L 25 B 90/06 AS PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
25
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 91 AS 10535/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 25 B 90/06 AS PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen den die Prozesskostenhilfe-Bewilligung ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 13. Dezember 2005 wird zurück gewiesen.

Gründe:

I.

Im Beschwerdeverfahren ist zu beurteilen, ob dem Kläger für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist.

Der Kläger stellte am 15. April 2005 bei der Beklagten einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der Beklagte erließ am 30. Mai 2005 einen Bescheid, in welchem er dem Kläger für Zeiten ab dem 15. April 2005 Leistungen nach dem SGB II bewilligte.

Mit seinem hiergegen eingelegten Widerspruch begehrte der Kläger, ihm Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes rückwirkend bereits ab dem 6. Januar 2005 zu gewähren. Er sei bereits zum 5. Januar 2005 gekündigt worden und sei seitdem arbeitslos. Er sei jedoch an der rechtzeitigen Stellung eines Antrags auf Leistungen nach dem SGB II gehindert gewesen, weil ihm die Kündigung erst am 8. April 2005 zugestellt worden sei. Er habe sich daher fristgemäß innerhalb von sieben Tagen an den Beklagten zur Beantragung des Arbeitslosengeldes II gewandt.

Der Beklagte wies den Widerspruch am 4. Oktober 2005 als unbegründet zurück, da Leistungen der Grundsicherung gemäß § 37 SGB II nicht für Zeiten vor Antragstellung erbracht würden, es sei denn, die Anspruchsvoraussetzungen träten an einem Tag ein, an dem das Jobcenter nicht geöffnet habe. Die Angaben des Klägers, sein Arbeitsverhältnis sei durch Zustellung der Kündigung am 8. April 2005 rückwirkend rechtswirksam zum 5. Januar 2005 gekündigt worden, sei auch nicht glaubhaft, da Kündigungen wirksam nur unter Einhaltung von Fristen für die Zukunft und nur unter besonderen Voraussetzungen ohne die Einhaltung von Fristen – und auch dann nicht für die Vergangenheit – ausgesprochen werden könnten. Glaubhafte und nachvollziehbare Gründe dafür, dass der Kläger schuldlos gehindert gewesen sei, rechtzeitig einen Antrag auf Arbeitslosengeld II zu stellen, sei nicht vorgebracht worden.

Am 4. November 2005 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben und zugleich die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin M beantragt. Zur Begründung der Klage hat er ausgeführt, dass er einen Anspruch auf rückwirkende Bewilligung von Arbeitslosengeld II ab dem 6. Januar 2005 habe. Auch wenn Leistungen der Grundsicherung grundsätzlich nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht würden, müsse der Kläger jedoch unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles so gestellt werden, als hätte er den Antrag am 6. Januar 2005 gestellt, denn die verspätete Antragstellung am 15. April 2005 sei ohne schuldhaften Verzug erfolgt. Ab dem 6. Januar 2005 hätten die Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld II vorgelegen, ohne dass der Kläger davon gewusst habe. Kenntnis von der Kündigung habe er erst am 8. April 2005 erlangt, so dass er seinen Leistungsanspruch gegenüber dem Beklagten nicht früher habe geltend machen können. Zwar habe das Arbeitsgericht Berlin in seinem Urteil vom 17. August 2005 ausgeführt, dass der Kläger die Kündigung gegen sich wirken lassen müsse, weil das Kündigungsschreiben unter Berücksichtigung der Angaben des Zeugen S B von diesem am 22. Dezember 2004 in den Briefkasten des Klägers geworfen worden sei. Aus sozialrechtlicher Sicht komme es aber allein auf die Kenntnisnahme des Klägers vom Inhalt des Schreibens und nicht nur auf den Zugang der Kündigung an. Auf Grund des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin habe der Kläger jedoch keinen Anspruch auf Entgelt über den 5. Januar 2005 hinaus. Es gebe auch keinen logischen Grund, warum der Kläger trotz Kenntnis von einer (wirksamen) Kündigung am 7. März 2005 eine Klage beim Arbeitsgericht auf Lohnzahlung eingereicht haben und nicht unverzüglich einen Antrag auf Leistungen der Grundsicherung gestellt haben sollte. Er habe nach der letzten Lohnzahlung Schulden gemacht, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, was er bei Kenntnis der Tatsache, dass er in gar keinem Arbeitsverhältnis mehr stehe, nicht getan hätte.

Der Beklagte hat vorgetragen, dass Ansprüche auf rückwirkende Leistungen ab dem 6. Januar 2005 auf keinen Fall bestünden (§ 37 SGB II). Davon unabhängig sei unverständlich, warum der Kläger seinen Arbeitgeber erst am 23. Februar 2005 zur Zahlung des restlichen Lohns von Januar 2005 aufgefordert und erst am 7. März 2005 eine Klage beim Arbeitsgericht Berlin auf Zahlung seines Restlohnes von Januar 2005 eingereicht habe, obwohl er bereits ab dem 24. Dezember 2004 von der Arbeit freigestellt gewesen sei. Schon die Zahlung eines Teils des Lohnes hätte eine sofortige Nachfrage bei dem Arbeitgeber erfordert.

Mit Beschluss vom 13. Dezember 2005 hat das Sozialgericht Berlin den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin A M abgelehnt, da der Klage im Hinblick auf den eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 37 Abs. 2 SGB II keine hinreichenden Erfolgsaussichten beizumessen seien und es auf Verschuldensgesichtspunkte nicht ankomme.

Der Kläger hat den ihm am 17. Januar 2006 zugestellten Beschluss mit der Beschwerde vom 25. Januar 2006 angegriffen und ausgeführt, dass er auf Grund seiner unverschuldeten Unkenntnis über die (wirksame) Kündigung dem Irrtum erlegen sei, auf Grund seines, aus seiner Sicht bestehenden Lohnanspruches keinen Anspruch auf Grundsicherung zu haben. Er habe sich auch nicht früher Rechtssicherheit betreffend seine Lohnansprüche verschaffen können, da der Lohn nach dem geschlossenen Arbeitsvertrag erst zum 15. des Folgemonats fällig gewesen sei. Insoweit habe der Kläger auf Grund der Nichtzahlung zum 15. Februar 2005 den Arbeitgeber am 23. Februar 2005 zur Lohnzahlung aufgefordert. Da Teil- und Abschlagszahlungen, insbesondere bei Zeitarbeitsfirmen, nichts Ungewöhnliches seien, habe der Kläger auch bei der Teilzahlung am 15. Februar 2005 für den Zeitraum vom 1. Januar bis 5. Januar 2005 keine Zweifel am Bestand des Arbeitsvertrages und seines (weiteren) Lohnanspruches haben müssen.

Trotz fehlender gesetzlicher Regelung sei dem Kläger rückwirkend ein Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung zuzuerkennen, da dies sonst eine unbillige Härte bedeuten würde. Der Kläger sei nach den Grundsätzen von Treue und Glauben so zu stellen, als habe er den Antrag auf Leistungen nach dem SGB II am 6. Januar 2005 gestellt.

Der Kläger beantragt, den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 13. Dezember 2005 aufzuheben und ihm, dem Kläger, Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten, Frau Rechtsanwältin A M, ab dem 4. November 2005 zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt, die Beschwerde des Klägers zurückzuweisen und zu entscheiden, dass Kosten gemäß § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht zu erstatten seien.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Verwaltungsakte des Beklagten sowie die Verfahrensakten des Sozialgerichts Berlin sowie jene des PKH-Verfahrens. Die genannten Unterlagen haben dem Senat bei seiner Entscheidung vorgelegen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 13. Dezember 2005 hat Bestand. Das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, dass für das erstinstanzliche Klageverfahren Prozesskostenhilfe nicht zu bewilligen war.

Nach § 73 a Abs. 1 SGG gelten die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) über die Prozesskostenhilfe entsprechend. Ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Prüfung der Erfolgsaussichten ist vorliegend auf den für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Sachantrag zu beziehen.

Nach diesen Maßstäben hat die Klage im vorliegenden Verfahren keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Der Kläger begehrt Leistungen der Grundsicherung ab dem 6. Januar 2005, also zu einem Zeitraum vor der Antragstellung am 15. April 2005. Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende werden nach dem eindeutigen Wortlaut des § 37 SGB II nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht (Satz 1) - anders als bei der Sozialhilfe, die bereits mit Kenntnis von der Hilfebedürftigkeit gewährt wird. Der Antrag ist somit für den Beginn der Leistungen maßgeblich.

Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass rückwirkende Leistungserbringung nicht erfolgt, gilt nach Satz 2 nur für den Fall, dass die Anspruchsvoraussetzungen an einem Tag eintreten, an dem der zuständige Träger von Leistungen nicht geöffnet hat, so dass ein unverzüglich gestellter Antrag auf diesen Tag zurück wirkt. Einer erweiternden Auslegung dahin gehend, dass auch vom Antragsteller unverschuldete verspätete Antragstellung zur rückwirkenden Leistungsbezug führen können, erscheint angesichts des engen Charakters der Ausnahmeregelung des § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB II nicht möglich. Nach dem im eindeutigen Wortlaut zum Ausdruck gekommenen gesetzgeberischen Willen soll die Ausnahmeregelung des § 37 Abs. 2 SGB II ausschließlich Umstände für eine verspätete Antragstellung erfassen, die in der fehlenden Öffnung der zuständigen Stelle liegen; dies soll dem Antragssteller nicht zum Nachteil gereichen. Ob der Regelungsumfang der Vorschrift erweiternd dahin gehend auszulegen wäre, dass er auch andere denkbare Fälle erfasst, in denen ein Hilfebedürftiger aus von der Behörde zu vertretenden Umständen nicht zum frühest möglichen Zeitpunkt den Leistungsantrag stellt, ist angesichts der engen Formulierung - "nicht geöffnet" – zweifelhaft, kann hier jedoch dahin stehen. Im Streitfall liegen die Umstände für die verspätete Antragstellung ausschließlich in der Sphäre des Klägers, was dieser auch nicht in Abrede stellt.

Ebenfalls dahinstehen kann, ob bei Vorliegen der Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ein Antrag zurückwirken könnte. Selbst wenn die Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches auch im Rahmen des SGB II zur Anwendung kämen (vgl. etwa Bundessozialgericht [BSG], Entscheidungen des BSG [BSGE] 71, 17, 22 ff.; BSGE 88, 180, 184 zu § 105 Arbeitsförderungsgesetz [AFG]), fehlte es an den Voraussetzungen. Der Herstellungsanspruch setzt nämlich voraus, dass der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund Gesetzes oder eines bestehenden Sozialrechtsverhältnisses dem Sozialleistungsberechtigten gegenüber obliegende Pflicht, insbesondere zur Auskunft und Beratung verletzt hat. Davon kann hier schon deshalb keine Rede sein, weil der Kläger sich nicht an eine Dienststelle des Leistungsträgers um Auskunft oder individuelle Beratung wegen Zweifelsfragen um seine Leistungsberechtigung gewandt hat und dabei falsch oder unzureichend belehrt worden wäre; die Auskunfts- und Beratungspflicht tritt grundsätzlich nicht von Amts wegen ein, sondern wird erst durch ein entsprechendes Begehren ausgelöst. Der Kläger hat jedoch vor der Antragstellung am 15. April 2005 keinen Kontakt zum Beklagten aufgenommen. Ob dies aus Gründen unterblieb, die nicht schuldhaft waren, ist unerheblich. Leistungen nach dem SGB II werden nur auf Antrag erbracht und nicht bereits bei Eintritt einer wirtschaftlichen Notlage, von der der Beklagte hier ohnehin keine Kenntnis hatte.

Eine für die Gewährung von Prozesskostenhilfe jedenfalls hinreichende – nicht notwendig überwiegende – Erfolgsaussicht ist nach alledem nicht gegeben.

Gegen diesen Beschluss sieht das SGG einen ordentlichen Rechtsbehelf nicht vor (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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