L 10 B 586/06 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 43 AS 4745/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 B 586/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 12. Juni 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die. 1975 geborene alleinlebende Antragstellerin (Ast) ist gelernte Einzelhandelskauffrau. Bis zum 28. September 2005 bezog sie Arbeitslosengeld und Wohngeld, ab dem 29. September 2005 gewährte ihr die Antragsgegnerin (Ageg) Leistungen der Grundsicherung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) iHv 690,03 EUR monatlich (Bescheid vom 19. September 2005 für den Leistungszeitraum 29. September 2005 bis 31. März 2006). Am 06. Februar 2006 nahm die Ast eine zweijährige Ausbildung zur Heiler¬ziehungs¬pflegerin im Umfang von 32 Wochenstunden an der S F für HB, einer nach § 2 Abs 1 Nr 2 Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) förderungsfähigen Anstalt, auf; hiervon hatte sie die Ageg bereits am 03. Februar 2006 in Kenntnis gesetzt. Des Weiteren übt sie seit dem 08. März 2006 eine geringfügige Beschäftigung mit wechselnder Arbeitszeit bei der Fa P GmbH (Veranstaltungsservice) aus.

Mit bestandskräftigem Bescheid vom 09. Februar 2006 hob die Ageg die Leistungsbewilligung mit Wirkung ab dem 01. März 2006 nach § 48 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auf, da sich die Ast abgemeldet habe. Den Antrag auf Weitergewährung von Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II vom 06. April 2006 lehnte die Ageg mit Bescheid vom 26. April 2006, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 08. Juni 2006, mit der Begründung ab, die Ast nehme an einer nach dem BAföG dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung teil, so dass die Erbringung von Leistungen nach § 7 Abs 5 und 6 SGB II ausgeschlossen sei. Dass die Ast keine Leistungen nach dem BAföG erhalten könne, sei nach ihren eigenen Angaben dem Umstand geschuldet, dass sie vor Beginn der Ausbildung bereits das 30. Lebensjahr vollendet hatte. Ein Härtefall iSd § 7 Abs 5 Satz 2 SGB II, dh die Voraussetzung für eine darlehensweise Gewährung von Leistungen, liege nicht vor, da die Ausbildung erst im Februar 2006 begonnen worden sei.

Den bereits am 30. Mai 2006 beim Sozialgericht (SG) Berlin unter Hinweis auf ihre Mittellosigkeit gestellten Antrag der Ast auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (Verpflichtung der Ageg zur Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab dem 06. April 2006) hat das SG durch Beschluss vom 12. Juni 2006 abgelehnt. Es bestehe nach § 7 Abs 5 Satz 1 SGB II kein Anordnungsanspruch, da der Besuch der S F für H, einer Berufsfachschule, gemäß § 2 Abs 1 Nr 2 BAföG dem Grunde nach förderungsfähig sei. Die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes als Darlehen nach § 7 Abs 5 Satz 2 SGB II komme gleichfalls nicht in Betracht, da ein besonderer Härtefall nicht vorliege. Insoweit seien die Kriterien, die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zu dem inhaltsgleichen § 26 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) entwickelt worden seien, zu Grunde zu legen. Vorliegend seien keine Umstände erkennbar, die den Ausschluss der Ast von der Ausbildungsförderung durch Leistungen zum Lebensunterhalt auch mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck, die "Sozialhilfe" von den finanziellen Lasten einer Ausbildungsförderung freizuhalten, als übermäßig hart, dh als unzumutbar oder in hohem Maße unbillig, erscheinen ließen. Zum einen handele es sich beim Überschreiten der Höchstaltersgrenze für eine nach dem BAföG dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung, dh der Nichterfüllung einer persönlichen Leistungsvoraussetzung, um den typischen Ausschluss nach dem BAfög und damit nicht um einen Ausnahmefall. Zum anderen befinde sich die Ast erst am Anfang ihrer Ausbildung und nicht unmittelbar in den Abschlussprüfungen.

Mit der Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat, hat die Ast weiter ausgeführt, während der seit Oktober 2004 bestehenden Arbeitslosigkeit hätten ihre intensiven Bemühungen, auch mit Hilfe der Arbeitsagentur einen Arbeitsplatz im erlernten Beruf oder für eine andere Tätigkeit zu finden, keinen Erfolg gebracht. Ihre seit Anfang 2005 wiederholt bei der Arbeitsagentur mündlich gestellten Anträge auf Umschulung zur Heilerziehungspflegerin seien mit Hinweis auf fehlende Haushaltsmittel, später auf die vorliegende abgeschlossene Berufsausbildung abgelehnt worden. Da sie von den Einkünften aus der Tätigkeit beim Veranstaltungsservice nicht leben könne, habe sie zusätzlich eine Beschäftigung in sozialen Einrichtungen für Behinderte gesucht und sei seit dem 14. Juni 2006 bei der L eV in B als Aushilfe mit wechselnden Einsätzen tätig. Das Geld reiche jedoch nicht, um die aufgelaufenen Schulden zu begleichen. So sei ihr die Wohnung gekündigt worden und die Androhung der Räumung liege vor. Ihre Mutter beziehe eine kleine Rente und könne ihr nur mit Lebensmitteln aushelfen. Ohne ergänzende Leistungen zur Unter¬halts¬¬sicherung durch die Ageg müsse sie die Ausbildung abbrechen, obwohl gerade in diesem Berufsbereich gute Aussichten auf eine Beschäftigung nach Abschluss der Ausbildung bestünden. Dass sie für den Beruf geeignet sei, zeige sich in dem beigefügten Semesterzeugnis der Fachschule, der Beurteilung vom 27. September 2005 über das absolvierte Praktikum in einer anerkannten Werkstatt für Behinderte des n vom 01. bis 28. September 2005 und dem Zeugnis des Dvom 02. Mai 2005 über ihre Tätigkeit im Rahmen einer MAE-Maßnahme im Kinder- und Jugendheim D vom 01. Oktober 2005 bis 15. März 2006.

Die Beschwerde ist der Ageg zur Kenntnis gegeben worden. Die Verwaltungsakte der Ageg lag bei Entscheidungsfindung vor.

II.

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.

Nach § 86 b Abs 2 Satz 2 SGG kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Begehren der Ast (§ 123 SGG) ist auf Gewährung von Alg II (§ 19 SGB II) frühestens ab dem 06. April 2006 gerichtet, hilfsweise auf die Gewährung dieser Leistung als Darlehen – jeweils für einen am 06. April 2006 beginnenden sechsmonatigen Bewilligungsabschnitt (§ 41 Abs 1 Satz 4 SGB II). Da ein solcher Anspruch nach dem SGB II nicht be¬steht, kann er auch nicht im Rahmen einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs 2 Satz SGG zugesprochen werden, denn die einstweilige Anord¬nung dient allein dazu (mit Wahrscheinlichkeit) bestehende Rechte zu sichern oder unter Vor¬behalt einst¬weilen durchzusetzen, nicht aber dazu, Leistungsansprüche vorläufig einzuräu¬men, die nach der anzuwendenden gesetzlichen Rege¬lung nicht begründet sind.

Der Anspruch ist – wie vom SG im angefochtenen Beschluss bereits zutreffend dargelegt - nicht begründet. Das SGB II sieht als Leistung zur Sicherung des Lebens¬unter¬halts (so die Überschrift des 2. Abschnitts des Dritten Kapitels) das Alg II vor. Ohne dass im Einzelnen entschieden werden müsste, ob die Voraussetzungen dieser Leistung vorliegen, ergibt der Leistungsausschluss in § 7 Abs 5 Satz 1 SGB II, dass der Ast Alg II als nicht zurückzufordernde Leistung nicht zusteht. Nach dieser Bestimmung haben Auszu¬bildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Dies trifft auf die Ast zu. Ihre Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin an der S Ffür H B ist eine dem Grunde nach förderungsfähige, denn die Berufsfachschul¬klassen und Fachschulklassen, deren Besuch keine abge¬schlossene Berufsausbildung voraussetzt und die in einer zweijährigen Ausbildung einen berufsqualifizierenden Abschluss vermitteln, sind in § 2 Abs 1 Satz 1 Nr 2 BAföG ausdrücklich als Institutionen ge¬nannt, für deren Besuch Ausbildungs¬förderung geleistet wird. Dementsprechend ist der Grund, aus dem die Ast nach dem BAföG nicht gefördert wird, in ihrer Person und nicht in der Art der Aus¬bildung begründet – sie hat das 30. Lebensjahr vollendet und erhält (allein) deshalb nach § 10 Abs 3 Satz 1 BAföG keine BAföG-Leistungen.

Im Falle des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs 5 Satz 1 SGB II können nach Satz 2 der Vor¬schrift Leistungen zur Sicherung des Lebens¬unter¬halts in besonderen Härtefällen als Darlehen erbracht werden. Auch unter Beachtung dieser Einschränkung des Begehrens auf eine zurück¬zuzahlende Leistung kann dem Antrag nicht entsprochen werden, da ein besonderer Härtefall nicht vorliegt. Der Begriff der besonderen Härte ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der richterlich voll nachprüfbar ist. Er ist – wie alle Ausnahmeregelungen – sehr eng auszulegen. Daher erfordert eine besondere Härte im Sinne des § 7 Abs 5 Satz 2 SGB II einen gegenüber der Regelvorschrift des Satzes 1 aaO atypischen Lebenssachverhalt, der es für den Auszubildenden auch unter Berücksichtigung der öffentlichen Interessen objektiv nicht zumutbar erscheinen lässt, seine Ausbildung abzubrechen oder zu unterbrechen. Sinn der genannten Regelvorschrift ist offensichtlich, dass Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht dazu dienen sollen, durch Sicherung des Unterhalts das Betreiben einer dem Grunde nach förderungsfähigen Schul- oder Hochschulausbildung (Katalog des § 2 BAföG) zu ermöglichen. Mit dieser Regelung soll die Rechtslage in der Grundsicherung für Arbeitsuchende an das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) angeglichen werden (Ausschussbegründung BT-Drs 15/1749 S 31); sie entspricht § 22 (Sonderregelung für Auszubildende) Abs 1 Satz 1 SGB XII. Diese Regelung ist wiederum inhaltsgleich mit dem früheren § 26 BSHG (Gesetzesbegründung BT-Drs 15/1514 S 57). Sinn und Zweck des § 7 Abs 5 Satz 1 SGB II ist es daher ersichtlich gerade das Entstehen einer versteckten Ausbildungsförderung auf einer zweiten Ebene zu verhindern. Eine besondere Härte nach § 7 Abs 5 Satz 2 SGB II kann daher nur zugunsten solcher Antragsteller angenommen werden, die von diesem generellen Ausschluss besonders intensiv betroffen sind, dh die sich – im Vergleich zu den Folgen, die der Ausschluss immer hat – gravierenderen Konsequenzen gegenüber sehen. Über den typischen Sachverhalt hinaus, ihren Lebensunterhalt während der Aus¬bildung nicht bestreiten zu können und den Schulbesuch (mit den typischen negativen Folgen für die beruflichen Eingliederungsmöglichkeiten) abbrechen zu müssen, hat die Ast indes nichts vorgetragen, insbesondere keine Verhält¬nisse, die den Umständen, die üblicherweise als eine Härte begründend angesehen werden (etwa Ver¬längerung der Ausbildung über die BAföG-Förderdauer auf Grund von Schwangerschaft oder Krankheit, keine Absicherung mehr in der Examensphase (vgl etwa Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, RdNr 47 zu § 7)), auch nur im Ansatz vergleichbar wären. Allein die für alle Arbeitsuchende maßgebliche angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt reicht zur Begründung einer besonderen Härte im Fall der Ast, die über eine arbeitsmarktgängige Berufsausbildung verfügt, nicht aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Diese Entscheidungen sind nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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