L 10 U 4442/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 2720/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 4442/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 27. Juli 2004 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Umstritten ist die Gewährung von Verletztenrente wegen der Folgen eines Arbeitsunfalles vom 20. Januar 1994.

Die Klägerin ist die Witwe und Rechtsnachfolgerin des am 1933 geborenen und am 2005 verstorbenen Versicherten, mit welchem sie bis zu dessen Tod in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat.

Der Versicherte war selbständiger Unternehmer und seit 1. April 1988 versichertes Mitglied der Beklagten. Bei dem Arbeitsunfall vom 20. Januar 1994 klemmte ein Baumstamm, der durch einen Frontlader in Bewegung geraten war, den linken Fuß des Versicherten ein, wodurch dieser das Gleichgewicht verlor und nach rückwärts auf die linke Seite fiel. Der Versicherte gab hierzu zunächst an, er habe sich eine Bänderzerrung am linken Kniegelenk zugezogen. Arbeitsunfähigkeit bestand bis 21. März 1994 (Zwischenbericht Dr. P. vom 28. März 1994).

Schon vor dem Unfall bestanden fortgeschrittene Arthrosen beider Kniegelenke und eine deutlich schmerzhafte Gehbehinderung links mehr als rechts mit sichtbarer Muskelminderung im Bereich des linken Unterschenkels (ärztliche Bescheinigungen vom 25. Juni 1973 und 17. September 1974) sowie Fehlstellungen beider Knie- und Fußgelenke (Bericht Dr. S. vom 21. Januar 1975). Vom Versorgungsamt waren als Behinderungen "Verkürzung des rechten Beines, Klumpfuss rechts, Senkfuß rechts, Arthrose der Kniegelenke, schmerzhafte Bewegungseinschränkung beider Fußgelenke" anerkannt und unter Einbeziehung weiterer Behinderungen mit einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v. H. bewertet worden (Bescheid vom 20. März 1975). Mindestens seit Januar 1986 ist bei ihm eine erhebliche Gehbehinderung anerkannt (Merkzeichen G). Die Behinderungen führte der Versicherte - erfolglos (bestandskräftige Bescheide des Versorgungsamtes Freiburg vom 14. Mai 1970 und 24. Februar 1997) - auf Verletzungen bei einer Bombenexplosion gegen Ende des Zweiten Weltkrieges (1944/45) zurück.

Nach dem Erstbefund waren beide Kniegelenke deutlich deformiert. Ein Erguss war nicht tastbar und es fanden sich links eine deutlich mediale Aufklappbarkeit mit einem Dehnungsschmerz am Innenband sowie rechtsseitig eine mediale Instabilität. Ein äußeres Hämatom war nicht zu erkennen und die Röntgenuntersuchung ergab am linken Kniegelenk eine in Fehlstellung verheilte ScheinbeinK. fraktur mit deutlicher Rekurvationsstellung sowie insgesamt deutliche Arthrosezeichen. Eine sichere frische Knochenverletzung war nicht festzustellen (Durchgangsarztbericht Dr. P. vom 21. Januar 1994). Am 1. Februar 1994 diagnostizierte Dr. T. einen Zustand nach schwerer Distorsion des linken Kniegelenks mit Verdacht auf Innenbandruptur wobei nicht sicher auszuschließen sei, ob dies ursächlich mit dem Unfall im Jahr 1944/45 in Zusammenhang stehe. Eine erneute Untersuchung am 1. September 1994 ergab eine deutliche Deformierung des linken Kniegelenks nach alter Fraktur 1944 mit endgradiger schmerzhafter Einschränkung der Beweglichkeit und ohne tastbaren Erguss. Dr. P. führte die im Wesentlichen noch geklagten Beschwerden auf die Verletzung im Jahr 1944/45 zurück.

Gemäß seinem Gutachten vom 11. Mai 1995 erachtete Dr. T. einen Ruhe-, Belastungs- und Überstreckungsschmerz sowie einen Schmerz bei Beugung am linken Knie, eine sichtbare Weichteilschwellung mit verstrichenen Konturen und ödematöser Schwellneigung, eine endständige Beugehemmung des linken Knies, einen ausgeprägten Bewegungsschmerz unterhalb der Kniescheibe sowie Zeichen einer Muskelminderung des Unterschenkels als Unfallfolgen und bewertete die MdE bis voraussichtlich 27. September 1995 mit 20 v.H. Nach Einholung einer Stellungnahme von PD Dr. M. , der sich dem nicht anschloss und eine MdE in rentenberechtigendem Grade verneinte, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27. September 1995 die Gewährung von Verletztenrente ab. Den Widerspruch wies die Widerspruchsstelle der Beklagten nach Einholung eines Gutachtens des Prof. Dr. W. vom 14. März 1996, der die Wahrscheinlichkeit eines Unfallschadens anzweifelte und die Auffassung vertrat, es könne sich allenfalls um eine vergleichsweise harmlose Zerrung gehandelt haben, die erfahrungsgemäß innerhalb weniger Tage folgenlos ausheile, mit Widerspruchsbescheid vom 2. August 1996 zurück.

Deswegen erhob der Versicherte am 9. Juni 1997 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG). Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens des Dr. H. , der von einer schweren Distorsion des linken Kniegelenks mit Innenbandläsion, einer Gelenkkapselschädigung und einem möglichen Kniebinnenschaden ausging, eine unfallbedingte dauerhafte Verschlimmerung des Vorschadens sah und die MdE mit 20 v. H. bewertete, sowie nach Vorlage einer Stellungnahme des PD Dr. M. hierzu, der sich dem nicht anschloss, schlossen die Beteiligten einen Vergleich, mit dem sich die Beklagte bereit erklärte, eine Überprüfung des Bescheides vom 27. September 1995 vorzunehmen sowie ein Gutachten des Dr. K. einzuholen, und der Versicherte seine Klage zurücknahm.

In seinem Gutachten sah Dr. K. als Unfallfolge lediglich eine vergleichsweise harmlose Zerrung. Er erachtete die von Dr. H. beschriebene Verkalkungen als schon auf den Röntgenaufnahmen kurz nach dem Unfall bestehend und sah keinen Beweis für eine Innenbandverletzung. Hierauf lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10. Mai 2002 und Widerspruchsbescheid vom 10. September 2002 die Rücknahme des Bescheides vom 27. September 1995 ab.

Deswegen hat der Versicherte am 23. September 2002 erneut Klage beim SG erhoben, das nach Einholung eines Gutachtens des Prof. Dr. S. (unfallbedingte Verschlimmerung einer vorbestehenden Arthrose; unfallbedingte MdE 20 v.H.) sowie Vorlage einer Stellungnahme des Dr. Sch. (nur vorübergehende Verschlimmerung der vorbestehenden Arthrose bis Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit ab 21. März 1994; keine unfallbedingte MdE) durch die Beklagte diese unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides und Widerspruchsbescheides mit Urteil vom 27. Juli 2004 verurteilt hat, den Bescheid vom 27. September 1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 2. August 1996 zurückzunehmen, und dem Versicherten Verletztenrente nach einer MdE um 20 v. H. ab 1. Januar 1997 zu gewähren.

Gegen das ihr am 7. September 2004 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 4. Oktober 2004 Berufung eingelegt. Die Klägerin hat als Sonderrechtsnachfolgerin des Versicherten nach dessen Tod den Rechtsstreit aufgenommen.

Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, der Unfall habe keine gravierenden Folgen gehabt und den vorbestehenden Knieschaden links nicht dauerhaft verschlimmert. Die Unfallfolgen seien mit Eintritt der Arbeitsfähigkeit am 22. März 1994 vollständig abgeheilt gewesen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgericht Freiburg vom 27. Juli 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin bezieht sich im Wesentlichen auf die Gründe des angefochtenen Urteils und verweist auf die diesem zu Grunde liegenden Gutachten.

Der Senat hat ein Sachverständigengutachten des Dr. Sch. und dessen ergänzende gutachterliche Stellungnahme eingeholt. Dieser ist nach Aktenlage und Untersuchung des Versicherten im Wesentlichen zum Ergebnis gelangt, der Versicherte leide u. a. unter einer ausgeprägten Gonarthrose mit Subluxationsstellung und Instabilität beider Kniegelenke, die aber nicht auf dem Unfall vom 20. Januar 1994 zurückzuführen seien. Es sei auch zu keiner unfallbedingten Progredienz der Arthrose des linken Kniegelenkes gekommen. Der Versicherte habe nur eine Distorsion des linken Kniegelenkes erlitten und die hierdurch bedingte MdE habe ab dem Unfalltag unter 10 v.H. gelegen.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist begründet.

Nachdem der Versicherte verstorben ist und die Klägerin nach § 56 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) dessen Rechtsnachfolgerin ist und den Rechtsstreit auch aufgenommen hat, ist vom Senat noch darüber zu entscheiden, ob die Beklagte zur Zahlung von Verletztenrente vom 1. Januar 1997 bis zum Tod des Versicherten verpflichtet ist.

Über die Frage der Gewährung von Verletztenrente aus Anlass des Unfalls vom 20. Januar 1994 liegt die bindend gewordene Entscheidung vom 27. September 1995 vor.

Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Die Bestimmung ermöglicht eine Abweichung von der Bindungswirkung sozialrechtlicher Verwaltungsakte. Nach § 44 Abs. 4 SGB X werden im Falle der Aufhebung eines Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum von vier Jahren vor der Rücknahme bzw. Antragstellung erbracht. Der Zeitpunkt der Rücknahme wird dabei von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird (§ 44 Abs. 4 Satz 2 SGB X). Bei einer Rücknahme auf Antrag tritt bei der Berechnung des Zeitraums, für den die Leistungen rückwirkend zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag (§ 44 Abs. 4 Satz 3 SGB X).

Obgleich hier die Gewährung von Rente erst ab 1. Januar 1997 streitig ist und zu diesem Zeitpunkt das Siebte Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) in Kraft getreten ist, kommen noch die bis 31. Dezember 1996 geltenden Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung (RVO) zur Anwendung, da der Ausnahmefall des § 214 Abs. 3 SGB VII, dass die Rente erstmals nach dem 31. Dezember 1996 festzusetzen war, nicht vorliegt. Unter "erstmals festzusetzen" ist nach der Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 20. Februar 2001, B 2 U 1/00 R) auch eine eine Rente ablehnende Entscheidung zu verstehen, sodass es für die Frage der Anwendbarkeit alten oder neuen Rechts ausschließlich darauf ankommt, ob die erste tatsächliche Entscheidung über die Leistung durch Bescheid - gleich welchen Inhalts und unabhängig vom späteren Schicksal des Bescheids (bestandskräftig oder geändert) - bis zum 31. Dezember 1996 erfolgte (BSG, a.a.O.). Der Senat hat deshalb bereits mit Urteil vom 26. Januar 2006, L 10 U 300/05 entschieden, dass altes Recht weiter anzuwenden ist, wenn vor dem 1. Januar 1997 ein Rentenanspruch abgelehnt wurde und auf der Grundlage von noch unter Geltung der RVO eingetretenen Veränderungen später, nach dem 31.12.1996, ein Rentenanspruch auch für die Vergangenheit geltend gemacht wird.

Im Ergebnis bedeutet dies, dass altes Recht jedenfalls dann anwendbar bleibt, wenn unter der Geltung der RVO einmal durch Bescheid entschieden wurde. Dies gilt unabhängig davon, welches Schicksal der Bescheid nahm, ob ein Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X (s.o.), ein Verfahren nach § 48 SGB X oder wegen einer Verschlechterung (aber - weil ursprünglich die Leistung versagt wurde - mangels vorliegendem Dauerverwaltungsakt unabhängig von § 48 SGB X) ein "originäres" Verfahren durchgeführt wird und ob sich der geltend gemachte Leistungsanspruch jeweils (auch) auf Zeiträume vor oder ab dem 1. Januar 1997 bezieht.

Es bleibt daher im vorliegenden Fall bei dem sich aus § 212 SGB VII ergebenden Grundsatz, dass die bisherigen Vorschriften der RVO über Rentenleistungen auf Fälle, die vor dem Inkrafttreten des SGB VII eintraten, weiterhin anzuwenden sind.

Gemäß §§ 580, 581 Abs. 1 RVO gewährt der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung bei Vorliegen eines Arbeitsunfalles, was für das in Rede stehende Ereignis unstreitig ist, Verletztenrente in Höhe des Teils der Vollrente, der dem Grad der durch die mit Wahrscheinlich auf das Unfallereignis zurückzuführenden Gesundheitsstörungen verursachten MdE des Verletzten entspricht, solange die Erwerbsfähigkeit durch die Folgen des Arbeitsunfalles über die 13. Woche nach dem Eintritt hinaus regelmäßig um wenigstens 20 v. H. gemindert ist. Ist die Erwerbsfähigkeit des Verletzten in Folge mehrerer Arbeitsunfälle gemindert und erreichen die Vom-Hundert-Sätze der durch die einzelnen Arbeitsunfälle verursachten Minderung zusammen wenigstens die Zahl 20, so ist für jeden, auch für einen früheren Arbeitsunfall, Verletztenrente zu gewähren, wobei die Folgen eines Arbeitsunfalles nur zu berücksichtigen sind, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern (§ 581 Abs. 3 Sätze 1 und 2 RVO). Zur Anerkennung von Gesundheitsstörungen, deren Vorliegen nachgewiesen sein muss, und deren Entschädigung als Unfallfolge muss ein zweifacher ursächlicher Zusammenhang gegeben sein, nämlich einmal zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis (so genannte haftungsbegründende Kausalität) und zum anderen zwischen dem Unfallereignis und der als solche nachgewiesenen Gesundheitsstörung (so genannte haftungsausfüllende Kausalität). Diese ursächlichen Zusammenhänge müssen hinreichend wahrscheinlich sein. Eine derartige Wahrscheinlichkeit des Zusammenhangs ist dann zu bejahen, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände denjenigen ein deutliches Übergewicht zukommt, die für den Zusammenhang sprechen. Die bloße Möglichkeit eines Zusammenhangs genügt nicht. Nach der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung sind als Ursache im Rechtssinn unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes, nur die Bedingungen anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben. Haben mehrere Bedingungen zu einem Erfolg beigetragen, so sind nur solche Bedingungen wesentlich, die nicht gegenüber anderen von untergeordneter Bedeutung sind (Bundessozialgericht [BSG] in SozR 3-2200 § 548 Nr. 13). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juni 1991, 2 RU 31/90 in SozR 3 -2200 § 548 Nr. 11).

Die Bemessung der unfallbedingten MdE richtet sich nach dem Umfang der Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens des Verletzten durch die Unfallfolgen und dem Umfang der den Verletzen dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Dabei kommt es immer auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet (BSG, Urteil vom 26. Juni 1985, Az. 2 RU 60/84 in SozR 2200 § 581 RVO Nr. 23 m.w.N.). Hierbei sind schlüssige ärztliche Schätzungen in Gutachten bedeutsame Anhaltspunkte, ohne dass das Gericht an die Schätzungen gebunden wäre. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Bei der Bewertung der MdE sind schließlich auch die in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung und dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum ausgearbeiteten Erfahrungssätze zu beachten, um eine gerechte und gleiche Bewertung der zahlreichen Parallelfälle der täglichen Praxis zu gewährleisten. Sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Unter Heranziehung dieser Grundsätze sind keine Unfallfolgen festzustellen, die einen rentenberechtigenden Grad bedingen, nachdem beim Versicherten bereits erhebliche Vorschäden, die er auf das Ereignis im Jahr 1944/45 zurückführte, vorlagen. Eine wesentliche und dauerhafte Verschlimmerung der vor dem Unfall bestehenden Funktionseinschränkungen und eine insofern durch das hier strittige Unfallereignis bedingte MdE ist nicht festzustellen. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats insbesondere aus dem Gutachten von Dr. K. und dem Sachverständigengutachten des Dr. Sch ... Soweit hiervon abweichend Dr. H. und Prof. Dr. S. wie auch Dr. T. Unfallfolgen mit einer MdE um 20 v.H. angenommen haben, vermag sich der Senat dem nicht anzuschließen.

Zunächst ist davon auszugehen, dass beide Kniegelenke des Versicherten schon vor dem 20. Januar 1994 erhebliche Arthrosen aufwiesen, die auch schon von 1970 an fortgeschritten waren und zu erheblichen Beschwerden und einer erheblichen Gehbehinderung geführt hatten. So hat der Versicherte gegenüber Prof. Dr. W. im Jahr 1996 angegeben, er habe seit 1945 Schmerzen, die im linken Kniegelenk immer stärker gewesen seien, und er habe beide Kniegelenke in den vergangenen Jahrzehnten nicht richtig bewegen können. Belegt ist dies auch durch die ärztlichen Äußerungen in den von der Beklagten beigezogenen Akten des Versorgungsamtes Freiburg (Blatt 89 ff der Akten der Beklagten). Der Röntgenbefund beider Kniegelenke zeigte eine fortgeschrittene Gonarthrose mit Druckzysten im Femur und eine exostoseartige Ausziehung der Tuberositas tibiae beidseits als Ausdruck eines Genum recurvatum (Bericht Prof. Dr. B. vom 14. Juni 1973). Außerdem war der Versicherte übergewichtig, was zu einer zusätzlichen Belastungen der Kniegelenke führte.

Des Weiteren geht der Senat davon aus, dass der Versicherte bei dem Unfall eine Kniegelenksdistorsion erlitten hatte. Dies wird zwar von Prof. Dr. W. - im Hinblick auf die Befunde und die Angaben des Klägers zum Hergang nicht völlig von der Hand zu weisen - in Zweifel gezogen, doch teilt der Senat diese Einschätzung auf Grund der Erstangaben gegenüber Dr. P. (Durchgangsarztbericht vom 21. Januar 1994) und dessen unfallnah erhobenen Befunden nicht. Nicht nachgewiesen ist allerdings das konkrete Ausmaß und die konkrete Art der Einwirkungen auf das Kniegelenk, also der Unfallmechanismus im Einzelnen. Schon gar nicht ist davon auszugehen, dass das Knie des Versicherten - wie von Prof. Dr. S. angenommen - zwischen zwei Baumstämmen eingeklemmt wurde. Auch ist zeitnah zum Unfallgeschehen keine wesentliche primäre Verletzungen belegt, die - sofern vorhanden - bei einer arthroskopischen Klärung hätte festgestellt werden können. Auf eine solche Arthroskopie wurde verzichtet im Hinblick auf den Vorschaden, was darauf hinweist, dass dieser schon anfangs als wesentlich für die Beschwerden angesehen wurde. Letztlich ist auf diesem Wege eine weitere Klärung nicht möglich. Festzuhalten ist insofern, dass sich gemäß dem Durchgangsarztbericht und den Folgeuntersuchungen bis zum Eintritt der Arbeitsfähigkeit am 22. März 1994 keine wesentliche Verletzung, insbesondere kein Erguss, kein äußeres Hämatom und keine knöcherne Verletzungen fanden und auch keine Bandverletzungen festgestellt wurde.

Soweit von Prof. Dr. S. und Dr. H. eine unfallbedingte Bandverletzung angenommen wurde, handelt es sich um Rückschlüsse aus späteren Befunden, die aber nicht überzeugen. Vielmehr zeigte sich bereits bei den Röntgenaufnahmen vom Unfalltag ein so genannter Stieda-Schatten, ein Kalkschatten, der auf einen postttraumatischen, schon vor dem Unfall bestehenden Zustand hindeutet (so Dr. Sch. und Dr. K. ) und deshalb nicht geeignet ist, eine Bandverletzung am Unfalltag zu belegen.

Unter Berücksichtigung der nach dem Unfall dokumentierten Befunde und Würdigung der vorliegenden Gutachten ist nicht festzustellen, dass das Unfallereignis mit Wahrscheinlichkeit Einschränkungen bezüglich Tätigkeiten des allgemeinen Erwerbslebens verursachte, die zu einer rentenberechtigenden MdE führten. Insbesondere ist nicht festzustellen, dass die nach dem Unfall bestehenden arthrotischen Veränderungen wahrscheinlich auf diesen zurückzuführen sind. Soweit dies Dr. H. auf ein "schweres Trauma" zurückführt, fehlt es bereits an dessen Nachweis und außerdem berücksichtigt er nicht in ausreichendem Umfang die erheblichen Vorschäden und nimmt insofern auch keine plausible Abgrenzung vor. Auch die entsprechende Argumentation des Prof. Dr. S. , eine Insuffizienz des postero-medialen Bandapparates sei "möglicherweise" auf den Unfall zurückzuführen, der zu einer Dysbalance des vorgeschädigten Knies und einer Progredienz der Arthrose geführt habe, überzeugt nicht. Er geht davon aus, dass der Versicherte bis zum Unfall weitgehend beschwerdefrei war und schwer belastende Tätigkeiten als LKW-Fuhrunternehmer verrichten konnte. Zum einen hatte der Versicherte auch nach eigenen Angaben vor dem Unfall unter erheblichen Beschwerden gelitten, die auch durch die Unterlagen des Versorgungsamtes dokumentiert sind, zum anderen war er ab 22. März 1994 wieder arbeitsfähig und hat schließlich am 1. September 1994 Dr. P. wegen Beschwerden (wieder) aufgesucht. Diese hat Dr. P. dann auch auf das Ereignis "im Jahr 1944" zurückgeführt. Schließlich hat Prof. Dr. S. - auch in seiner von der Klägerin vorgelegten ergänzenden Stellungnahme - keine überzeugende Abgrenzung zwischen Vorschäden und den (von ihm angenommenen) Unfallfolgen vorgenommen und die MdE nicht nachvollziehbar begründet. Seine Darstellung lässt einen ursächlichen Zusammenhang nur möglich erscheinen, nicht aber wahrscheinlich. Dies gilt insbesondere für seine Argumentation, eine Distorsion auf ein vorgeschädigtes Kniegelenk führe häufig zu einer beschleunigten Progedienz der Arthrose. Ob gerade dies beim Versicherten der Fall war ist aber die entscheidende Frage, die von Prof. Dr. S. im Wesentlichen lediglich auf Grund der Angaben des Versicherten und einem Vergleich der Röntgenaufnahmen von 1994 und 2005 beantwortet wird. Eine Bewertung der erheblichen Vorschäden findet nur ungenügend statt.

Es bleibt deshalb für den Senat dabei, dass objektiv nachgewiesene Unfallfolgen, die eine MdE in rentenberechtigendem Grade bedingen, nicht vorliegen bzw. vorgelegen haben. Deshalb folgt er dem Gutachten von Dr. Sch. sowie im Ergebnis auch denen von Prof. Dr. W. und Dr. K. , wonach eine rentenberechtigende MdE jedenfalls über acht Wochen nach dem Unfall hinaus nicht vorgelegen hat.

Da somit ein Anspruch auf Verletztenrente nicht besteht, ist auf die Berufung der Beklagten das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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