L 8 SB 4082/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 17 SB 1017/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 4082/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 12. August 2004 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten sind die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleiches G streitig.

Bei dem am 1950 geborenen Kläger stellte das Versorgungsamt Stuttgart (VA) mit Bescheid vom 16.09.1998 einen Grad der Behinderung (GdB) von 80 fest. Nachteilsausgleiche wurden nicht festgestellt. Als Funktionsbeeinträchtigungen berücksichtigte das VA eine Teilentfernung des Dickdarmes im Stadium der Heilungsbewährung, eine Teilentfernung der Kniegelenksscheibe rechts, ein Lendenwirbelsäulensyndrom und eine Epicondylopathie rechts.

Im August 2002 beantragte der Kläger beim VA die Erhöhung des GdB sowie die Feststellung des Nachteilsausgleiches G. Er begründete den Antrag mit einer erheblichen Verschlimmerung des Zustandes im Bereich des rechten Knies und brachte vor, er habe deshalb den - im Stehen auszuübenden - Beruf des Diätkochs aufgeben müssen. Auch bei seiner jetzt ausgeübten Verwaltungstätigkeit habe er große Schwierigkeiten, da er infolge Anwinkelung des Knies auf längere Zeit (ca. 20 Minuten) große Schmerzen habe, die nur durch kurzes Aufstehen und ein Strecken des Beines wieder etwas gemildert werden könnten. An manchen Tagen sei es ihm nicht möglich, ohne eine Gehhilfe auch nur ein paar Schritte zu tun. Am 01.09.2001 sei er infolge der Mehrbelastung des linken Beines umgeknickt und habe einen Bänderanriss erlitten, der bis heute nicht richtig verheilt sei. Der Kläger legte das ärztliche Attest des Internisten Dr. D., S., vom 14.12.1999 vor. Nach Einholung des Befundberichts des Orthopäden Dr. T., B. B. II, vom 23.08.2002 und einer versorgungsärztlichen Stellungnahme hierzu erließ das VA am 14.10.2002 einen Neufeststellungsbescheid, mit dem unter Berücksichtigung einer Dickdarmerkrankung (in Heilungsbewährung), einer Polyarthrose und einer Funktionsbehinderung des rechten Ellenbogengelenks sowie einer Funktionsbehinderung der Wirblsäule ab 09.08.2002 ein GdB von 100 festgestellt wurde. Die Feststellung des Nachteilsausgleiches G wurde mit der Begründung abgelehnt, die hierfür erforderlichen gesetzlichenVoraussetzungen seien nicht erfüllt.

Dagegen legte der Kläger am 18.10.2002 Widerspruch ein und machte geltend, seine Kniebeschwerden seien nicht berücksichtigt worden. Hierzu legte er das Attest von Dr. D. vom 15.10.2002 vor, wonach sich der Zustand des rechten Knies derart verschlimmert habe, dass mittlere Belastungen nicht mehr möglich seien. Hinzu kämen starke chronische Rückenschmerzen, die durch die einseitige Belastung der Beine hervorgerufen würden. Es sei mit einem Bandscheibenvorfall zu rechnen. Nach Einholung des Befundberichts von Dr. T. vom 04.11.2002 und einer versorgungsärztlichen Stellungnahme hierzu wies das Landesversorgungsamt Baden-Württemberg den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 13.02.2003 zurück. Als Funktionsbeeinträchtigungen seien eine Dickdarmerkrankung (in Heilungsbewährung), eine Gebrauchseinschränkung beider Arme, eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, eine Gebrauchseinschränkung beider Beine und ein chronisches Schmerzsyndrom zu berücksichtigen. Die vom Kläger geltend gemachten Kniebeschwerden seien unter der Bezeichnung "Gebrauchseinschränkung beider Beine" miterfasst worden. Mit einem GdB von 100 sei der höchstmögliche GdB zuerkannt worden, sodass eine Beschwer des Klägers in dieser Hinsicht nicht gegeben sei.

Am 26.02.2003 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG), mit der er die Nachteilsausgleiche G und aG geltend machte. Er brachte vor, er erfülle die medizinischen Voraussetzungen für beide Merkzeichen und verwies zur Begründung auf die vom Beklagten eingeholten Berichte von Dr. T. vom 23.08.2002 und 04.11.2002 sowie von Dr. D. vom 15.10.2002. Aufgrund der durch die Erkrankung seiner Kniegelenke eingeschränkten Bewegungsfähigkeit seien die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt.

Das SG holte von Dr. D., Oberarzt an der Klinik für Unfallchirurgie des M.hospitals S., ein unfallchirurgisch-orthopädisches Gutachten ein. Nach ambulanter Untersuchung des Klägers diagnostizierte der Sachverständige im Wesentlichen eine mittelgradig eingeschränkte Beugung im rechten Kniegelenk und muskulär kompensierbare Laxität des vorderen Kreuzbandes nach Teilentfernung der Kniescheibe mit jetzt klinisch bestehender Retropatellar-arthrose und Ergussbildung. Der GdB hierfür betrage nach seiner Beurteilung 30. Ferner bestünden Verschleißerscheinungen im Bereich der Lendenwirbelsäule bei freier Lendenwirbelsäulenbeweglichkeit; Gebrauchseinschränkungen im Bereich des linken Armes, der Wirbelsäule und des linken Beines habe er im Unterschied zu den Versorgungsärzten nicht feststellen können. Im Hinblick auf die einen GdB von 30 bedingende Beeinträchtigung im rechten Kniegelenk lägen entsprechend Nr. 30 Abs. 3, S. 166 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (AHP), 1996 die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleiches G nicht vor. Anschließend holte das SG auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von Dr. S., Orthopäde und Ärztlicher Direktor der R.klinik in B. G., ein Gutachten ein. Dieser diagnostizierte nach ambulanter Untersuchung am 30.01.2004 eine leichte Bewegungseinschränkung im Bereich der Lendenwirbelsäule, eine Bewegungseinschränkung des rechten Kniegelenks (Beugung auf 90 °) bei ausgeprägten Knorpelschäden mit anhaltenden Reizerscheinungen und eine mit einer Innenrotationseinschränkung der Hüftgelenke verbundene Coxalgie beidseits. Während er die Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers seitens der Lendenwirbelsäule und der Hüftgelenke jeweils mit einem GdB von 10 bewertete, nahm er angesichts der deutlichen Bewegungseinschränkung auf 90 ° und der ausgeprägten Knorpelschäden hinsichtlich der Beeinträchtigung des rechten Kniegelenks einen GdB von 40 an. Abschließend gelangte er zu der Beurteilung, der Kläger habe große Schwierigkeiten, ortsübliche Wegstrecken zu Fuß zurückzulegen. Diese könnten auch nicht in einer angemessenen Zeit zurückgelegt werden. Die Behinderung des rechten Kniegelenks wirke sich natürlich besonders auf die Gehfähigkeit aus. Es handle sich jedoch hierbei nicht um eine Versteifung des Hüftgelenks oder um eine Versteifung des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung und auch nicht um eine arterielle Verschlusskrankheit. Eine außergewöhnliche Gehbehinderung liege beim Kläger nicht vor. Daraufhin nahm der Kläger die auf den Nachteilsausgleich aG gerichtete Klage zurück. Er legte noch den Operationsbericht und den Entlassungsbericht der Sportklinik Stuttgart vom 30.06.2004 bzw. 01.07.2004 (Therapie: Kniegelenksarthroskopie, Außenmeniskusglättung, Chondroplastik, Bridenlösung) vor. Der Beklagte trat der Klage entgegen und legte die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. B. vom 26.05.2004 vor.

Mit Urteil vom 12.08.2004 wies das SG die Klage ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Zuerkennung des Nachteilsausgleichs G. Die Voraussetzungen der in den AHP 1996 insoweit beschriebenen Bewertungskriterien seien vorliegend nicht erfüllt. Eine sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirkende Behinderung der unteren Gliedmaßen, die einen GdB von 40 bedinge, liege beim Kläger nicht vor. Die Funktionseinschränkung des rechten Kniegelenks, die mit mittelgradigen Bewegungseinschränkungen und ausgeprägten Knorpelschäden verbunden sei, habe der Sachverständige Dr. D. zutreffend mit einem GdB von 30 bewertet. Ein GdB von 40 - wie von dem Sachverständigen Dr. S. angenommen - stehe nicht im Einklang mit den Kriterien der AHP.

Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 30.08.2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17.09.2004 Berufung eingelegt, mit der er an seinem Ziel festhält. Er macht geltend, ihm stehe der Nachteilsausgleich G zu. Zu Unrecht habe das SG für die bei ihm vorliegende Funktionsstörung im Bereich des rechten Knies lediglich einen GdB von 30 angenommen. Zwar treffe es zu, dass bei Berücksichtigung lediglich der Bewegungsmaße von 0/0/90 ° nach den Vorgaben der AHP eine Bewegungseinschränkung geringen Grades vorliege. Berücksichtige man daneben jedoch die ausgeprägten Knorpelschäden, die bei ihm mit erheblichen anhaltenden Reizerscheinungen (Kapselschwellungen, Schmerzen) verbunden seien, so werde nur ein GdB von 40 der Funktionsstörung gerecht. Darüber hinaus wirke sich diese Behinderung auf seine Gehfähigkeit in einer solchen Weise aus, wie dies durch eine Versteifung des Kniegelenkes in ungünstiger Stellung der Fall sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 12. August 2004 aufzuheben und den Bescheid des Beklagten vom 14. Oktober 2002 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 13. Februar 2003 und 31. März 2006 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ab 9. August 2002 den Nachteilsausgleich G festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und legt die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. Franke vom 02.03.2005 vor. Ferner legt der Beklagte den Widerspruchsbescheid vom 31.03.2006 vor, mit dem er (erneut) über den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 14.10.2002 entschieden und einen Anspruch des Klägers auf den Nachteilsausgleich G verneint hat.

Der Senat hat den behandelnden Orthopäden des Klägers Dr. G., S., schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört. Dieser hat am 26.07.2005 den Krankheits- und Behandlungsverlauf geschildert und weitere ärztliche Unterlagen vorgelegt. Ferner hat er den Untersuchungsbefund vom 22.06.2005 hinsichtlich des rechten Kniegelenks mitgeteilt (90/5/0) und eine wesentliche Änderung seit der Knieoperation vom Juni 2004 verneint. Die in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 02.03.2005 genannten Behinderungen seien seines Erachtens vollständig zutreffend und die dort angegebenen Teil-GdB-Werte korrekt.

Wegen der weiteren Einzelheiten und des weiteren Vorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthafte sowie frist- und formgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, aber nicht begründet. Der Beklagte hat die Feststellung des Nachteilsausgleichs G zu Recht abgelehnt. Dem Kläger steht der Nachteilsausgleich G nicht zu.

Das SG hat im angefochtenen Urteil die für die Feststellung des Nachteilsausgleiches G erforderlichen Voraussetzungen verneint. Hierbei hat es sich in erster Linie auf das fachärztliche Gutachten von Dr. D. und die Bewertungskriterien der AHP 1996 gestützt. Der Senat kommt nach Anhörung des behandelnden Orthopäden des Klägers zum gleichen Ergebnis.

Maßgebliche Rechtsgrundlagen sind seit 01.07.2001 die Vorschriften des 9. Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IX), die an die Stelle der durch dieses Gesetz aufgehobenen Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) getreten sind (Artikel 63, 68 des SGB IX vom 19.06.2001, BGBI. I S. 1046).

Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen auf Antrag des behinderten Menschen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung (GdB) fest. Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden ebenfalls die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX).

Gem. § 145 Abs. 1 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 69 Abs. 5 im Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 unentgeltlich befördert. In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr ist erheblich beeinträchtigt gem. § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.

Bei der Frage, ob eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr vorliegt, orientiert sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten an den Bewertungsmaßstäben, wie sie in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und im Schwerbehindertenrecht", Ausgabe 2004 (AHP) niedergelegt sind (vgl. BSG in SozR 3870 § 3 SchwbG Nr. 4, SozR 3-3870 § 4 SchwbG Nr. 19; BSG Urt. vom 13.08.1997 - 9 RVS 1/96 = SozR 3 - 3870 § 60 Nr. 2). Die AHP besitzen zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhen. Sie sind vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken, und haben deshalb normähnliche Auswirkungen. Sie sind aber (in der Regel) im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (BSGE 72, 285, 286; BSG Urt. vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R; BSG Urt. vom 15.07.2004- B 9 SB 46/03 B).

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG in SozR 3870 § 60 SchwbG Nr. 2; BSG Urteil vom 13.08.1997 - 9 RVS 1/96 = SozR 3 - 3870 § 60 Nr. 2) gelten als Wegstrecken, welche im Ortsverkehr - ohne Berücksichtigung von geographischen Besonderheiten im Einzelfall - üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden, solche von maximal 2 km bei einer Gehdauer von etwa 30 Minuten. Die AHP haben diesen Maßstab übernommen und geben an, welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen müssen, bevor angenommen werden kann, dass ein Behinderter infolge einer Einschränkung des Gehvermögens "in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist". Damit tragen die AHP dem Umstand Rechnung, dass das Gehvermögen des Menschen keine statische Messgröße ist, sondern von verschiedenen Faktoren geprägt und variiert wird. Darunter sind neben den anatomischen Gegebenheiten des Körpers, also Körperbau und etwaige Behinderungen, vor allem der Trainingszustand, die Tagesform, Witterungseinflüsse, die Art des Gehens (ökonomische Beanspruchung der Muskulatur, Gehtempo und Rhythmus) sowie Persönlichkeitsmerkmale, vor allem die Motivation, zu nennen (vgl. Gebauer, MedSach 1995, 350). Von diesen Faktoren filtern die AHP all jene heraus, die nach § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX außer Betracht zu bleiben haben, weil sie die Bewegungsfähigkeit des Schwerbehinderten im Straßenverkehr nicht in Folge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens, sondern möglicherweise aus anderen Gründen erheblich beeinträchtigen. Die AHP beschreiben dazu in Abschnitt 30 Abs. 3 bis 5 solche Fälle, bei denen nach dem allgemeinen anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich G als erfüllt anzusehen sind, und die bei dort nicht erwähnten Behinderungen als Vergleichsmaßstab dienen können (vgl. BSG SozR 3 3870 § 60 Nr. 2).

Danach kann eine Einschränkung des Gehvermögens angenommen werden, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei einem GdB von unter 50 auch gegeben sein, wenn sich diese Behinderungen an den unteren Gliedmaßen auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z. B. bei einer Versteifung des Hüft-, Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40. Auch bei inneren Leiden kommt es bei der Beurteilung entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an. Dementsprechend ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit vor allem bei Herzschäden mit Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach Gruppe 3 (AHP Nr. 26.9) und bei Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades (AHP Nr. 26.8) anzunehmen. Auch bei anderen inneren Leiden mit einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit, z. B. chronische Niereninsuffizienz mit ausgeprägter Anämie (AHP 26.12), sind die Voraussetzungen als erfüllt anzusehen. Bei hirnorganischen Anfällen ist die Beurteilung von der Art und Häufigkeit der Anfälle sowie von der Tageszeit des Auftretens abhängig. Im Allgemeinen ist auf eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit erst ab einer mittleren Anfallshäufigkeit (AHP 26.3) zu schließen, wenn die Anfälle überwiegend am Tage auftreten.

Hiervon ausgehend liegt beim Kläger keine erhebliche Beeinträchtigung seiner Bewegungsfähigkeit im Sinne des § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX i.v.m. den Bewertungsmaßstäben der AHP 2004 vor. Die hierfür allein in Betracht zu ziehende Funktionsstörung des Klägers am rechten Kniegelenk reicht nicht aus, um die Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs G als erfüllt ansehen zu können. Bereits der erstinstanzliche Sachverständige Dr. D. hat die Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs G verneint und hierbei für die Funktionsstörung seitens des rechten Kniegelenks einen GdB von 30 angenommen. Diese Bewertung ist von dem den Kläger behandelnden Orthopäden Dr. G. in Kenntnis der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 02.03.2005, in dem ebenfalls insoweit von einem GdB von 30 ausgegangen worden ist, ohne Einschränkung bestätigt worden. Bei einem GdB von lediglich 30 für die Funktionsstörung des rechten Kniegelenkes des Klägers sind die Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs G aber zweifelsfrei nicht erfüllt. Nach Abschnitt 30 Abs. 3 der AHP 2004 ist hierfür erforderlich, dass die sich auf die Gehfähigkeit auswirkende Funktionsstörung der unteren Gliedmaßen einen GdB von wenigstens 50 bedingt. Bei einer Funktionsstörung an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 können die Voraussetzungen gegeben sein, wenn diese sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z.B. bei Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40. Das bedeutet, dass ein GdB von 40 (ausnahmsweise) dann genügt, wenn sich die Funktionsstörung auf die Gehfähigkeit - wie in den beschriebenen Beispielsfällen - besonders auswirkt. Die Funktionsstörung des Klägers im Bereich des rechten Kniegelenks ist nicht mit einer Versteifung des Kniegelenks in ungünstiger Stellung vergleichbar, sodass auch ein GdB von 40 - wie von dem Sachverständigen Dr. S. befürwortet - für den geltend gemachten Nachteilsausgleich nicht ausreichen würde. Eine besondere Auswirkung des Kniegelenksleidens des Klägers auf seine Gehfähigkeit hat allein der auf Antrag des Klägers vom SG gehörte Sachverständige Dr. S. angenommen. Alle anderen gehörten Ärzte haben dies entweder verneint oder sich hierzu nicht geäußert. Dass es sich - wie erforderlich - um ein mit einer Versteifung des Kniegelenks in ungünstiger Stellung vergleichbares Leiden handelt, führt aber auch Dr. S. nicht aus. Vielmehr verneint er das Vorliegen einer der genannten Beispielsfälle, geht aber nicht darauf ein, inwiefern die funktionellen Auswirkungen mit den genannten Regelbeispielen vergleichbar sind.

Die Berufung des Klägers ist somit zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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