L 25 B 622/06 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
25
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 104 AS 4771/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 25 B 622/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Der Antrag des Antragstellers vom 18. Juli 2006, ihm für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe (PKH) zu gewähren, wird abgelehnt. 2. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 06. Juli 2006 aufgehoben. Der Antrag des Antragstellers vom 01. Juni 2006 auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. 3. Die Beschwerde des Antragstellers wird zurück-gewiesen. 4. Außergerichtliche Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz hat der Antragsgegner nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der 1966 geborene, ledige Antragsteller (Ast.), von Beruf BMSR Techniker, schloss am 10. Dezember 2004 mit der S KG einen Mietvertrag auf unbestimmte Zeit über die Zweizimmerwohnung von zirka 47,63 m² in der Wstraße gegen eine Warmmiete von 287,68 EUR (Gartenhaus, 2. Obergeschoss rechts).

Am 15. April 2005 beantragte der Ast. Leistungen nach dem SGB II; er habe zuletzt Alhi bis 21. September 2004 bezogen. Nach einer Zwischenbeschäftigung sei er erneut arbeitslos. Er verfüge über ein Festzinssparkassenbuch mit 7 158,11 EUR Kontosaldo per 21. April 2005 sowie über ein Tagesgeldkonto von derzeit 29,50 EUR, ferner über einen Bausparvertrag nicht näher bezeichneten Guthabens.

Der Antragsgegner (Agg.) bewilligte mit Bescheid vom 30. September 2005 Leistungen für die Zeit ab Antragstellung in Höhe von monatlich 644,68 EUR (Regelleistung 345,00 EUR zzgl. KdUuH 278,68 EUR zzgl. Zuschlag Alg 21,00 EUR) zunächst bis einschließlich August 2005.

Mit Bescheid vom 16. August 2005 erkannte der Agg. Leistungen in unveränderter Höhe für die Zeit vom 01. September 2005 bis 28. Februar 2006 zu.

Wegen eines vom Agg. als andauernd angenommenen Zuflusses aus einer Beschäftigung für die Zeit ab 19. September 2005 erließ der Agg. Teilrücknahmebescheid vom 07. November 2005, in welchem er für die Zeit vom 01. Oktober 2005 bis 28. Februar 2006 die Leistung auf monatlich 402,79 EUR herabsetzte (Anrechnung von bereinigtem Einkommen in Höhe von 241,89 EUR).

Am 17. November 2005 meldete der Ast., er erhalte vom Arbeitgeber "M" seit 14. Oktober 2005 kein Entgelt mehr.

Aus einer Lohnabrechnung für Oktober 2005 ergab sich eine Beschäftigungsdauer vom 19. September bis 09. Oktober 2005.

Mit Schreiben vom 12. Januar 2006 hörte der Agg. für die Zeit ab 01. Oktober 2005 zu einer weiteren (Teil )Rücknahme an, weil der Ast. ab 01. Oktober 2005 ein "höheres Nettoeinkommen" bezogen habe als bis dahin angenommen.

Am 12. Januar 2006 wandte sich der Ast. an den Agg. mit dem Vortrag, er sei durch Ratenzahlungen in eine Notlage geraten. Deswegen sei er seinen Mietzahlungen nicht nachgekommen und habe von seinem Vermieter eine fristlose Kündigung bzw. eine Klageschrift erhalten. Er bitte um Übernahme seiner Mietschulden in Höhe von 2 241,25 EUR.

Diesen Antrag lehnte der Agg. unter Berufung auf § 22 Abs. 5 SGB II in der bis zum 31. März 2006 geltenden Fassung ab, weil sich selbst bei drohender Wohnungslosigkeit die Hinderung einer konkreten Beschäftigungsaufnahme hierdurch nicht feststellen ließe. Es erging Hinweis, wonach die Übernahme von Mietschulden nach dem SGB XII in der Fachstelle für Obdachlose im Bezirk Lichtenberg beantragt werden könne. Dieser Bescheid vom 16. Januar 2006 erwuchs, soweit ersichtlich, in Bestandskraft.

Am 20. Januar 2006 stellte der Ast. Fortzahlungsantrag für die Zeit ab 01. März 2006. Dieser Vordruck enthält in dem dem Senat vorliegenden Retent einer Verwaltungsakte den handschriftlichen Vermerk vom 23. Januar 2006: "verlängert bis 31.8.06". Dem gleichzeitigen Antrag des Ast., die direkte Überweisung der KdU an den Vermieter vorzunehmen, entsprach der Agg.

Am 01. März 2006 schlossen der Ast. und sein Vermieter vor dem Amtsgericht Lichtenberg (14 C 512/05) einen Vergleich, ausweislich dessen der Ast. zur Abgeltung streitgegenständlicher Zahlungsansprüche zur Zahlung von 2 222,47 EUR verpflichtet war (Ziffer 1). Ferner verpflichtete er sich zur Herausgabe der Mietsache.

Die Kündigung werde unwirksam, wenn der Vermieter bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Rechtshängigkeit des Räumungsanspruches hinsichtlich der Zahlungsansprüche befriedigt werde oder sich eine öffentliche Stelle zur Befriedigung verpflichte.

Zugestellt sei die Räumungsklage am 03. Februar 2006, vor Ablauf des 30. April 2006 werde der Vermieter nicht räumen.

Der (dort) Beklagte (und hiesige Ast.) trage die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der des Vergleiches.

Wegen der Übernahme u. a. der Mietschulden hatte sich der Ast. sodann an das Land Berlin, vertreten durch das Bezirksamt Lichtenberg, als Sozialhilfeträger gewandt. Einen diesbezüglichen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 22. März 2006 lehnte das Sozialgericht SG Berlin mit Beschluss vom 13. April 2006 ab (S 51 SO 749/06 ER). Auf dessen Begründungsausführungen unter Bezugnahme auf § 22 Abs. 5 n. F. für die Zeit ab 01. April 2006 (BGBl. I Seite 558, 559) wird verwiesen.

Mit "Eilantrag" vom 25. April 2006 wandte sich der Prozessbevollmächtigte des Ast. an den Agg. des vorliegenden Verfahrens und beantragte die Übernahme der Mietschulden, da Räumung am 01. Mai 2006 drohe. Am Amtsgericht Lichtenberg sei bereits über einen anderen Rechtsanwalt Eilantrag anhängig, die Räumungsfrist nach § 794 a Abs. 2 ZPO zu verlängern.

Der Agg. bezog die Fachstelle für Wohnungssicherung und Wohnraumversorgung Sozialdienst beim Bezirksamt Lichtenberg ein. Danach ergibt sich aus der Stellungnahme vom 11. Mai 2006 (Bl. 126 ff. VA):

" Bereits die erste Mietzahlung im Januar 05 blieb aus. In den Monaten Februar 05 April 05 erfolgte eine Mietminderung durch den Klienten. Mit der Mietminderung wuchs der Rückstand weiter an. Ab Mai 05 kam der Klient seinen Mietzahlungsverpflichtungen überhaupt nicht mehr nach. Die Kosten für Unterkunft und Heizung wurden durch das Job Center in voller Höhe bewilligt und monatlich an den Hilfebedürftigen ausgezahlt.

Herr W setzte die Kosten der Unterkunft für die Finanzierung einer neu gekauften Küche ein. Die monatliche Rate in Höhe von 131, Euro wurde regelmäßig vom Girokonto abgebucht. Die Differenz zur monatlichen Finanzierungsrate und den gezahlten Kosten der Unterkunft (i. H. v. 156, Euro) wurde nicht auf (das) Mietenkonto eingezahlt, um so ein Anwachsen der Mietschuld zu verhindern. In Bezug auf die monatlichen Zahlungsverpflichtungen wie Miet- und Stromkosten setzte der Klient bewusst für sich andere Prioritäten. Trotz der am 23.08.05 ausgesprochenen Wohnungskündigung änderte der Antragsteller sein Zahlungsverhalten nicht.

Der Klient äußerte mehrfach, dass die Mietschulden vom Sozialamt übernommen werden müssen, da er sich gegenwärtig in einer Notlage befinde.

Herr W wurde durch die Fachstelle zu den Möglichkeiten der Wohnraumvermittlung über das geschützte Marktsegment beraten. Ein Antrag zur Aufnahme in das geschützte Marktsegment stellte der Klient am 09.05.06."

Mit Bescheid vom 11. Mai 2006, der persönlich an den Ast. gerichtet war, lehnte der Agg. den Antrag ab. Der Bescheid war mit Rechtsbehelfsbelehrung versehen, wonach binnen Monatsfrist ab Zugang Widerspruch zulässig sei.

Am 01. Juni 2006 beim SG Berlin eingehend beantragte der Ast., vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, den Agg. im Wege der einstweiligen Anordnung zu "verurteilen", die bestehenden Mietschulden nebst Kosten als Zuschuss zu übernehmen, hilfsweise als Darlehen. Ferner begehrte der Ast. Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren. Der Ast. habe nunmehr seit 15. Mai 2006 Arbeit bei einer Zeitarbeitsfirma und befinde sich in der Probezeit. Da sein Arbeitsverhältnis jederzeit kündbar und daher höchst unsicher sei, sei es dem Ast. nicht zuzumuten, jetzt Urlaub zu beantragen, um einen Umzug und eine andere Wohnung zu organisieren und so seinen Job zu verlieren. Zudem könne er sich den Umzug nicht leisten, weil ihm jeweils am 25. des Folgemonats, also erstmals am 25. Juni 2006, der Lohn gezahlt werde. Ebenso könne er nach wie vor die Begleichung der Schulden nicht selbst übernehmen, um die Vollstreckung zu verhindern.

Er habe bei seinen bestehenden Mietschulden erhebliche Probleme, eine neue Wohnung zu finden. Vergeblich habe er 14 Vermieter kontaktiert. Zurzeit seien keine für den Ast. geeigneten Wohnungen auch im geschützten Marktsegment des Sozialamtes Lichtenberg verfügbar. Besonders wichtig sei dem Ast jedoch der Hinweis auf die Gefahr des Suizides, die gegeben sei, wenn er seine Wohnung verlieren solle, was er an Eides statt versicherte. Seit 2001 sei er wegen einer chronischen Depression bei Dr. H, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, in Dauerbehandlung. Eine Schweigepflichtentbindungserklärung werde bei Bedarf gern nachgereicht. Gerichtsvollzieher B habe die Räumung zum 19. Juni 2006 angedroht. Das Gericht forderte die Schweigepflichtentbindungserklärung bezüglich der Behandlung durch Dr. H an. Ferner wurde überreicht ein Schreiben der Anwälte des Vermieters an den Ast. vom 18. Mai 2006. Danach werde die Vollstreckung aus dem Vergleich nur dann eingestellt, wenn der Ast. oder das Sozialamt bis zum Räumungstermin den Vergleichsbetrag sowie alle durch das Verfahren und dessen Vollstreckung entstandene Kosten überwiesen hätten. Im Einzelnen handele es sich dabei neben dem Vergleichsbetrag um 1 395,48 EUR Rechtsanwaltverfahrensgebühren, 363,00 EUR verauslagte Gerichtsgebühren, 350,00 EUR Vorschuss für die Räumung der Wohnung durch den Gerichtsvollzieher sowie 75,00 EUR Gebühren für die Vollstreckung selbst.

Der Agg. hat erstinstanzlich erwidert: Er sei nicht zuständiger Leistungsträger, er nehme Bezug auf den ablehnenden Beschluss des SG Berlin vom 13. April 2006 (S 51 SO 749/06 ER). Hilfsweise werde darauf hingewiesen, dass die Übernahme von Mietschulden nach § 22 Abs. 5 SGB II vorliegend nicht gerechtfertigt sei.

Der Ast. habe das Entstehen der Mietschulden und damit den drohenden Verlust der Wohnung billigend in Kauf genommen. Es gehöre schon viel Dreistigkeit dazu, öffentliche Leistungen, die zum Zweck der Absicherung von Unterkunft und Heizung vom Steuerzahler zur Verfügung gestellt würden, anderweitig zu verbrauchen. Im Weiteren, und zwar am 31. Oktober 2005, als bereits Mietrückstände existierten, habe der Ast. vom Konto 7 430,54 EUR abgehoben und diese nicht zum Ausgleich der offenen Mietforderungen genutzt. Angesichts des entspannten Wohnungsmarktes werde es dem Ast. gelingen, eine neue Wohnung anzumieten.

Der Ast. überreichte ein Attest des Dr. W M, Arzt für Neurologie und Psychiatrie, bei dem er sich aus persönlichen Gründen nunmehr in Behandlung befinde.

Der Ast. hat entgegnet, er habe das Festsparkonto mit Zustimmung der Bank ausnahmsweise kündigen können, das Geld habe er dringend zum Lebensunterhalt benötigt. Das Alg II habe er gebraucht, um den gewohnten Lebensstandard zu halten, er habe es daher nicht für Miete einsetzen können. Seit Einführung des Euro seien die Preise in nahezu allen Bereichen stark angestiegen. Mit dieser neuen Situation habe er erst lernen müssen umzugehen.

Mit Beschluss vom 06. Juli 2006 hat das SG den Agg. im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Ast. 2 222,47 EUR auf Darlehensbasis zu gewähren. Im Übrigen hat es den Antrag sinngemäß abgelehnt. Auf die den Beteiligten bekannten Gründe wird Bezug genommen.

Gegen den ihm am 10. Juli 2006 zugestellten Beschluss hat der Ast. am 18. Juli 2006 Beschwerde eingelegt, soweit der Antrag abgelehnt wurde. Ab dem 01. August 2006 dürfe der Vermieter wieder einen neuen Räumungstermin beantragen. Es mache keinen Sinn, wenn der Agg. zwar die Mietschulden, aber nicht die Kosten des Gerichtsvergleichs und der Räumungsklage übernehmen solle. Denn auch dann müsse der Ast. die Wohnung verlassen. Es sei allgemein üblich, dass diese Kosten mit übernommen würden. Weiter könne der Räumungsanspruch des Vermieters nicht mehr nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch beseitigt werden, indem einfach die rückständige Miete gezahlt werde, denn zwei Monate nach Zustellung der Räumungsklage vom Januar 2006 seien längst abgelaufen.

Vielmehr sei der Ast. auf die Kulanz des Vermieters angewiesen und dieser habe erklärt, nur dann nicht zu räumen, wenn die Miete und die Kosten des Zivilrechtsstreits nebst Vollstreckungs- und sonstiger Nebenkosten zusammen 4 405,95 EUR bis zum 31. Juli 2006 beglichen seien. Weiter werde die Schuldübernahme als Zuschuss verlangt, nicht lediglich wie vom SG gewährt als Darlehen. Im Übrigen beantrage er für das Beschwerdeverfahren PKH unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten.

Ebenfalls am 18. Juli 2006 hat der Agg. Beschwerde eingelegt. Es mangele an einem Anordnungsanspruch. Entgegen der Auffassung der 104. Kammer des SG sei nicht davon auszugehen, dass sich das im Rahmen des § 22 Abs. 5 Satz 2 SGB II bestehende Ermessen des Agg. vorliegend auf Null reduziert habe. Der Ast. habe im vorliegenden Fall gerade die gesetzlich vorrangige Verwertung eigenen Vermögens gezielt dadurch vereitelt, indem er wie unbestritten sei am 31. Oktober 2005, somit zu einem Zeitpunkt, zu dem bereits nicht unerhebliche Mietrückstände aufgelaufen waren, einen Geldbetrag in Höhe von 7 430,54 EUR von seinem Konto abgehoben und anderweitig verbraucht habe. Eine Begleichung der Mietschulden aus eigenen Mitteln wäre somit dem Antragsteller möglich und auch zumutbar gewesen.

Neben dem Umstand, dass der Ast. die durch die Agg. überwiesenen Beträge für Unterkunft und Heizung zur Begleichung von Ratenzahlungen für seine neue Einbauküche genutzt habe, rechtfertige dieser Sachverhalt die Annahme eines atypischen Falles, da keine Eigenbemühungen des Ast. zur Vermeidung bzw. Verminderung der Mietschulden ersichtlich seien. Vielmehr habe der Ast. seine gegenwärtige Notsituation scheinbar gezielt herbeigeführt. Diese zeige ein deutliches Abweichen im Verhältnis zu vergleichbaren Fällen.

Darüber hinaus sei der Agg. bei der Beurteilung der Übernahme von Mietschulden an die AV Wohnen gebunden, da diese eine verwaltungsintern bindende Vorschrift zum Verwaltungshandeln darstelle (AV-Wohnen vom 30. Mai 2006, Bl. S. 2062). Im Rahmen einer Abwägung der Umstände des Einzelfalles solle auch das bisherige Verhalten des Hilfesuchenden sowie dessen Selbsthilfemöglichkeiten berücksichtigt werden (Ziffer 11.2, Nr. 3). Ferner sei durch die Zahlung des in dem Beschluss titulierten Betrages in Höhe von 2 222,47 EUR durch den Ast. allenfalls eine Teilentschuldung zu sehen, welche nicht ausreichend sei zur Abwendung der Räumung der Wohnung. Die Frist von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räumungsanspruches sei vorliegend bereits fruchtlos verstrichen. Für die nur teilweise Entschuldung des Ast. finde sich im Gesetz keine Grundlage. Eine Sicherung der Unterkunft werde durch die Zahlung dieser Summe nicht erreicht.

Das SG hat den Beschwerden nicht abgeholfen.

Der Senat geht davon aus, der Ast. und Beschwerdeführer zu 1) wolle beantragen,

1. ihm Prozesskostenhilfe (PKH) für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens zu bewilligen,

2. den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 06. Juli 2006 abzuändern und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, rückständige Mietschulden des Ast. in Höhe von 2 222,47 EUR als Zuschuss zu übernehmen nebst Gerichtskosten von 243,00 EUR und Anwaltskosten von 1 395,48 EUR.

Der Agg. und Beschwerdegegner zu 1) beantragt,

die Beschwerde des Antragstellers und Beschwerdeführers zu 1) zurückzuweisen.

Der Agg. und Beschwerdeführer zu 2) beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 06. Juli 2006 aufzuheben.

Der Beschwerdegegner zu 2) beantragt sinngemäß,

die Beschwerde des Antragsgegners zurückzuweisen.

Er überreichte eine Liste, wonach er von potentiellen Vermietern eine Absage erhalten habe, da er eine Bescheinigung der Mietschuldenfreiheit nicht habe vorlegen können.

Im Rahmen des Verfahrens zu § 199 Abs. 2 SGG hat der Ast. vorgetragen, gegen die ablehnende Entscheidung des Agg. habe er am 26. Mai 2006 Widerspruch eingelegt. Der Vermieter habe eine letzte Frist bis 07. August 2006 zur Befriedigung der Schulden gegeben.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Aktenunterlagen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nebst Verwaltungsakte "2. Behelfsakte" Bezug genommen. Die genannten Unterlagen haben dem Senat bei seiner Entscheidung vorgelegen.

II.

1. Der Antrag, dem Ast. für das Beschwerdeverfahren PKH zu bewilligen, war abzulehnen.

Nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gelten die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) über die PKH entsprechend. Ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Diese Prüfung der Erfolgsaussichten ist vorliegend auf den Sachantrag im Verfahren wegen einstweiligen Rechtsschutzes in der Beschwerdeinstanz zu beziehen.

Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist gegeben, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers hier des Ast. aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage 2005, § 73 a Rz. 7 a m. w. N.).

Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung der Anforderungen an eine Glaubhaftmachung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund im Verfahren wegen Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht gegeben (§ 86 b Abs. 2 Satz 1, Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO). Es mangelt an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruches: Nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand dürfte der Ast. keinen Anspruch auf Übernahme der Mietschulden nebst Kosten nach dem SGB II haben.

Zwar dürfte seinem Begehren nicht die vorrangige Rechtshängigkeit und Rechtskraft der Entscheidung des SG Berlin in dem Verfahren S 51 SO 749/06 ER entgegenstehen. Dem Agg. ist zuzugeben, dass jenem Verfahren der identische Lebenssachverhalt und auch das hieraus behauptete identische Begehren zugrunde liegt. Allerdings betraf das dortige Prozessrechtsverhältnis jenes zwischen dem Ast. und dem Land Berlin als Träger der Sozialhilfe. Zugunsten des Ast. des vorliegenden Verfahrens nimmt der Senat an, dass das hier zu beurteilende Prozessrechtsverhältnis zum JobCenter Berlin-Lichtenberg Arbeitsgemeinschaft nach § 44 b SGB II wegen der gesetzlich besonders ausgestalteten Leistungszuständigkeit dieser Behörde (§ 44 b Abs. 1 Satz 1 SGB II) von der Inter partes Wirkung jenes Beschlusses nicht erfasst ist.

In dem ablehnenden Leistungsbescheid vom 11. Mai 2006 liegt insoweit ein wiederholender Verwaltungsakt des Agg., welcher nach dem unwidersprochenen Vortrag des Ast. auch durch Widerspruch vom 26. Mai 2006 angegriffen ist. Demgegenüber greift die Berufung des Agg. auf die Rechtskraft des Beschlusses des SG Berlin vom 13. April 2006 S 51 SO 749/06 ER daher nicht durch.

Nach § 22 Abs. 5 SGB II in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 24. März 2006 (BGBl. I Seite 558, 559) können, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden wie vorliegend , auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft gerechtfertigt ist. Sie sollen müssen also in der Regel übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 SGB I ist vorrangig einzusetzen. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden. Diese gesetzgeberische Regelung für die Zeit seit 01. April 2006 hat soweit ersichtlich durch das neueste Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl. I Seite 1706), in Kraft im Wesentlichen seit 01. August 2006, keine Änderung erfahren.

In diesem Zusammenhang hat der Agg., worauf er hingewiesen hat, norminterpretierende Verwaltungsvorschriften zu beachten, welche sich für die Zeit seit 01. April 2006 aus den Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 SGB II (AV Wohnen) vom 07. Juni 2005 in der Fassung der Änderungsvorschrift vom 30. Mai 2006 (ABl. Nr. 28 S. 2062) finden. Danach ist für die Frage, ob die Hilfeleistung gerechtfertigt ist, auch das bisherige Verhalten des Hilfesuchenden sowie die Selbsthilfemöglichkeiten zur Beseitigung der Notlage (auch der vorrangige Einsatz geschützten Vermögens gemäß § 22 Abs. 5 i. V. m. § 12 Abs. 2 Nr. 1 SGB II) in den Blick zu nehmen (Nr. 11.2 Abs. 3 in der Fassung seit 01. April 2006).

Der hierin zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke ist nach eigener Beurteilung für den Senat maßstabgebend bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffes der Gerechtfertigtheit einer Mietschuldenübernahme, soweit es das mitwirkende Verhalten des Ast. anbelangt. Dies entspricht auch der Darstellung in der Literatur (vgl. Streichsbier in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2005, § 34 Rz. 7 a. E., Birk in LPK SGB XII, 7. Auflage 2005, § 34 Rz. 12).

Danach ergibt sich vorliegend eindeutig, dass nach der im Tatbestand dargestellten Handlungsabfolge der Ast. durch sein Zahlungsverhalten die Notlage beginnend mit der Durchführung des von ihm neu geschlossenen Mietverhältnisses absichtsvoll selbst herbeigeführt hat. Er hat die ihm für die Kosten der Unterkunft seitens des Agg. aus öffentlichen Mitteln zur Verfügung gestellten Geldleistungen zweckverfehlend eingesetzt. Sein nachhaltig hierauf gerichtetes Verhalten zeigt sich zum einen darin, dass er offenbar nicht nur die Finanzierung der neu gekauften Küche für wichtiger hielt als die Tilgung seiner monatlichen Mietschulden, sondern auch darin, dass er die Differenz zwischen laufender Finanzierungsrate und dem monatlichen Mietaufwand als "freie Spitze" nicht auf das Vermieterkonto anwies. Der Senat hat keinerlei Zweifel, dass die Einschätzung des Sozialdienstes beim Bezirksamt Lichtenberg zutreffend ist, wonach der Ast. für sich bewusst und absichtlich anderweitige wirtschaftliche Prioritäten in seinem Konsumverhalten setzte. Dies wird zum einen dadurch bestätigt, dass der Ast. auch nach Ausspruch der Wohnungskündigung am 23. August 2005 sein Zahlungsverhalten nicht änderte und dies ebenso unwidersprochen auch nicht tat, nachdem er offenbar sein Festzinskonto über 7 430,54 EUR hat kündigen können, die Mittel aber nicht für die Tilgung seiner aufgelaufenen Schulden Ende Oktober 2005 einsetzte. Hieraus wird ein zielgerichtetes, absichtsvolles Verhalten zur Inkaufnahme einer eigenen Notlage deutlich, um diese dann dem Agg. als akuten Hilfebedarf zu präsentieren.

Eine Schuldübernahme aus öffentlichen Mitteln ist auch nicht deswegen gerechtfertigt, weil dem Ast. bei notwendigem Auszug aus der gegenwärtigen Wohnung eine dadurch bewirkte besondere Suizidgefahr drohte. Dies ist, die rechtliche Erheblichkeit unterstellt, jedenfalls nicht glaubhaft gemacht: Aus dem ärztlichen Attest des Dr. W M, in dessen Behandlung sich der Ast. offenbar kurzfristig begeben hatte, ergibt sich keinerlei konkret-individueller psychiatrischer Befund, welcher die darin angestellten Vermutungen und Prognosen stützen könnte. Für den Fall, dass beim Ast. tatsächlich ein manifester und florider psychiatrischer Befund vorläge, der in suizidaler Hinsicht relevant wäre, müsste sich der Ast. selbst sofort fragen, ob für ihn eine Betreuung ggf. mit Zielrichtung auf eine Unterbringung in Einrichtungen des betreuten Wohnens oder sogar eine ordnungsbehördliche Unterbringung zu eigenem Schutze nötig wäre.

Im Übrigen ergibt sich aus den Darlegungen des Ast. nicht die konkret-individuelle Erfolglosigkeit seiner Wohnungsbemühungen, insbesondere nicht bezüglich auch der in seiner Person bestehenden Schulden gegenüber seinem jetzigen Vermieter als Hinderung eines neuen Abschlusses.

Unter Einbezug der ihm dargebrachten Hilfe des Agg. wird sich der Ast. weiterhin intensiv um die Befriedigung seiner vorrangigen Bedürfnisse und Bedarfe bezüglich Unterkunft zu kümmern haben. Dabei ist ihm auch eine einfache Unterkunft für eine Übergangszeit in Ansehung der Vorgeschichte durchaus zumutbar.

Im Übrigen spricht vieles dafür, mit der Entscheidung des Sozialgerichts vom 13. April 2006 den Berliner Wohnungsmarkt auch gegenwärtig noch als "Mietermarkt" anzusehen, was aber dahinstehen kann.

Hat der Agg. bei der hier gebotenen summarischen Prüfung in Hinsicht auf § 22 Abs. 5 Satz 2 zu Recht einen atypischen Fall angenommen und ist im Übrigen damit ein so genannter "Null Fall" nicht vorderhand zu erkennen, kann bei überschlägiger Beurteilung die Ermessensentscheidung des Agg. nicht als rechtswidrig beurteilt werden.

Nach allem kann auf sich beruhen, ob eine Übernahme nur der Zahlungsverpflichtungen aus dem streitgegenständlichen Vergleich überhaupt geeignet wäre, dem Ast. den Wohnraum zu erhalten. Des Weiteren kann deshalb unbeurteilt bleiben, ob der Agg. aus Rechtsgründen verpflichtet sein könnte, zur Sicherung des Ziels der Wohnraumerhaltung bei gegebener Gesetzeslage auch die weiteren Kosten des Ast. zu übernehmen.

2. Hinsichtlich des Antrages des Ast. zu 2) wird auf die Ausführungen zu II.1. Bezug genommen.

Aus ihnen ergibt sich, dass ein Anordnungsanspruch im Sinne einer Glaubhaftmachung eines Leistungsanspruches auf Grundsicherung für Arbeitsuchende bezüglich einer Mietschuldenübernahme nicht nach den in einem einstweiligen Verfahren anzulegenden Umständen gegeben ist.

Danach musste der Beschluss des SG Berlin aufgehoben werden. Der Antrag des Ast. vom 01. Juni 2006 war abzulehnen.

Die weitergehende Beschwerde des Ast. war zurückzuweisen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG analog.

Das Verfahren nach § 199 Abs. 2 SGG hat sich durch diesen Beschluss erledigt.

Gegen diesen Beschluss sieht das Gesetz einen ordentlichen Rechtsbehelf nicht vor (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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