L 17 R 2024/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 5 R 2513/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 17 R 2024/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 07. November 2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Witwenrente.

Die Klägerin ist die Witwe des am 2004 verstorbenen J K. Sie lernte ihren späteren Ehemann (nachfolgend Versicherter genannt) im Oktober 1997 kennen. Beide waren zu diesem Zeit-punkt noch mit anderen Partnern verheiratet. Nach ihren Angaben zogen sie im Mai 1999 zu-sammen. Die Ehe des Versicherten wurde am 2002, die der Klägerin am 2003 rechtskräftig geschieden. Ausweislich eines Befundberichts vom 09. Februar 2004 (ausgestellt anlässlich eines Antrages auf ein Anschlussheilverfahren, vgl. die Rehabilitationsakte des Versicherten) erkrankte der Versicherte im Oktober 2003 an einem hochmalignen Non-Hodgkin-Lymphom. Die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten wurde am 2004 geschlossen. Am 2004 verstarb der Versicherte.

Die Klägerin stellte am 19. August 2004 einen Antrag auf Hinterbliebenenrente, den die Be-klagte mit Bescheid vom 17. November 2004 in der Fassung des Widerspruchbescheides vom 19. April 2005 ablehnte. Zur Begründung führte sie aus, nach § 46 Abs. 2 a Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in Verbindung mit § 242 a Abs. 3 SGB VI sei bei Ehen, die nach dem 31. Dezember 2001 geschlossen worden seien, ein Anspruch auf Witwenrente ausgeschlossen, wenn eine so genannte Versorgungsehe vorliege. Das Vorliegen einer Versorgungsehe werde stets unterstellt, wenn der Ehegatte innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung verstorben sei. Die Unterstellung könne im Einzelfall widerlegt werden, wenn besondere Umstände gegen die gesetzliche Vermutung sprächen. Solche besonderen Umstände lägen hier nicht vor. Zum Zeitpunkt der Eheschließung sei der Tod des Versicherten absehbar gewesen. Dies ergebe sich aus dem Befundbericht des behandelnden Arztes vom 14. Oktober 2004, in dem ausgeführt werde, dass die Gesamtsituation des Versicherten aufgrund des fortgeschrittenen Lymphoms aussichtslos sei. Auch die Tatsache, dass die Klägerin in der Lage sei, ihren Lebensunterhalt allein zu bestreiten, begründe keinen besonderen Umstand im Sinne des Gesetzes.

Mit ihrer am 20. Mai 2005 erhobenen Klage machte die Klägerin geltend, sie habe seit Mai 2001 mit dem Versicherten in einer eheähnlichen Gemeinschaft gelebt. Aufgrund der damals noch bestehenden Ehen mit anderen Partnern hätten sie eine Ehe zunächst nicht eingehen kön-nen. Sie sei immer berufstätig gewesen und auf eine Versorgung nicht angewiesen (mit Hin-weis auf ein Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 15. September 2004 zum Aktenzeichen S 8 RJ 697/02, wonach eine ausreichende eigene Versorgung des Hinterbliebenen grundsätzlich geeignet sei, die Rechtsvermutung einer so genannten Versorgungsehe zu widerlegen). Es habe vielmehr dem Versicherten daran gelegen, sein bereits vor Jahren abgegebenes Eheversprechen ihr gegenüber einzulösen. Es erscheine unbillig, diesen hohen moralischen Anspruch auf ein Niveau zu ziehen, das ihnen beiden unterstelle, die Ehe lediglich aus Versorgungsgründen ge-schlossen zu haben. Zum Zeitpunkt der Eheschließung sei mit dem Ableben des Versicherten innerhalb von wenigen Wochen nicht zu rechnen gewesen. Möglich sei erschienen, dass der Versicherte erst Monate nach der Eheschließung versterbe.

Mit Gerichtsbescheid vom 07. November 2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, nach den Motiven des Gesetzgebers sei beim Tode eines Ehegat-ten innerhalb des ersten Ehejahres in typisierender Betrachtung die so genannte Versorgungse-he als Regelfall zu unterstellen, die Heirat aus immateriellen Gründen als Ausnahme. Gesetzli-ches Indiz für die Vermutung sei dabei allein die zeitliche Komponente "Tod innerhalb eines Jahres". Die materielle Bedürftigkeit eines Ehepartners werde ausdrücklich nicht zugrunde gelegt. Daher müsse der zeitlichen Komponente auch bei der Widerlegung der Vermutung die Hauptbedeutung zukommen. Heirateten Eheleute, obwohl sie mit dem Tode eines Ehepartners rechnen müssten, wie vorliegend, sei eine Versorgungsehe besonders stark zu vermuten. Zur Widerlegung der gesetzlichen Vermutung könne es nicht ausreichen, wenn auf die üblichen Umstände und Beweggründe einer Eheschließung verwiesen werde. Vielmehr müsse ein "be-sonderer" Umstand vorliegen, der zu erklären vermöge, warum trotz des absehbar nahen Todes eines Partners der Beziehung die Rechtsform der Ehe gegeben werde. Die Dauer der bisherigen Beziehung entkräfte die Vermutung vorliegend nicht, da nicht genügend erklärt werde, warum die bisher für ausreichend gehaltene Lebensgemeinschaft gerade dann als Ehe rechtlich abgesi-chert worden sei, als mit dem baldigen Ableben habe gerechnet werden müssen. Ebenso wenig werde die Vermutung dadurch widerlegt, dass die Klägerin auf die Hinterbliebenenrente zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes nicht angewiesen sei, insbesondere dann nicht, wenn nach dem Tode des Ehepartners gerade diese Versorgung begehrt werde. Selbst wenn Zweck der Eheschließung die Sicherstellung der Pflege des kranken Ehepartners durch den anderen gewe-sen sein sollte, könne dies allein nicht ausreichen, wenn - wie hier - der überlebende Ehegatte die Pflege des Partners auch schon vor der Eheschließung übernommen habe.

Gegen den am 25. November 2005 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 23. De-zember 2005 eingelegte Berufung, mit der die Klägerin im Wesentlichen unter Hinweis auf das bereits zitierte Urteil des Sozialgerichts Würzburg geltend macht, dass eine Versorgungsehe durch eine seit Jahren bestehende eheähnliche Gemeinschaft und eine ausreichende eigene Versorgung widerlegt werde.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 07. November 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 17. November 2004 in Gestalt des Widerspruchsbeschei-des vom 19. April 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr seit dem 01. Mai 2004 Witwenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf die zutreffenden Gründe des Gerichtsbescheides.

Die den Versicherten betreffenden Renten- und Rehabilitationsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten des Sozialgerichts Berlin zum Aktenzeichen S 5 R 2513/05 haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die beantragte Witwenrente zu Recht mit der Begründung abgelehnt, dass die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2 a SGB VI nicht widerlegt worden ist.

Nach § 46 Abs. 2 a SGB VI haben Witwen oder Witwer keinen Anspruch auf Hinterbliebenen-rente nach § 46 Abs. 1 oder 2 SGB VI, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat und der Tod innerhalb des ersten Ehejahres eingetreten ist. Diese Vermutung ist nur dann wi-derlegt, wenn nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme gerechtfertigt ist, dass es nicht der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinter-bliebenenrente zu begründen.

Dieses Gesetz gilt für alle seit dem 01. Januar 2002 geschlossene Ehen (vgl. § 242 a Abs. 3 SGB VI) und ist Vorschriften in der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 65 Abs. 6 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch), der Kriegsopferversorgung ( § 38 Abs. 2 Bundesversorgungs-gesetz) sowie der Beamtenversorgung ( § 19 Abs. 1 Nr. 1 Beamtenversorgungsgesetz) nachge-bildet. Deshalb ist die Rechtsprechung zum Begriff "besondere Umstände" in diesen Bestim-mungen im Wesentlichen auf § 46 Abs. 2a SGB VI übertragbar (so auch Kamrad in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 46 Rz 38; Gürtner in Kasseler Kommentar, SGBVI, § 46 Rz 46 c).

In der Gesetzesbegründung zu § 46 Abs. 2 a SGB VI (vgl. Bundestagsdrucksache 14/4595, Seite 44) heißt es dementsprechend:

Mit dem neuen Abs. 2 a wird der Anspruch auf eine WRente bei einer Versor-gungsehe ausgeschlossen, wenn Ziel der Eheschließung die Erlangung einer Versorgung ist. Dabei wird unterstellt, dass dies regelmäßig der Fall ist, wenn ein Ehegatte innerhalb eines Jahres nach Eheschließung verstirbt. Die gesetzli-che Vermutung kann allerdings widerlegt werden, wenn Umstände vorliegen, die trotz kurzer Ehedauer nicht auf eine Versorgungsehe schließen lassen (z.B. Unfalltod). Die Neuregelung entspricht Regelungen in der gesetzlichen Unfall-versicherung und der Kriegsopferversorgung.

Die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe folgt einer Typisierung und verfolgt den Zweck, den Leistungsträger der Ausforschung im Bereich der Intimsphäre zu entheben. Dies gilt auch für die Widerlegung der Rechtsvermutung, so dass auch hier die außerhalb der Intim-sphäre liegenden objektiven Umstände in einer typisierenden Betrachtungsweise heranzuziehen sind. Um die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe zu widerlegen, ist der volle Beweis des Gegenteils zu erbringen, § 202 Sozialgerichtsgesetz - SGG - in Verbindung mit § 292 Zi-vilprozessordnung. Die Folgen eines nicht ausreichenden Beweises trägt nach Ausschöpfung des Amtsermittlungsgrundsatzes derjenige, der den Witwen/Witwerrentenanspruch geltend macht. Hinsichtlich des Begriffs der "besonderen Umstände" besteht ein Beurteilungsspiel-raum, der der richterlichen Kontrolle unterliegt (BSGE 60,204,206).

Besondere Umstände sind vor allem solche, die ein anderes Motiv als das der Versorgung er-geben. Hierbei sind die Motive beider Ehegatten zu beachten. Bei einer Gesamtabwägung der Motive darf die Versorgungsabsicht nicht überwiegen (vgl. BSGE 35, 272,274). Gegen eine Versorgungsehe spricht beispielsweise die Tatsache, dass der Tod zum Zeitpunkt der Ehe-schließung nicht vorhersehbar war, z.B. durch Unfall, Verbrechen oder eine plötzliche schwere Erkrankung (vgl. BSGE 60, 204)) oder die Eheschließung die Betreuung und Pflege sicherstel-len soll (vgl. BSGE 60,204) Auch ein gemeinsames Kind kann unter Umständen die Vermu-tung einer Versorgungsehe widerlegen (OVG Hamburg in DÖV 1960, 842). Die Darlegung allgemeiner, bei einer Heirat regelmäßig mitentscheidener Gesichtspunkte wie die Absicht, eine Lebensgemeinschaft auf Dauer zu begründen, kann die Annahme besonderer Umstände nicht rechtfertigen (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 25. Januar 1972, L 8 V 202/71 in juris). Die Klägerin und der Versicherte heirateten am2004,am. 2004 starb der Versicherte an seiner seit Oktober 2003 bekannten Krebserkrankung. Die Ehe hat danach nur wenige Tage und damit deutlich weniger als ein Jahr gedauert. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 a SGB VI lagen damit vor.

Im vorliegenden Fall sind zur Überzeugung des Senats keine Umstände im Sinne des Vollbe-weises nachgewiesen, die trotz der kurzen Ehedauer belegen könnten, dass die Annahme nicht gerechtfertigt ist, alleiniger oder zumindest überwiegender Zweck der Heirat sei die Begrün-dung eines Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung gewesen. Beiden Ehepartnern war zum Zeitpunkt der Eheschließung bewusst, dass der Versicherte in absehbarer Zeit (zumindest in-nerhalb weniger Monate) sterben würde. Eine feste Heiratsabsicht vor dieser Erkenntnis ist nicht nachgewiesen worden. Die Ehepartner lebten und arbeiteten vielmehr seit Jahren (laut Berufungsvorbringen seit 1999) zusammen. Die Behauptung der Klägerin, der späte Zeitpunkt der Heirat resultiere daraus, dass ihre Ehe erst im August 2003 geschieden worden sei und sie deshalb erst so spät hätten heiraten können, beweist eine vorherige Heiratsabsicht nicht. Selbst wenn die Ehescheidungen sich wegen der Nichteinwilligung des anderen Partners oder anderer, nicht in ihrer Person liegender Gründe, verzögert haben, wie der Prozessbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, belegt dies nicht eine feste Heiratsabsicht. Es wäre durchaus auch denkbar, dass nach den Ehescheidungen das Zusammenleben ohne Eheschlie-ßung als gewählte Lebensform für ausreichend erachtet wurde. Das von der Klägerin zitierte Urteil des Sozialgerichts Würzburg, dass eine Versorgungsehe bei einer länger bestehenden eheähnlichen Lebensgemeinschaft für widerlegt hält, überzeugt den Senat nicht. Zu Recht ver-weist das hier erkennende Sozialgericht darauf, das nicht genügend erklärt ist, warum die bis-her für ausreichend gehaltene Lebensgemeinschaft gerade dann als Ehe rechtlich abgesichert wurde, als mit ihrem baldigen Ende gerechnet werden musste.

Inwieweit die vom Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung erstmals genannte Brustkrebserkrankung der Klägerin im Jahr 2000 einen besonderen Umstand im Sinne des Ge-setztes darstellt, wurde weder dargelegt, noch ist es für den Senat ersichtlich, zumal die Heirat vier Jahre nach Kenntnis der Erkrankung stattfand.

Ebenso wenig wird die Rechtsvermutung einer Versorgungsehe durch den Umstand widerlegt, dass die Klägerin ihren Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln bestreiten kann (anders auch hier Sozialgericht Würzburg, a.a.O.). Dem Gesetz ist nicht zu entnehmen, dass die Vermutung nur bei Witwen/Witwer gelten soll, die ihrerseits keine eigene Versorgung haben. Auch das Motiv, gegebenenfalls durch die Witwen/Witwerrente einen höheren Lebensunterhalt zu erhalten, stützt die Rechtsvermutung einer Versorgungsehe. Dass ein solches Motiv hier nicht vorliegt, ist nicht nachgewiesen worden. Letztlich spricht die Tatsache der Antragstellung dagegen.

Dass die Ehe geschlossen wurde, um die Betreuung und Pflege des Versicherten sicherzustel-len, wurde nicht vorgetragen, so dass hierzu keine Erwägungen anzustellen waren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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