt war, dass das Gegenteil richtig sein dürfte.

Die Entscheidung über die Kostenerstattung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG; ungeachtet des teilweisen Erfolgs des Klägers entspricht es nicht billigem Ermessen, eine auch nur teilweise Erstattung der ihm entstandenen Kosten anzuordnen.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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