L 1 KR 40/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 89 KR 1634/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 40/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte den Kläger von den Kosten der im September 2003 gelieferten Prothese laut Rechnung vom 22.06.2006 freizustellen hat. Die Beklagte hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit zwischen den Beteiligten ist noch die Freistellung von Kosten für eine Oberschenkelprothese mit Silikonschaft und Total-Knee.

Der 1926 geborene Kläger leidet unter anderem an Diabetes Mellitus. Am 27. August 2001 musste der linke Oberschenkel aufgrund einer arteriellen Durchblutungsstörung amputiert werden. Nach der Amputation erhielt der Kläger eine Interimsprothese.

Am 24. Januar 2002 reichte die Z GmbH für den Kläger beim beklagten Krankenversicherungsträger einen Kostenvoranschlag vom 23. Januar 2001 für eine Oberschenkelprothese in Leichtbauweise sowie eine ärztliche Verordnung hierfür durch den Internisten Dr. G vom 14. Januar 2002 ein. Die Prothese sollte hiernach 9549,49 EUR kosten. Der von der Beklagten eingeschaltete Sozialmedizinische Dienst teilte mit, es liege ein am 7.12.2001 erstelltes Pflegegutachten über den Kläger vor. Daraus gehe hervor, dass bei diesem erhebliche cerebrale Defizite bestünden. Er sei mit mehreren orthopädischen Hilfsmitteln versorgt, dazu gehörten bereits eine Oberschenkelinterimsprothese, ein Rollator, ein Faltrollstuhl sowie ein Elektrorollstuhl. Damit sei der Kläger ausreichend und zweckmäßig versorgt. Durch Bescheid vom 19.3.2002 lehnte die Beklagte die Versorgung mit der begehrten Oberschenkelprothese ab. Mit dem Widerspruch machte der Kläger geltend, die vorhandene Prothese sei leider nicht zu gebrauchen. Ein Stehen ohne fremde Hilfe sei mit dieser Prothese nicht möglich. Bei jeder Bewegung entstünden extrem starke Schmerzen. Es sei bereits ein Reparaturversuch unternommen worden, der jedoch nichts an dem Zustand geändert habe. Mit Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 2002 wurde der Bescheid vom 19.3.2002 teilweise aufgehoben. In dem Bescheid heißt es, eine Prüfung von Reparaturmöglichkeiten der vorhandenen Prothese solle erfolgen. Sofern diese Möglichkeit nicht bestehe, werde eine Ersatzversorgung vorgenommen. Im Übrigen bestehe jedoch kein Anspruch auf die beantragte Prothese, weil dieses Hilfsmittel nicht dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, 5. Buch (SGB V) entspreche. Im Falle des Klägers werde der Ausgleich der Behinderung mit einem kostengünstigeren Hilfsmittel gewährleistet.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 7. August 2002 vor dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben. Er hat ausgeführt, er leide zusätzlich an den Folgen eines operierten Bandscheibenschadens, der Bewegungsapparat sei dadurch erheblich geschwächt und es komme durch das Tragen der Prothese zu Belastungserscheinungen mit der Folge vorzeitigen Gelenkverschleißes. Nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 6. Juni 2002 (B 3 KR 68/01 R) habe er sogar einen Anspruch auf eine wesentlich teurere Versorgung mit dem Kniegelenksystem C-Leg. Die beantragte Oberschenkelprothese sei, nachdem er gestürzt sei, wegen eines erhöhten Sicherheitsbedüfnisses notwendig. Er besitze den Mobilitätsgrad II, sei damit ein so genannter limitierter Außenbereichsgeher. Damit sei die Prothese für ihn auch geeignet. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die von dem Kläger beantragte Prothese sei wie das so genannte C-Leg schon deshalb nicht einsetzbar, weil der vom Hersteller hierfür geforderte Mindestaktivitätsgrad vom Kläger nicht erreicht werde. Sie hat hierzu auf das in Fotokopie beigefügte Pflegegutachten des Sozialmedizinischen Dienstes Cottbus vom 07. Dezember 2001 verwiesen. Das Sozialgericht hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 11. Juni 2003 die Ehefrau des Klägers als Zeugin zur Mobilität des Klägers und Herrn Z von der Firma Z GmbH als sachverständigen Zeugen zur Notwendigkeit der begehrten Prothese für den Kläger gehört. Sodann hat es die Beklagte durch Urteil vom 11. Juni 2003 dazu verurteilt, die Kosten für die im Kostenvoranschlag vom 23. Januar 2002 aufgeführte Oberschenkelprothese in Leichtbauweise mit Cat-Cam-Schaft, Total-Knee und Sure-Flex-Fuß zu übernehmen. Die Kammer habe sich durch Vernehmung der Ehefrau davon überzeugt, dass der Kläger noch über eine ausreichende Beweglichkeit verfüge, da er, wie die Ehefrau glaubhaft bekundet habe, mit seiner jetzigen Prothese noch täglich laufe. Auch der Zeuge Z habe dies bestätigt. Nach dem von der Firma Z GmbH gefertigten Profilerhebungsbogen sei der Kläger ein eingeschränkter Außenbereichsgeher, was einem Mobilitätsgrad der Stufe II entspreche. Aufgrund der glaubhaften, nachvollziehbaren Aussagen des Zeugen Z sei die Kammer auch zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger die Gebrauchsvorteile der begehrten Prothese aufgrund seiner körperlichen und geistigen Voraussetzungen und seiner persönlichen Lebensgestaltung nutzen könne.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die dazu ausführt, der Kläger sei bereits mit einem Kniegelenk 3 R 49 von Otto Bock versorgt. Dieses zeichne sich durch eine hohe Standphasensicherung aus. Es sei für Oberschenkelamputierte mit mittlerer Aktivität und maximal 100 kg Körpergewicht zu empfehlen, insbesondere bei ausgeprägtem Sicherheitsbedürfnis. Ein solches Gelenk sei für unsichere Patienten geeignet, um ein gesperrtes Gelenk zu vermeiden. Durch den Bremsmechanismus werde die Kniesicherheit erhöht und eine verminderte Muskelaktivität kompensiert. Eine noch weiter verbesserte Standphasensicherung lasse sich allenfalls mit einem gesperrten Kniegelenk wie dem 3 R 33 von Otto Bock erreichen. Das Total-Knee, das der Kläger begehre, biete demgegenüber keine weiteren Gebrauchsvorteile, da auch hier die Kniesperre und die Standphasensicherung durch den Versicherten aktiv einzuleiten seien. Dem gegenüber macht der Kläger geltend, mit dem Kniegelenk 3 R 49 von Otto Bock sei er eben nicht ausreichend versorgt, er knicke mit diesem Kniegelenk ständig ein. Schwere Stürze seien dann die Folge. Wegen der bei ihm vorhandenen arteriellen Durchblutungsstörung sei auch die Anfertigung eines Silikonhaftschaftes erforderlich, da dieser eine optimale Durchblutung bewirke sowie weitere Schäden abwende. Der Silikonschaft verhindere das besonders häufig auftretende Wundlaufen. Außerdem sei er mit dem Silikonhaftschaftsystem in der Lage seine Prothese selbst anzulegen und so einen optimalen Prothesensitz herbeizuführen. Hierzu trägt die Beklagte vor, bei einem Patienten mit arterieller Durchblutungsstörung bei dem eine Oberschenkelamputation habe durchgeführt werden müssen, sei die für die Amputation ursächliche Durchblutungsstörung nicht unbedingt weiter vorhanden. Ein Silikonhaftschaftsystem könne keinesfalls eine bessere Durchblutung gewährleisten. Wie sich der Kläger bei einem gut angepassten Cat-Cam-Schaft den Stumpf wund laufen könne, sei aus orthopädietechnischer Sicht nicht nachvollziehbar. Schließlich könne der Kläger allenfalls das Total-Knee 1900 von der Firma Ö erhalten, weil das im Kostenvoranschlag aufgeführte OM 7 seit 2002 nicht mehr im Herstellerkatalog aufgeführt sei. Die Firma Zhat hierzu mitgeteilt, dass das OM 7 mit dem Total-Knee 1900 baugleich sei, in der Zwischenzeit aber der Hersteller gewechselt habe, sodass es deshalb zu einer Namensänderung gekommen sei.

Im Verlauf des Berufungsverfahrens hat der Kläger im September 2003 die begehrte Prothese durch die Firma Z GmbH geliefert und angepasst bekommen. Er trägt vor, er trage die Prothese den ganzen Tag und komme mit ihr gut zurecht. Der Silikon- Haft-Schaft ermögliche es ihm, die Prothese selbstständig anzuziehen, bisher habe er hierzu die Hilfe der Ehefrau benötigt.

Die Beklagte hat zwei weitere Pflegegutachten vom 17. 02. 2005 und vom 03. 06. 2005 vorgelegt und vorgetragen, aus den Gutachten ergebe sich, dass der Kläger sich in der Hauptsache mit dem Rollstuhl noch bewegen könne und mit der vorhandenen Prothese in der Wohnung nur wenige Schritte zurücklege. Der von dem Sozialgericht unterstellte maßgebliche Mobilitätsgrad liege daher nicht vor, so dass die Kosten für die beantragte Prothese nicht übernommen werden könnten. In dem Pflegegutachten der Ärztin Mvom 03.06.2005 heißt es hierzu, dass der Kläger zum Transfer meistens nur den Rollstuhl benutze. An anderer Stelle heißt es, der Versicherte habe eine Beinprothese, mit der er auch gut umgehen könne.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11.6.2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 22.6.2006 die Rechnung der Firma Z GmbH für die gelieferte Prothese über 8.887,99 EUR vorgelegt.

Die den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten lag vor und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nicht begründet.

Soweit der Kläger anstelle des im Klageverfahren verfolgten Anspruches auf eine Sachleistung nunmehr eine Erstattung bzw. Freistellung von den von der Firma Z GmbH mit Rechnung vom 22.6.2006 geltend gemachten Kosten verlangt, ist dies keine Klageänderung im Sinne des § 99 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz, weil die Voraussetzungen des § 99 Abs. 3 Ziffer 3 SGG vorliegen, denn statt der ursprünglich geforderten Leistung wird wegen der im Laufe des Berufungsverfahrens eingetretenen Änderung nunmehr die Erstattung der bzw., was dem entspricht, die Freistellung von den Kosten verlangt.

Maßgeblich für eine Kostenerstattung ist § 13 Abs. 3 SGB V. Danach sind dem Versicherten Kosten einer selbst beschafften Leistung in der entstandenen Höhe zu erstatten, wenn die Leistung unaufschiebbar war und die Krankenkasse sie nicht rechtzeitig erbringen konnte oder wenn die Krankenkasse die Leistung zu Unrecht abgelehnt hatte. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte die Versorgung des Klägers mit einem notwendigen Hilfsmittel, nämlich der von ihm begehrten und jetzt auch gelieferten Prothese zu Unrecht abgelehnt. Nach § 33 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Körperersatzstücken, die erforderlich sind, um eine Behinderung auszugleichen. Zwischen den Beteiligten ist nicht streitig, dass der Kläger nach der Amputation seines linken Oberschenkels Anspruch auf Versorgung mit einer Prothese hatte. Zwischen ihnen ist weiterhin unstreitig, dass die dem Kläger direkt nach der Operation angepasste Interimsprothese nicht ausreichend war um seine Behinderung auszugleichen, weil ihm diese Prothese Schmerzen verursachte und Stürze nach sich gezogen hatte. Zu Recht hat das Sozialgericht in seiner angefochtenen Entscheidung festgestellt, dass die Versorgung des Klägers mit der begehrten Prothese zum Ausgleich der Behinderung notwendig ist und gleichzeitig dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V entspricht. Dabei hat sich das Gericht zu Recht auf die Darstellung des sachverständigen Zeugen Z gestützt, der dem Gericht nachvollziehbar erläutert hat, aus welchen Gründen die Versorgung des Klägers mit der beschriebenen Prothese notwendig ist. Auch wenn gewisse Bedenken bestehen einen Vertreter des Leistungserbringers selbst als sachverständigen Zeugen in das Verfahren einzubeziehen, sind diese Bedenken hier doch nicht so durchschlagend, dass sie das Beweisergebnis in Frage stellen könnten. Anhaltspunkte dafür, dass das eigene Interesse die Aussage des sachverständigen Zeugen beeinträchtigt haben könnte, hat das Sozialgericht nicht gesehen und sind auch für den Senat nicht erkennbar. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Entscheidung vom 6. Juni 2002 - B 3 KR 68/01 R - (SozR 3-2500 § 33 Nr 44) sind Gebrauchsvorteile von Hilfsmitteln – hier des Total Knee und des Silikonschaftes gegenüber einer herkömmlichen Prothese- dann wesentlich, wenn sie sich allgemein im Alltagsleben auswirken und sich nicht auf einen bloß besseren Komfort im Gebrauch oder eine bessere Optik beschränken. Hierzu hat der sachverständige Zeuge bekundet, dass die Verhinderung bzw. Minimierung von Wundlaufen durch den Silikonschaft bewirkt wird und das Verhindern bzw. Minimieren von Stürzen durch das Total Knee. Dies sind wesentliche Gebrauchsvorteile auf die der Kläger nicht verzichten muss. Soweit die Beklagte diese Gebrauchsvorteile bestreitet, sah sich der Senat nicht gedrängt erneut Beweis zu erheben. Er hält die Aussage des sachverständigen Zeugen für ausreichend und überzeugend. Soweit die Beklagte vorträgt, der Kläger könne, wie die zuletzt eingereichten Pflegegutachten bewiesen, die gelieferte Prothese nicht mehr voll in Anspruch nehmen, weil er sich zumeist im Rollstuhl fortbewege, vermag sie damit nicht durchzudringen. Es steht außer Frage, dass der Kläger auch bei einer eingeschränkten Mobilität Anspruch auf Versorgung mit einer Prothese hat und nicht lediglich auf den Rollstuhl verwiesen werden durfte. Der Senat entnimmt dem Pflegegutachten vom 03. 06. 2005, dass der Kläger trotz eingeschränkter Mobilität mit der ihm gelieferten Prothese gut umgehen kann und diese also auch nutzen kann. Es ist für den Senat auch nicht erkennbar, inwiefern bei einer eingeschränkten Mobilität die Gebrauchsvorteile, die der sachverständige Zeuge geschildert hat, für den Kläger entfallen könnten. Soweit die Beklagte zum Ausdruck bringen wollte, der Kläger müsse wegen seiner eingeschränkten Mobilität auf diese Gebrauchsvorteile verzichten, kann dem von Rechts wegen nicht gefolgt werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Sie folgt der Entscheidung in der Hauptsache. Die Revision war nicht zuzulassen, weil ein Zulassungsgrund nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorlag.
Rechtskraft
Aus
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