L 10 U 2104/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 6 U 04/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 2104/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 2. Mai 2005 abgeändert. Die Beklagte wird ihrem Teilanerkenntnis entsprechend unter Abänderung des Bescheides vom 29. Juni 2005 verurteilt, der Klägerin Verletztenrente nach einer MdE von 30 v.H. ab dem 24. April 1998 zu gewähren.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin ein Fünftel der außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer höheren Verletztenrente wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls.

Die am 1947 geborene Klägerin fiel am 21. April 1998 bei ihrer beruflichen Beschäftigung als Krankenschwester von einer Trittleiter auf die rechte Körperseite und verletzte sich u. a. an der rechten Schulter (Distorsionstrauma mit knöcherner Aussprengung und Rotatorenmanschettenläsion), was wegen anhaltender Schmerzen im November 1998 und Februar 1999 zu Arthroskopien führte. Bekannt ist, dass die Klägerin vor dem Unfall in der Zeit vom 24. September 1997 bis 27. Januar 1998 u. a. wegen einer Depression arbeitsunfähig krank war.

Im Rahmen des langwierigen Heilungsverfahrens teilte der Nervenarzt Dr. K. , der die Klägerin am 16. Juli 1999 untersuchte, mit, dass sich die klinische Untersuchung extrem schwierig gestaltet habe, da die Klägerin zum einen nicht mitgearbeitet und zum zweiten bei aktiven Bewegungen dagegengehalten habe. Es stelle sich die Frage, was neben der zweifelsohne bestehenden hochgradigen funktionellen Überlagerung noch organischer Kern der fortbestehenden Schulterbeschwerden sei. Prof. Dr. W. , Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. , regte im Juli 1999 eine psychologische Mitbetreuung an. Die behandelnde Nervenärztin Dr. G. beschrieb im Februar 2001 ein anhaltend starkes Schmerzsyndrom, welches inzwischen psychisch überlagert sei, außerdem einen beginnenden Schmerzmittelabusus. Seit 1. April 2000 erhält die Klägerin von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (heute: Deutsche Rentenversicherung - Bund) unbefristete Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

Mit Bescheid vom 26. April 2001 und Widerspruchsbescheid vom 27. November 2001 gewährte die Beklagte der Klägerin Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 v. H. ab 24. April 1998 und anerkannte als Unfallfolgen: "Nach einer Verstauchung der re. Schulter mit knöchernem Ausriss am großen Oberarmhöcker und operativer Versorgung eines Teilrisses der Subskapularissehne: Bewegungseinschränkung aktiv und passiv des rechten Schultergelenkes; Minderung der Schulterkappenmuskulatur mit Minderung der groben Kraft; Narbenbildung, einliegendes Metall". Grundlage hierfür war das unfallchirurgische Gutachten von Prof. Dr. B. vom 25. Oktober 2000.

Die Klägerin hat am 28. Dezember 2001 Klage bei dem Sozialgericht Konstanz mit dem Ziel der Gewährung einer Verletztenrente nach einer höheren MdE erhoben.

Privatdozent Dr. P. hat im zweiten Rentengutachten für die Beklagte vom 22. Mai 2002 (Untersuchungstag 16. Mai 2002) die unfallchirurgische Teil-MdE um 20 v. H. bestätigt. Er hat eine intensive psychiatrische Mitbehandlung vorgeschlagen.

Prof. Dr. Dr. W. hat in seinem für das Sozialgericht erstatteten nervenärztlichen Gutachten vom 22. Januar 2003 als Unfallfolgen eine psychogene Armlähmung rechts sowie eine chronisch somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert und die MdE "bei sozialmedizinischer Würdigung der Gesamtsituation" für die Zeit von April 1998 bis September 2000 auf 20 v. H., von Oktober 2000 bis Mai 2002 auf 40 v. H. und ab Mai 2002 auf 50 v. H. eingeschätzt. Die Beklagte hat hierzu eine kritische beratungsärztlichen Stellungnahme des Nervenarztes Dr. O. vorgelegt, der sich dafür ausgesprochen hat, als Unfallfolge lediglich eine abnorme Schmerzhaftigkeit der Unfallverletzung anzunehmen und die orthopädische Teil-MdE auf 30 v. H. zu erhöhen. Prof. Dr. Dr. W. hat demgegenüber in einer ergänzenden Stellungnahme an seiner Ansicht festgehalten. Der behandelnde Orthopäde Dr. K. hat als sachverständiger Zeuge mitgeteilt, dass nur eine vorübergehende Besserung der erheblichen Bewegungseinschränkung der rechten Schulter durch Intensivierung der konservativen orthopädischen Behandlung erreicht werden könne.

Ein weiteres nervenärztliches Gutachten mit psychoanalytischem Zusatzgutachten bei Dr. Sch ... , Kliniken S. Konstanz, ist nicht zustande gekommen, da die Klägerin trotz mehrerer Aufforderungen und Hinweisen auf die Folgen für die Beweiswürdigung seitens des Gerichts zu den gutachtlich anberaumten Terminen nicht erschienen ist bzw. keine weiteren Termine mit dem Gutachter vereinbart hat.

Mit Gerichtsbescheid vom 2. Mai 2005 hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 26. April 2001 und den Widerspruchsbescheid vom 27. November 2001 abgeändert, die Beklagte verpflichtet, der Klägerin wegen des anerkannten Arbeitsunfalls Rente nach einer MdE um 30 v. H. zu gewähren und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es u. a. ausgeführt, dass dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. W. nicht gefolgt werden könne, da bereits vor dem Unfall ein erhebliches depressives Syndrom vorgelegen habe und der Gutachter die psychogene Armlähmung hiervon nicht ausreichend abgegrenzt habe. Aus der sachverständigen Zeugenaussage von Dr. K. ergebe sich zudem, dass die konservative orthopädische Behandlung die Symptome der Klägerin beeinflusse, so dass die Annahme einer psychogenen Störung nicht schlüssig sei. Da die Klägerin den Gutachtenstermin bei Dr. Sch ... nicht wahrgenommen habe, könne nur auf der Basis der vorliegenden Unterlagen entschieden werden. Diese ließen jedoch nur eine MdE um 30 v. H. entsprechend der Einschätzung von Dr. O. zu.

Die Klägerin hat gegen den ihr am 9. Mai 2005 zugestellten Gerichtsbescheid am 24. Mai 2005 Berufung eingelegt. Sie hat eine ergänzende Befragung von Prof. Dr. Dr. W. im Hinblick auf die Äußerung von Dr. K. angeregt und im Übrigen erklärt, sie sei grundsätzlich zu einer weiteren nervenärztlichen Untersuchung bereit.

Die Beklagte hat - in Ausführung des Gerichtsbescheids - mit Bescheid vom 29. Juni 2005 die Verletztenrente der Klägerin ab 1. Juni 2002 auf eine solche nach einer MdE um 30 v. H. erhöht.

Der Senat hat erneut eine Begutachtung durch Dr. Sch ... veranlasst, jedoch ist die Klägerin wieder nicht zu dem Untersuchungstermin erschienen. Sie hat erklärt, dies sei aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich gewesen, und die Übersendung eines entsprechenden ärztlichen Attest ihres Hausarztes angekündigt.

Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung anerkannt, der Klägerin eine Verletztenrente nach einer MdE um 30 v. H. schon ab 24. April zu gewähren.

Die Klägerin beantragt (sachdienlich gefasst),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 2. Mai 2005, den Bescheid vom 26. April 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. November 2001 und den Bescheid vom 29. Juni 2005 abzuändern sowie die Beklagte zu verurteilen, ihr wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 21. April 1998 eine Verletztenrente nach einer MdE und 50 v. H. ab 24. April 1998 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, soweit sie über das Teilanerkenntnis hinausgeht.

Sie sieht keine höhere Rente als eine MdE um 30 v. H. und hält insoweit das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung der Klägerin ist im ausgesprochenen Umfang begründet. Die Klägerin hat entsprechend dem Teilanerkenntnis der Beklagten Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE um 30 v. H. bereits ab 24. April 1998. Das Urteil ergeht, da das Teilanerkenntnis von der in der mündlichen Verhandlung nicht erschienen Klägerin nicht hat angenommen werden können, insoweit als Teilanerkenntnisurteil (§ 202 SGG i.V.m. § 307 Zivilprozessordnung).

Im Übrigen ist die Berufung zurückzuweisen. Der Klägerin steht kein Anspruch auf die Gewährung einer höheren Verletztenrente als einer solchen nach einer MdE um 30 v. H. zu.

Das Sozialgericht hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen (§ 8 Abs. 1, § 56 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch) für die hier von der Klägerin beanspruchte Rente dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin die Voraussetzungen für eine Rente nach einer höheren MdE als 30 v. H. nicht erfüllt. Der Senat sieht deshalb - soweit nach dem Teilanerkenntnis der Beklagten noch streitig zu entscheiden ist - gem. § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Im Hinblick auf das Vorbringen im Berufungsverfahren ist ergänzend auszuführen, dass das Sozialgericht zutreffend Einwendungen gegen das Gutachten von Prof. Dr. Dr. W. erhoben hat. Angesichts des Umstands, dass die Beschwerden zumindest teilweise orthopädischer Behandlung (PST-Behandlung durch Dr. Klausmann) zugänglich sind, bestehen Zweifel, ob die von Prof. Dr. Dr. W. festgestellte psychogene Armlähmung überhaupt als solche besteht. Zudem litt die Klägerin bereits vor dem Unfall an einer Depression mit mehrmonatiger Arbeitsunfähigkeit. Von den behandelnden Ärzten Dr. K. , Prof. Dr. W. und Dr. G. sind Hinweise auf eine psychische Überlagerung der Beschwerden gegeben worden, die es für gut möglich erscheinen lassen, dass insbesondere eine eventuelle psychogene Armlähmung rechts allein wesentlich auf vorbestehende Erkrankungen zurückzuführen sind.

Die Unklarheiten bestehen fort, da eine weitere Begutachtung auf nervenärztlichem Fachgebiet mit psychoanalytischer Zusatzbegutachtung auch im Berufungsverfahren nicht hat stattfinden können. Kann aber ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juni 1991 - 2 RU 31/90 - SozR 3-2200 § 548 Nr. 11). Dies gilt unabhängig davon, ob die Klägerin aufgrund Erkrankungen des psychiatrischen Fachgebiets gehindert war, die gutachtlichen Untersuchungen wahrzunehmen, oder ob sie aus sonstigen Gründen sich nicht beim Gutachter vorgestellt hat.

Weiterer Ermittlungen, insbes. einer erneuten Anhörung von Prof. Dr. Dr. W. bedarf es nicht, nachdem dieser sich bereits zu den Einwendungen gegen sein Gutachten durch Dr. O. geäußert hat. Auch eine Beiziehung der Akten der Deutschen Rentenversicherung - Bund - lässt keinen Erkenntnisgewinn erwarten, da Zusammenhangsfragen insoweit keine Rolle spielen.

Die Unfallfolgen sind damit durch die Beeinträchtigungen auf unfallchirurgischem Fachgebiet bei Berücksichtigung der von Dr. O. angenommenen besonderen Schmerzhaftigkeit mit 30 v. H. ausreichend bewertet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
Saved